Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.08.2014, Az.: 16 K 317/12

Widerruf einer verbindlichen Auskunft über das Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft; Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung bei einer Krankenhausgesellschaft

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
22.08.2014
Aktenzeichen
16 K 317/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 20088
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2014:0822.16K317.12.0A

Amtlicher Leitsatz

Übernimmt eine Untergesellschaft die Aufgaben einer unselbständigen Abteilung einer Obergesellschaft sind für die wirtschaftliche Eingliederung Leistungen der Obergesellschaft an die Untergesellschaft nicht zwingend erforderlich (Abgrenzung zu BFH Urteil vom 20. August 2009 V R 20/06, BStBl II 2010, 863 [BFH 20.08.2009 - V R 30/06])

Tatbestand

1

Streitig ist der Widerruf einer verbindlichen Auskunft über das Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft.

2

Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus. Zum 1. Juli 2001 wurde die Klinik X GmbH (X) gegründet. Am Stammkapital der X ist die Klägerin mit 50,98 v.H. und die Y GmbH und Co. KG mit 49,02 v.H.v beteiligt. Die X hat zwei Geschäftsführer, die jeweils von einem der beiden Gesellschafter vorgeschlagen werden. Der von der Klägerin vorgeschlagene Geschäftsführer entscheidet laut Dienstordnung der X vom 1. August 2001 allein, sofern die Geschäftsführer unterschiedlicher Auffassung in Bezug auf die Geschäftsführung sein sollten. Zweck der X ist nach § 2 des Gesellschaftsvertrages in der Fassung vom 11. April 2003 die Erbringung von einfachen patientenfernen Tätigkeiten für die Klägerin, insbesondere die Unterstützung bei der Erreichung der bedarfsgerechten Krankenhausversorgung der Bevölkerung im Rahmen des niedersächsischen Krankenhausplanes. Mit der Erbringung dieser Leistung erzielte die X in den Jahren 2006 bis 2010 Umsätze in der Größenordnung von 1,6 bis 2,9 Mio. €. Der Umsatz der Klägerin betrug im Jahre 2010 153.648.422 €. Ab dem 1.Januar 2011 vermietete die Klägerin Geschäftsräume mit einer Nutzfläche von 331,28 m2 an die X.

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Mit Bescheid vom 19. Januar 1999 erteilte der Beklagte, das Finanzamt (FA), der Klägerin auf ihren Antrag hin die verbindliche Auskunft, dass zwischen ihr und der X eine umsatzsteuerliche Organschaft bestehe. Mit Bescheid vom 21. Mai 2012 widerrief das FA die verbindliche Auskunft mit Wirkung zum 1. Juli 2012, weil sich die steuerliche Beurteilung durch das BFH-Urteil vom 20.8.2009 V R 30/06 geändert habe und das Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung nicht erfüllt sei. Den Einspruch hiergegen wies es mit Bescheid vom 27. September 2012 als unbegründet zurück. Eine verbindliche Auskunft könne mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn sie unrichtig sei. Das sei hier der Fall, da keine wirtschaftliche Eingliederung vorliege. Bei den von der X erbrachten Reinigungsleistungen handele es sich um Dienstleistungen, die für den ordnungsgemäßen Betrieb eines jeden Unternehmers erforderlich seien. Sie wiesen von der Art her keine hinreichend enge und unmittelbare Nähe zur Tätigkeit der Klägerin auf. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich um einfache oder spezielle Reinigungsleistungen handele. Im Kalenderjahr hätte der Wert der von der X erbrachten Reinigungsleistungen im Verhältnis zum Umsatz der Klägerin ca. 1,9 % betragen. Die Leistungen seien daher auch vom Umfang her nur von untergeordneter Bedeutung für die Klägerin. Auch die Vermietung der Geschäftsräume führe nicht zu einer wirtschaftlichen Eingliederung. Die Betriebsaufspaltung betreffe nur einen geringen Teil der unternehmerischen Tätigkeit des Klinikums, so dass aus dieser keine wirtschaftliche Eingliederung der X abgeleitet werden könne.

4

Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin geltend, die Leistungen der X seien an den speziellen Hygienestandards eines Krankenhauses ausgerichtet. Bei der Krankenhaushygiene handele es sich um einen Zweig der Präventivmedizin, der als Bestandteil einer umfassenden Patientenversorgung unverzichtbar sei. Die X sei daher im gleichen Wirtschaftszweig wie die Klägerin tätig. Eine quantitative Betrachtung sei in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem eine Untergesellschaft Leistungen an den Gesellschafter erbringe, auch nach dem BFH-Urteil vom 20.8.2009 V R 30/06, auf das sich das FA berufe, nicht geboten. Die von der Klägerin gemieteten Räumlichkeiten stellten für die X ihren Geschäftssitz dar. Damit sei diese Betriebsimmobilie von wesentlicher Bedeutung für die Entfaltung der Geschäftstätigkeit der X.

5

Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid über den Widerruf der verbindlichen Auskunft vom 21. Mai 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. September 2012 aufzuheben.

7

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Das FA beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Es beruft sich hierfür auf die Begründung seiner Einspruchsentscheidung.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist begründet. Der Bescheid über den Widerruf der verbindlichen Auskunft vom 21. Mai 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).

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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und Auffassung der Verwaltung (vgl. BMF-Schreiben vom 29. Dezember 2003, BStBl I 2003, 742) waren die Finanzbehörden auch vor Inkrafttreten des § 89 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zu Zusagen außerhalb einer Außenprüfung berechtigt, deren Verbindlichkeit aus den Grundsätzen von Treu und Glauben abzuleiten ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 16. November 2005 X R 3/04, BFHE 211, 30, BStBl II 2006, 155 [BFH 16.11.2005 - X R 3/04]; vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274 [BFH 13.12.1989 - X R 208/87]). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass durch die verbindliche Auskunft vom 19. Januar 1999 für das FA eine Bindung nach Treu und Glauben eingetreten ist (vgl. BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 742, Tz. 4.1), so dass der Senat von weiteren Ausführungen hierzu absieht.

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Der Widerruf der verbindlichen Auskunft mit Wirkung für die Zukunft steht in entsprechender Anwendung des § 207 Abs. 2 AO im Ermessen des Finanzamtes. In der Regel ist der Widerruf dann ermessensgerecht, wenn sich der Inhalt der Auskunft als materiell-rechtlich unzutreffend und damit als rechtswidrig erweist (ebenso BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 742, Tz. 4.6). Dagegen bedarf der Widerruf einer rechtmäßigen Zusage einer besonderen Legitimation; er kommt nach der im Streitfall maßgeblichen Rechtslage regelmäßig nur in Betracht, wenn der Steuerpflichtige sein Vertrauen noch nicht betätigt hat und außerdem kein besonderes steuerliches Interesse an der verbindlichen Auskunft darlegen kann (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 89 AO Rz 55; seit Inkrafttreten des § 89 Abs. 2 AO: § 2 der Verordnung zur Durchführung von § 89 Abs. 2 der Abgabenordnung vom 30. November 2007, BGBl I 2007, 2783 --Steuer-Auskunftsverordnung--).

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2. Der Widerruf der Zusage ist danach im Streitfall ermessensfehlerhaft. Die ursprünglich erteilte Auskunft war rechtmäßig. Zwischen der Klägerin und der X liegt eine Organschaft i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG vor. Nach dieser Vorschrift wird eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber von der Ermächtigung des Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (Richtlinie 77/388/EWG) Gebrauch gemacht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 3. April 2008 V R 76/05, 221, 443, BFH/NV 2008, 1410 [BFH 03.04.2008 - V R 76/05], [BFH 03.04.2008 - V R 76/05] m.w.N.).

15

a) Eine Organschaft setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH zunächst voraus, dass der Organträger finanziell über die Mehrheit der Stimmrechte bei der abhängigen juristischen Person verfügt (vgl. BFH-Urteil vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671 [BFH 19.05.2005 - V R 31/03]), wirtschaftlich mit der Organgesellschaft verflochten ist und organisatorisch eine von seinem Willen abweichende Willensbildung bei der Organgesellschaft verhindern kann (vgl. BFH-Urteil vom 5. Dezember 2007 V R 26/06, BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451 [BFH 05.12.2007 - V R 26/06]). Da hinsichtlich der Eingliederungsvoraussetzungen das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend ist, erfordert die Annahme einer Organschaft nicht, dass alle drei Eingliederungsmerkmale gleichermaßen feststellbar sind. Tritt auf einem der drei Gebiete die Eingliederung weniger stark in Erscheinung, so hindert dies nicht, trotzdem Organschaft anzunehmen, wenn sich die Eingliederung deutlich auf den beiden anderen Gebieten zeigt (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2008, 1410 [BFH 03.04.2008 - V R 76/05]; vom 1. April 2004 V R 24/03, BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905 [BFH 01.04.2004 - V R 24/03]; vom 16. August 2001 V R 34/01, BFH/NV 2002, 223; vom 22. Juni 1967 V R 89/66, BFHE 89, 402, BStBl III 1967, 715; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 2 Rz 106, m.w.N.).

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b) Die X war finanziell in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert, da die Klägerin ihr Mehrheitsgesellschafter war. Die organisatorische Eingliederung folgt daraus, dass der von der Klägerin vorgeschlagene Geschäftsführer der X nach der Dienstordnung vom 1. August 2001 unabhängig von der Einzelvertretungsbefugnis allein entscheidet, wenn die Geschäftsführer unterschiedlicher Auffassung in Bezug auf die Geschäftsführung sein sollten.

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Die wirtschaftliche Eingliederung folgt vorliegend daraus, dass die X die Aufgaben einer unselbständigen Abteilung der Klägerin übernimmt und sich ihre Geschäfte in der Erbringung von Leistungen gegenüber der Klägerin erschöpfen. Gegenstand des Unternehmens der X ist nach § 2 der Gesellschaftsvertrags vom 11. April 2003 allein die Erbringung von einfachen patientenfernen Tätigkeiten für die Einrichtungen der Klägerin, insbesondere die Unterstützung der Klägerin bei der Erreichung der bedarfsgerechten Krankenhausversorgung der Bevölkerung im Rahmen des niedersächsischen Krankenhausplanes. Weitergehende Anforderungen sind an eine wirtschaftliche Eingliederung in einem Fall wie dem vorliegenden nicht zu stellen.

18

Dass der Wert der im Kalenderjahr 2010 erbrachten Reinigungsleistungen der X im Verhältnis zum Umsatz der Klägerin nur ca. 1,9 v. H. betrug und die Leistungen der X daher vom Umfang her nur von untergeordneter Bedeutung für die Klägerin waren, spricht entgegen der Ansicht des FA nicht gegen eine wirtschaftliche Eingliederung. Dem Urteil des BFH vom 20. August 2009 V R 20/06, BStBl II 2010, 863, auf welches das FA sich in diesem Zusammenhang beruft, lag die Fallkonstellation zugrunde, dass eine Untergesellschaft keinerlei entgeltliche Leistungen gegenüber seiner Gesellschafterin erbracht hatte und daher die wirtschaftliche Eingliederung sich nur aus Leistungen der Obergesellschaft an die Untergesellschaft ergeben konnte. Dieser Fall ist mit dem hier vorliegenden einer Untergesellschaft, die Aufgaben einer unselbständigen Abteilung einer Obergesellschaft erbringt und deren Geschäftsumfang sich hierin erschöpft, nicht vergleichbar.

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Da sich die wirtschaftliche Eingliederung der X in das Unternehmen der Klägerin vorliegend bereits daraus ergibt, dass sie als unselbständige Abteilung Leistungen gegenüber der Klägerin erbracht hat, kommt es auf die Frage, ob die Vermietung von Geschäftsräumen von der Klägerin an die X seit 1. Januar 2011 eine wirtschaftliche Eingliederung zu begründen vermag, nicht an.

20

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.