Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.08.1997, Az.: 7 B 91/95
Ansehung eines auf die Tätigkeit einer Personen-Handelsgesellschaft zurückzuführenden umweltgefährdenden Zustands als Verbindlichkeit i.S.d. § 128 Handelsgesetzbuch (HGB); Anwendbarkeit der Vorschriften des HGB im Falle der Begründung einer Haftung und den Fall ihrer Beendigung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.08.1997
- Aktenzeichen
- 7 B 91/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 24738
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1997:0825.7B91.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - AZ: 7 B 91/95
Rechtsgrundlagen
- § 128 HGB
- § 159 HGB
- § 35 Abs. 1 NAbfG
- § 45 Abs. 2 NAbfG
Amtlicher Leitsatz
Die Verpflichtung einer Personen-Handelsgesellschaft zur Beseitigung eines auf ihre Betätigung zurückzuführenden umweltgefährdenden Zustand ist eine "Verbindlichkeit" im Sinne des § 128 HGB, für die die Gesellschafter persönlich haften. Diese Haftung unterliegt der Verjährung nach Maßgabe des § 159 HGB.
Aus den Gründen
Die Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehung einer Anordnung des Antragsgegners, mit Schwermetallen kontaminierte Spielplätze in einem Wohngebiet auf dem früheren Gelände einer bis 1965 dort betriebenen Papierfabrik zu sanieren. Betreiberin dieser Fabrik war zuletzt eine GmbH & Co KG, aus deren persönlich haftender Gesellschafterin die Antragstellerin im Wege der Umwandlung hervorgegangen ist. Die auf dem früheren Betriebsgelände festgestellten Bodenbelastungen beruhen nach Auffassung der von dem Antragsgegner beauftragten Sachverständigen auf Betriebsrückständen der Papierfabrik, insbesondere auf Röstofenschlacke, die bei der Produktion der für die Zellulosegewinnung benötigten Schwefelsäure aus Schwefelkies in einem Drehofen angefallen, an bestimmten Stellen des Betriebsgeländes gelagert und nach dem Erwerb des Geländes durch eine Wohnungsbaugesellschaft - die gleichfalls vom Antragsgegner zur Sanierung herangezogene B. GmbH - großflächig auf diesem Gelände verteilt worden war.
Die Antragstellerin hat gegen die an sie gerichtete Sanierungsverfügung vom 4. Dezember 1995, die sich auf fünf Spielplätze und einen Teich bezieht, Widerspruch erhoben, über den noch nicht entschieden ist. Auf ihren Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluß vom 8. Mai 1996, auf dessen Gründe Bezug genommen wird, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt.
Hiergegen hat der Antragsgegner Beschwerde erhoben, die er mit Schreiben vom 5. August 1996, bei Gericht eingegangen am 8. August 1996, auf zwei Spielplätze begrenzt hat. Er beantragt insoweit die Ablehnung des Aussetzungsantrags.
Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf ihren schriftlichen Vortrag, wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die im Senat vorliegenden Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, der Antragstellerin den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, ist nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat sich dabei mit Recht davon leiten lassen, daß das Rechtsmittel der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich Erfolg haben wird, weil erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen.
Rechtsgrundlage dieser Verfügung ist § 35 Abs. 1 des Niedersächsischen Abfallgesetzes - NAbfG -. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde die Maßnahmen zur Sicherung oder Sanierung anordnen, die erforderlich sind, um eine von einer Altlast ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Diese Bestimmung sagt nicht, wer Adressat solcher Anordnungen sein kann. Insoweit ist gemäß § 45 Abs. 2 NAbfG das Niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz (NGefAG) ergänzend anzuwenden (Kix/Nernheim/Wendenburg, § 35 NAbfG Anm. 2; vgl. Beschl. d. Sen. v. 7.3.1997 - 7 M 3628/96). Der Antragsgegner hat - gestützt auf § 6 NGefAG - die Antragstellerin als Gesamt-Rechtsnachfolgerin der Verursacherin der Gefahr herangezogen. Der Senat hat bereits mehrfach die rechtliche Möglichkeit einer Gesamtrechtsnachfolge in "abstrakte" Polizeipflichten bejaht (Beschl. v. 7.1.1993 - 7 M 5684/92 - NJW 1993, 1671; vom 7.3.1997 - 7 M 3628/96).
Hier ist allerdings zu berücksichtigen, daß nicht die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin Betreiberin der Papierfabrik und somit für die dort entstandenen schadstoffhaltigen Betriebsrückstände verantwortlich war, sondern die KG, deren Komplementärin die Rechtsvorgängerin war. Sofern nicht ein Organ der Komplementärgesellschaft eine individuelle Verantwortlichkeit traf (was der Antragsteller nicht substantiiert behauptet hat), bestimmte sich deren Verantwortlichkeit nach außen ausschließlich nach § 128 i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB. Nach § 128 HGB haften die Gesellschafter den Gläubigern gegenüber persönlich und gesamtschuldnerisch für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Unter "Verbindlichkeiten" im Sinne dieser Vorschrift sind alle Verpflichtungen gleichgültig welchen Inhalts und auf welcher Rechtsgrundlage zu verstehen, mithin auch solche, die im öffentlichen Recht wurzeln (Baumbach/Duden/Hobt, HGB, 28. Aufl., § 128 Anm. 1 B). Der Senat hat keine Bedenken, auch gesetzliche Handlungspflichten aufgrund ordnungsrechtlicher Vorschriften zu den "Verbindlichkeiten" im Sinne des § 128 HGB zu rechnen, welche ihrerseits Gegenstand einer Gesamtrechtsnachfolge sein können.
Nach § 159 HGB verjähren jedoch Ansprüche gegen einen Gesellschafter aus § 128 HGB fünf Jahre nach der Auflösung der Gesellschaft, beginnend mit dem Tage nach der Eintragung der Auflösung im Handelsregister. Wenn die Inanspruchnahme eines Gesellschafters wegen ordnungsrechtlicher Verpflichtungen der Gesellschaft auf § 128 HGB beruht, muß hierfür auch die Verjährungsvorschrift des § 159 HGB gelten. Dem steht nicht entgegen, daß die Ordnungspflicht selbst keiner Verjährung unterliegt. Insoweit muß zwischen der im öffentlichen Recht wurzelnden originären Ordnungspflicht und der im Zivilrecht begründeten Haftung eines Gesellschafters unterschieden werden. Es geht nicht an, nur für die Begründung einer Haftung für ordnungsrechtliche Gesellschaftsverpflichtungen, nicht aber für die Beendigung dieser Haftung auf die Vorschriften des HGB zurückzugreifen.
Nach Angabe der Antragstellerin (S. 12 ihrer Antragsschrift vom 27.12.1995) wurde die Auflösung der Gesellschaft am 26. November 1974 in das Handelsregister eingetragen. Eine Gesellschafterhaftung über den 26. November 1979 hinaus konnte somit nur unter den Voraussetzungen des § 159 Abs. 3 HGB bestehen. Diese Vorschrift läßt sich indessen auf (abstrakte) Polizeipflichten, die mit der Verursachung der Gefahr entstehen, nicht - auch nicht entsprechend - anwenden. Die Verpflichtung zur Beseitigung eines ordnungswidrigen, gefahrträchtigen Zustandes wirkt zwar fort, solange dieser Zustand besteht; "fällig" ist sie aber vom Beginn dieses Zustandes an.
Wenn man davon ausgeht, daß sich eine vorher latente Gefahr erst mit der Verteilung der schadstoffhaltigen Betriebsrückstände auf die später für Spielplätze in Anspruch genommenen Flächen realisiert hat, und wenn man die Bedenken gegen die Annahme einer in diesem Fall auch die ehemalige Betreiberin treffende Verhaltensverantwortlichkeit überwindet, verschieben sich der Beginn und das Ende der Verjährung nicht nennenswert. Die Bodenbewegungen auf dem ehemaligen Fabrikgelände fanden - soweit dies den Akten zu entnehmen ist - bereits vor 1975 statt.
Die Antragstellerin konnte sich darum wirksam auf den Eintritt der Verjährung gemäß § 159 HGB berufen (vgl. Bl. 45 ihrer Antragsschrift).