Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.10.2016, Az.: 4 K 48/16

Anwendung des gesonderten Steuertarifs nach § 32d Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
26.10.2016
Aktenzeichen
4 K 48/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 42993
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: VIII R 5/17

Tatbestand

Streitig ist die Anwendung des gesonderten Steuertarifs nach § 32d Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Kläger sind Eheleute und werden im Streitjahr gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt.

Die Klägerin ist alleinige Gesellschafterin der ... GmbH, der Kläger ist alleiniger Geschäftsführer dieser Gesellschaft. Aus dem Geschäftsführeranstellungsvertrag stehen ihm eine monatliche Vergütung von brutto ... Euro ein weiteres Bruttomonatsgehalt in Höhe der monatlichen Vergütung als Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie die Überlassung eines Personenkraftwagens der gehobenen Klasse zur dienstlichen und privaten Nutzung zu. Aus seiner Tätigkeit bezog der Kläger im Streitjahr 2014 einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von ... €. Die Klägerin erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... €.

Zwischen dem Kläger und der GmbH wurden vier Darlehensverträge abgeschlossen: Am ... über ... Euro zu 7,8% Zinsen, am ... über ... Euro zu 7,8% Zinsen, am ... über . Euro zu 5,646 % Zinsen sowie am ... über ... Euro zu 5,646% Zinsen.

Die aus den vorgenannten Darlehen im Streitjahr zugeflossenen Zinserträge betrugen ... Euro und wurden von Kläger in der Einkommensteuererklärung als inländische Kapitalerträge erklärt, die der Abgeltungsteuer und damit nach § 32d Abs. 1 EStG nicht der tariflichen Einkommensteuer unterliegen.

Das Finanzamt unterwarf die Zinserträge der tariflichen Einkommensteuer mit der Begründung, dass ein besonderes Näheverhältnis i.S.d. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b EStG zwischen dem Kläger als Gläubiger der Kapitalerträge und der Klägerin als Anteilseignerin der Kapitalgesellschaft bestehe. Ein entsprechender Einkommensteuerbescheid erging am ... Hinsichtlich der Einzelheiten der Steuerberechnung wird auf den Bescheid (Bl. 26 bis 30 der Gerichtsakte) verwiesen.

Dagegen wandten sich die Kläger mit ihrem Einspruch vom ... Sie vertraten die Ansicht, dass ein lediglich aus der Familienangehörigkeit abgeleitetes persönliches Interesse nicht ausreiche, um ein Näheverhältnis i.S.d. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b EStG zu begründen. Ein Beherrschungsverhältnis zwischen den Eheleuten liege jedenfalls nicht vor, auch eine missbräuchliche Gestaltung zur Ausnutzung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen sei nicht ersichtlich. Jedenfalls reiche die Möglichkeit der Alleingesellschafterin zur Abberufung des Geschäftsführers nicht aus, um einen beherrschenden Einfluss ausüben zu können, denn die Gesellschafterin könne den Geschäftsführer nicht zur Gewährung eines Darlehens zwingen.

Das Darlehen sei zu fremdüblichen Konditionen gewährt worden, der Kläger habe der GmbH die Darlehen lediglich anstelle einer Bank gegeben. Darlehensanfragen bei Kreditinstituten seien seinerzeit aufgrund der dramatischen Verschlechterung der Ergebnissituation nicht erfolgt. Die GmbH habe lediglich die Alternative der Inanspruchnahme des Kontokorrentkredites in Höhe von 8% Zinsen gehabt.

Mit Einspruchsbescheid vom ... wies der Beklagte den Einspruch zurück.

Er vertrat die Ansicht, dass die Ehefrau vom Kläger abhängig gewesen sei, da die GmbH von den Banken keine Kredite zu erwarten gehabt habe und die Kontokorrentzinsen zu hoch gewesen seien. Die Ehefrau als Alleingesellschafterin sei ihrerseits mangels eigener Mittel auf die Darlehensgewährung durch den Kläger angewiesen gewesen. Mit Klage vom ... verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

Die Kläger beantragen,

unter Änderung des Bescheids über Einkommensteuer 2014 vom ... und des Einspruchsbescheids vom ... die Steuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn Einnahmen aus Kapitalvermögen i.H.v. ... Euro nicht der tariflichen Einkommensteuer, sondern dem Abgeltungssteuersatz unterworfen werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Klägerin könne als Alleingesellschafterin bereits deshalb beherrschenden Einfluss auf den darlehensgewährenden Kläger ausüben, weil sie über die Bestellung und Abberufung des Klägers als Geschäftsführer zu bestimmen habe. Da sich die GmbH im Streitjahr in einer desolaten wirtschaftlichen Lage befunden habe und von den Banken keine Kredite zu erwarten gewesen seien, habe sich umgekehrt auch seitens des Klägers ein beherrschender Einfluss auf die wirtschaftlich von ihm abhängige GmbH und damit auf deren Anteilseignerin ergeben. Die gegenseitige "vertragsmäßige" Abhängigkeit führe zu einem Näheverhältnis, das die Anwendung des Abgeltungssteuersatzes ausschließe.

Entscheidungsgründe

Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Auf die Einnahmen aus Kapitalvermögen ist die tarifliche Einkommensteuer anzuwenden.

1. Ein Ausschluss des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen erfolgt allerdings nicht nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b EStG, wie das Finanzamt im Einkommensteuerbescheid und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung angenommen hat.

Diese Vorschrift gilt für Kapitalerträge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 4 und 7 EStG, die von einer Kapitalgesellschaft oder einer Genossenschaft an einen zu mindestens 10 Prozent an dieser beteiligten Anteileigner oder an eine einem solchen Anteilseigner nahestehende Person gezahlt werden. Der Kläger ist aber weder selbst Anteilseigner, noch ist er eine der Anteilseignerin - der Klägerin - nahestehende Person.

a) Nach dem Wortsinn fallen unter den Begriff der "nahestehenden Person" zwar alle natürlichen und juristischen Personen, die zueinander in enger Beziehung stehen (grundlegend zur Gesamtthematik BFH-Urteil vom 29. April 2014, VIII R 44/13, BStBl. II 2014, 992). Hierzu gehören auch Angehörige i.S. des § 15 der Abgabenordnung, da bei diesem Personenkreis bereits das auf der Verwandtschaft, dem Verlöbnis oder der Eheschließung beruhende Näheverhältnis auf eine enge Bindung schließen lässt (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22. Dezember 2009, BStBl. I 2010, 94, und und vom 9. Oktober 2012, BStBl. I 2012, 953, jeweils Rz 136; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 33. Aufl., § 32d Rz 8; Boochs in Lademann, EStG, § 32d EStG Rz 18a; a.A. Storg in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 32d Rz 20a; Baumgärtel/Lange in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32d EStG Rz 20; Worgulla, ErbStB 2010, 151, 154; Behrens/ Renner, BB 2008, 2319, 2321; Schulz/Vogt, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2008, 2189, 2191 ff.; Blümich/Treiber, a.a.O., § 32d Rz 69; Lambrecht in Kirchhof, a.a.O., § 32d Rz 11; Fischer, DStR 2007, 1898 f.; Harenberg/Zöller, Abgeltungsteuer 2011, 3. Aufl., S. 124; Griesel/Mertes, Die neue Abgeltungsteuer, Rz 200 ff.).

b) Diese weite Auslegung des gesetzlichen Tatbestands widerspricht jedoch dem Willen des Gesetzgebers, den er in der Gesetzesbegründung zu § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zum Ausdruck gebracht hat. Danach soll ein Näheverhältnis nur dann vorliegen, wenn die Person auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf diese Person einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person auf beide einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die nahestehende Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat (BTDrucks. 16/4841, S. 61). Danach ist ein lediglich aus der Familienangehörigkeit oder Ehe abgeleitetes persönliches Interesse nicht ausreichend, um ein Näheverhältnis i.S. des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG zu begründen (BFH-Urteil vom 29. April 2014, a.a.O).

c) Legt man der Auslegung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG diese vom Gesetzgeber intendierte Definition des Begriffs der "nahestehenden Person" zugrunde, ist der Ausschlusstatbestand vorliegend nicht erfüllt.

Zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau als Anteilseignerin bestand kein Beherrschungsverhältnis. Selbst wenn man davon ausgeht, dass grundsätzlich jede - also auch eine natürliche - Person beherrscht werden kann, setzt dies voraus, dass der beherrschten Person aufgrund eines absoluten Abhängigkeitsverhältnisses im Wesentlichen kein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt.

Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Die Möglichkeit des Alleingesellschafters, den Geschäftsführer abzuberufen, ist lediglich ein im Rahmen der Geschäftsbeziehung stehendes Recht, das jedoch noch nicht zu einer Beherrschung in dem Sinne führt, dass die Klägerin ihren Ehemann zur Gewährung eines Darlehens hätte zwingen können. Auch die umgekehrte wirtschaftliche Abhängigkeit der GmbH führt nicht zu einer Beherrschung, zumal die GmbH über die Inanspruchnahme eines Kontokorrentkredits die Möglichkeit zur Fremdfinanzierung gehabt hätte. Eine missbräuchliche Gestaltung zur Ausnutzung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen liegt nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b EStG nicht vor.

2. Jedoch ergibt sich ein Ausschluss der Anwendung der Vorschriften über die Abgeltungsteuer aus § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a EStG.

Voraussetzung dafür ist, dass Gläubiger und Schuldner von Kapitalerträgen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 4 und 7 EStG einander nahe stehende Personen sind, soweit die den Kapitalerträgen entsprechenden Aufwendungen beim Schuldner Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Zusammenhang mit Einkünften sind, die der inländischen Besteuerung unterliegen, und § 20 Abs. 9 Satz 1 zweiter Halbsatz keine Anwendung findet.

Ein derartiges Näheverhältnis liegt im Streitfall zwischen dem Kläger und der GmbH vor, weil ein fremder Dritter ein Darlehen zu denselben Konditionen wie der Kläger nicht gegeben hätte. Bereits nach dem eigenen Vortrag der Kläger war ein Darlehen von den Banken nur noch zu Konditionen zu erhalten, die dem Kontokorrentkredit vergleichbar sind, d.h. zu Zinssätzen in Höhe von 8 Prozentpunkten. Dagegen überließ der Kläger der GmbH die beiden im Streitjahr ausgereichten Darlehen zu 5,646% und damit fern der marktüblichen Zinsen.

Als Geschäftsführer hat der Kläger ferner maßgeblichen Einfluss auf das operative Geschäft der GmbH. Auch wenn die Grundlinien der Geschäftspolitik durch die Gesellschafter vorgegeben werden, so hat der Kläger als Geschäftsführer jedenfalls beherrschenden Einfluss auf das Tagesgeschäft der Gesellschaft. Auch in der Zusammenschau mit der Überlassung von Fremdkapital in Höhe von ... Euro im Vergleich zur Stammkapitalausstattung in Höhe von ... Euro kommt dieses Gewicht des Klägers auf unternehmerische Entscheidungen zum Ausdruck.

Hinzu kommt, dass der Kläger ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Einkunftserzielung durch die GmbH hatte. Obwohl er nicht als Anteilseigner an dieser beteiligt war, musste ihm an deren wirtschaftlichen Wohlergehen gelegen sein, weil er den weit überwiegenden Teil seiner Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH bezog und nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass er bei einem anderen Unternehmen ein Anstellungsverhältnis zu ähnlich günstigen Konditionen hätte finden können. Es lag daher in seinem eigenen Interesse, der GmbH die für ihren Geschäftsbetrieb erforderlichen liquiden Mittel zu Bedingungen zur Verfügung zu stellen, die deren Ertragssituation nicht so stark belasteten, wie dies bei einer stärkeren Ausschöpfung des Kontokorrentkredits der Fall gewesen wäre.

Die weiteren Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a EStG liegen vor. Insbesondere kann die GmbH die Darlehenszinsen als Betriebsausgaben abziehen und ist nicht nach § 20 Abs. 9 EStG im Abzug beschränkt.

3. Die Klage ist daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.