Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 17.10.1951, Az.: 3 Wx 79/51
Voraussetzungen für eine Vormundschaftsfortdauer bzgl. eines verschollenen Minderjährigen nach § 1884 BGB über die Volljährigkeit hinaus bis zur Aufhebung durch das Vormundschaftsgericht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 17.10.1951
- Aktenzeichen
- 3 Wx 79/51
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1951, 11822
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1951:1017.3WX79.51.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 23.07.1951
Rechtsgrundlagen
- § 1773 BGB
- § 1882 BGB
- § 1884 BGB
- § 1911 BGB
Fundstelle
- NJW 1952, 939-940 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Todeserklärung
In dem Verfahren
...
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts in Oldenburg
auf die sofortige weitere Beschwerde des Landwirts xxx in xxx,
gegen den Beschluß der 6. Zivilkammer des Landgerichts in Oldenburg vom 23. Juli 1951
in der Sitzung vom 17. Oktober 1951
durch
die unterzeichneten Richter
beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.
Gründe
Der am xxx geborene und seit Ende April 1945 bei den Kämpfen um Berlin als Soldat vermißte xxx ist durch Beschluß des Amtsgerichts Friesoythe vom xxx 1951 für tot erklärt worden. Gegen diesen Beschluß hat der Landwirt xxx, welcher nach dem Tode der Eltern des damals noch minderjährigen Verschollenen zu dessen Vormund bestellt worden war, in seiner Eigenschaft als Vormund frist- und formgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Durch Beschluß vom 23. Juli 1951 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen. In den Gründen des Beschlusses hat es ausgeführt, der gesetzliche Vertreter des Verschollenen würde zwar in jedem Falle ein rechtliches Interesse an der Aufhebung der Todeserklärung haben und daher zur Einlegung der Beschwerde berechtigt sein. Der Beschwerdeführer sei jedoch nicht mehr Vormund des Verschollenen, da dieser am xxx 1948 volljährig geworden sei und damit die Vormundschaft für ihn kraft Gesetzes geendet habe. Die teilweise im Schrifttum vertretene gegenteilige Ansicht, daß die Vormundschaft über einen Verschollenen Minderjährigen nach § 1884 BGB über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus bis zu ihrer Aufhebung durch das Vormundschaftsgericht fortdauere, könne nicht gebilligt werden.
Gegen diesen am 2. August 1951 zugestellten Beschluß hat der Beschwerdeführer am 13. August 1951 sofortige weitere Beschwerde eingelegt.
Er beantragt,
den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Er führt aus, die Auffassung des Landgerichts, daß die Vormundschaft bereits beendet sei, sei unrichtig und widerspreche dem Wortlaut und dem gesetzgeberischen Zweck des § 1884 BGB.
Die sofortige weitere Beschwerde ist, da es sich bei dem angefochtenen Beschluß um keine das Verschollenheitsgesetz betreffende Sachentscheidung handelt, als sofortige weitere Beschwerde nach §§ 20, 29 Abs. 2 FGG zulässig (vgl. Vogel Kom. Verschollenheitsgesetz zu § 26 Anm. 8 S. 225). Sie ist frist- und formgerecht eingelegt und auch begründet, da der angefochtene Beschluß auf einer unzutreffenden Auslegung des § 1884 BGB beruht.
Ob die Vormundschaft über einen minderjährigen Verschollenen mit Erreichung der Volljährigkeit kraft Gesetzes endet, ist im Schrifttum bestritten. Während eine Ansicht dahin geht, daß trotz der in § 1884 BGB getroffenen Regelung die Vormundschaft mit Eintritt der Volljährigkeit des Verschollenen ohne weiteres kraft Gesetzes endet (so Palandt zu § 1884 BGB; Kom. der RGR zu § 1884 BGB; Staudinger zu § 1884 Anm. 2), geht die andere Meinung dahin, daß gemäß der Regelung des § 1884 BGB die Vormundschaft über den Verschollenen über die Erreichung der Volljährigkeit fortdauert und erst entweder gemäß § 1884 Abs. 1 Satz 2 mit der Aufhebung durch das Vormundschaftsgericht oder gemäß § 1884 Abs. 2 BGB mit der Todeserklärung endet (so Achilles-Greiff Anm. 1 zu § 1884 BGB, Soergel zu § 1884 BGB, Planck zu § 1884 BGB, Staudinger Anm.1a zu § 1884 BGB). Nach Auffassung des Senats ist dieser letzteren Meinung zu folgen. Zunächst spricht schon der Wortlaut des § 1884 Satz 1 BGB dafür, daß im Falle der Verschollenheit des Mündels die Vormundschaft auch über die Erreichung der Volljährigkeit hinaus erst mit der Aufhebung durch des Vormundschaftsgericht endigt. Für diese Auslegung spricht aber auch die zuvor in § 1882 BGB über Beendigung der Vormundschaft getroffene allgemeine Regelung. Denn da § 1882 BGB anordnet, daß die Vormundschaft mit dem Wegfall der in § 1773 BGB für die Anordnung bestimmte Voraussetzungen endigt, kann § 1884 BGB als Ausnahme von § 1882 BGB nach seinem Wortlaut nur dahin verstanden werden, daß im Falle der Verschollenheit nicht schon der Wegfall der für die Anordnung der Vormundschaft bestimmten Voraussetzungen, also nicht schon der Eintritt normaler Endigungsgründe das Ende der Vormundschaft herbeiführt, sondern daß sie erst mit der Aufhebung durch das Vormundschaftsgericht endigt. Da aber zu den normalen Endigungsgründen außer dem Entstehen einer elterlichen Gewalt das Aufhören der Minderjährigkeit und der Tod gehören, kann § 1884 Abs. 1 Satz 1 nur dahin verstanden werden, daß im Falle der Verschollenheit keiner der genannten Aufhebungsgründe, insbesondere auch nicht der Eintritt der Volljährigkeit die Vormundschaft beenden. Insoweit kann den Ausführungen des Landgerichts, der Eintritt der Volljährigkeit sei nicht ein Fall des Wegfalls der in § 1773 BGB für die Anordnung der Vormundschaft bestimmten Voraussetzungen im Sinne des § 1882 BGB, in Übereinstimmung mit den Ausführungen, wie sie der Kommentar der RGR zu § 1882 Anm. 1 bringt, nicht gefolgt werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß der Eintritt der Volljährigkeit eine der Voraussetzungen für die Anordnung der Vormundschaft, nämlich die Minderjährigkeit des Mündels in Wegfall bringt und daher ein Fall der Beendigung der Vormundschaft im Sinne des § 1882 BGB ist.
Da das Verschollensein anders als der in § 1883 BGB geregelte Sonderfall des Entstehens elterlicher Gewalt und zwar der Legitimation durch nachfolgende Ehe an sich kein Endigungsgrund im Sinne des§ 1882 BGB ist, läßt sich § 1884 Abs. 1 Satz 1 auch nicht mit der Erwägung, §§ 1883 und 1884 BGB regelten nur je einen Sonderfall der unter § 1882 BGB fallenden Endigungsgründe, dahin einschränken, daß beim Eintritt anderer Gründe, die nach § 1882 BGB ohne weiteres die Beendigung der Vormundschaft herbeiführen würden, keine Fortdauer der Vormunschaft stattfindet. (anderer Meinung Kom. der RGR zu § 1884 Anm.1). Da unzweifelhaft die Vormundschaft nach § 1884 Abs. 1 Satz 2 in dem Fall des Todes des Verschollenen über seinen Tod hinweg fortdauert und nach Bekanntwerden seines Todes erst mit der Aufhebung durch das Vormundschaftsgericht endet, läßt sich § 1884 Satz 1 nicht ohne weiteres dahin auslegen, daß im Falle des Eintritts der Volljährigkeit des Verschollenen keine Fortdauer der Vormundschaft stattfindet. Es muß vielmehr angenommen werden, daß § 1884 Abs. 1 Satz 1 auch den Fall des Eintritts der Volljährigkeit mit umfaßt. Wäre das nicht gewollt gewesen, so hätte das im Gesetz ausdrücklich gesagt sein müssen. Eine andere Auslegung des Gesetzes würde nur dann in Betracht kommen, wenn etwa § 1884 BGB schon nach seiner Stellung innerhalb des Gesetzes die Fortdauer der Vormundschaft über die Volljährigkeit hinaus gar nicht anordnen könnte. Das läßt sich aber keineswegs annehmen. Denn auch wenn der erste Titel des Abschnitts Vormundschaft von der Vormundschaft über Minderjährige handelt, schließt das nicht die Möglichkeit aus, daß der Gesetzgeber für einen bestimmten Ausnahmefall die Fortdauer der Vormundschaft über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus angeordnet hat. Eine solche gesetzliche Vorschrift kann bei systematischer Einordnung ihren Platz auch nur in dem die Beendigung der Vormundschaft über Minderjährige regelnden 7. Abschnitt der § 1882 finden, nicht etwa erst in dem 2. Titel, welcher die Vormundschaft über Volljährige regelt. Auch aus der Systematik des Gesetzes läßt sich daher nicht schließen, die in § 1884 BGB getroffene Regelung könne nur dahin verstanden werden, daß die Vormundschaft über einen Verschollenen spätestens mit dem Eintritt der Volljährigkeit ende (anderer Meinung Staudinger zu § 1884 BGB Anm. 2). Wenn nun weiterhin gegen die Fortdauer der Vormundschaft über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus geltend gemacht wird, daß der Verschollene als Volljähriger unbeschränkt geschäftsfähig sei und daher keines gesetzlichen Vertreters, sondern höchstens eines Abwesenheitspflegers bedürfe, so ist dem entgegen zu halten, daß nach der unzweifelhaften Regelung des § 1884 Abs. 1 Satz 2 die Vormundschaft auch über den Tod eines Verschollenen hinweg dauert und selbst bei Bekanntwerden seines Todes nicht ohne weiteres endet, obwohl das Bedürfnis eines gesetzlichen Vertreters für einen Toten erst recht zu verneinen ist. Auch der gegen die Fortdauer der Vormundschaft weiterhin erhobene Einwand, die Vormundschaft sei nur wegen der durch die Minderjährigkeit bedingten Schutzbedürftigkeit angeordnet worden, ist nicht durchgreifend. Die zur Anordnung der Vormundschaft führende Schutzbedürftigkeit ist nicht nur bedingt durch die Minderjährigkeit des Mündels, sondern auch durch das Fehlen einer elterlichen Gewalt. Obwohl jedoch im Falle der Legitimation durch nachfolgende Ehe der Mangel der elterlichen Gewalt beseitigt ist, läßt der Gesetzgeber durch die in § 1883 BGB getroffene Ausnahmeregelung die Vormundschaft noch weiter fortdauern. Wenn sie in diesem Falle auch nur bis zur einwandfreien Feststellung der die Legitimation begründenden Voraussetzungen fortdauern soll, so zeigt doch diese Regelung, daß der Gesetzgeber allein aus praktischen Gründen die Vormundschaft über Minderjährige weiter fortdauern läßt, obwohl durch die Eheschließung die elterliche Gewalt und damit die Vertretungsmacht des Vaters bereits begründet ist. Da bei einem Verschollenen, wenn er den Zeitpunkt der Volljährigkeit erreicht, in allen Fällen, in denen Vermögen vorhanden ist, ein Schutzbedürfnis weiter fortbestehen wird und daher dann, wenn die Vormundschaft nach der allgemeinen Regelung des § 1882 BGB mit dem Eintritt der Volljährigkeit enden würde, für die Vermögensangelegenheit des Verschollenen gemäß § 1911 BGB bei Eintritt der Volljährigkeit ein Abwesenheitspfleger bestellt werden müßt, so spricht auch dieses Schutzbedürfnis gerade dafür, daß der gesetzgeberische Zweck des § 1884 BGB auch dahin geht, im Interesse des Mündels während der Zeit der Ungewißheit, ob er noch am Leben ist, die Vormundschaft mit Rücksicht auf zahlreiche Fälle der sich über den Zeitpunkt der Volljährigkeit hinaus ergebenden Schutzbedürftigkeit erst mit der Aufhebung durch das Vormundschaftsgericht enden zu lassen. Die Ausführungen des Landgerichts, diese Ansicht könne nicht richtig sein, weil sich dann die Vormundschaft über Minderjährige in eine solche über einen Volljährigen verwandele, obwohl die Voraussetzungen für eine solche Vormundschaft nicht vorlägen, ist nicht überzeugend. Denn wie bereits ausgeführt, erscheint es gesetzgeberisch durchaus möglich, die Vormundschaft über einen Minderjährigen für einen Ausnahmefall auch über den Zeitpunkt der Volljährigkeit fortdauern zu lassen. Die Voraussetzungen für eine Fortdauer sind dann aber hier durch die in § 1884 BGB getroffene Regelung gegeben.
Da somit im vorliegenden Falle die Vormundschaft über den Verschollenen noch andauert, war der Beschwerdeführer gemäß § 26 Verschollenheitsgesetz auch befugt, gegen den Beschluß des Amtsgerichts sofortige Beschwerde einzulegen. Seine Beschwerde hätte daher nicht als unzulässig verworfen werden dürfen.
Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses war daher die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
Gemäß § 123 KO ergeht die Entscheidung gebührenfrei.