Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 22.10.2018, Az.: 2 Ws 409/18
Vollstreckung der in einem anderen EU-Mitgliedstaat wegen eines dort begangenen Verkehrsverstoßes gegen eine juristische Person als Fahrzeughalter verhängten Geldbuße in Deutschland als zulässig; Grundsatz der Halterhaftung in Deutschland
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.10.2018
- Aktenzeichen
- 2 Ws 409/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 63608
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hameln - AZ: 9 Gs 29/18
Rechtsgrundlagen
- § 86 IRG
- § 87b Abs. 1 S. 1, 2 IRG
- § 87k Abs. 1 Nr. 1, 2 IRG
Fundstellen
- DAR 2019, 280-281
- VRS 2019, 13-16
- zfs 2019, 469-471
Amtlicher Leitsatz
Die Vollstreckung der in einem anderen EU-Mitgliedstaat wegen eines dort begangenen Verkehrsverstoßes gegen eine juristische Person als Fahrzeughalter verhängten Geldbuße in Deutschland ist nach §§ 86 ff. IRG zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass der Grundsatz der Halterhaftung in Deutschland nicht anerkannt ist (Anschluss an OLG Jena, NZV 2014, 421 [BGH 05.06.2014 - 4 StR 439/13]; OLG Köln, NZV 2012, 450 [OLG Köln 21.05.2012 - 2 SsRs 2/12]).
In der Rechtshilfesache
betreffend L. L., V., T. GmbH,
vertreten durch ihre Geschäftsführer,
...,
- Verfahrensbevollmächtigter: ...
wegen Zulassung der Vollstreckung einer Geldstrafe
hat der 2. Bußgeldsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hameln vom 09.05.2018 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Richter am Oberlandesgericht XXX am 22. Oktober 2018 beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird verworfen, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder den angefochtenen Beschluss wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 87k Abs. 1 IRG).
Die Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
[Gründe]
Ergänzend wird angemerkt:
1.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig. Er ist insbesondere gemäß §§ 87k Abs. 1, 87j Abs. 1 Satz 1 IRG statthaft sowie gemäß §§ 87k Abs. 2, 87j Abs. 2, 3 IRG, 341 Abs. 1 StPO form- und fristgerecht gestellt worden.
Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Celle für die Entscheidung über den Zulassungsantrag folgt aus § 87l Abs. 1 IRG. Der Senat entscheidet gemäß § 87l Abs. 2 IRG mangels Vorliegens der Voraussetzungen nach § 87l Abs. 3 Nr. 1-4 IRG durch den Einzelrichter.
2.
In der Sache erweist sich der Zulassungsantrag als unbegründet. Es ist keiner der in § 87k Abs. 1 IRG für die Zulassung der Rechtsbeschwerde genannten Gründe gegeben.
a)
Nach § 87k Abs. 1 Nr. 1 IRG ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
aa)
Zur Fortbildung des Rechts kommt die Zulassung der Rechtsbeschwerde nur bei solchen Rechtsfragen in Betracht, die entscheidungserheblich, ferner klärungsbedürftig, d.h. noch offen, zweifelhaft oder bestritten und die von praktischer Bedeutung sind, indem sie sich zum Aufstellen abstrakter-genereller Regeln eignen. Darüber hinaus muss die Nachprüfung zum Zwecke der Fortbildung des Rechts nicht nur angezeigt sein, d.h. nicht nur naheliegen, vielmehr muss sie sich aufdrängen. Damit dient die Zulassungsrechtsbeschwerde nicht der Überprüfung einzelner tatrichterlicher Entscheidungen und der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit, sondern der Fortbildung des Rechts aus Anlass eines konkreten Falles (vgl. Trautmann in: Schomberg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage, § 87k Rd. 9 f. mwN).
Eine entscheidungserhebliche und klärungsbedürftige Rechtsfrage im vorgenannten Sinne wird von der Betroffenen indes nicht aufgeworfen.
Soweit die Betroffene in ihrer Antragsbegründung den Einwand erhoben hat, die Zulassung der Vollstreckung aus dem Bescheid des Centraal Justitieel Incassobureau des Justizministeriums der Niederlande vom 20.11.2015 sei ausgeschlossen, da es an dem sich aus § 87b Abs. 1 Satz 1 IRG ergebenden Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit des dem vorgenannten Bescheid zugrunde liegenden Verstoßes gegen die in den Niederlanden geltenden Straßenverkehrsvorschriften fehle, sind die damit im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen durch die obergerichtliche Rechtsprechung bereits geklärt. Danach ist die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit gemäß § 87b Abs. 1 Satz 2 IRG entbehrlich, wenn die dem Betroffenen im konkreten Einzelfall zur Last gelegte Tat eine Katalogtat i.S. von Art. 5 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI (RB-Geld) darstellt. Dies ist vorliegend gegeben. Aus dem Vollstreckungsersuchen der Niederländischen Justizbehörde ergibt sich, dass der Betroffenen ein in den Niederlanden begangener Verstoß gegen niederländische Straßenverkehrsvorschriften vorgeworfen worden war, mithin eine Katalogtat i.S. von Art. 5 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses.
Dass es sich bei der Betroffenen nur um die Halterin des Verkehrsverstoßes handelt und anders als in den Niederlanden für derartige Verkehrsverstöße eine Halterhaftung in Deutschland ausgeschlossen ist, ist ohne Belang. Denn nach Art. 9 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses ist die Vollstreckung ausländischer Geldstrafen- oder bußen auch dann zulässig, wenn in dem Vollstreckungsstaat der Grundsatz der Halterhaftung nicht anerkannt ist. In der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, ist hierzu bereits mehrfach entschieden worden, dass diese Bestimmung sowohl mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht als auch mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland im Einklang steht (vgl. nur OLG Jena NZV 2014, 421; OLG Köln, NZV 2012, 450 [OLG Köln 21.05.2012 - 2 SsRs 2/12] unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie des Bundesverfassungsgerichts).
bb)
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Es ist nicht nachvollziehbar dargetan oder sonst ersichtlich, dass das Amtsgericht bei seiner von der Betroffenen mit dem Zulassungsantrag angefochtenen Entscheidung in einer Rechtsfrage in ständiger Praxis von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bewusst abweicht.
b)
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt auch im Hinblick auf den in § 87k Abs. 1 Nr. 2 IRG geregelten Zulassungsgrund der Versagung des rechtlichen Gehörs in Betracht.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn dem Betroffenen im konkreten Einzelfall keine Möglichkeit eingeräumt wird, sich zu allen entscheidungserheblichen und ihr nachteiligen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Gerügt werden können allerdings nur diejenigen Beschränkungen des rechtlichen Gehörs, die sich in dem Verfahren vor dem Amtsgericht ergeben haben. Mögliche weitere Beeinträchtigungen dieses Rechts - im Erkenntnisverfahren nach dem ausländischen Recht oder im Rahmen des Anerkennungsverfahrens durch die Bewilligungsbehörde - sind hierfür nicht maßgeblich (vgl. Trautmann, aaO, § 87k Rd. 9 f. mwN).
Eine entsprechende Gehörsverletzung ist vorliegend weder von der Betroffenen vorgetragen worden noch ergibt sie sich aus den sonstigen Umständen.
Soweit in dem vom Bundesamt der Justiz als zuständiger Bewilligungsbehörde durchgeführten Anhörungsverfahren zunächst der frühere Geschäftsführer der Rechtsvorgängerin der Betroffenen angehört worden ist, ist dies ohne Belang. Denn das Bundesamt hat nach Bekanntwerden der aktuellen Gegebenheiten bei der Betroffenen selbiger schriftlich Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem vom Bundesamt beabsichtigten Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 87i Abs. 1 IRG gegeben. Auch das Amtsgericht hat der Betroffenen vor dem Erlass der mit dem Zulassungsantrag angefochtenen Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
c)
Soweit die Betroffene gegen über dem Amtsgericht den Einwand der Verjährung erhoben hat, berührt dies die begehrte Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts nicht.
Die Frage einer etwaigen Verjährung wäre allenfalls unter den o.g. Voraussetzungen der Zulassungsgründe nach § 87k Abs. 1 IRG zu prüfen. Diese sind vorliegend indes nicht gegeben.
Im Übrigen verkennt die Betroffene, dass die Annahme, die Zulässigkeit der Vollstreckung des o.g. Bescheids der niederländischen Justizbehörden sei nicht gegeben, da Verjährung eingetreten sei, einer rechtlichen Grundlage entbehrt. An der Zulässigkeit der Vollstreckung würde es nach § 87b Abs. 3 Nr. 6 IRG nur dann fehlen, wenn die Vollstreckung nach deutschem Recht verjährt wäre und wenn darüber hinaus für die Entscheidung über den der Betroffenen von den niederländischen Justizbehörden angelasteten Verkehrsverstoß zugrunde liegende Tat die deutsche Gerichtsbarkeit begründet wäre. Dies ist hier indes nicht der Fall, denn die Voraussetzungen des § 5 OWiG, wonach mangels ausdrücklicher anderweitiger gesetzlicher Regelungen die deutsche Gerichtsbarkeit nur für solche Ordnungswidrigkeiten begründet ist, die im räumlichen Geltungsbereich des Ordnungswidrigkeitengesetzes, also der Bundesrepublik Deutschland, oder außerhalb dieses Geltungsbereiches auf einem Schiff oder in einem Luftfahrtzeug begangen werden, das berechtigt ist, die Bundesflagge oder das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen, begangen wurden, sind nicht gegeben. Der Tatort des in Rede stehenden Verkehrsverstoßes lag in der Gemeinde Leiden in den Niederlanden.
Auch nach niederländischem Recht ist keine Vollstreckungsverjährung eingetreten. Ausweislich des Vollstreckungsersuchens der niederländischen Justizbehörden endet die Verjährungsfrist erst am 21.01.2021.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 77 IRG, 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.