Amtsgericht Helmstedt
Beschl. v. 16.11.1984, Az.: 13 II 7/84

Wohnungseigentum; Aufhebungsantrag; Informationsfreiheit; Sondereigentum; Rechtsschutzinteresse; Kabelanschluß

Bibliographie

Gericht
AG Helmstedt
Datum
16.11.1984
Aktenzeichen
13 II 7/84
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1984, 10770
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHELMS:1984:1116.13II7.84.0A

Tenor:

Der Beschluß der Wohnungseigentümer vom 08. 05. 1984 wird insoweit für ungültig erklärt, als er den Antrag,

"daß jeder Eigentümer das Recht hat, für seine Wohnung den Anschluß an das Breitbandnetz erstellen zu lassen unter Berücksichtigung, daß er die ... entstehenden Kosten selber trägt und, sofern durch die Anschlußarbeiten Schäden am Gemeinschaftseigentum auftreten, die Kosten für die Beseitigung derselben von dem ... Eigentümer zu tragen sind",

ablehnt.

Die Gerichtskosten werden den Wohnungseigentümern gesamtschuldnerisch auferlegt. Von der Anordnung, daß die außergerichtlichen Kosten ganz oder teilweise zu erstatten sind, wird abgesehen.

Der Geschäftswert wird auf 5.000,-- DM festgesetzt.

Gründe

1

1. Durch Beschluß vom 08. 05. 1984 hat die Wohnungseigentümerversammlung mit 21 gegen 16 Stimmen den eingangs genannten Antrag abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem - gem. §§ 23 IV, 43 I Nr. 4 WEG rechtzeitigen und zulässigen - Aufhebungsantrag. Zur Begründung macht er geltend, die Mehrheitsentscheidung verletze sein Recht auf Informationsfreiheit. Der Kabelanschluß werde keine unzumutbaren Nachteile für die übrigen Eigentümer mit sich bringen.

2

Die Wohnungseigentümergemeinschaft und die Hausverwaltung beantragen Zurückweisung dieses Antrags, weil vor 1986 nicht mit einem Anschluß zu rechnen sei, weil die vorhandene zentrale Antennenanlage allen Eigentümern optimalen Empfang ermögliche und zusätzlich der Antragsteller eine eigene, durch Rotor drehbare Antenne besitze, weil ferner der Entwicklungsstand der Kabeltechnik noch keine Vorteile erwarten lasse und weil im übrigen die Installationsarbeiten unzumutbare Beeinträchtigungen mit sich brächten.

3

Das Gericht hat durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben und eine Stellungnahme des Fernmeldeamts Braunschweig herbeigeführt.

4

2. Der Aufhebungsantrag ist gerechtfertigt, weil der angefochtene Beschluß das Recht des Antragstellers auf "ordnungsgemäßen Gebrauch" seines Sondereigentums im Sinne der §§ 14 I, II, 15 II WEG verletzt.

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a) Das grundsätzliche Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung ist zu bejahen; denn die Versammlung hat eine negative Feststellung für eine Befugnis getroffen, die zu den Rechten im Sinne der §§ 15 III, 43 I 1 WEG gehört, die feststellen zu lassen jeder einzelne Wohnungseigentümer berechtigt ist.

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b) Auch ein besonderes Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung ist anzuerkennen, ohne daß es darauf ankommt, daß vor 1986 nicht mit der Verkabelung zu rechnen ist. Erstens hätte das Unterlassen des Aufhebungsantrags den Versammlungsbeschluß gem. § 23 IV WEG verbindlich und damit für den Antragsteller rechtsvernichtend werden lassen. Zweitens besteht nicht nur für den Antragsteller, sondern objektiv auch für die übrigen Eigentümer sowie den Verwalter ein Interesse an baldiger Klärung der Rechtslage, damit nicht zu der bereits verstrichenen Subskriptionsfrist weitere Nachteile hinzukommen.

7

c) Der Kabelanschluß gehört zum "zulässigen und ordnungsgemäßen Gebrauch" des Sondereigentums im Sinne der §§ 14 I, II, 15 II WEG, der dem Eigentümer ebensowenig versagt werden darf wie ein Fernsprechanschluß. Beide Anschlüsse gleichen sich - sobald installiert - hinsichtlich der Einwirkungsfreiheit gegenüber dem Sondereigentum anderer sowie gegenüber dem gemeinschaftlichen Eigentum. Dem Errichten einer Hochantenne kann der Kabelanschluß weder faktisch noch rechtlich gleichgesetzt werden. Er verursacht keines der Probleme, wie sie bei Hochantennen besonders dann entstehen, wenn deren Verwendungszweck für weltweiten Kurzwellenfunkverkehr einen großen mechanischen Aufwand erfordert, wie etwa 40 m lange Drahtantennen, 10 - 15 m hohe Gittermaste neben oder auf Gebäuden, schwere Alurohr-Dipolantennen mit Gewichten bis zu 30 kg, Windlasten bis 100 kg bei 130 km/h, mit bis zu 10 m langem "Boom" sowie 2-7 Elementen (mit Längen von 5 - 14 Metern), sog. "Quad"-Antennen, teils mehrelementig mit ähnlichen Abmessungen, Vertikal-"Groundplane"-Strahler mit Höhen von ca. 10 Metern über Dach nebst zahlreichen, strahlenförmig über Dach verspannten sog. Gegengewichten aus Litze, schwere Rotore über Dach zum - nicht immer geräuschfreien - Drehen der Antennengebilde, Erdleitungen als Blitzschutz usw. Hinzukommt, daß diese Sendeantennen gelegentlich Einstrahlungsstörungen verursachen, besonders, wenn die Hersteller von Rundfunk-, Fernseh- sowie anderen elektronischen Geräten den geringen Material- und Kostenaufwand für die Einstrahlungsfestigkeit vermeiden und die sich daraus ergebenden Unzuträglichkeiten den Benutzern überlassen.

8

Beim Kabelanschluß fehlen alle diese Probleme. Unauffällig und kaum zu erkennen, läßt er sich eher einer vorhandenen Netzspannungssteckdose oder Telefonanschlußdose vergleichen. Daß dies zutrifft, hat das Sachverständigengutachten des Elektromeisters Spelly ergeben, der an Ort und Stelle festgestellt hat, das 8 mm starke Koaxialkabel könne - ausgehend von dem (durch die Post herzustellenden) Übergabepunkt im Keller des Hauses ... - innerhalb des vorhandenen Kabelkanals - bis in den Kellerraum 28 geführt werden. Hier müsse eine 30er Trennwand durchbohrt und das Kabel im angrenzenden Trockenraum parallel zum bereits installierten Antennenkabel in die nordwestliche Ecke verlegt werden. Von dort könne es im vorhandenen 13,5 mm-Steigrohr bis in die im 3. Obergeschoß befindliche Wohnung des Antragstellers gezogen werden, wenn die darunter wohnenden Eigentümer das Betreten ihrer Wohnungen, das Ausbauen der Antennenanschlußdosen, das Einführen des Kabels und den Wiedereinbau gestatten würden. Ohne diese Erlaubnis müsse die Außenwand des Trockenraums durchbohrt und das Kabel unauffällig am Regenwasserfallrohr nach oben in die Wohnung des Antragstellers geführt werden. Eine Störung des Empfangs der übrigen Hausbewohner sei ausgeschlossen, da deren zentrale Hausantennenanlage elektrisch vom Kabelanschluß getrennt sei.

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d) Soweit die Herstellung des Breitbandkabelanschlusspunktes durch die Post unvermeidbare Nachteile für andere Wohnungseigentümer mit sich bringt, sind diese Wohnungseigentümer im Rahmen billigen Ermessens gem. §§ 15 III, 43 II WEG zur Duldung verpflichtet; denn die Nachteile treten nur für kurze Zeit auf und fallen im Verhältnis zu den entstehenden Vorteilen nicht ins Gewicht:

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Stellt die Post den Kabelkanal zwischen Arndtstraße und Keller her, so werden die gepflasterten Flächen, wie Zugang und PKW-Stellplätze, ferner die Grünflächen aufgebrochen und hiernach wieder geschlossen, gepflastert und die Bepflanzung wieder hergestellt werden. Zugang und PKW-Abstellen werden während dieser Arbeiten zum Teil eingeschränkt, zum Teil ausgeschlossen sein. Mit einer Zeitspanne von einigen Tagen oder Wochen muß man rechnen.

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Dem stehen an Vorteilen gegenüber, insbesondere nach Ausbau des Breitbandnetzes:

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1. Durchführung der Arbeiten und Finanzierung durch die Post.

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2. Besserer Empfang durch "Kopfstellen"-Standort, der allen anderen am Ort überlegen ist.

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3. Infolgedessen bessere Video- und Tonkassettenaufnahmequalität.

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4. Größeres Angebot von Fernseh-, Hörfunk-, Satellitenprogrammen, auch der Nachbarländer, auch außerhalb bisheriger Frequenzbereiche.

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5. Der Wartungsaufwand für angeschlossene Teilnehmer ist im wesentlichen auf den Verstärker begrenzt. Für diese entfällt der Aufwand für die Antenne. Dies gilt auch für künftige Parabolantennen zum Satellitenempfang.

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Die Abwägung der Vor- und Nachteile fällt zugunsten der Vorteile aus, zumal wenn man berücksichtigt, daß auf Grund des Abstimmungsverhältnisses in der Eigentümerversammlung mit weiteren Interessenten und damit Nutznießern des Breitbandkabelanschlusses zu rechnen ist, sobald durch Ausbau des Kabelnetzes dessen Vorzüge hervortreten. Daß Satellitenempfang und Glasfaserkabel schon weit genug entwickelt seien, um das Verlangen des Antragstellers als rechtsmißbräuchlich erscheinen zu lassen, läßt sich nicht geltend machen. Beide sind Alternativen, z. T. - bei Einspeisung in Breitbandnetze - ergänzender Art. Andererseits lassen die derzeitigen Anschaffungskosten für Geräte keine allgemeine Verbreitung in Kürze erwarten, zumal die Systemversuche "Breitbandiges Integriertes Glasfaser-Fernmelde-Orts-Netz" und "Digitales-Optisches-Teilnehmer-Anschluß-Netz" noch laufen.

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e) Die Kostenentscheidung gem. §§ 47, 48 II WEG berücksichtigt, daß die Herbeiführung einer gerichtlichen Entscheidung allen Beteiligten dient.

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Frömke

20

Gegen diesen Beschluß kann binnen zwei Wochen seit seiner Zustellung bei dem Amtsgericht oder bei dem Landgericht in Braunschweig schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle die sofortige Beschwerde eingelegt werden.