Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 14.02.2003, Az.: Ss 5/03
Unzulässigkeit der Ablehung eines Beweisantrages auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit mit der Begründung eigener Sachkunde; Bestehen einer gewissen Möglichkeit der Normabweichung des Angeklagten in geistiger Beziehung; Vorliegen von Anzeichen für das Vorliegen einer Normabweichung aus der Sicht des erkennenden Gerichts; Möglichkeit einer anderen Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Einholung eines Sachverständigengutachtens; Fehlerhaftigkeit der Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung eines sachverständigen Zeugen aufgrund der Nichtberücksichtigung von als wahr unterstellten Tatsachen in den Urteilsgründen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 14.02.2003
- Aktenzeichen
- Ss 5/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 34663
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2003:0214.SS5.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 02.07.2002 - AZ: 12 Ns 58/02
Rechtsgrundlagen
- § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB
- § 244 Abs. 4 S. 1 StPO
- § 261 StPO
- § 267 StPO
- § 337 Abs. 1 StPO
Fundstelle
- StV 2004, 477 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Diebstahl
In dem Strafverfahren ...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 14. Februar 2003
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ...
gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig
beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 12. Strafkammer (kleine Strafkammer) des Landgerichts Oldenburg vom 2. Juli 2002 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Diese hat auch über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden.
Gründe
Das Amtsgericht Oldenburg hat den Angeklagten am 9. Januar 2002 wegen Hehlerei und wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit Urteil vom 2. Juli 2002 verworfen.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Revision des Angeklagten ausgeführt:
"1.
Soweit der Angeklagte unter Nr. 1 a) der Revisionsbegründung eine Nichtübereinstimmung der mündlich verkündeten Gründe mit den schriftlich abgefassten rügt, kann darauf die Revision nicht gestützt werden (vgl. nur Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 268, Rdn. 67 m.w.N.).
2.
Allerdings dürfte der in zulässiger Form erhobenen Rüge der Verletzung des
§ 244 Abs. 4 S. 1 StPO der Erfolg nicht zu versagen sein. Die Kammer hätte den Beweisantrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit nicht mit der Begründung eigener Sachkunde ablehnen dürfen (Nr. 1 b) und c) der Revisionsbegründung). Denn eine Entscheidung des Gerichts aus eigener Sachkunde ist immer nur dann möglich, wenn keinerlei Anzeichen vorliegen, die auch nur eine gewisse Möglichkeit dafür geben, dass der Angeklagte in geistiger Beziehung von der Norm abweichen könnte (BGH VRS 39, 101).
Solche Anzeichen hat es vorliegend jedoch gegeben. Das Gericht hat diese Anzeichen auch erkannt. Denn es hat - wie mit der Revisionsbegründung vorgetragen wird - den Beweisantrag der Verteidigung, den Arzt des Angeklagten, Dr. med.h.-D. K., als sachverständigen Zeugen zu vernehmen, mit der Begründung abgelehnt, die in das Wissen dieses Arztes gestellten Angaben könnten als wahr unterstellt werden. Dieser sachverständige Zeuge sollte u.a. bekunden, dass die Verschreibung bestimmter Tabletten "aufgrund erheblicher Unruhe- und Angstzustände des Angeklagten, Depressivität und Schlafstörungen in krankhaftem Ausmaß" erfolgt sei. Wenn die Kammer diese Tatsachen als wahr unterstellt hat, musste sie zugleich davon ausgehen, dass der Angeklagte an einer - wenngleich nicht näher bestimmten - psychischen Erkrankung (Angstzustände, Depressionen) leidet. Zumindest gab es Anzeichen, die den Rückschluss auf eine solche Erkrankung möglich erscheinen ließen. Bei dieser Sachlage war es der Kammer verwehrt, sich zur Ablehnung des Beweisantrags auf die eigene Sachkunde zu berufen.
Da die Kammer ausweislich der Urteilsgründe von einer uneingeschränkten Schuldfähigkeit ausgegangen ist und die gebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens möglicherweise zu einer anderen Beurteilung geführt hätte, beruht das Urteil auf diesem Verfahrensfehler, § 337 Abs. 1 StPO.
3.
Auch die Rüge der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags auf Vernehmung des sachverständigen Zeugen K. (Nr. 1 d) der Revisionsbegründung) dürfte im Ergebnis erfolgreich sein. Der Revisionsführer beanstandet zutreffend, dass die mit der Ablehnung des Beweisantrages als wahr unterstellten Tatsachen in den Urteilsgründen keinen Niederschlag finden. Dies ist vorliegend ausnahmsweise deshalb beachtlich, weil das Gericht gegen das Gebot der erschöpfenden Beweiswürdigung verstoßen haben könnte. Die als wahr unterstellten Tatsachen, insbesondere eine mögliche Erkrankung des Angeklagten, sind für die Beurteilung von dessen Schuldfähigkeit möglicherweise von Bedeutung. Ohne die Auseinandersetzung mit den als wahr unterstellten Tatsachen im Urteil ist dem Revisionsgericht die Überprüfung nicht möglich, ob die Kammer die von ihr festgestellten Tatsachen umfassend und lückenlos in ihre Beweiswürdigung zur Frage der Schuldfähigkeit hat einfließen lassen bzw. ob die Kammer diesen Tatsachen bei der Beweiswürdigung - womöglich fehlerhaft - keinerlei Bedeutung beigemessen hat.
Weil eine solche Überprüfung durch das Revisionsgericht nicht möglich ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beweiswürdigung lückenhaft ist.
Möglicherweise hätte die Kammer die als wahr unterstellte Erkrankung des Angeklagten bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit zu dessen Gunsten berücksichtigt. Folglich lässt sich nicht ausschließen, dass das Urteil auch auf diesem Fehler beruht.
4.
Die gleichen Erwägungen treffen auch für die unter Nr. 2 der Revisionsbegründung näher ausgeführte Rüge einer Verletzung der §§ 261, 267 StPO zu.
Das erkennende Gericht stützt sich bei der Beweiswürdigung zum Hehlereivorsatz des Angeklagten u.a. darauf, dass das Fahrrad einen auch nach dessen Einschätzung nicht unerheblichen Wert hatte. Anscheinend will das Gericht aus der Abweichung zwischen dem vom Angeklagten für das gestohlene Fahrrad vereinbarten Preis und dem Wert des Fahrrades einen Rückschluss auf den Vorsatz des Angeklagten ziehen. Dann ist es im Rahmen einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung jedoch erforderlich, dass das Gericht die Angaben zum tatsächlichen Wert des Fahrrades ausführt, zumal ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls, worauf die Revision zutreffend hinweist, in der Hauptverhandlung Feststellungen zu dem Wert des Fahrrrades getroffen worden sind.
Es ist deshalb nicht nachprüfbar, ob das Gericht sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit dem tatsächlichen Wert des Fahrrades ordnungsgemäß ausein-andergesetzt und daraus schlüssig ein Indiz für die Fetsstellung des Vorsatzes hergeleitet hat.
Da das Indiz für das Gericht anscheinend nicht ohne Belang war, denn anderenfalls hätte es darauf nicht zurückgegriffen, ist auch insoweit nicht auszuschließen, dass das Urteil auf dem Fehler beruht.
5.
Zu der als sachlichrechtliche Rüge anzusehenden Beanstandung einer fehlerhaften Anwendung des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB (Nr. 3 der Revisionsbegründung) ist darauf hinzuweisen, dass die Kammer die Umstände, aus denen sich das "wissentliche" Mitführen des Messers ergab, ausreichend dargestellt hat. Insbesondere ist im Urteil dargelegt, dass es sich um ein besonders großes Messer gehandelt habe, das mit einer besonderen Haltevorrichtung am Körper zu befestigen und mit einem Riemen am Bein festgebunden gewesen sei. Bei einer derart großen und besonders zu tragenden Waffe ist es nicht zu beanstanden, wenn die Kammer aus diesen Umständen den Schluss zieht, dass der Angeklagte bei dem Diebstahl vom mitgeführten Messer gewusst hat.
Da jedoch die eingangs genannten Rügen ausreichen dürften, das angefochtene Urteil aufzuheben, ist auf die weiteren Rügen der Verletzung materiellen Rechts nicht weiter einzugehen."
Diesen Ausführungen tritt der Senat bei.