Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.01.2021, Az.: 3 Ws 258/20

Entschädigungsanspruch des Polizeibeamten im Schichtdienst bei verlorener, als Arbeitszeit nachträglich verrechneter Freizeit

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.01.2021
Aktenzeichen
3 Ws 258/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 10070
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 02.09.2020 - AZ: 802 Ns 18/20

Fundstellen

  • JurBüro 2021, 155-156
  • StraFo 2021, 174-175

Amtlicher Leitsatz

Zeugen (namentlich Polizeibeamte), die im Schichtdienst tätig sind, haben auch dann auch einen Anspruch auf Entschädigung für die hierdurch in ihrer Freizeit erlittene Zeitversäumnis, wenn Ihnen die verlorene Freizeit nachträglich als Arbeitszeit angerechnet wird.

In der Strafsache
gegen E. L.,
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis,
hier: Vergütung des Zeugen J. S.,
hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts auf die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss des Landgerichts Stade vom 2. September 2020 Celle nach Anhörung der Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht sowie auf die gegen den Senatsbeschluss vom 11. November 2020 gerichtete Gehörsrüge des Antragstellers durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX - zu 1.) und 2.) als Einzelrichter - und den Richter am Oberlandesgericht XXX am 5. Januar 2021 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Senatsbeschluss vom 11. November 2020 wird aufgehoben und das Verfahren in den Stand vor Erlass dieser Entscheidung zurückversetzt.

  2. 2.

    Das Verfahren wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

  3. 3.

    Die Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss des Landgerichts Stade vom 2. September 2020 wird als unbegründet verworfen.

  4. 4.

    Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht Stade dem Antragsteller gemäß § 20 JVEG eine Entschädigung für Zeitversäumnis in Höhe von 3,50 € je angefangener Stunde bewilligt und den weitergehenden Antrag - betreffend den Fahrtkostenersatz - zurückgewiesen (insoweit ist die Entscheidung nicht angefochten). Zu der Entschädigung für Zeitversäumnis hat das Landgericht ausgeführt, der Antragsteller sei als Polizeibeamter im Schichtdienst tätig und während seiner Freizeit als Zeuge herangezogen worden. Zwar sei die hierdurch verlorene Freizeit nachträglich als Arbeitszeit angerechnet worden, dem Antragsteller sei aber gleichwohl ein Nachteil entstanden, da bei Beamten im Schichtdienst die eingetretene Freizeitunterbrechung zu einer Minderung der erforderlichen körperlichen Erholung führe. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Landeskasse mit ihrer Beschwerde vom 28. September 2020, der die Bezirksrevisoren beim Oberlandesgericht beigetreten ist. Der Antragsteller hatte hierzu rechtliches Gehör.

Mit Beschluss vom 11. November 2020 hat der Senat durch den nach § 4 Abs. 7 JVEG hierzu berufenen Einzelrichter den Beschluss des Landgerichts Stade vom 2. September 2020 aufgehoben, nachdem der Antragsteller nicht innerhalb der vom Senat hierzu gesetzten Frist nachgewiesen hatte, dass er für die fragliche Zeit nicht vertreten worden war und die versäumte Arbeitszeit nachgeholt werden muss. Hiergegen wendet der Antragsteller sich mit seiner als Gehörsrüge zu behandelnden Eingabe vom 19. November 2020 mit dem Vortrag, ihm sei das Anschreiben zu einer Stellungnahme erst nach Ablauf der gesetzten Frist zugegangen.

II.

Auf die als Gehörsrüge nach § 33a StPO zu behandelnde Eingabe des Antragstellers war der Senatsbeschluss vom 11. November 2020 aufzuheben und das Verfahren in den Stand vor Erlass dieser Entscheidung zurück zu versetzen, nachdem der Antragsteller durch Vorlage einer Ablichtung des entsprechenden Eingangsstempels glaubhaft gemacht hat, dass ihm das Schreiben des Senats zur Stellungnahme erst nach Ablauf der hierzu bestimmten Frist zugegangen ist. Den vom Senat seinerzeit erforderlichen Nachweis hat der Antragsteller zwischenzeitlich erbracht.

III.

Die Beschwerde der Landeskasse ist statthaft und zulässig. Zwar ist der Beschwerdewert in Höhe von 200 € vorliegend nicht erreicht; das Landgericht hat die Beschwerde indessen zugelassen (§ 4 Abs. 3 JVEG), was den Senat bindet.

IV.

Nach Maßgabe von § 4 Abs. 7 Satz 4 JVEG war das Verfahren vom Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil die Rechtssache (nunmehr) grundsätzliche Bedeutung hat.

V.

In der Sache bleibt die Beschwerde der Landeskasse ohne Erfolg. Das Landgericht hat aus zutreffenden tatsächlichen wie rechtlichen Erwägungen, die der Senat auch seiner Entscheidung zugrunde legt, dem Antragsteller für seine Tätigkeit als Zeuge in der Hauptverhandlung am 13. Februar 2020 vor der 8. kleinen Strafkammer des Landgerichts Stade nach § 20 JVEG eine Entschädigung für die von ihm hierdurch erlittene Zeitversäumnis bewilligt. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung kann hiernach zunächst grundsätzlich Bezug genommen werden.

Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 11. November 2020 angedeutet hat, entspricht es nunmehr der als gefestigt zu betrachtenden Rechtsprechung, dass Polizeibeamten, die in ihrer Freizeit als Zeuge vor Gericht aussagen müssen, auch dann eine Entschädigung für die hierdurch erlittene Zeitversäumnis als Nachteil zusteht, wenn Ihnen dieser Zeitaufwand durch den Dienstherrn nachträglich als Arbeitszeit anerkannt wird (OLG Düsseldorf VRS 111, 159; OLG Karlsruhe VRS 113, 79; OLG Frankfurt NStZ-RR 2008, 295; NK-GK/Pannen/Simon, 2. Aufl., § 20 JVEG Rn. 6; Schneider JVEG, 3. Aufl., § 20 Rn. 12). Grundsätzlich ist in diesen Fällen vom Eintritt eines Nachteils durch die Heranziehung als Zeuge auszugehen (OLG Karlsruhe a.a.O.) und sind hierbei auch immaterielle Nachteile zu berücksichtigen sind (Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl., § 21 JVEG Rn. 7).

Schichtdienst mit unterschiedlichen Dienstzeiten im Wechseldienst ist bekanntermaßen gesundheitlich besonders anstrengend und erfordert von den Beamten eine Anpassung an die jeweils geforderte Dienstzeit. Dies führt dazu, dass den zwischen den Dienstzeiten liegenden Freizeiten eine besondere Bedeutung für die Erholung zukommt, u.a. damit der nachfolgende Dienst ausgeruht wieder angetreten werden kann. Dabei ist von besonderer Wichtigkeit, dass die zur Verfügung stehende Freizeit so gestaltet werden kann, dass sie die erforderliche Erholung gewährleistet. Dazu gehört auch, dass sie nicht unnötig von dienstlichen Anforderungen unterbrochen wird. Durch die Heranziehung zu dienstlichen Aufgaben, insbesondere zur Wahrnehmung von Gerichtsterminen, wird die dringend benötigte Freizeit unterbrochen und damit deren Erholungswert massiv herabgesetzt. Dieser kann naturgemäß auch nicht dadurch wieder ausgeglichen werden, dass Freizeitausgleich gewährt wird, da dieser - entsprechend den dienstlichen Möglichkeiten - erst zu einem späteren Zeitpunkt genommen werden und den Umstand der Unterbrechung der Freizeit nicht vollumfänglich ausgleichen kann. Auch wenn die Zeit des Zu- und Abgangs zu Gerichtsterminen nachträglich als Arbeitszeit gewertet wird, ändert dies am Eintritt eines Nachteils in Form von Freizeitbeeinträchtigung und damit im Sinne von § 20 JVEG nichts (ebenso OLG Düsseldorf a.a.O.).

Die vom Senat in seiner Entscheidung vom 11. November 2020 noch vermissten Nachweise hat der Antragsteller zwischenzeitlich nachgeholt. Der Antragsteller hat hierbei durch Vorlage einer Bescheinigung seines Dienstherrn dargelegt, dass er im Schichtdienst tätig ist, sich zurzeit seiner Zeugenaussage in seiner Freizeit befand und dass ihm für die Zeitversäumnis nachträglich Arbeitszeit angerechnet worden ist.

III.

Die Entscheidung ergeht kosten- und gebührenfrei, § 4 Abs. 8 JVEG.

IV.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).