Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.05.2002, Az.: 2 Ws 114/02
Kein neuer Haftbefehl wegen derselben Tat bei ablehnender Entscheidung des Oberlandesgerichts über die Haftfortdauer; Neuer Haftgrund; Wichtiger Grund
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 07.05.2002
- Aktenzeichen
- 2 Ws 114/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 16303
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2002:0507.2WS114.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 121 Abs. 1 StPO
- § 121 StPO
- § 122 StPO
- § 467 StPO
Fundstelle
- StV 2002, 556
Amtlicher Leitsatz
Hatte das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus abgelehnt, weil kein wichtiger Grund nach § 121 Abs. 1 StPO vorlag, so darf auch bei Eintreten eines neuen Haftgrundes bis zum Erlass des Urteils kein neuer Haftbefehl wegen derselben Tat ergehen.
Tenor:
Die Haftbefehle des Landgerichts vom 26. April 2002 werden aufgehoben.
Die Kosten der Beschwerdeverfahren und die den Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Der Angeklagte befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts vom 3. September 2001 - 4 Gs 1006/01 (I) - seit dem 4. September 2001 in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl wurde am 15. Oktober 2001 erweitert und neu verkündet (4 Gs 1204/01). Der Angeklagte befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts vom 18. September 2001 - 4 Gs 1084/01 - seit dem 21. September 2001 in Untersuchungshaft. Den Haftbefehlen gegen beide Angeklagten lag der Vorwurf des gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sechs Fällen und der Haftgrund der Fluchtgefahr zugrunde. Die Staatsanwaltschaft erhob unter dem 22. /23. November 2001 wegen der den Gegenstand des Haftbefehls bildenden Straftaten Anklage. Die Strafkammer hat durch Beschlüsse vom 10. Januar 2002 das Hauptverfahren gegen beide Angeklagte eröffnet und die beiden Verfahren verbunden. Im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO hob der Senat am 1. März 2002 - 22 HEs 4/02 - den Haftbefehl gegen den Angeklagten und am 21. März 2002 - 22 HEs 7/02 - den Haftbefehl gegen den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot auf. Die Angeklagten wurden jeweils am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen.
Die Hauptverhandlung findet seit dem 16. April 2002 statt. Am 26. April 2002 erließ die Strafkammer gegen beide Angeklagte wegen der in den Anklageschriften genannten Taten neue Haftbefehle, weil die große Wahrscheinlichkeit bestehe, dass die Angeklagten auf den Hauptbelastungszeugen unlauter einwirkten oder durch Dritte einwirken ließen. Die Familie habe nach der Entlassung der Angeklagten aus der Untersuchungshaft am 28. März 2002, am 9. April 2002 und an jenem Sitzungstag Drohbriefe erhalten. Gegen die Haftbefehle haben beide Angeklagten Beschwerde eingelegt mit der Begründung, dass sie die Drohbriefe weder selbst verfasst noch durch Dritte veranlasst hätten. Die Strafkammer hat den Beschwerden nicht abgeholfen. Sie ist der Auffassung, dass die Sperrwirkung der Aufhebungsbeschlüsse des Senats dem Erlass neuer Haftbefehle hier nicht entgegenstehe, weil zwischenzeitlich die Hauptverhandlung begonnen habe und ein neuer Haftgrund eingetreten sei.
II.
Die Haftbeschwerden haben Erfolg. Zwar sind die Angeklagten nach wie vor dringend verdächtig, die ihnen zur Last gelegten Straftaten begangen zu haben. Der Senat bejaht auch mit dem Landgericht neben dem bereits früher vorliegenden Haftgrund der Fluchtgefahr die Verdunkelungsgefahr. Jedoch steht den neuen Haftbefehlen § 121 Abs. 1 StPO entgegen.
Hat das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus abgelehnt, weil kein wichtiger Grund nach § 121 Abs. 1 StPO vorliegt, so darf gegen den Beschuldigten in aller Regel bis zum Erlass des Urteils kein neuer Haftbefehl wegen derselben Tat ergehen (OLG Stuttgart NJW 1975, 1572 [OLG Stuttgart 22.04.1975 - 1 Ws 111/75]; OLG Düsseldorf StV 1993, 376; StV 1996, 493; OLG München StV 1996, 676; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. , § 122 Rdn. 19; LR-Hilger, StPO, 25. Aufl. , § 121 Rdn. 47 und § 122 Rdn. 38 f; vgl. auch OLG Hamm StV 1996, 159; OLG Zweibrücken StV 1996, 494). Die Untersuchungshaft darf nach § 121 Abs. 1 StPO nur dann über sechs Monate hinaus aufrechterhalten werden, wenn die besonderen Schwierigkeiten oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Sind diese Grenzen überschritten, weil das Verfahren nicht in der nötigen Weise beschleunigt worden ist, muss der Haftbefehl unabhängig vom Grad der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr aufgehoben werden. Dementsprechend kann es nach Auffassung des Senats auch keine Rolle für die Zulässigkeit erneuter Untersuchungshaft spielen, dass nachträglich neue Tatsachen eingetreten sind, die einen anderen Haftgrund belegen. Wenn dieser zusätzliche Haftgrund - hier der Verdunkelungsgefahr - bereits bei der Haftprüfung durch den Senat vorgelegen hätte, wäre dennoch wegen des Verstoßes gegen den Beschleunigungsgrundsatz die Aufhebung des Haftbefehls erfolgt. Der Sinn und Zweck des Haftprüfungsverfahrens durch das Oberlandesgericht würde umgangen, wenn der wegen eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot aufgehobene Haftbefehl aufgrund nachträglich neu eingetretener oder verstärkter allgemeiner Haftgründe ersetzt werden könnte.
Soweit andere Stimmen in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. BVerfG MDR 1967, 463; OLG Celle NJW 1973, 1988 [OLG Celle 18.08.1972 - 3 Ws 255/72]; OLG Frankfurt StV 1985, 196 m. abl. Anm. Wendisch; HansOLG Hamburg StV 1994, 142 m. abl. Anm. Schlothauer; KK-Boujong, StPO, 4. Aufl. § 121 Rdn. 131) einen neuen Haftbefehl gegen den Beschuldigten wegen derselben Tat ausnahmsweise dann für zulässig halten, wenn sich die Verfahrenslage, etwa durch den Beginn der Hauptverhandlung, geändert hat und zusätzliche Tatsachen eine besonders schwerwiegende Gefährdung des öffentlichen Interesses an der vollständigen Aufklärung der Tat und der raschen Bestrafung der Täter begründen, lässt der Senat offen, ob dieser Ansicht in besonderen Ausnahmefällen zu folgen sein könnte. Solche Ausnahmegesichtspunkte sind im vorliegenden Fall jedenfalls nicht ersichtlich.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 467 StPO.