Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 09.08.2006, Az.: 5 B 212/06

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
09.08.2006
Aktenzeichen
5 B 212/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 44220
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2006:0809.5B212.06.0A

Fundstelle

  • ZfWG 2006, 171-176

In der Verwaltungsrechtssache

................

hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 5. Kammer - am 9. August 2006 beschlossen:

Tenor:

  1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

    Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

    Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

    Gründe :

Tatbestand:

1

I.

Der Antragsteller wendet sich im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die mit Verfügung vom 18.07.2006 angeordnete sofortige Vollziehung des Bescheides vom 31.03.2005, mit dem ihm untersagt worden ist, Sportwetten für in Niedersachsen nicht konzessionierte Veranstalter oder Anbieter zu vermitteln und zu bewerben.

2

Der Antragsteller hat am 07.04.2005 Klage gegen den Bescheid vom 31.03.2005 erhoben (5 A 296/05).

3

Mit Bescheid vom 18.07.2006 ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 31.03.2005 an und führte zur Begründung aus, dass die Abwägung zwischen dem Suspensivinteresse des Antragstellers und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung nunmehr zu Lasten des Antragstellers ausgehe. Das Interesse des Antragstellers, bis zum Eintritt der Rechtskraft der Untersagungsverfügung Einnahmen durch die Vermittlung und Bewerbung von Sportwetten zu erzielen, sei als gering zu bewerten. Die diesbezüglichen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen seien vor dem Hintergrund einer vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 für alle erkennbar unklaren Rechtslage getroffen worden und deshalb von vornherein mit einem erheblichen Risiko behaftet gewesen. Dagegen überwiege das öffentliche Interesse. Der Antragsteller würde anderenfalls ein verbotenes Verhalten, insbesondere ein der Zielrichtung des Lotteriestaatsvertrages zuwider laufendes Verhalten, fortsetzen können. Der Antragsteller erfülle den Straftatbestand des § 284 StGB jedenfalls im Rahmen einer strafbaren Beihilfe. Es liege im öffentlichen Interesse, ein strafrechtlich relevantes Verhalten nicht zu dulden. Die Bevölkerung müsse vor den Gefahren geschützt werden, die von einem unerlaubten Glücksspiel ausgehen, namentlich vor der Ausbeutung des natürlichen Spieltriebes und der drohenden Spielsucht mit der Gefahr des Verlusts erheblicher Vermögenswerte und der damit zusammenhängenden Kriminalität. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.07.2006 ergebe sich unabhängig von der Strafbarkeit des Verhaltens ein besonderes Interesse am sofortigen Vollzug. Außerdem seien die Anbieter unerlaubter Sportwetten, die die Konzessionsabgabe nicht abführten, in der Lage, günstigere Wettquoten als die staatlichen Anbieter anzubieten. Der ordnungsrechtliche Aspekt der Kanalisierung des Wettangebotes werde dadurch unterlaufen. Einem weiteren "Abdriften" der Spieler zu illegalen Wettanbietern müsse daher schnellstmöglich Einhalt geboten werden. Dies gelte umso mehr, weil auf Grund der Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 die staatlichen Wettveranstalter erheblich in ihrer Werbemöglichkeit eingeschränkt würden. Wenn in dieser Phase die an illegale Wettanbieter und Vermittler gerichteten Untersagungsverfügungen nicht umgehend durchgesetzt würden, seien die illegalen Wettanbieter in der Öffentlichkeit präsent und könnten sich weiter auf dem Markt positionieren, während die legalen Anbieter mangels Werbung weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwinden würden. Dies entspreche nicht den höchstrichterlichen Vorgaben. Es entspreche öffentlichem Interesse, dass sich rechtstreu verhaltende Wettunternehmer und - teilnehmer nicht benachteiligt werden dürften. Das konzessionierte Wettunternehmen sei nämlich erheblich höheren organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Aufwendungen ausgesetzt als der private Anbieter. Außerdem bestünden generalpräventive Gesichtspunkte. Das besondere öffentliche Interesse sei auch zu bejahen, obwohl die Anordnung der sofortigen Vollziehung erst geraume Zeit nach Erlass des ursprünglichen Verwaltungsakts erfolgte. Sinnvollerweise sei die Klärung der Rechtslage durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 und vom 04.07.2006 abgewartet worden.

4

Dagegen hat der Antragsteller am 23.07.2006 Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt und führt zur Begründung im Wesentlichen Folgendes an: Er vermittele in seinen Geschäftsräumen über eine Online-Standleitung Sportwetten an den österreichischen Wettanbieter D.. Dieser Wettanbieter besitze zwar, ebenso wie der Antragsteller, keine Erlaubnis nach dem Nds. Gesetz über das Lotterie- und Wettwesen (NLottG). Das Fehlen dieser Genehmigung stehe aber der Zulässigkeit der Vermittlungstätigkeit des Antragstellers nicht entgegen. Die Tätigkeit des Antragstellers und des Wettanbieters bewegten sich im Schutzbereich der europarechtlich garantierten Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG und sei von der dem Wettanbieter in Österreich erteilten Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten gedeckt. Dies entspreche der Rechtsprechung zahlreicher Gerichte. In seinem Urteil in der Sache E. habe der EuGH ausdrücklich klargestellt, dass Wetten dieser Art der Dienstleistungsfreiheit unterfielen und dass die Konzessionierung in diesem Bereich einen Eingriff in den freien Dienstleistungsverkehr darstellten. Da in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland Genehmigungen weder an deutsche private noch an Veranstalter aus dem europäischen Ausland erteilt würden, läge ein solcher Eingriff vor, der europarechtlich nicht gerechtfertigt sei. Er erfolge weder unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten, noch sei er auf das erforderliche Maß beschränkt. Der EuGH lasse eine Beschränkung nur dann zu, wenn diese wirklich dem Ziel diene, auf Grund der Gefährlichkeit des Glücksspiels die Gelegenheit zum Spiel zu vermindern und aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls erforderlich sei. Das sei beim Nds. Lotteriegesetz nicht der Fall. Vielmehr reize der mit einer Genehmigung des Landes Niedersachsen ausgestattete Veranstalter F. die Verbraucher systematisch dazu an und ermuntere sie, an den von ihm veranstalteten Glücksspielen teilzunehmen. G. sei Hauptsponsor der Fußballweltmeisterschaft gewesen und werbe auch in Wettzeitungen. Es reiche nicht aus, dass das Land Niedersachsen plane, sein Angebot irgendwann innerhalb der immerhin fast zweijährigen Übergangsfrist den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anzupassen. Weiterhin sei in jeder Lottoannahmestelle das Wetten möglich und G. werbe auch weiterhin damit, Sponsor der Fußballweltmeisterschaft zu sein. Aus der tatsächlichen Ausprägung der Tätigkeit von G. ergebe sich, dass der Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr nur als Vorwand für die Sicherung der Monopolstellung des staatlichen Anbieters diene, also lediglich fiskalische Interessen verfolgt würden. An der Feststellung der Europarechtswidrigkeit der derzeitigen Handhabung ändere auch die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nichts. Das Bundesverfassungsgericht habe nämlich nicht über das europäische Recht, sondern allein über das deutsche Verfassungsrecht entschieden. Das Bundesverfassungsgericht habe außerdem ausdrücklich Bezug auf das E. -Urteil des EuGH genommen und mache sich dieses zu Eigen. Aus dem genannten Urteil des EuGH ergebe sich aber die Europarechtswidrigkeit der derzeitigen Handhabung. Das europäische Recht kenne eine Übergangsfrist, wie sie das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom März 2006 gesetzt habe, nicht. Eine solche widerspreche dem Effizienzgebot des europäischen Rechts. Das Gemeinschaftsrecht fordere vielmehr seine sofortige Umsetzung und damit im vorliegenden Fall die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, da es anders effektiv nicht durchzusetzen sei. Es sei zwar noch kein Vorabentscheidungsverfahren bezogen auf die deutsche Rechtslage anhängig, sondern lediglich Verfahren auf Vorlagen italienischer Gerichte. Die europäische Kommission habe aber am 04.04.2006 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, das sich auch auf die Europarechtswidrigkeit der vom Bundesverfassungsgericht gewährten Übergangsfrist beziehe. Das erkennende Gericht habe demgemäss bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Sache dem EuGH vorzulegen.

5

Im Übrigen verstoße die Handhabung des Antragsgegners auch gegen deutsches Verfassungsrecht. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass das staatliche Sportwettenmonopol jedenfalls in seiner jetzigen Ausgestaltung verfassungswidrig sei. Die vom Bundesverfassungsgericht getroffene Übergangsregelung beziehe sich allein auf das bayerische, nicht aber auf das niedersächsische Recht.

6

Es liege auch kein Verstoß gegen § 284 StGB vor. Das Gewerbe des Antragstellers stelle kein unerlaubtes Veranstalten eines Glücksspiels dar. Jedenfalls sei das bloße Vermitteln nicht strafbar. Der bloße werbende Hinweis auf eine ausländische Glücksspieleinrichtung reiche als solcher nämlich nicht aus, um eine Strafbarkeit zu begründen. Auch gegenüber § 284 StGB gelte der Vorrang des Gemeinschaftsrechts und des Verfassungsrechts.

7

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei auch deshalb rechtswidrig, weil die Rechtslage in Bezug auf die Vermittlung von Sportwetten keineswegs als geklärt anzusehen sei. Der Antragsgegner habe im Übrigen sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Er habe fehlerhaft in die Ermessensabwägung das Gemeinschaftsinteresse, also das Interesse daran, dass das europäische Gemeinschaftsrecht einheitlich in der gesamten europäischen Union vollzogen werde, nicht einbezogen. Es müsse deshalb abgewartet werden, bis die streitgegenständliche Rechtsfrage abschließend geklärt sei. Der Antragsgegner habe nicht ausreichend berücksichtigt, welch enorme wirtschaftliche Schäden dem Antragsteller drohen.

8

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 31.03.2005 i.d.F. der Verfügung vom 18.07.2006 wiederherzustellen.

9

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

10

Er wiederholt und vertieft die Gründe der angefochtenen Bescheide und legt dar, welche Maßnahmen zur Einschränkung des Werbe- und Angebotsverhaltens des staatlich konzessionierten Anbieters und zur Schaffung einer neuen gesetzlichen Regelung unternommen wurden.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den Vorgang des Antragsgegners Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Gründe

12

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber nicht begründet.

13

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag bei einer Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen. Neben der Feststellung, ob die schriftliche Anordnung der sofortigen Vollziehung den Anforderungen des Gesetzes entspricht, ist Gegenstand der Prüfung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die Frage, ob ein schutzwürdiges Interesse des Antragstellers, vom Vollzug der Maßnahme bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, gegenüber dem besonderen öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. In diese Abwägung ist die voraussichtliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides mit einzubeziehen.

14

Die schriftliche Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid vom 18.07.2006 erfüllt die Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO.

15

Die Verfügung des Antragsgegners vom 08.09.2005 ist nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angebrachten summarischen Überprüfung aller Voraussicht nach rechtmäßig, die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung vom 18.07.2006 entspricht einem besonderen öffentlichen Vollzugsinteresse.

16

1. Die Tätigkeit des Antragstellers stellt eine Vermittlung nicht erlaubter Sportwetten im Sinne von § 16 NLottG dar und erfüllt den Tatbestand des § 284 StGB. Darin liegt eine Störung der öffentlichen Sicherheit, die ein Einschreiten nach § 14 Abs. 1 Satz 2 NLottG i. V. m. § 11 Nds. SOG rechtfertigt.

17

Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Antragsteller mittels aggressiver Werbung tätig wird und wie weit seine Tätigkeit bei der Wettannahme geht, es liegt eine Vermittlung im Sinne von § 14 Abs. 1 NLottG und jedenfalls eine strafbare Teinahme im Sinne des Tatbestandes des § 284 StGB vor (vgl. dazu Nds. OVG, Beschl. vom 03.11.2003 - 11 ME 369/03 - Rechtsprechungsdatenbank des Nds. OVG; Bay. VGH, Entsch. vom 10.07.2006 - 22 BV 05.457 -, Rechtsprechungsdatenbank des Bay. VHG; OVG NRW, Entsch. vom 28.06.2006 4 B 961/06 - Rechtsprechungsdatenbank des OVG NRW).

18

Der Antragsteller unternimmt die Vermittlung ohne die nach § 3 Abs. 1 NLottG und § 284 StGB notwendige behördliche Erlaubnis. Eine Erlaubnis im Sinne des § 284 StGB ist nur eine deutsche innerstaatliche Erlaubnis, eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 NLottG ist lediglich eine durch das Land Niedersachsen erteilte Erlaubnis. Die dem österreichischen Partner des Antragstellers erteilte Erlaubnis dürfte sich im Übrigen lediglich auf das betreffende österreichische Bundesland beziehen (vgl. zu einer im österreichischen Bundesland Kärnten erteilten Erlaubnis: Bay. VGH aaO.). Dieser Wertung steht Europarecht nicht entgegen. Aus Art. 49 EG ergibt sich nicht, dass in einem Mitgliedsstaat der EU erteilte Erlaubnisse in den anderen EU-Staaten wirksam sind. Vielmehr hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 06.11.2003 (E. - C 243/01 - Rechtsprechungsdatenbank curia.europa-eu -) die Ausgestaltung der Veranstaltung von Sportwetten ausdrücklich den Regelungen der Mitgliedsstaaten überlassen und eben nicht die europaweite Geltung einer Konzession festgestellt (ebenso Nds. OVG, aaO.; Bay. VGH aaO.). Die vom Generalanwalt beim EuGH Colomer in seinem Schlussantrag vom 16.05.2006 ( in den Sachen C 338/04, C 359/04 und 360/04 ) geäußerte andere Rechtsauffassung hat sich der EuGH bisher nicht zu Eigen gemacht.

19

2. Der Antragsgegner war berechtigt, dem Antragsteller diese Tätigkeit zu untersagen, ohne dadurch gegen deutsches Verfassungsrecht (2.1) und europäisches Recht zu verstoßen (2.2).

20

2.1. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen vom 28.03.2006 (1 BvR 1054/01) und vom 04.07.2006 (1 BvR 138/05) festgestellt, dass die derzeitige Praxis des staatlichen Wett-Monopols mit Art. 12 GG unvereinbar ist, jedoch die entsprechenden Regelungen der Landes- Lotteriegesetze in Bayern (die erstgenannte Entscheidung) und Baden-Württemberg (die zweitgenannte Entscheidung) sowie § 284 StGB nicht für nichtig erklärt. Die Errichtung des staatlichen Wettmonopols sei als Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit der privaten Anbieter verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn die zugrunde liegende gesetzliche Regelung durch hinreichende, der Art der beruflichen Betätigung und der Intensität des jeweiligen Eingriffs Rechnung tragende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sei und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Begrenzung und Ordnung des Wettwesens und die Bekämpfung der Spiel- und Wettsucht sowie der Schutz der Spieler vor betrügerischen Machenschaften seien insoweit legitime Ziele. Aus der derzeitigen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols ergebe sich jedoch nicht, dass diese ordnungspolitischen Gründe im Vordergrund stünden und nicht fiskalische. Die Regelungen könnten jedoch bis zum 31.12.2007 der Verfassungsrechtslage angepasst werden. Bis zu einer Neuregelung bleibe die bisherige Rechtslage daher mit der Maßgabe anwendbar, dass das gewerbliche Veranstalten von Sportwetten durch private Wettunternehmen und die Vermittlung von Sportwetten ohne staatliche Konzession - unabhängig davon, ob in der Übergangszeit eine Strafbarkeit nach § 284 StGB vorliege - weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden dürften, sofern die Länder unverzüglich damit begännen, das bestehende staatliche Sportwettmonopol konsequent entsprechend der vom Bundesverfassungsgericht genannten Maßgaben (Rz.157 ff.) am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht auszurichten.

21

Den o.a. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts lässt sich demnach nicht entnehmen, dass es in der Übergangszeit bis zum 31.12.2007 den vom Antragsteller geforderten ungehinderten Marktzugang (ohne Genehmigungsverfahren, ohne spezifische Kontrolle, ohne Einschränkung von Werbemaßnahmen und ohne Entrichtung einer Konzessionsabgabe) für private Wettanbieter geben soll. Denn dieser ungehinderte Marktzugang würde nicht zu den den staatlichen Wettanbietern schon für die Übergangszeit vom Bundesverfassungsgericht aufgelegten Restriktionen passen. Die Folge wäre nicht die vom Bundesverfassungsgericht geforderte bessere Suchtprävention, sondern die Verdrängung der staatlichen Anbieter (vgl. dazu Bay. VGH, aaO.).

22

Dagegen kann der Antragsteller nicht einwenden, dass gem. § 31 BVerfGG die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Übergangsfrist nicht auf die Rechtslage in Niedersachsen anzuwenden sei, da die angeführten Entscheidungen nur zur Rechtslage in Bayern und Baden-Württemberg ergangen seien. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz kommt es auf die direkte Bindungswirkung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung nach § 31 BVerfGG nicht an. Vielmehr ist lediglich eine Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung anzustellen. Im Rahmen dieser Prognose spricht nichts dafür, dass das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Rechtslage in Niedersachsen anders entscheiden wird, als hinsichtlich Bayern und Baden-Württemberg, da die Regelungen der Länder-Lotteriegesetze in wesentlichen Grundzügen identisch sind und § 284 StGB bundesweit gilt (zu diesem Prognosemaßstab vgl. OVG NRW, aaO.).

23

Das Land Niedersachsen hat nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung für seinen Wettanbieter im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts damit begonnen, die Maßgaben des Gerichts umzusetzen. Mit Schriftsatz vom 31.07.2006 und den dazu eingegangenen und dem Antragsteller bekannten Anlagen hat der Antragsgegner seine Umsetzungsmaßnahmen dargelegt. Das Gericht nimmt auf diese Unterlagen Bezug und stellt fest, dass mit den genannten Maßnahmen und Kontrollen eine den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechende Umsetzung der Orientierung des staatlichen Wettangebots an den im Rahmen der Einschränkung des Rechtes aus Art. 12 GG zulässigen ordnungspolitischen Zielen begonnen hat. Dabei war zu berücksichtigen, dass seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem März dieses Jahres erst wenige Monate verstrichen sind, die Maßnahmen deshalb nicht alle schon vollständig umgesetzt werden konnten und die Kontrollen noch nicht überall greifen (vgl. zur ähnlichen Situation in den anderen Bundesländern Bay.VGH und OVG NRW aaO.).

24

Soweit der Antragsteller dagegen anführt, dass sich z. B. aus der Wettzeitschrift "tipp mit" Nr. 31 aus 2006 weiterhin eine aggressive, die Ausweitung des Kundenkreises betreibende und über sachliche Information hinausgehende Werbung von G. ergebe, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Vielmehr stellt sich die Werbung von G. auf der ersten und der letzten Seite als sachliche Information dar, insbesondere wenn man sie mit den Werbungen der Veranstalter "H." und "I." auf den Seiten 5 und 7 dieser Zeitschrift vergleicht, die eindeutig aggressiv und auf die Gewinnung von Neukunden ausgerichtet sind. Außerdem befindet sich auf Seite 36 dieser Zeitschrift der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Warnhinweis auf Suchtgefahren. Ähnlich beurteilt die Kammer die Situation in Bezug auf die Internetauftritte; auch hier steht - unter Berücksichtigung der Kürze der für die Umsetzung zur Verfügung stehenden Zeit und im Vergleich zur Werbung privater Anbieter - die sachliche Information deutlich im Vordergrund.

25

Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass eine Änderung der Gesetzeslage noch nicht erfolgt ist, ist bereits fraglich, ob eine solche vom Bundesverfassungsgericht für die Übergangszeit überhaupt gefordert wird. Allenfalls kann für die Übergangszeit der Beginn des Gesetzgebungsprozesses erwartet werden. Dass dieser eingeleitet ist, hat der Antragsgegner u.a. mit den übersandten Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz belegt.

26

2.2. Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus Gemeinschaftsrecht.

27

Nach dem E. -Urteil des EuGH ( v. 06.11.2003 - C 243/01 - ) sind nationale Beschränkungen der Art. 49, 45, 46 EG möglich, wenn sie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses (Rdnr.65 der Entscheidung) gerechtfertigt sind, fiskalische Interessen nur eine Nebenfolge sind und eine Untersuchung über die Verhältnismäßigkeit der angewendeten Mittel vorliegt bzw. durchgeführt wird. Dabei darf der nationale Gesetzgeber die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die sittlichen und finanziell schädlichen Folgen für den einzelnen wie für die Gesellschaft, die mit Spielen und Wetten einhergehen, berücksichtigen (Rdnr. 63). Das Bundesverfassungsgericht hat bereits in seinen o.a. Entscheidungen zu Art. 12 GG diesen Artikel gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt. Auch gemeinschaftsrechtlich sei ein staatliches Wettmonopol zur Durchsetzung akzeptierter ordnungsrechtlicher Ziele zwar grundsätzlich zulässig, die derzeitige Ausgestaltung entspreche diesen Anforderungen aber nicht in vollem Umfang.

28

Zwar wird die gemeinschaftskonforme Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht nicht von der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG erfasst, jedoch sieht die erkennende Kammer keine Notwendigkeit, ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH nach Art. 234 EG durchzuführen.

29

Nach dem E. -Urteil des EuGH ist der nationale Gesetzgeber berechtigt, nach seinem Ermessen eine ordnungsrechtlich gerechtfertigte nationale Regelung zu erlassen und es ist Sache der nationalen Gerichte, die Vereinbarkeit des nationalen Glücksspielrechts mit Gemeinschaftsrecht zu überprüfen. In den o.a. Entscheidungen ist das Bundesverfassungsgericht als nationales Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass keine grundlegenden gemeinschaftsrechtlichen Bedenken gegen das deutsche System des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, wie es im NLottG und in § 284 StGB zum Ausdruck kommt, bestehen, sondern lediglich die derzeitige Ausprägung den Anforderungen der Eingriffsbefugnis in Art. 12 GG bzw. Art. 49 EG nicht gerecht wird.

30

Die vom Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang gewährte Übergangsfrist bis zum 31.12.2007 wirkt sich auch gemeinschaftsrechtlich aus.

31

Zwar ist - wie der Antragsteller zutreffend ausführt - eine gemeinschaftsrechtliche Übergangsfrist aus bisherigen Entscheidungen des EuGH nicht bekannt. Im Gegensatz zur Auffassung des Antragstellers ergibt sich daraus jedoch nicht, dass wegen des Vorrangs des EU-Rechts die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Übergangsregelung nicht anzuwenden wäre und die angefochtenen Verfügungen rechtswidrig wären.

32

Für dieses Ergebnis werden in der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung verschiedene Begründungen vertreten:

33

Der 24. Senat des Bayerischen VGH (E. v. 03.08.2006 - 24 CS 06.1473 -) ist der Auffassung, dass auf die Frage, ob die Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts gemeinschaftsrechtlich Bestand hat, im aktuellen Zeitpunkt nicht mehr ankomme. Wegen der zwischenzeitlich eingeleiteten, von den Bundesländern und dem Freistaat Bayern veranlassten, Änderungen des Verhaltens des staatlichen Anbieters G. sowie der flankierenden Maßnahmen stelle sich die Situation jetzt - anders als zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - als gemeinschaftsrechtskonform dar.

34

Das OVG NRW (aaO.) leitet aus dem ebenfalls europaweit geltenden Prinzip der Rechtssicherheit ab, dass die vom Bundesverfassungsgericht gefundene Übergangsregelung auch gemeinschaftsrechtlich vor dem EuGH Bestand hätte. Eine solche Übergangsregelung sei dem Gemeinschaftsrecht immanent, wenn die sonst eintretende Regelungslosigkeit zu unerträglichen Konsequenzen führe. Der EuGH habe dieses zwar bisher nicht ausdrücklich gesagt, aber in zahlreichen Fällen die Frage der unerträglichen Konsequenz geprüft. Eine solche unerträgliche Konsequenz entstehe bei Nichtanwendbarkeit der nationalen Regelung dann, wenn absehbar eine erhebliche Gefährdung der allgemeinen Interessen bestehe, die schwerer wiege, als die Beeinträchtigung der europarechtlich geschützten Rechtsgüter. Bei Wegfall der nationalen Regelungen unterlägen die privaten Sportwetten nur den Einschränkungen des Gewerberechts, die den besonderen Gefahren nicht ausreichend Rechnung trügen, die in drohender Spielsucht, Verbraucherschutz, Begleit- und Folgekriminalität bestünden. Bei der Interessenabwägung sei insoweit auch zu berücksichtigen, dass die Investitionsentscheidungen der privaten Anbieter in Kenntnis der unklaren Rechtslage getroffen worden seien. Zu berücksichtigen sei hier auch, dass die bisherigen, staatlichen Anbieter den durch das Bundesverfassungsgericht verhängten Einschränkungen unterlägen, die privaten Anbieter demgegenüber nicht.

35

Der Hessische VGH ( E. v. 25.07.2006 - 11 TG 1465/06 -) nimmt nicht - wie das OVG NRW - eine vorübergehende Suspendierung des Gemeinschaftsrecht an, sondern sieht den Vorrang des Gemeinschaftsrechts auch bei Anwendung der Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts gewahrt. Denn der EuGH habe in der E. - Entscheidung den Mitgliedsstaaten ausdrücklich das Recht eingeräumt, ein gemeinschaftsrechtskonformes Wettmonopol zu errichten. Daraus folge, dass es dem Mitgliedsstaat auch möglich sein müsse, während des Übergangs zu einem den Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts entsprechenden Zustand unter vorübergehender Anwendung des geltenden Rechts keine private Veranstaltung oder Vermittlung von Sportwetten zuzulassen, wenn durch die Zulassung der Privaten die auf Herbeiführung eines gemeinschaftskonformen staatlichen Wettmonopols ausgerichtete Konzeption und damit gewichtige Allgemeininteressen gefährdet werden. Da es auf dem Sportwettensektor noch kein einheitliches Sekundärrecht gebe und das allgemeine Gewerberecht keinen ausreichenden Schutz böte, bestehe bei einem einseitigen Rückzug des Staates bzw. der staatlichen Anbieter die Gefahr einer weiteren Verschlechterung der Lage für potentiell Suchgefährdete.

36

Nach Auffassung des 22. Senats des Bayrischen VGH ( E. v. 10.07.2006 - 22 BV 05.457 ) haben die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des Art. 12 GG keine Bindungswirkung nach § 31 BverfGG. Es sei jedoch trotzdem kein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 durchzuführen. Denn weder nach dem E. -Urteil noch nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich eine generelle Unvereinbarkeit des Systems des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt mit Verfassungsrecht bzw. Gemeinschaftsrecht.

37

Ausgehend von dieser - vom 22. Senat des Bayerischen VGH herausgearbeiteten - Differentzierung zwischen den Verbotsnormen und den Strafandrohungen ist allein das System des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, nicht die Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols, im vorliegenden Fall streitgegenständlich. Der Antragsteller hat zweifelsfrei keine deutsche Konzession, die österreichische Konzession seines Geschäftspartners wirkt in Deutschland nicht (s.o.) und er hat keine Konzession beantragt. Das Vermitteln von Sportwetten durch ihn verstößt damit gegen das Verbot, ohne Konzession solche Wetten anzubieten. Das Prinzip des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt entspricht der Dienstleistungsfreiheit, nach dem E. -Urteil des EuGH wäre sogar ein generelles Verbot möglich. Ausschlaggebend ist mithin im vorliegenden Fall nur, dass der Antragsteller ohne Konzession tätig wird. Damit verstößt er gegen die Regelung des § 284 StGB. Zwar hat der EuGH im E. -Urteil Bedenken gegenüber der Verhältnismäßigkeit der dortigen Bestrafungsmöglichkeit anklingen lassen. Die Bedenken des EuGH gegen die Verhältnismäßigkeit der Strafbarkeit und die Bedenken des Bundesverfassungsgerichts gegenüber der derzeitigen Ausgestaltung der staatlich monopolisierten Wetten sind aber vom Prinzip des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt zu trennen. Entsprechend diesem Gedankengang hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom März 2006 ausgeführt, dass das private gewerbliche Veranstalten von Sportwetten weiterhin als verboten anzusehen ist und die Strafbarkeit des Tätigwerdens der privaten Sportwettenanbieter während der Übergangszeit nicht vom Bundesverfassungsgericht, sondern von den Strafgerichten zu entscheiden ist. Mit dieser Ausführung hat das Bundesverfassungsgericht deutlich getrennt zwischen § 284 StGB als Verbotsnorm und der Strafandrohung. Denkbar ist ohne Weiteres, dass die Strafgerichte zu der Entscheidung kommen, dass wegen der ungeklärten Rechtslage eine Bestrafung nicht oder nur in geringem Umfange erfolgt, an der Tatsache des Verbots ändert dies aber nichts.

38

Die gemeinschaftsrechtliche Akzeptanz der vom Bundesverfassungsgericht geschaffenen Übergangsregelung ergibt sich auch aus Folgendem:

39

Im E. -Urteil hat der EuGH die Gestaltung des nationalen Rechts der Sportwetten der nationalen Gesetzgebung überlassen und die Kontrolle den nationalen Gerichten (Rdnr. 75). Davon wird auch die vom Bundesverfassungsgericht als "Ersatzgesetzgeber" wahrgenommene, auf § 35 BverfGG beruhende "Notkompetenz" zur Durchsetzung der Verfassungsbindung und mittelbar auch zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts erfasst (Bay. VGH, 22. Senat, E. v. 10.07.2006, aaO.) Wie bereits oben unter 1. dargestellt, entspricht die derzeitige Situation den "Maßgaben" des Bundesverfassungsgerichts. Diese Maßgaben entsprechen nach Auffassung der beschließenden Kammer (da § 31 BverfGG insoweit nicht anwendbar ist) aus den vom Bundesverfassungsgericht zum gemeinschaftskonform ausgelegten Art. 12 GG genannten Gründen den im E. -Urteil genannten Vorgaben des Gemeinschaftsrechts.

40

3. Demnach ist während der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Übergangszeit bis zum 31.12.2007 unter Berücksichtigung der vom Antragsgegner eingeleiteten Maßnahmen auch unter dem Gesichtspunkt des Gemeinschaftsrechts ordnungsrechtlich die Möglichkeit gegeben, das Anbieten dieser unkonzessionierten Wetten zu untersagen. Die Untersagungsverfügung entspricht auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, denn eine Untersagung ist die einzige Möglichkeit, den im unerlaubten Anbieten von Sportwetten nicht konzessionierter Veranstalter liegenden Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit zu unterbinden. Die angefochtenen Verfügungen sind daher aller Voraussicht nach rechtmäßig. Das Interesse des Antragstellers, von ihrem Vollzug einstweilen verschont zu bleiben muss hinter dem öffentlichen Vollzugsinteresse zurücktreten, zumal die Investitionsentscheidungen des Antragstellers in Kenntnis der unklaren Rechtslage getroffen wurden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 53, 52 Abs. 2 GKG.