Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.07.1987, Az.: 1 An 41/87

Rückwirkende Aufhebung einer Kinderzuschussbewilligung; Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung; Pflicht zur Mitteilung wesentlicher und nachteiliger Änderungen der Verhältnisse des Leistungsbeziehers eines Kinderzuschusses; Kenntnis vom Wegfall der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kinderzuschuss

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
10.07.1987
Aktenzeichen
1 An 41/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1987, 20218
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:1987:0710.1AN41.87.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 10.02.1987 - AZ: S 9 An 148/86

Fundstelle

  • NJW 1989, 1109-1110 (Volltext mit red. LS)

Der 1. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle hat
ohne mündliche Verhandlung
am 10. Juli 1987
durch
den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht H...,
die Richterin am Landessozialgericht A...
den Richter am Landessozialgericht L.... sowie
die ehrenamtlichen Richter H.... und S...
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 10. Februar 1987 wird in vollem Umfange und der Bescheid vom 4. Juni 1986 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1986, insoweit aufgehoben, als damit die Kinderzuschußbewilligung für die Zeit vom 1. Mai 1985 bis 30. Juni 1986 aufgehoben und der in dieser Zeit gezahlte Kinderzuschuß zurückgefordert wird.

  2. 2.

    Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.

Tatbestand

1

Die Beklagte fordert vom Kläger Kinderzuschuß zurück.

2

Mit Bescheid vom 1. Juni 1983 hatte die Beklagte dem 1920 geborenen Kläger - er ist Diplom-Holzwirt - vorgezogenes Altersruhegeld ab 1. Juli 1983 mit Kinderzuschuß für seine am 20. April 1960 geborene Tochter C ... gewährt, die in G ... Betriebswirtschaftslehre studierte. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 8. Mai 1986 eine Immatrikulationsbescheinigung für das Sommersemester 1986 mit der Bitte um Berücksichtigung bei der Rentenanpassung 1986 übersandt hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 4. Juni 1986 die Bewilligung des Kinderzuschusses für C ... mit Wirkung ab 1. Mai 1985 mit Bezug auf§ 48 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) auf: C ... habe das 25. Lebensjahr vollendet. Versehentlich sei zum Kinderzuschuß kein Termin notiert worden, so daß der Wegfallbescheid nicht rechtzeitig habe erteilt werden können. Außerdem forderte die Beklagte Erstattung des von Mai 1985 bis einschließlich Juni 1986 zu Unrecht gezahlten Kinderzuschusses in Höhe von 2.140,60 DM gemäß § 50 SGB 10. Der Kläger widersprach der Rückforderung mit der Begründung, die "versehentliche" Weiterzahlung habe die Beklagte zu vertreten und könne nicht ihm angelastet werden. Mit Schreiben vom 10. Juli 1986 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die zum Bescheid vom 4. Juni 1986 versehentlich nicht durchgeführte Anhörung nach § 24 SGB 10 werde nunmehr nachgeholt: Durch den Bescheid vom 1. Juni 1983 habe der Kläger gewußt, daß seiner Tochter nach Vollendung des 25. Lebensjahres ein Anspruch auf Kinderzuschuß nicht mehr zustehe. Auf das Verschuldensprinzip komme es dabei nicht an. Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24. September 1986 mit Bezug auf § 48 Abs 1 Nr 4 SGB 10 zurück.

3

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Hildesheim Klage erhoben mit dem Antrag, die angefochtenen Bescheide insoweit aufzuheben, als sie sich rückwirkend auf die Zeit vom 1. Mai 1985 bis 30. Juni 1986 beziehen. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Vorwurf, eine Pflicht zur Mitteilung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse verletzt zu haben, sei unberechtigt. Den 25. Geburtstag seiner Tochter hätte er der Beklagten nicht mitzuteilen brauchen, weil dieser das Geburtsdatum der Tochter aus dem Rentenantrag bekannt gewesen sei. Auch wehre er sich gegen den Vorwurf, gewußt oder grob fahrlässig nicht gewußt zu haben, daß der Anspruch auf Kinderzuschuß kraft Gesetzes weggefallen sei. Er sei davon ausgegangen, daß der Kinderzuschuß - ebenso wie das bis 1983 für C ... bezogene Kindergeld - bis zum 27. Lebensjahr gezahlt werde. In diesem guten Glauben habe er auch die Immatrikulationsbescheinigung für das Sommersemester 1986 an die Beklagte übersandt. Sein Irrtum sei auch durch die Weiterzahlung des Kinderzuschusses über das 25. Lebensjahr hinaus bestätigt worden. Als Diplom-Holzwirt kenne er sich mit der ständigen Änderung des Rentenrechts nicht aus und habe sich auf die Rechtmäßigkeit der Zahlungen des Kinderzuschusses über das 25. Lebensjahr hinaus verlassen. Die Weiterzahlung beruhe allein darauf, daß die Beklagte die Vollendung des 25. Lebensjahres seiner Tochter übersehen habe.

4

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 10. Februar 1987 - mit im wesentlichen folgender Begründung - abgewiesen: Zwar könne die rückwirkende Aufhebung der Kindergeldbewilligung nicht mit § 48 Abs 1 Nr 2 SGB 10 begründet werden, weil dem Kläger nicht vorgeworfen werden könne, grob fahrlässig oder gar vorsätzlich die Vollendung des 25. Lebensjahres seiner Tochter nicht mitgeteilt zu haben. Das Geburtsdatum der Tochter habe die Beklagte gekannt, und davon habe der Kläger ausgehen können. Die rückwirkende Aufhebung könne jedoch auf § 48 Abs 1 Nr 4 SGB 10 gestützt werden. Der Kläger habe vom Wegfall des Anspruchs auf Kinderzuschuß nicht gewußt, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe. Im Rentenbescheid sei er ausdrücklich auf den Höchstgewährungszeitraum für Kinderzuschuß hingewiesen worden. Aufgrund der darin enthaltenen Ausführungen hätte er erkennen können und müssen, daß Kinderzuschuß nicht - wie Kindergeld - bis zum 27. Lebensjahr gewährt werde. Der Erstattungsanspruch folge aus § 50 Abs 1 SGB 10. Das SG hat die Berufung zugelassen.

5

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt er im wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag und verwahrt sich gegen den Vorwurf, eine Sorgfaltspflicht in besonderes schwerem Maße iS des § 48 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 10 verletzt zu haben. Ihm sei nicht bewußt gewesen, daß der Kinderzuschuß mit Vollendung des 25. Lebensjahres seiner Tochter wegfalle. Er sei vielmehr davon ausgegangen, daß Kinderzuschuß - in gleicher Weise wie Kindergeld - bis zum 27. Lebensjahr gezahlt werde. Da er bis 1983 Kindergeld bezogen gehabt habe, sei ihm "bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres" im Gedächtnis gewesen. Sein guter Glaube an die Rechtmäßigkeit der strittigen Kindergeldzahlungen erweise sich auch dadurch, daß er noch 1986 die Immatrikulationsbescheinigung für das Sommersemster 1986 an die Beklagte übersandt habe. Das insoweit aufklärende Merkblatt der Beklagten (Hinweisblatt Vordruck 4.3530) habe er erst mit dem Bescheid vom 4. Juni 1986 erhalten. Er habe sich darauf verlassen und verlassen dürfen, daß die Beklagte für wichtige Termine Wiedervorlagefristen notiere und ihm beim Wegfall des Anspruchs auf Kinderzuschuß einen entsprechenden Bescheid gesandt haben würde. Da ihm ein solcher nicht zugegangen sei, habe er die Zahlung des Kinderzuschusses über das 25. Lebensjahr hinaus für rechtmäßig gehalten. Der Kläger bezieht sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. April 1986 - Az.: 4a RJ 81/84 - und das zugrunde liegende Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 18. Juli 1984 - Az.: L 1 J 26/84 -, die er beide in Kopie vorlegt, und beantragt nach seinem Vorbringen,

das Urteil des SG Hildesheim vom 10. Februar 1987 in vollem Umfange und den Bescheid vom 4. Juni 1986 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 1986 insoweit aufzuheben, als damit die Kinderzuschußbewilligung für die Zeit vom 1. Mai 1985 bis 30. Juni 1986 aufgehoben und der in dieser Zeit gezahlte Kinderzuschuß zurückgefordert wird.

6

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

7

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und erwidert, es müsse, wenn ein Versicherungsträger Kinderzuschußüber die gesetzlich zulässige Grenze hinaus gewähre, davon ausgegangen werden, daß er irrtümlich handele. Wenn der Kläger geglaubt habe, ihm stehe Kinderzuschuß für ... bis zu deren 27. Lebensjahr zu, so habe er zu erkennen gegeben, daß er die Mitteilungen und Hinweise des Versicherungsträgers über die Gewährung von Kinderzuschuß nicht vollständig durchgelesen habe; dies rechtfertige den Vorwurf grober Fahrlässigkeit.

8

Die den Kläger betreffenden Akten der Beklagten haben vorgelegen und sind der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Darauf und auf die Prozeßakten wird wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Soweit sie die rückwirkende Aufhebung der Kinderzuschußbewilligung für die Zeit vom 1. Mai 1985 bis 30. Juni 1986 - also einen bereits abgelaufenen Zeitraum - betrifft und deswegen an sich gemäß § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unzulässig ist, ist sie gleichwohl statthaft, weil das SG die Berufung zugelassen hat, § 150 Nr 1 SGG. Hinsichtlich der Rückforderung des Kinderzuschusses für die vorgenannte Zeit folgt die Zulässigkeit der Berufung bereits aus §§ 143, 149 SGG, weil der Beschwerdewert der Rückerstattungsforderung 1.000,-- DMübersteigt.

10

Die Berufung ist auch begründet, denn die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig, als damit die Kinderzuschußbewilligung für die Zeit vom 1. Mai 1985 bis 30. Juni 1986 aufgehoben und der in dieser Zeit gezahlte Kinderzuschuß zurückgefordert worden ist.

11

1.

Die rückwirkende Aufhebung der Kinderzuschußbewilligung für die Zeit ab 1. Mai 1985 ist nicht gerechtfertigt. Als Rechtsgrundlage für diese Aufhebung kommt (nur)§ 48 SGB 10 in Frage, der die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse regelt. Das Erreichen eines bestimmten - rentenrechtlich relevanten - Lebensalters stellt sich als wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB 10 dar (Urteile des BSG in "Sozialrecht" - SozR - 1300 § 48 Nr 13 und 17; ebenso in dem vom Kläger zitierten Urteil vom 03.04.1986 - Az.: 4a RJ 81/84 -). Eine solche Änderung war hier eingetreten. Die Tochter des Klägers hatte am 20. April 1985 das 25. Lebensjahr vollendet und damit das Alter erreicht, bis zu dem nach § 39 Abs 3 S 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) längstens ein Kinderzuschuß gewährt wird. Die in Satz 3 dieser Vorschrift aufgeführten Voraussetzungen für eine Gewährung von Kinderzuschußüber das 25. Lebensjahr hinaus liegen unstreitig nicht vor.

12

Diese wesentliche Änderung der Verhältnisse berechtigte indessen keine rückwirkende Aufhebung der Kinderzuschußbewilligung für die Zeit ab 1. Mai 1985, wie sie die Beklagte mit Bescheid vom 4. Juni 1986 vorgenommen hat. Mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse soll ein Verwaltungsakt ua dann aufgehoben werden, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10. Diese Voraussetzung hat das SG zu Recht verneint. Zwar hat ein Empfänger von Sozialleistungen Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistungen erheblich sind, dem zuständigen Leistungsträger unverzüglich mitzuteilen, § 60 Abs 1 Nr 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 1). Eine solche Pflicht hat der Kläger jedoch nicht grob fahrlässig - erst recht nicht vorsätzlich - verletzt, weil er annehmen durfte, daß die Beklagte - der das Geburtsdatum seiner Tochter seit Rentenantragstellung bekannt war - das allein durch kalendermäßigen Zeitablauf vorgegebene Datum der Vollendung des 25. Lebensjahres ohne entsprechenden Hinweis seinerzeit würde feststellen können.

13

Eine rückwirkende Aufhebung der Kinderzuschußbewilligung ist auch nicht nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 10 gerechtfertigt. Das würde voraussetzen, daß der Betroffene wußte oder nicht wußte, weil der die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Die hier auftauchende Frage, ob es überhaupt einer Aufhebung eines Sozialleistungen bewilligenden Verwaltungsaktes bedarf, wenn - wie hier - der Anspruch auf die Sozialleistung kraft Gesetzes weggefallen ist (vgl S 6 bis 8 des vom Kläger zitierten BSG-Urteils vom 3. April 1986), kann dahingestellt bleiben. Da die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid die Kinderzuschußbewilligung aufgehoben hat, war die Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes auch unter dem Gesichtspunkt der Nr 4 des § 48 Abs 1 S 2 SGB 10 zu prüfen. Hinzu kommt ??, daß die nach Nr 4 dieser Vorschrift angeordnete Prüfung, ob der Leistungsempfänger den Wegfall des Anspruches kraft Gesetzes gekannt oder nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe, erkennbar auch die Funktion hat, die Erstattung der rechtsgrundlos bezogenen Leistungen, für die die Aufhebung des leistungsgewährenden Verwaltungsaktes nach§ 50 Abs 1 S 1 SGB 10 präjudiziell ist, nur unter den gleichen einengenden Voraussetzungen zuzulassen, wie in dem Fall, daß die Sozialleistungen "ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind" (§ 50 Abs 2 SGB 10). Die Voraussetzungen des§ 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 10 müßten mithin jedenfalls bei Prüfung des Rückforderungsanspruches, dessen Rechtmäßigkeit sich nach § 50 SGB 10 richtet, geprüft werden.

14

Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht gegeben. Es läßt sich nicht feststellen, daß der Kläger wußte oder grob fahrlässig nicht wußte, daß sein Anspruch auf Kinderzuschuß mit Ablauf des Monats April 1985 kraft Gesetzes weggefallen war. Daß er dies nicht wußte, ergibt sich daraus, daß er noch mit Schreiben vom 8. Mai 1986 eine Immatrikulationsbescheinigung für das Sommersemester 1986 mit der Bitte um Berücksichtigung bei der Rentenanpassung vorgelegt hat.

15

Es ist auch nicht erwiesen, daß der Kläger vom Wegfall des Anspruchs auf Kinderzuschuß deshalb nicht wußte, "weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt" hätte. Eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße - gleichbedeutend mit dem Begriff der "groben Fahrlässigkeit" iS des§ 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB 10 (BSG in SozR 1300§ 48 Nr 14) - setzt voraus, daß der Leistungsempfänger unter Berücksichtigung seiner individuellen Urteils- und Kritikfähigkeit seine Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Ausmaß verletzt hat; es muß eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegen, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt (BSGE 42, 184, 187 [BSG 31.08.1976 - 7 RAr 112/74]; 47, 28, 33). Eine Sorgfaltspfichtverletzung solchen Ausmaßes liegt hier nicht vor.

16

Zwar ist davon auszugehen, daß der Kläger aufgrund seiner Vorbildung als promovierter Diplom-Holzwirt zur Zeit der Erteilung des Altersruhegeldbescheides vom 1. Juni 1983 in der Lage war, aufgrund der in diesem Bescheid enthaltenen generellen Informationen über Kinderzuschuß den voraussichtlichen Zeitpunkt des Wegfalls seines Anspruches auf Kinderzuschuß zu erkennen. Daß er sich dessen in der Zeit nach Vollendung des 25. Lebensjahres seiner Tochter nicht (mehr) bewußt war, ist jedoch nicht eine Folge besonders schwerer Sorgfaltspflichtverletzung im oben aufgezeigten Sinne. In tatsächlicher Hinsicht glaubt ihm der Senat, daß er darauf vertraut hat, die strittigen Kindergeldzahlungen seien rechtmäßig. Dies folgt vornehmlich aus der Unbefangenheit, mit der er noch im Mai 1986 eine Immatrikulationsbescheinigung für das Sommersemester 1986 mit der Bitte um Berücksichtigung an die Beklagte übersandt hat. Wäre dieses Vertrauen auf sorglose Ignoranz oder schlechthin abwegige Vorstellungen von der Rechtslage gegründet gewesen, so wäre eine Verletzung der Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maße denkbar. Das ist indessen nicht der Fall. Die vom Kläger als für sein Vertrauen ursächlich angegebenen Motive - die ihm nicht widerlegt werden können, sondern vielmehr glaubhaft sind - stellen sich gegenüber dem Vorwurf grob fahrlässiger Sorgfaltspflichtverletzung als schlüssige Entlastungsmomente dar.

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Das gilt zunächst für die - objektiv irrige - Meinung, der Kinderzuschuß werde grundsätzlich bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gewährt. Diese Meinung ist dadurch entstanden, daß der Kläger die zeitlichen Grenzen der Gewährung für Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (vgl dessen § 2 Abs 3) im Auge gehabt hat. Diese Einlassung ist glaubhaft: Alsbald nach Gewährung des Altersruhegeldes hatte das Arbeitsamt Göttingen - Kindergeldkasse - durch Bescheid vom 13. Juni 1983 die Bewilligung des Kindergeldes für die Zeit ab Juli 1983 mit der Begründung aufgehoben, Kindergeld dürfe nicht für Kinder gewährt werden, für die Kinderzuschuß zu einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zustehe. Es liegt nahe, daraus auf Parallelfunktion von Kindergeld und Kinderzuschuß und deshalb auf gleichlange Gewährungsdauer zu schließen. Das Vertrauen des Klägers auf die Rechtmäßigkeit der Kinderzuschußzahlungen erhielt eine zusätzliche Stütze durch die Erwartung, die Beklagte werde - da ihr das Geburtsdatum seiner, Tochter bekannt gewesen sei - bei Wegfall der Anspruchsgrundlagen die Zahlungen einstellen und ihm darüber einen Bescheid erteilen. Die dabei von ihm erwogene Möglichkeit, der zeitliche Umfang des Anspruches auf Kinderzuschuß könne sich inzwischen durch gesetzliche Neuregelungen geändert haben, ist angesichts wiederholter kurzfristiger Änderungen des § 39 AVG (- zB Neufassung des Abs 1 S 1 durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 vom 22.12.1983 - BGBl I S 1532 - und des Abs 2 durch das Adoptionsanpassungsgesetz vom 24.06.1985 - BGBl I S 1144 -) keinesfalls abwegig. Unkenntnis vom Wegfall des Anspruchs auf Kinderzuschuß infolge Verletzung erforderlicher Sorgfalt in besonders schwerem Maße kann dem Kläger nach alldem nicht angelastet werden.

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2.

Eine Forderung auf Erstattung des von Mai 1985 bis Juni 1986 gezahlten Kinderzuschusses von 2.140,60 DM steht der Beklagten nicht zu.

19

Soweit die Beklagte einen Erstattungsanspruch auf § 50 Abs 1 S 1 SGB 10 gestützt hat, fehlt es an einem - rechtmäßig - aufgehobenen Verwaltungsakt. Wie oben ausgeführt, war die rückwirkende Aufhebung des Bescheides vom 1. Juni 1983über Bewilligung von Kinderzuschuß für die Zeit ab 1. Mai 1985 nicht gerechtfertigt.

20

Aus § 50 Abs 2 SGB 10 folgt ebenfalls kein Erstattungsanspruch. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht sind, unter entsprechender Anwendung der§§ 45 und 48 SGB 10 zu erstatten. Selbst wenn man, die - bereits oben angesprochene - Frage, ob es beim Wegfall eines Anspruches kraft Gesetzes überhaupt noch einer Aufhebung des leistungsgewährenden Bescheides bedarf, verneint und die nach dem Wegfallzeitpunkt gewährten Leistungen als "ohne Verwaltungsakt" iS des § 50 Abs 2 S 1 SGB 10 erbracht ansieht, ist ein Erstattungsanspruch nach Satz 2 dieser Vorschrift nur unter den einengenden Voraussetzungen der§§ 45 und 48 SGB 10 möglich. Die Voraussetzungen des § 48 SGB 10 - nur dieser kommt hier in Frage - liegen aber, wie ausgeführt, nicht vor.