Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.01.2004, Az.: 22 Ss 3/04
Fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs; Entzug der Fahrerlaubnis und Sperre von elf Monaten für die Neuerteilung; Rechtsüberholen mit überhöhter Geschwindigkeit; Zwingen eines anderem Verkehrsteilnehmers zu einem scharfen Bremsmanöver zur Vermeidung eines Verkehrsunfalls; Einhalten eines ausreichenden Sicherheitsabstandes
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.01.2004
- Aktenzeichen
- 22 Ss 3/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 35390
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:0122.22SS3.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs.1 StVO
- § 49 Abs. 1 Nr. 5 StGB
- § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b StGB
- § 83 Abs. 3 OWiG
- § 79 Abs. 6 OWiG
- § 24 StVG
- § 29 StVG
Fundstelle
- StraFo 2004, 142 (Volltext mit red. LS)
In der Strafsache
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die Revision des Angeklagten
gegen das Urteil des Amtsgerichts ....... vom 6. Oktober 2003
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht .......,
den Richter am Oberlandesgericht ....... und
den Richter am Oberlandesgericht ....... am 22. Januar 2004
beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Der Angeklagte wird wegen vorsätzlichen falschen Überholens zu einer Geldbuße von 80 EUR verurteilt.
(Angewendete Vorschriften:
§§ 5 Abs.1, 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO, 24 StVG)
Der Angeklagte hat die Verfahrenskosten erster Instanz zu tragen; die Gerichtsgebühr wird insoweit auf 25 EUR festgesetzt. Seine notwendigen Auslagen erster Instanz hat die Landeskasse zu vier Fünftel zu tragen; im Übrigen trägt sie der Angeklagte.
Die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.
Die mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 24. Juli 2003 angeordnete vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wird aufgehoben. Der Führerschein ist dem Angeklagten auszuhändigen.
Eine Entschädigung für die erlittene vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgt nicht.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt, ihm seine Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und eine Sperre von elf Monaten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet.
Nach den Feststellungen folgte der Angeklagte am Ostermontag, dem 21. April 2003, gegen 12:00 Uhr mit seinem VW Golf auf der Bundesautobahn 7 von in Richtung fahrend auf der linken Spur etwa vier bis fünf Minuten lang einem von dem Zeugen ... gelenkten VW Corrado. In Höhe der Abfahrt Egestorf betrug die Fahrgeschwindigkeit des Zeugen ... der einen Abstand von 150 bis 200 m zu seinem Vordermann einhielt, 190 bis 200 km/h. Der Angeklagte überholte nunmehr rechts und scherte 80 m vor dem Zeugen ... wieder links ein, weshalb der Zeuge seinen Pkw scharf abbremste, sodass die Frontpartie nach unten geriet und der nachfolgende Pkw sich bis auf wenige Meter dem Fahrzeug des Zeugen näherte. Hätte der Zeuge nicht so scharf abgebremst, wäre es zu einem Auffahrunfall gekommen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
II.
Das zulässige Rechtsmittel ist weitgehend begründet. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung lediglich wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit.
1.
Der festgestellte Sachverhalt trägt die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b StGB nicht.
Aus den Feststellungen zum Verkehrsgeschehen erschließt sich nicht, dass der Zeuge ... aufgrund des Fahrverhaltens des Angeklagten zu einem heftigen Bremsmanöver gezwungen war oder sonst konkret gefährdet worden ist.
Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte 80 m vor dem Zeugen wieder auf die linke Spur eingeschert ist. Nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., Rdnr. 6 zu § 4 StVO) beträgt bei normalen Verkehrsverhältnissen der Sicherheitsabstand die in 1,5 Sekunden durchfahrene Strecke, was bei einer Geschwindigkeit von 190 km/h 79,16 m sind. Demnach ist der Angeklagte mit ausreichendem Sicherheitsabstand vor dem Zeugen ... wieder eingeschert. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, weshalb - wie das Amtsgericht ausführt - der Zeuge ... zu einem Bremsmanöver gezwungen gewesen sein sollte, zumal denknotwendig der Angeklagte als Überholender schneller als der Zeuge gefahren sein muss, sodass sich der Abstand zu dem Zeugen weiter vergrößert haben muss. Die getroffenen Feststellungen belegen deshalb eine konkrete Gefährdung eines anderen Menschen an Leib oder Leben oder fremder Sachen von bedeutendem Wert nicht, die § 315 c Abs. 1 StGB erfordert. Denn eine konkrete Gefährdung in diesem Sinne kann nur angenommen werden, wenn die festgestellten Tatsachen die naheliegende Wahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses begründen, seine Vermeidung sich nur noch als Zufall darstellt (vgl. nur Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl., Rdnr. 15 zu § 315 c m.w.N.). Für eine solche nachträgliche Prognose bieten die Feststellungen des Amtsgerichts - wie dargelegt - keine hinreichende Grundlage.
2.
Die damit gebotene Aufhebung des angefochtenen Urteils führt jedoch nicht zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz. Der Senat kann vielmehr entsprechend §§ 83 Abs. 3, 79 Abs. 6 OWiG selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind und lediglich eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit erfolgen kann (OLG Bremen VRS 65, 36, 38; BayObLG bei Rüth, DAR 1986, 251; KK-Steindorf, OWiG, 2. Aufl., Rdnr. 13 zu § 83).
a)
Die Feststellungen des Amtsgerichts belegen, dass der Betroffene vorsätzlich gegen §§ 5 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO, 24 StVG verstoßen hat, weil er den Pkw des Zeugen ....... rechts überholt hat.
b)
Deshalb ist gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 80 EUR zu verhängen. Im Regelfall sieht der Bußgeldkatalog in lfd. Nr. 17 für das Rechtsüberholen außerorts eine Geldbuße von 50 EUR vor. Diese Geldbuße war im Hinblick auf die vorsätzliche Begehungsweise und die verkehrsrechtlichen Vorbelastungen angemessen zu erhöhen. Dabei hat der Senat die Voreintragungen bezüglich der Entscheidungen aus dem Jahre 2003 nicht berücksichtigt, weil insoweit mangels Angabe des Rechtskraftseintritts nicht feststeht, dass diese Entscheidungen bei Begehung der jetzt abgeurteilten Tat bereits in Rechtskraft erwachsen waren. Der Senat schließt allerdings aus, dass hinsichtlich der früheren Vorbelastungen bereits vor Eintritt der Rechtskraft der Entscheidungen aus dem Jahre 2003 die ihrer Verwertbarkeit entgegenstehende Tilgungsreife gemäß § 29 StVG eingetreten sein könnte.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 465, 467 StPO. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass der Angeklagte sein Rechtsmittelziel mit dem Wegfall der strafrechtlichen Ahndung im Wesentlichen erreicht hat.
4.
Gemäß § 111 a Abs. 2 StPO war die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben.
5.
Eine Entschädigung des Angeklagten für die Zeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis kam gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG nicht Betracht. Denn durch die vorsätzliche Begehung der Ordnungswidrigkeit i.V.m. seiner Angabe vor der Polizei im Rahmen der Vernehmung vom 20. Juni 2003, der Vorfall könne sich so abgespielt haben, wie ihn der Zeuge ... geschildert habe, hat er die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis grob fahrlässig maßgeblich mit verursacht. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte sich in der Hauptverhandlung abweichend von den Angaben bei der Polizei dahin eingelassen hat, höchstens mal 160 km/h schnell gefahren zu sein.