Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 11.05.1989, Az.: 1 Ws 78/89
Voraussetzungen des Haftgrunds der Fluchtgefahr; Sich-Entziehen des Angeklagten dem weiteren Strafverfahren
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 11.05.1989
- Aktenzeichen
- 1 Ws 78/89
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1989, 20479
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1989:0511.1WS78.89.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 13.04.1989 - AZ: 182 Js 5839/83 OL
Rechtsgrundlage
- § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO
Fundstellen
- StV 1990, 500
- StV 1990, 165-166
Verfahrensgegenstand
Betrug u.a.
Tenor:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Landgerichts Oldenburg vom 13. April 1989 wird verworfen.
Gründe
Die Gründe des Haftbefehls treffen auch nach der Beurteilung des Senats zu; sie werden durch das Beschwerdevorbringen nicht ausgeräumt oder wesentlich abgeschwächt und rechtfertigen die Aufrechterhaltung des Haftbefehls und die Fortdauer des Haftvollzuges.
Im einzelnen gilt folgendes:
Daß der Angeklagte der in der Anklageschrift und im Haftbefehl genannten Straftaten dringend verdächtig ist, ist nicht zweifelhaft.
Es besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr ( § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), nämlich die Gefahr, daß sich der Angeklagte dem weiteren Strafverfahren entziehen werde, also ein Verhalten zeigt, das den Erfolg hat, daß der Fortgang des Strafverfahrens durch ein vom Angeklagten zu vertretendes Verhalten verhindert wird, auch wenn dies vom Angeklagten nicht beabsichtigt oder positiv erkannt worden sein mag; vgl. BGHSt 23, 380, 384 [BGH 04.11.1970 - 4 ARs 43/70]; Kleinknecht/Meyer, StPO, 38. A., § 112 Rn. 13, 14, 18. Dieses Verhalten des Angeklagten besteht darin, daß er jedenfalls ab Frühjahr 1989, und zwar nach Beginn der Hauptverhandlung und seiner Vernehmung zur Sache am 2. Februar 1989, den ihm erteilten hausärztlichen Ratschlägen und Behandlungsvorschriften nicht mehr ordnungsgemäß folgt, so daß sein Verteidiger zu 1) mit Schriftsatz vom 16. März 1989 angezeigt hat, die "weitere Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten sei nicht mehr sichergestellt". Daß die vom Verteidiger aufgezeigten und seinerzeit tatsächlich vorhandenen hohen Blutdruckwerte des Angeklagten, die dessen Verhandlungsfähigkeit in Frage stellen, von diesem herbeigeführt worden sind, folgt - wie für die Strafkammer, so auch für den Senat -vor allem daraus, daß bereits wenige Tage nach Einlieferung des Angeklagten aufgrund des Haftbefehls in das Anstaltskrankenhaus Lingen durch die dort - unter Aufsicht - durchgeführte medikamentöse Behandlung vergleichsweise günstige Blutdruckwerte beim Angeklagten, die seine Verhandlungsfähigkeit nicht in Frage stellen, erzielt werden konnten. Im übrigen findet diese Annahme ihre Bestätigung auch in dem vom Hausarzt des Angeklagten beklagten gestörten Vertrauensverhältnis zu diesem. Der Senat kann daher feststellen, daß der Angeklagte im Frühjahr 1989 seine hohen Blutdruckwerte durch Nichtbefolgung hausärztlicher Behandlungsvorschriften herbeigeführt hat. Dies Verhalten des Angeklagten, mag es auch rein äußerlich in der Nichteinnahme von Medikamenten liegen, ist rechtlich kein bloßes "Unterlassen" im Sinne der Entscheidung BGHSt 23, 380, 384[BGH 04.11.1970 - 4 ARs 43/70]. Nach seinem Sinngehalt handelt es sich hierbei vielmehr um ein rechtlich als aktives Handeln zu bewertendes Verhalten, mithin um ein Sichentziehen im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO (vgl. Kleinknecht/Meyer a.a.O.). Denn zur Überzeugung des Senats wie ersichtlich auch der Strafkammer hat der Angeklagte nicht etwa schon von jeher und jahrelang die gebotene Medikamentierung eigenmächtig unterlassen. Dem steht bereits entgegen, daß er sich schon jahrelang in ärztlicher Behandlung befindet. Es wäre aber ganz lebensfremd und ist daher nicht anzunehmen, daß er gleichwohl in all diesen Jahren den ärztlichen Behandlungsvorschriften nicht gefolgt ist. Dies um so mehr, als dies mit gesundheitlichen Risiken und Störungen des Wohlbefindens verbunden gewesen wäre. Ganz offensichtlich hat der Angeklagte erst im zeitlichen Zusammenhang mit dem laufenden Strafverfahren (wie ersichtlich auch schon früher in vergleichbaren Situationen im Zusammenhang mit gegen ihn gerichteten gerichtlichen Maßnahmen und namentlich Vollstreckungshandlungen) die zuvor im wesentlichen eingehaltene erforderliche Medikamentierung gezielt abgesetzt. Das aber ist rechtlich als aktives Tun, nämlich als ein Sichentziehen vor dem (weiteren) Strafverfahren, zu bewerten.
Zu Unrecht meint die Verteidigung, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO könne (auch) deswegen nicht eingreifen, weil allenfalls die §§ 230 bis 231 a StPO einschlägig seien. Letzteres trifft jedoch - ohne daß es eines generellen Eingehens auf das Verhältnis zwischen§ 112 StPO und den §§ 230 bis 231 a StPO bedarf - vorliegend nicht zu. Die §§ 230, 231 a StPO liegen hier schon deshalb nicht vor, weil der Angeklagte bei Verhandlungsbeginn am 2. Februar 1989 verhandlungsfähig zugegen war und daher nicht "ausgeblieben" ist im Sinne des § 230 StPO (vgl. Kleinknecht/Meyer, § 230, Rn. 1,2). § 231 a StPO ist deswegen nicht erfüllt, weil eine etwaige Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten, wie auch die Verteidigung in ihrem Schriftsatz vom 16. März 1989 nicht verkennt, jedenfalls nicht schon vor derHauptverhandlung bzw. der Vernehmung des Angeklagten über die Anklage eingetreten ist (vgl. a.a.O.. § 231 a, Rn. 1). Im übrigen läßt sich aber auch ein in § 231 a StPO vorausgesetztes vorsätzliches und schuldhaftes Verhalten des Angeklagten nicht ohne weiteres- feststellen, weswegen auch § 231 StPO vorliegend nicht anwendbar erscheint.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Der Schriftsatz des Verteidigers zu 1) vom 5. Mai 1989 hat vorgelegen.