Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.01.2013, Az.: 1 Ss 183/12

Anforderungen an eine strafbare Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz; Prüfungskompetenz der Rechtmäßigkeit einer zivilrechtlichen Anordnung durch das Strafgericht

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
21.01.2013
Aktenzeichen
1 Ss 183/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 34164
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2013:0121.1SS183.12.0A

Fundstelle

  • FamFR 2013, 162

Tenor:

1. Die Hauptverhandlung wird ausgesetzt.

2. Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

"Setzt eine Bestrafung gemäß § 4 GewSchG die Feststellung voraus, dass die gemäß § 1 Abs. 1 oder 2 erlassene Gewaltschutzanordnung zu Recht ergangen ist?"

Gründe

1

I.

Das Amtsgericht Westerstede hat den Angeklagten am 11. April 2012 wegen eines Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 11 Euro verurteilt. Seine hiergegen eingelegte Berufung hat das Landgericht Oldenburg mit Urteil vom 8. August 2012 verworfen.

2

Dem Urteil des Landgerichts liegen folgende Feststellungen zu Grunde:

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Die Zeugin V......, die mit dem Angeklagten im August 2010 eine etwa einmonatige Beziehung hatte, hatte gegen ihn eine einstweilige Anordnung des Amtsgerichts Westerstede vom 23. November 2010 erwirkt, wonach dem Angeklagten u.a. untersagt war, sich der Wohnung der Zeugin bis auf eine Entfernung von 200 Metern zu nähern. Diese einstweilige Anordnung, die bis 22. Februar 2011 galt, ist dem Angeklagten am 24. November 2011 zugestellt worden. Nachfolgend erwirkte die Zeugin V...... eine weitere einstweilige Anordnung des Amtsgerichts Westerstede vom 17. August 2011, die bis 16. August 2012 gilt, und mit welcher dem Angeklagten - bei sonst identischem Text - u.a. untersagt wird, sich der Wohnung der Zeugin "bis auf eine Entfernung von 200 zu nähern".

4

Diese Anordnung ist dem Angeklagten am 23. August 2011 zugestellt worden. Dabei war und ist dem Angeklagten bewusst, dass ein Näherungsverbot bis auf 200 Meter galt und gilt.

5

In Kenntnis des erwähnten Näherungsverbotes begab sich der Angeklagte am Abend des 15. November 2011 zwischen etwa 19 und 20 Uhr zu dem Pkw der Zeugin V......, der in einer Entfernung von etwa 10 Metern vor ihrer Wohnung im ersten Stock des Hauses ............. abgestellt war, und hielt sich dort kurzzeitig auf. Als die Örtlichkeit infolge eines Bewegungsmelders beleuchtet wurde, fuhr der Angeklagte mit dem Fahrrad davon.

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Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte am 9. August 2012 Revision eingelegt und diese nach Zustellung der schriftlichen Urteilgründe am 22. August 2012 am 24. September 2012, einem Montag, begründet. Er erstrebt mit der Sachrüge, mit der er sich vor allem gegen die Annahme der Bestimmtheit der Anordnung wegen der fehlenden Maßangabe und die durch die Strafkammer vorgenommene Beweiswürdigung wendet, die Aufhebung des Urteils. Die Generalstaatsanwaltschaft hält diese Angriffe gegen die Entscheidung des Landgerichts für unbegründet, vertritt aber gleichwohl die Ansicht, dass das Urteil aufzuheben sei. Sie ist - wie bereits in ihrer Zuschrift vom 14. November 2012 ausgeführt - der Auffassung, das Landgericht sei für eine strafrechtliche Verfolgung eines Verstoßes gegen eine einstweilige Anordnung gemäß § 4 GewSchG verpflichtet gewesen, das Vorliegen aller in § 1 GewSchG enthaltenen Tatbestandsmerkmale selbst festzustellen. Es müsse auf Grund eigener Tatsachenfeststellungen im Falle des § 1 Abs. 2 GewSchG insbesondere die vorsätzliche widerrechtliche Verletzung von Körper, Gesundheit oder Freiheit einer anderen Person sowie die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Anordnung bewerten. Deshalb sei der der zivilgerichtlichen Anordnung zu Grunde liegende Sachverhalt in den Gründen des Strafurteils darzustellen. Vorliegend enthielten die Feststellungen des angefochtenen Urteils keinerlei Angaben zu den Begebenheiten, die zum Erlass der Anordnung geführt hätten. Damit sei nicht bewertbar, ob die vom Familiengericht angeordneten Maßnahmen rechtmäßig seien. Das Urteil sei somit lückenhaft und könne keinen Bestand haben.

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II.

Der Senat beabsichtigt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

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1. Zweifel an der Bestimmtheit der Anordnung bestehen nach Auffassung des Senats nicht. Dafür, dass sich das Näherungsverbot in der einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts Westerstede vom 17. August 2011 auf eine in der Einheit "Meter" bemessene Entfernung bezog, spricht nicht nur die durch das Landgericht im Rahmen der Feststellungen angeführte, zeitlich vorangehende Anordnung vom 23. November 2010, bei der - bei ansonsten identischem Text - die Maßeinheit "Meter" angeführt ist. Vielmehr ist, wie die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung (UA S. 4) mitteilt, im weiteren Text des Tenors der Anordnung auch von einem durch den Angeklagten für den Fall eines zufälligen Zusammentreffens herzustellenden Abstand von 50 Metern die Rede. In der Gesamtschau ist daher der Regelungsgehalt der einstweiligen Anordnung nicht zweifelhaft, zumal die Verwendung einer Maßangabe in anderen Einheiten (etwa Millimeter, Zentimeter oder Dezimeter) fernliegend ist. Auch der durch das Landgericht hieraus gezogene Schluss, dass der Angeklagte hierum wusste, ist deshalb nicht zu beanstanden.

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2. Auch die Beweiswürdigung des Landgericht, auf Grund derer es zu der Annahme eines Verstoßes gegen das Annäherungsverbot gelangt ist, ist frei von Rechtsfehlern.

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Das Landgericht stützt sich insoweit insbesondere auf die Angaben der Zeuginnen V......, S....... und B......., die den Angeklagten (V...... und S.......) bzw. eine dunkel gekleidete Person (B.......) gesehen haben (UA S. 5). Den Angaben der als Zeugen vernommenen Eltern des Angeklagten, O....... und E......., ..........sowie des Freundes des Angeklagten, A....... B......, die bekundet haben, der Angeklagte habe seine Wohnung am Tattag zwischen 19.00 und 20.00 Uhr nicht verlassen, hat es dagegen keinen Glauben geschenkt und dieses mit den Abweichungen der einzelnen Schilderungen der Zeugen begründet (UA S. 6). Diese Beweiswürdigung, die grundsätzlich Sache des Tatrichters und vom Revisionsgericht daher in der Regel hinzunehmen ist, weist keine Rechtsfehler auf. Insbesondere liegen keine Widersprüchlichkeiten, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze vor.

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3. Der Senat hält auch die durch das Landgericht hinsichtlich der Wirksamkeit der durch das Amtsgericht Westerstede am 17. August 2011 erlassenen einstweiligen Anordnung getroffenen Feststellungen für ausreichend, um zu einem Schuldspruch gemäß § 4 GewSchG zu gelangen.

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Das Landgericht hat ausgeführt, dass die Anordnung dem Angeklagten am 23. August 2011 zugestellt worden war (UA S. 4 oben). Es hat damit das Tatbestandsmerkmal der Vollstreckbarkeit der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG ergangenen Anordnung in der erforderlichen Weise (vgl. BGH, Beschluss v. 10.05.2012, 4 StR 122/12, FamRZ 2012, 1216) festgestellt. Zu einer auch inhaltlichen Überprüfung der getroffenen Anordnung war die Strafkammer nicht verpflichtet. Denn § 4 GewSchG knüpft die strafrechtliche Verfolgung allein an das Bestehen und die Vollstreckbarkeit einer Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG. Darüber hinaus gehende Feststellungen waren daher durch das Landgericht nicht zu treffen.

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III.

Der Senat sieht sich an einer Verwerfung der Revision indessen gehindert durch die Entscheidungen des OLG Hamm (Beschluss v. 02.03.2006, 3 Ss 35/06, NStZ 2007, 486), des OLG Celle (Urteil v. 13.02.2007, 32 Ss 2/07, NStZ 2007, 485) und des Hanseatischen OLG Hamburg (Beschluss v. 29.04.2010, 1 Ss 77/09, bei juris), wonach eine Bestrafung gemäß § 4 GewSchG auch die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Gewaltschutzanordnung erfordere.

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Das OLG Hamm vertritt in seinem Beschluss vom 2. März 2006 (3 Ss 35/06, NStZ 2007, 486) die Ansicht, dieses Erfordernis sei aus den Gesetzesmaterialien herzuleiten. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Gewaltschutzgesetz sei zu § 4 ausgeführt (BT-Drucks. 14/5429, S. 32), dass der Tatbestand des § 4 GewSchG dann nicht erfüllt sei, wenn sich bei Überprüfung der Rechtmäßigkeit der nach § 1 GewSchG ergangenen gerichtlichen Schutzanordnung durch das Strafgericht herausstelle, dass die Schutzanordnung nicht habe ergehen dürfen, etwa weil der Täter die der Anordnung zu Grunde gelegte Tat nicht begangen habe. Der Bundesrat habe hierzu um Klarstellung im weiteren Gesetzgebungsverfahren gebeten, dass im Strafverfahren wegen eines Verstoßes gegen gerichtliche Schutzanordnungen nicht zu prüfen sei, ob diese rechtmäßig ergangen seien. Insbesondere sei dem Anordnungsgegner, der der Auffassung sei, eine derartige zivilgerichtliche Anordnung sei nicht rechtmäßig ergangen, zuzumuten, gegen diese Entscheidung vor den Zivilgerichten vorzugehen. Deshalb solle klargestellt werden, dass das Strafgericht bei der Anwendung der genannten Strafvorschrift nicht überprüfen könne, ob die vollstreckbare gerichtliche Anordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder 3 GewSchG rechtmäßig ergangen sei, sondern lediglich, ob sie wirksam ergangen sei (BT-Drucks. 14/5429, S. 39). Diese Klarstellung habe die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren ausdrücklich verweigert. Zur Begründung habe sie darauf verwiesen, dass Entscheidungen, die auf der Grundlage eines nach der Zivilprozessordnung durchzuführenden Verfahrens ergangen seien, insbesondere in den Fällen der möglichen Versäumnisurteile keine Gewähr für ihre "materielle Richtigkeit" böten (BT-Drucks. 14/5429, S. 42). Damit stehe fest, dass der Gesetzgeber von der Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der gemäß § 1 GewSchG ergangenen Anordnung ausgegangen sei und dieses von den Strafgerichten verlange.

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Das OLG Celle hat sich dem in seinem Urteil vom 13. Februar 2007 (32 Ss 2/07, NStZ 2007, 485) angeschlossen. Es hat ausgeführt, für die strafrechtliche Verfolgung eines Verstoßes gegen die einstweilige Verfügung habe das Gericht das Vorliegen aller in § 1 GewSchG enthaltenen Tatbestandsmerkmale selbst festzustellen. Es müsse insbesondere die widerrechtliche Verletzung von Körper, Gesundheit oder Freiheit einer anderen Person feststellen, die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Anordnungen und auch die Einhaltung des Übermaßverbotes durch eine zeitliche Begrenzung des Näherungsverbotes. Fehle etwa in der einstweiligen Verfügung eine Befristung der angeordneten Maßnahmen, so habe das Strafgericht selbst zu entscheiden, ob zum Tatzeitpunkt die Anordnung aus Verhältnismäßigkeitsgründen noch als Grundlage einer Bestrafung nach § 4 GewSchG habe dienen können. Um dem Revisionsgericht die Überprüfung der strafgerichtlichen Entscheidung zu ermöglichen, sei deshalb der der Anordnung zu Grunde liegende Sachverhalt in den Urteilsgründen darzustellen.

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Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg teilt in seinem Beschluss vom 29. April 2010 (1 Ss 77/09, bei juris) diese Ansicht. Neben der Gesetzgebungsgeschichte, hinsichtlich derer es auf die vorgenannten Entscheidungen Bezug nimmt, stützt es seine Ansicht darauf, dass es sich bei § 4 GewSchG um eine Blankettnorm handele, deren Verbotsgehalt sich aus der zu Grunde liegenden zivilgerichtlichen Entscheidung ergebe. Daraus folge zunächst, dass eine wirksame vollstreckbare zivilgerichtliche Anordnung vorliegen müsse. Da aber § 4 GewSchG nicht zugleich entscheidungsakzessorisch gestaltet sei, müssten die tatsächlichen Voraussetzungen und die materielle Rechtmäßigkeit der zivilgerichtlichen Anordnung durch das Strafgericht eigenständig ohne Bindungen an die zivilgerichtliche Entscheidung festgestellt und gewürdigt werden. Lediglich die Rechtmäßigkeit des zivilgerichtlichen Verfahrens bleibe wegen des Blankettcharakters aus der strafgerichtlichen Prüfungspflicht ausgeklammert. Dieses ergebe sich aus dem Wortlaut des § 4 GewSchG sowie aus dem systematischen Verhältnis zwischen den §§ 1 und 4 GewSchG ersichtlichen Anforderungen.

17

IV.

Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

18

Gewaltschutzverfahren, die zuvor verfahrensrechtlich - abhängig vom Führen eines gemeinsamen Haushaltes durch die Parteien - entweder nach der ZPO oder nach dem FGG zu behandeln waren (vgl. §§ 621 Abs. 1 Nr. 13, 621a Abs. 1 ZPO i.d. bis zum 31.08.2009 geltenden Fassung), sind seit Inkrafttreten des FamFG (zum 01.09.2009) nach dieser Verfahrensordnung (insb. §§ 210-216a FamFG) zu behandeln, die den Erlass eines Versäumnisurteils nicht zulässt. Zwar kann eine Gewaltschutzanordnung auch - wie hier - als einstweilige Anordnung ergehen (§ 214 FamFG). Hierbei darf das Gericht aber nur auf Grund eines - i.d.R. durch eidesstattliche Versicherung des Antragstellers - glaubhaft gemachten Anordnungsgrundes ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 51 Abs. 1 u. 2 FamFG). Es hat den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 26 FamG) und ist hierbei an das Vorbringen der Beteiligten nicht gebunden (§ 29 Abs. 1 FamFG). Eine Entscheidung allein auf Grund des Parteivortrages ist - anders als in den früher der ZPO mit der Möglichkeit eines Versäumnisurteils unterworfenen Verfahren - nicht mehr möglich.

19

Die Bedenken, die im Gesetzgebungsverfahren für die Annahme einer auch materiellen Überprüfungspflicht angeführt worden sind, können damit nicht mehr überzeugen. Abgesehen davon, dass der historische Wille des Gesetzgebers ohnehin nicht alleiniges Auslegungskriterium sein kann, wäre dieser jedenfalls mit Inkrafttreten des FamFG als überholt anzusehen und damit nicht mehr beachtlich (vgl. BGH, Beschluss v. 18.01.2011, ARs 27/10, NStZ-RR 2011, 139 [BGH 18.01.2011 - 4 ARs 27/10]).

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Weshalb sich eine derartige Pflicht - wie das OLG Hamburg meint - aus dem Wortlaut des § 4 GewSchG ergeben soll, ist für den Senat nicht erkennbar. § 4 GewSchG erfordert lediglich das Vorliegen einer bestimmten vollstreckbaren Anordnung. Eine materiell zu Recht ergangene Anordnung setzt der Tatbestand des § 4 Satz 1 GewSchG danach gerade nicht voraus. Von der Möglichkeit einer entsprechenden Klarstellung, wie sie beispielweise in § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB für den Fall einer nicht rechtmäßigen Diensthandlung im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfolgt ist, hat der Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht.

21

Zuzustimmen ist dem OLG Hamburg allerdings darin, dass es sich bei § 4 GewSchG um eine Blankettnorm handelt, deren Verbotsgehalt sich aus der zugrunde liegenden zivilgerichtlichen Entscheidung ergibt (vgl. BGH, Urteil v. 15.03.2007, 5 StR 536/06, BGHSt 51, 257). Dass aus diesem Umstand indes der Schluss zu ziehen ist, das Strafgericht habe eigenständig die Voraussetzungen der Anordnung gemäß § 1 GewSchG festzustellen, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.

22

Auch aus dem Blankettcharakter der Norm allein folgt noch nicht zwingend, dass der Tatbestand materiell akzessorisch zur Schutzanordnung des Zivilgerichts ist. Diese Frage muss aus der Norm selbst beantwortet werden (BVerfG, Beschluss v. 01.12.1992 - 1 BvR 88/91, 1 BvR 576/91 - BVerfGE 87, 399). Dabei kann sich auch ergeben, dass eine vollziehbare Vorentscheidung durch den Strafrichter als gegeben hinzunehmen ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 15.06. 1989, 2 BvL 4/87, BVerfGE 80, 244).

23

Insoweit folgt der Senat der von L...... in seiner Anmerkung zum Beschluss des OLG Hamburg vom 29. April 2010 (jurisPK-StraR 5/2011 Anm. 2) geäußerten Ansicht, in § 4 GewSchG komme eindeutig zum Ausdruck, dass die Verletzung der Rechte des Opfers keine zivilrechtliche Vorfrage (§ 262 StPO) sei, die im Strafverfahren nach strafprozessualen Grundsätzen zu prüfen und bei der das Strafgericht nicht an ein zivilgerichtliches Urteil gebunden sei. Der Straftatbestand ist vielmehr ausfüllungsbedürftig durch eine vorgelagerte, vollstreckbare Anordnung des Familiengerichts und damit vergleichbar mit den verwaltungsakzessorischen Straftatbeständen, bei denen es lediglich auf die formelle Wirksamkeit ankommt (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., vor § 324 Rz. 7). Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Strafbarkeit von Stalking nicht unmittelbar an eine Verletzung der Rechtsgüter des Opfers zu knüpfen, sondern von einer vorgeschalteten Entscheidung des Familiengerichts in einem speziellen Verfahren abhängig zu machen, trägt den Besonderheiten der Regelungsmaterie Rechnung. Die weitgehende Bindung des Strafrichters an Entscheidungen anderer Hoheitsträger ist Kennzeichen des gesamten Nebenstrafrechts. Wortlaut und Systematik der Norm sprechen daher für die Bindungswirkung der das Blankett ausfüllenden Anordnung.

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Ohne inhaltliche Akzessorietät müsste der Strafrichter im Strengbeweisverfahren das zur familiengerichtlichen Anordnung führende Geschehen erheben und bei Geltung des Zweifelsatzes zugunsten des Angeklagten eine Überzeugung von der Begehung der Anlasstat gewinnen, als gäbe es die Anordnung des Familiengerichts überhaupt nicht. Bei dieser - aus Sicht des OLG Hamburg erforderlichen - Prüfung wäre das Konzept des Tatbestands des § 4 GewSchG unterlaufen.

25

V.

Diese divergierende Rechtsauffassung des Senats ist somit entscheidungserheblich.

26

Der Bundesgerichtshof hat sich zu dieser Frage bislang nicht ausdrücklich geäußert. In seiner Entscheidung vom 10. Mai 2012 (4 StR 122/12, FamRZ 2012, 1216) hat er sich mit dieser Frage - entgegen der Zitierung als Beleg für das Erfordernis einer materiellen Prüfung in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft, S .3 oben - nicht auseinandergesetzt, sondern die Verurteilung nach § 4 GewSchG auf Grund der - anders als hier - fehlenden Feststellungen zur Vollstreckbarkeit der Anordnung aufgehoben.

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Gemäß § 121 Abs. 1, Abs. 2 GVG legt der Senat dem Bundesgerichtshof deshalb folgende Frage zur Entscheidung vor:

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"Setzt eine Bestrafung gemäß § 4 GewSchG die Feststellung voraus, dass die gemäß § 1 Abs. 1 oder 2 erlassene Gewaltschutzanordnung zu Recht ergangen ist?"