Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 23.11.2020, Az.: 1 Ws 475/20

Anfechtbarkeit divergierender Haftentscheidungen; Beschwerde gegen eine zwischenzeitlich überholte Haftentscheidung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
23.11.2020
Aktenzeichen
1 Ws 475/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 65721
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2020:1123.1WS475.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 26.10.2020 - AZ: 13 KLs 9/18

Amtlicher Leitsatz

Der Grundsatz, dass von mehreren denselben Gegenstand betreffenden Haftentscheidungen nur die jeweils letzte Entscheidung der Anfechtung unterliegt, findet auch im Falle der nachträglichen Invollzugsetzung eines Haftbefehls gem. § 116 Abs.4 StPO mit der Folge Anwendung, dass grundsätzlich nur gegen letztere eine Beschwerdemöglichkeit eröffnet ist.

Redaktioneller Leitsatz

Bei divergierenden Haftentscheidungen, die denselben Gegenstand betreffen, kann nur die letzte angefochten werden, wenn diese den Bestand des Haftbefehls und nicht nur Einzelfragen betreffen. Die vorherigen Haftentscheidungen haben sich dann prozessual überholt. Dies ist hier Fall, da der Vollzug des Haftbefehls Grundlage der Inhaftierung ist.

Tenor:

Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

Der Angeklagte ist am 26. Oktober 2020 durch die 1. Große Jugendkammer des Landgerichts Aurich wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an minderjährige in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden. Daneben wurde die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm nicht vor Ablauf von einem Jahr eine Fahrerlaubnis zu erteilen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Am selben Tage hat die Jugendkammer gegen ihn einen auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl erlassen, der zugleich gegen Meldeauflagen außer Vollzug gesetzt wurde. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 26. Oktober 2020, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Inzwischen ist mit Beschluss der 1. Großen Jugendkammer vom 9. November 2020 der Vollzug des Haftbefehls vom 26. Oktober 2020 gegen den Angeklagten angeordnet worden, nachdem er bislang seiner Meldeauflage kein einziges Mal nachgekommen war.

II.

Das Rechtsmittel des Angeklagten ist durch den weiteren Verfahrensfortgang prozessual überholt und damit gegenstandslos geworden.

Bei mehreren denselben Gegenstand betreffenden Haftentscheidungen kann zur Vermeidung divergierender Haftentscheidungen nur die jeweils letzte Entscheidung angefochten werden, sofern diese den Bestand des Haftbefehls und nicht nur Einzelfragen wie die Abänderung von Auflagen eines Verschonungsbeschlusses oder die Gestaltung der Haftverhältnisse betrifft (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 22.02.1994 - 1 Ws 40/94, StV 1994, 323; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 117 Rn. 8 m.w.N.). Gleichzeitig werden alle weiteren Beschwerdemöglichkeiten gegen früher ergangene Haftentscheidungen ausgeschlossen.

Und dies ist hier der Fall. Der nunmehrige Vollzug des Haftbefehls nach § 116 Abs. 4 StPO stellt die Grundlage für die Inhaftierung des Angeklagten dar; hierdurch wird nicht allein die Ausgestaltung seines Lebens in Freiheit betroffen (vgl. OLG Hamburg a.a.O.). Dem entspricht es auch, dass mit der Invollzugsetzung eine eigene Beschwer begründet wird und diese selbständig mit der Beschwerde angefochten werden kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO63, § 116 Rn. 31). Angesichts dessen richtet sich die am 26. Oktober 2020 angebrachte Beschwerde gegen eine inzwischen überholte Haftentscheidung.

Selbst unter Auslegung der Beschwerde dahingehend, dass diese (ebenfalls) gegen die Invollzugsetzung gerichtet sein soll, ist eine Entscheidung des Senats nicht veranlasst. Denn insoweit mangelt es - angesichts des Fehlens einer dahingehenden Beschwerde nachgerade konsequent - an einer diesbezüglichen Abhilfeentscheidung der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Aurich.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, vor § 296 Rn. 17 a.E.).