Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 31.01.2019, Az.: 8 U 97/18

Aussetzung eines Rechtsstreits im Hinblick auf ein Musterverfahren in der Berufungsinstanz; Begriff des Prozessgerichts i.S. von § 8 Abs. 1 KapMuG

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
31.01.2019
Aktenzeichen
8 U 97/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 13297
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 23.05.2018 - AZ: 1 O 1260/17

Amtlicher Leitsatz

1. Auch das mit dem Ausgangsverfahren befasste Berufungsgericht ist Prozessgericht im Sinne des § 8 Abs. 1 KapMuG.

2. Zur Abhängigkeit der Entscheidung des Ausgangsverfahrens von den im Musterverfahren geltend gemachten Feststellungszielen (§ 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG) unter Berücksichtigung des Verfahrensstands des Ausgangsverfahrens im Berufungsrechtszug und der dabei gemäß § 529 Abs. 1 ZPO zu beachtenden Bindungswirkungen.

3. Eine Abhängigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG besteht nicht, wenn und soweit Gegenstand des Ausgangsverfahrens nicht dieselbe Kapitalmarktinformation wie im Musterverfahren, sondern lediglich eine ähnliche, teilweise wortlautidentische Kapitalmarktinformation ist.

4. Werden mehrere, auf verschiedene Kapitalmarktinformationen bezogene Ansprüche geltend gemacht (objektive Klagehäufung), besteht gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG die Möglichkeit, das Ausgangsverfahren nur teilweise auszusetzen.

Tenor:

Der Senat setzt das Verfahren gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG nach Bekanntgabe des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Aurich vom 14. Dezember 2018 (1 O 709/18) im Klageregister aus, soweit über die Berufung der Beklagten (G... G... B... III) zu entscheiden ist.

Der Kläger wird gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 und 2 KapMuG darüber unterrichtet, dass die anteiligen Kosten des Musterverfahrens zu den Kosten des Rechtsstreits gehören und dass § 8 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG nicht gilt, wenn die Klage - eine Einwilligung der Beklagten ist nicht erforderlich, § 8 Abs. 2 KapMuG - innerhalb von einem Monat ab Zustellung des Aussetzungsbeschlusses im Ausgangsverfahren (8 U 97/18) gegenüber dem Oberlandesgericht Oldenburg zurückgenommen wird (§ 24 Abs. 2 KapMuG).

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen behaupteter Prospektfehler auf Rückabwicklung einer unter dem Namen G... G... B... I angebotenen Beteiligung zu je 50 % an zwei Reedereien in Höhe von 50.000 € sowie einer weiteren, als G... G... B... III angebotenen Beteiligung an der Reederei MS "G... H..." GmbH & Co. KG in Höhe von 30.000 € in Anspruch. Die Zeichnungen der Beteiligungen durch den Kläger erfolgten am 25. Dezember 2007 (G... G... B... I) sowie am 20. Dezember 2008 (G... G... B... III). Die Beklagte hatte in sämtlichen Fondsgesellschaften die Stellung einer Treuhandkommanditistin.

Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der Beteiligung G... G...B... III stattgegeben und sie im Übrigen (G... G... B... I) abgewiesen. Dagegen richten sich die Berufungen beider Parteien, die jeweils ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen.

Am 14. Dezember 2018 hat das Landgericht Aurich einen Vorlagebeschluss gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG erlassen, der am 11. Januar 2019 im Klageregister bekanntgegeben worden ist (1 O 709/18). Darin heißt es:

"Die folgenden Feststellungsziele werden dem Oberlandesgericht Oldenburg zur Entscheidung vorgelegt:

Der Verkaufsprospekt über die Beteiligung am G... G... B... III in der Fassung vom 04.07.2008 (nachfolgend Verkaufsprospekt) war unrichtig, irreführend und unvollständig, weil

1. die prognostizierten Frachtraten in Hinblick auf die fehlende Eisklasse des Schiffes und die Überalterung der Flotte im betroffenen Schiffssegment unvertretbar hoch angesetzt waren und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

2. das Risiko des Wiederauflebens der Haftung nach § 171 f. HGB falsch bzw. unvollständig dargestellt wurde, da der Prospekt verschweigt, dass die Kapitalkonten nicht durch Entnahmen (Auszahlungen) unter die Hafteinlage gemindert werden können, sondern auch durch Verlustzuweisungen und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

3. dass im Verkaufsprospekt kein ordnungsgemäßer und ausreichender Hinweis darauf enthalten ist, dass die von der Gesellschaft für Handel und Finanz mbH abgegebene Platzierungsgarantie nicht werthaltig war und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

4. dass entgegen der Prospektdarstellung eine effektive Überwachung der prospektgemäßen Mittelverwendungskontrolle des Emissionskapitals durch einen unabhängigen Rechtsanwalt tatsächlich nicht gewährleistet war und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

5. dass die im Verkaufsprospekt auf der Seite 27 f. dargestellten "Verflechtungen zwischen den Partnern" unvollständig sind, da dort keine Angaben zu möglichen Interessenkollisionen zwischen dem Mittelverwendungskontrolleur, der Beklagten und der Gesellschaft für Handel und Finanz mbH gemacht wurden und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

6. dass der Verkaufsprospekt aufgrund des gegen den Mittelverwendungskontrolleur eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und / oder dessen Verurteilung eines Nachtrags bedurft hätte und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

7. dass im Verkaufsprospekt kein ordnungsgemäßer und ausreichender Hinweis auf das Risiko des Verlustes von Schiff, Ladung und Besatzung durch Piraterie oder Kriegseinwirkungen enthalten ist und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

8. dass im Verkaufsprospekt kein ordnungsgemäßer und ausreichender Hinweis über das Fremdwährungsrisiko im Zusammenhang mit den Erwerbskosten des Schiffes enthalten ist und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

9. dass der Verkaufsprospekt eines Nachtrags hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit der auf Seite 119 abgedruckten Widerrufsbelehrung bedurft hätte und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt."

II.

Das Verfahren ist, soweit über die Berufung der Beklagten zu entscheiden ist, gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG auszusetzen, nachdem der Vorlagebeschluss des Landgerichts Aurich vom 14. Dezember 2018 (1 O 709/18) am 11. Januar 2019 im Klageregister bekanntgegeben worden ist.

1. Gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG setzt das Prozessgericht nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren noch anhängig werdenden Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt.

a) Auch der als Berufungsgericht mit dem Rechtsstreit befasste Senat ist Prozessgericht im Sinne des § 8 Abs. 1 KapMuG (vgl. OLG München, Beschluss vom 27. August 2013 - 19 U 5140/12, WM 2013, 2131 [OLG Karlsruhe 27.11.2007 - 8 U 164/06], zitiert nach juris, Rn. 4; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl., § 8 Rn. 5, 9 f. mwN; Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, § 7 Rn. 12; BT-Drs. 15/5091 S. 24/25; vgl. ferner BGH, Urteil vom 15. Juli 2014 - XI ZR 100/13, WM 2014, 1624, Rn. 12 mwN [die Frage für den BGH als Revisionsgericht verneinend]).

b) Die Abhängigkeit von den geltend gemachten Feststellungszielen ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/8799, S. 20) abstrakt zu beurteilen; deshalb genügt es, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den Feststellungszielen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit abhängen kann. Es ist nicht erforderlich, dass die Entscheidung nach Klärung sämtlicher übriger Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfragen nur noch von den Feststellungszielen abhängt. An dieser Stelle wird dem Prozessgericht ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt. Das Gericht kann auf die Verfahrenssituation zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses Rücksicht nehmen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Abhängigkeit der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen zu bejahen, soweit über die Berufung der Beklagten zu entscheiden ist. Insoweit ist der Rechtsstreit nicht ohne Rückgriff auf die Feststellungsziele des Musterverfahrens entscheidungsreif (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - III ZB 88/15, WM 2016, 403, Rn. 14; Beschluss vom 2. Dezember 2014 - XI ZB 17/13, NJW-RR 2015, 299, 300 Rn. 13; jeweils mwN; ferner Kruis, aaO, Rn. 29, 32; Gängel/Huth/Gansel, KapMuG, 4. Aufl., § 8 Rn. 9).

Denn das Musterverfahren betrifft ebenso wie der vorliegende Rechtsstreit - hier nur hinsichtlich der Berufung der Beklagten - den Verkaufsprospekt der als G... G... B... III angebotenen Beteiligung an der Reederei MS "G... H..." GmbH & Co. KG. Der Prospekt lag der auf diesen Fonds bezogenen Anlageentscheidung des Klägers zugrunde. Im vorliegenden Rechtsstreit wurden bereits in erster Instanz Prospektfehler geltend gemacht, die auch Gegenstand der im Vorlagebeschluss aufgeführten Feststellungsziele sind. Der Senat neigt, wie in der Ladungsverfügung mitgeteilt und in der mündlichen Verhandlung mit den Parteivertretern erörtert, vorläufig zu der Auffassung, dass die Beklagte - entgegen der Auffassung des Landgerichts - ihre Aufklärungspflicht in Bezug auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Rechtsanwalt P... nicht verletzt hat (siehe dazu den Vorlagebeschluss, Feststellungsziel Nr. 6). Zu den weiteren Feststellungszielen, die auch Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind, hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen. Damit können sich - auch unter Berücksichtigung des Verfahrensstandes im Berufungsverfahren und der dabei gemäß § 529 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigenden Bindungswirkungen (vgl. Kruis, aaO, Rn. 9; Fullenkamp, aaO) - durch das Musterverfahren Erkenntnisse ergeben, die auch für die Entscheidung dieses Rechtsstreits erheblich sind.

2. Im Übrigen - also hinsichtlich der Berufung des Klägers - setzt der Senat das Verfahren nicht aus.

Die Berufung des Klägers richtet sich gegen die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts hinsichtlich der Beteiligung G... G... B... I. Die im Vorlagebeschluss aufgeführten Feststellungsziele beziehen sich aber nicht auf den Verkaufsprospekt für diese Beteiligung, sondern auf den Verkaufsprospekt für die Beteiligung G... G... B... III, also eine andere Kapitalmarktinformation und damit einen anderen Lebenssachverhalt. Der vom Kläger weiter verfolgte Anspruch hinsichtlich der Beteiligung G... G... B... I betrifft lediglich einen ähnlichen, teilweise wortlautidentischen Verkaufsprospekt. Daraus ergibt sich indessen keine Vorgreiflichkeit des Musterverfahrens (vgl. Kruis, aaO, Rn. 30).

Im - hier vorliegenden - Fall einer objektiven Klagenhäufung besteht gemäß § 8 Abs. 1 KapMuG die Möglichkeit, das Verfahren nur teilweise auszusetzen (vgl. dazu Kruis, aaO, Rn. 48 f. mwN). Davon macht der Senat Gebrauch und setzt das Verfahren nur insoweit aus, als die Beteiligung G... G... B... III betroffen ist.