Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.09.2006, Az.: 8 U 125/06

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
08.09.2006
Aktenzeichen
8 U 125/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 42105
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2006:0908.8U125.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 12.06.2006 - AZ: 2 O 599/04
nachfolgend
BGH - 20.11.2007 - AZ: XI ZB 31/06

In dem Rechtsstreit ...

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und am 8. September 2006 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag der Beklagten, ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung zu gewähren, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 12. Juni 2006 - 2 O 599/04 - wird verworfen.

    Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 40%, die Beklagte zu 1) weitere 35 % und die Beklagte zu 2) weitere 25 %.

  3. 3.

    Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 176.915,08 € festgesetzt.

Gründe

1

A. Der Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung war zurückzuweisen, weil die Beklagten die Berufungsfrist auf Grund eines ihnen zuzurechnenden Verschuldens ihrer Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs.2 ZPO) nicht binnen der einmonatigen Frist nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils (§ 517 ZPO) beim Oberlandesgericht eingelegt haben. Demzufolge war die Berufung gem. § 522 Abs. 1 S. 2, 3 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

2

Im Einzelnen:

3

I. Das von den Beklagten angefochtene Urteil des Landgerichts Göttingen vom 12. Juni 2006 - 2 O 599/04 - ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 16. Juni 2006 (Bl. 837 d.A.) zugestellt worden. Die Frist zur Einlegung der Berufung lief daher am Montag, dem 17. Juli 2006, ab. Die Berufung der Beklagten ist im Original am Mittwoch, dem 19. Juli 2006 (Bl. 839 d.A.) beim hiesigen Oberlandesgericht und damit verspätet eingegangen. Das Fax der Berufungsschrift vom 17. Juli 2006 ist am selben Tage um 15.21 Uhr auf dem Faxgerät des Landgerichts Göttingen entsprechend der auf der ersten Seite der Berufungsschrift angegebenen Faxnummer dieses Gerichtes eingegangen. Dieses Fax wurde dem Oberlandesgericht nach Anforderung am 17. August 2006 übermittelt (Bl. 838 a d.A.).

4

Die Vorsitzende des Senates hat den Prozessbevollmächtigten der Beklagten Rechtsanwalt Schmitz bei dem Telefonat am 17. August 2006 darauf hingewiesen, dass die Berufung erst am 19. Juli 2006 beim Oberlandesgericht eingegangen sei.

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II. Mit Fax vom 22. August 2006, das am selben Tage bei Gericht eingegangen ist, haben die Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt.

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Sie haben hierzu vorgetragen, mit der Ausfertigung und dem Übersenden des unterschriebenen Berufungsschriftsatzes sei an diesem Tag Frau betraut gewesen, die ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte und seit September 1997 in diesem Beruf tätig sei. In der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten sei Frau seit Februar 2006 beschäftigt. Sie sei zuverlässig und sorgfältig ausgewählt worden, ein Versehen wie das Vorliegende sei ihr bislang nicht unterlaufen.

7

Nachdem sie anwaltlich angewiesen worden sei, die Berufungsschrift noch am 17. 07.2006 per Telefax an das OLG Braunschweig zu übermitteln, habe Frau ordnungsgemäß die richtigen Adressdaten des Oberlandesgerichts Braunschweig herausgesucht und in den Schriftsatz zur Berufungseinlegung eingefügt, allerdings die Telefaxnummer des Landgerichts Göttingen "0551/403-1250" in den Schriftsatz eingesetzt. Hierzu sei es gekommen, weil Frau versehentlich anstelle der richtigen Telefaxnummer des Oberlandesgerichts Göttingen die Telefaxnummer des Landgerichts Braunschweig aus einer ihr vorliegenden Verfügung in der erstinstanzlichen Akte entnommen habe.

8

Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten die bei ihnen tätigen Rechtsanwaltsfachangestellten angewiesen, Telefaxnummern auf Schriftsätzen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Hierzu sei die Telefaxnummer grundsätzlich der jeweils aktuellsten Fassung der anerkannten Kanzleisoftware "RA-Micro" zu entnehmen. Diese Kanzleisoftware werde ständig, etwa alle drei Wochen, aktualisiert. Wenn Adresse, Anschrift und Faxnummer des Gerichts im konkreten Fall bereits bekannt seien, seien diese auf ihre Aktualität zu prüfen und bei Feststellung der Richtigkeit zu verwenden. Zudem sei die Nummer des Sendeberichtes mit dem letzten gerichtlichen Schreiben zu vergleichen. Ein solches habe es allerdings im vorliegenden Fall vom Oberlandesgericht Braunschweig noch nicht gegeben, da die zweite Instanz mit der Berufungseinlegung erst eröffnet werden sollte. Es hätten lediglich gerichtliche Schreiben der Ausgangsinstanz vorgelegen, was letztlich zu dem Versehen geführt habe. Der genannten Software wäre die richtige Telefaxnummer des OLG Braunschweig ohne weiteres zu entnehmen gewesen.

9

Zur Glaubhaftmachung ihrer Ausführungen berufen sich die Beklagten auf die beigefügte eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten vom 22. 08. 2006 sowie auf einen Ausdruck der zu verwendenden Software, soweit sie die Daten und Nummern des Oberlandesgerichts Braunschweig enthält.

10

III. Der gem. § 234 Abs. 1, 2 ZPO rechtzeitig gestellte Antrag der Beklagten, ihnen gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, hat keinen Erfolg.

11

Die Beklagten haben weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass sie an der Fristversäumung kein Verschulden trifft, § 232 ZPO. Vielmehr müssen sich die Beklagten das Organisationsverschulden ihrer Prozessbevollmächtigten gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

12

Der Rechtsanwalt muss für eine Büroorganisation sorgen, die eine Überprüfung der per Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze auch auf die Verwendung einer zutreffenden Empfängernummer gewährleistet (BGH NJW 1997, 948 [BGH 03.12.1996 - XI ZB 20/96]; NJW 2000, 1043; NJOZ 2004, 1427, 1429). Dieser darf die Telefaxübermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes zwar im Rahmen einer die nötige Sicherheit gewährleistenden Büroorganisation einer ausreichend ausgebildeten, zuverlässigen und - wenn nötig - hinreichend überwachten Anwaltsgehilfin überlassen und braucht die von ihr ermittelte Faxnummer auch dann, wenn sie vor der Unterzeichnung des Schriftsatzes in diesen eingefügt wurde, nicht selbst auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Die Beklagten haben jedoch nicht vorgetragen, dass in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten eine allgemeine Büroanweisung zur Ausgangskontrolle von per Fax zu übermittelnden fristwahrenden Schriftsätzen besteht, die auch - wie erforderlich - gewährleistet, dass die Übermittlung an die richtige Faxnummer des Empfängers erfolgt ist, und zwar dergestalt, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und entsprechend - d.h. auch auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer - überprüft wird (BGH FamRZ 2004, 1275; NJW 2006, 2412, 2413).

13

Dazu tragen die Beklagten vor, die allgemeine Büroanweisung ihrer Prozessbevollmächtigten zur Ausgangskontrolle beinhalte, dass die Nummer des Sendeberichtes mit dem letzten gerichtlichen Schreiben zu vergleichen sei. Das wird durch die eidesstattliche Versicherung der Zeugin bestätigt. Eine derartige Kontrolle ist aber nicht ausreichend, wie gerade das vorliegende Versehen anschaulich verdeutlicht. Eine wirksame Ausgangskontrolle setzt vielmehr den Abgleich anhand des zuvor verwendeten oder eines anderen, ebenso zuverlässigen Verzeichnisses voraus, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch schon bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können (BGH NJW 2006, 2412 f.).

14

Ob diese Art der Ausgangskontrolle auch dann jeweils erforderlich ist, wenn - wie hier - drei fristgebundene Berufungsschriftsätze an das selbe Oberlandesgericht per Fax zu übersenden sind, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben. Denn nach dem eigenen Vortrag der Beklagten wäre es nicht zu dem Versehen gekommen, wenn zumindest die beschriebene Ausgangskontrolle bzgl. des ersten Schriftsatzes eingehalten worden wäre.

15

Es kann im Ergebnis auch offen bleiben, ob die Gerichte ihre Organisation so einzurichten haben, dass bei einem unzuständigen Gericht eingegangene Schriftsätze unverzüglich als solche erkannt und auch unverzüglich an das zuständige Gericht weitergeleitet werden.

16

Geht ein fristgebundener Schriftsatz nicht bei dem Berufungsgericht, sondern dem zuvor zuständigen erstinstanzlichen Gericht ein, so ist dieses Gericht verpflichtet, den Schriftsatz im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiter zu leiten. Erreicht der Schriftsatz das früher mit der Sache befasste Gericht so frühzeitig, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Berufungsgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, so ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Schriftsatz nicht rechtzeitig bei dem Rechtsmittelgericht eintrifft (BVerfG NJW 2001, 1343, [BVerfG 03.01.2001 - 1 BvR 2147/00]BGB, NJW-RR 2004, 1655 [BGH 15.06.2004 - VI ZB 75/03]; BGH NJW 2004, 516 [BGH 18.09.2003 - IX ZB 604/02]; NJW-RR 2005, 1373 [BGH 06.06.2005 - II ZB 9/04]). Der Wiedereinsetzung begehrende Antragsteller hat darzulegen und glaubhaft zu machen, dass sein Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgemäß an das zuständige Berufungsgericht weitergeleitet werden konnte (BGH NJW-RR 2005, 1373 [BGH 06.06.2005 - II ZB 9/04]).

17

Dieser Darlegungslast haben die Beklagten nicht genügt. Ausweislich des Faxes vom 17. 07. 2006 ist dieses am selben Tage um 15.21 Uhr in der Faxstelle des Landgerichts Göttingen eingegangen. Im Hinblick auf den allgemeinen Dienstschluss um 15. 30 Uhr konnten die Beklagten nicht mehr davon ausgehen, dass eine solche Weiterleitung im gewöhnlichen Geschäftsgang, der zudem zu konkretisieren ist, zu erwarten gewesen ist.

18

B. Da demnach mangels zu gewährender Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt worden ist, war die Berufung gem. § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

19

C. Die Kostenentscheidung betreffend das Verfahren über die Wiedereinsetzung ergibt sich aus § 238 Abs. 2, 4 ZPO, die über die Verwerfung der Berufung aus § 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

20

Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf §§ 3, 511 Abs. 2 ZPO.