Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 04.07.2000, Az.: 3 A 4112/98

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
04.07.2000
Aktenzeichen
3 A 4112/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 35547
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2000:0704.3A4112.98.0A

In der Verwaltungsrechtssache

...

Streitgegenstand: Förderung nach dem NPflegeG

hat das Verwaltungsgericht Hannover - 3. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2000 durch die Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts Merz-Bender, die Richterin am Verwaltungsgericht Niewisch-Lennartz und die Richterin am Verwaltungsgericht Jeremias-Ochsmann sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Werner und Zanot für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Der Bescheid der Beklagten vom 04.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 05.05.1998 wird aufgehoben.

  2. Der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

  3. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

  4. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin betreibt das Senioren- und Pflegeheim ... in ..., dessen Inbetriebnahme sie mit Schreiben vom 15.10.1997 für den Januar 1998 nach dem Heimgesetz anzeigte. Am 16.02.1998 beantragte sie hierfür bei der Beklagten Förderung gemäß § 12, hilfsweise gemäß § 13 Niedersächsisches Pflegegesetz (NPflegeG).

2

Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 04.03.1998 mit folgenden Erwägungen ab: Die Voraussetzungen für die Förderungsfähigkeit nach § 8 Abs. 1 und 2 NPflegeG lägen nicht vor, dies schlösse eine Förderung nach §§ 12 oder 13 NPflegeG aus. Zum einen könnten Pflegeeinrichtungen nur gefördert werden, wenn sie durch einen Versorgungsvertrag mit den Landesverbänden der Pflegekassen zugelassen seien oder eine Pflegesatzvereinbarung nach § 85 SGB XI vorläge. Beides sei nicht der Fall. Weiter setze eine Förderung voraus, dass die Einrichtung erforderlich sei, um die notwendige pflegerische Versorgungsstruktur sicherzustellen. Weil die im Gesetz vorgesehenen Pläne noch nicht vorlägen, habe er dies nach dem Runderlass des Nds. Sozialministeriums unter Berücksichtigung der örtlich gegebenen pflegerischen Versorgungsstruktur zu beurteilen. Er gehe davon aus, dass für 2 % der über 65 Jahre alten Bewohner Pflegeplätze vorgehalten werden müssten. Danach sei ein erheblicher Pflegeplatzüberhang gegeben, denn es seien nach diesem Schlüssel nur 1 786 Pflegeplätze erforderlich, während es tatsächlich 4 275 Pflegeplätze gebe. Dies führe zu einem Überhang von 2 489 Pflegeplätzen. Auch in der Stadt ... bestehe ein Überangebot in Höhe von 157 Pflegeplätzen. Ein Bedarf an weiteren vollstationären Dauerpflegeplätzen bestehe daher nicht.

3

Hiergegen legte die Klägerin am 11.03.1998 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, ein tatsächlicher Bedarf bestehe und zeige sich darin, dass alle Plätze in der Einrichtung bereits vergeben seien. Der Bedarf orientiere sich nicht nur an der Anzahl älterer Bürger, sondern auch an strukturellen Veränderungen in der Altersklasse der Pflegenden.

4

Diesen Widerspruch wies die Bezirksregierung Hannover mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.1998 zurück: Die Förderungsfähigkeit setze Erforderlichkeit voraus. Einen Pflegerahmenplan oder einen örtlichen Pflegeplan gebe es nicht. Nach den Orientierungsdaten zur Entwicklung des Pflegebedarfs könne die Erforderlichkeit der Einrichtung der Klägerin nicht bejaht werden.

5

Hiergegen hat die Klägerin am 03.06.1998 Klage erhoben. Sie hält ihre Einrichtung für erforderlich im Sinne des NPflegeG. Mittlerweile seien sowohl ein Versorgungsvertrag als auch eine Pflegesatzvereinbarung geschlossen worden. Der Beklagten sei bei der Entscheidung auch bekannt gewesen, dass beide Verträge sich im Unterschriftsverfahren befunden hätten. Da ein örtlicher Pflegeplan nicht existiere, sei es dem Beklagten nicht möglich, den Bedarf an Pflegesätzen festzusetzen. Nach dem Runderlass des Nds. Sozialministeriums hätte der Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Berücksichtigung der örtlich gegebenen pflegerischen Versorgungsstruktur über die Erforderlichkeit entscheiden müssen. Dieses Ermessen habe der Beklagte fehlerhaft ausgeübt. Er beziehe sich bei der Bedarfsprüfung nur auf die Orientierungsdaten zur Entwicklung des Pflegebedarfs des Nds. Sozialministeriums aus dem Dezember 1996. Ob diese Orientierungsdaten geeignet seien, sei nicht überprüft worden. Der Beklagte sei lediglich von Platzzahlen und der demographischen Bevölkerungsentwicklung ausgegangen. Wesentliche Kriterien für die Auswahl eines Heimes wie Modernität der Einrichtungen, ihre Lage und Ausstattung seien außer Acht gelassen worden. Beachtet habe der Beklagte auch nicht, dass ihre Einrichtung bei Fertigstellung bereits voll belegt gewesen sei und derzeit eine Warteliste von 124 Bewerbern bestehe. Es würden daher keine freien Betten gefördert werden. Darüber hinaus lägen die förderungsfähigen Investitionskosten wesentlich unter denen vergleichbarer Einrichtungen. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten führe zu einer Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Angesichts der Förderung anderer Einrichtungen stelle die Nichtförderung ihrer Einrichtung eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar. Die Vorgehensweise der Beklagten führe zu einem geschlossenen Markt. Das Ziel des SGB XI, einen Wettbewerb hinsichtlich der Leistungsanbieter zu schaffen, werde so konterkariert.

6

Die Klägerin beantragt,

  1. den Beklagten zu verpflichten die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden und den Bescheid der Beklagten vom 04.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Hannover vom 05.05.1998 aufzuheben,

7

Der Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

8

Zur Begründung bezieht er sich zunächst auf die angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor: Da die im Gesetz vorgesehenen Pläne noch nicht erstellt worden seien, berufe er sich auf die "Orientierungsdaten zur Entwicklung des Pflegebedarfs" des Nds. Sozialministeriums vom 21.08.1997. Darin seien die genauen Zahlen der Pflegebedürftigen in Alten- und Pflegeheimen im Jahr 1994 für alle Kreise bzw. kreisfreien Städte und die prognostizierte Entwicklung bis zum Jahr 2010 wiedergegeben worden. Unter Berücksichtigung dieser Zahlen ergebe sich kein weiterer Bedarf an Pflegeplätzen. Die Einrichtung der Klägerin sei daher nicht erforderlich. Sie habe ihr Ermessen auch pflichtgemäß ausgeübt, denn sie habe eine genaue Analyse der örtlichen Gegebenheiten vorgenommen. Der Rechtsbegriff des Bedarfs stelle eine Wertung dar, die nicht von der tatsächlichen Nachfrage abhängig sei. Auch eine Warteliste habe keine Aussagekraft hinsichtlich der Nachfrage, da sich zukünftige Heimbewohner im Durchschnitt in drei Einrichtungen auf die Warteliste setzen lassen würden.

9

Wegen des weiteren Sachverhalts im Einzelnen und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagen verwiesen, der beigezogen wurde und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

10

Zur Entscheidung des Streitverfahrens ist das angerufene Verwaltungsgericht Hannover zuständig. Für Streitigkeiten um die Investitionsförderung von Pflegeeinrichtungen ist gem. § 40 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ( BVerwG, B.v. 23.12.1998 - 3 B 22/98 -, NVwZ-RR 99, 316 (nur Leitsatz); LSG Rheinland-Pfalz, U.v. 19.08.1999 - L 5 P 33/98 -).

11

Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage nach § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch darauf, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu beschieden zu werden.

12

Die von der Klägerin letztlich begehrte Förderung für Investitionen nach § 12 NPflegeG bzw. die Gewährung bewohnerbezogener Aufwendungszuschüsse nach § 13 NPflegeG kann nur erfolgen, wenn die Klägerin die allgemeinen Förderungsvoraussetzungen des § 8 NPflegeG erfüllt. Dies setzt zunächst voraus, dass sie nach §§ 72 oder 73 des SGB XI zugelassen ist und eine Pflegesatzvereinbarung nach § 85 Abs. 1 SGB XI oder eine Vergütungsvereinbarung nach § 89 Abs. 1 SGB XI abgeschlossen oder das Schiedsverfahren nach § 85 Abs. 5 SGB XI eingeleitet hat. Diese Voraussetzungen liegen mittlerweile vor.

13

Weiter verlangt § 8 Abs. 2 NPflegeG, dass die nach § 15 Abs. 1 NPflegeG zuständige Stelle feststellt, dass die Einrichtung oder Maßnahme erforderlich ist, um die notwendige pflegerische Versorgungsstruktur sicherzustellen. Auch dann ist eine Versagung möglich, wenn die Förderung einer Pflegeeinrichtung zugute käme, bei der es sich nicht um eine ortsnahe Einrichtung von angemessener Größe handelt

14

Die Prüfung des Gerichts hat zu dem Ergebnis geführt, dass die Einrichtung der Klägerin erforderlich ist, um die notwendige pflegerische Versorgungsstruktur sicherzustellen (1). Da die Einrichtung der Klägerin mehr als 40 Betten umfasst, hat der Beklagte nach Maßgabe der folgenden Erwägungen erneut zu entscheiden, ob die Größe der Einrichtung einer positiven Feststellungsentscheidung entgegensteht. (2).

  1. 1.

    Was unter einer notwendigen pflegerischen Versorgungsstruktur zu verstehen ist, ist in § 1 Abs. 1 NPflegeG definiert. Danach soll es Ziel des Gesetzes sein, eine leistungsfähige, wirtschaftliche und räumlich gegliederte Versorgungsstruktur zu gewährleisten, die in einer ausreichenden Anzahl von Pflegeeinrichtungen eine ortsnahe, aufeinander abgestimmte, dem allgemein anerkannten medizinisch-pflegerischen Erkenntnisstand entsprechende ambulante, teilstationäre und vollstationäre Versorgung der Pflegebedürftigen sicherstellt. Zur Planung und Sicherstellung dieser Struktur sieht das Gesetz in seinen §§ 3 und 4 vor, dass auf Landesebene ein Pflegerahmenplan und auf ihm basierend örtliche Pflegepläne erstellt werden. Nach § 23 Abs. 1 und 2 NPflegeG hätten der Pflegerahmenplan bis zum 31. Dezember 1997 und die örtlichen Pflegepläne bis zum 30.06.1997 erstellt werden sollen.

    Dies ist bisher nicht geschehen. Die Prüfung der im Gesetz genannten Voraussetzungen muss daher ohne Zuhilfenahme der genannten Pläne vorgenommen werden, damit den Förderungsempfängern durch deren Fehlen keine rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteile entstehen. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass anderen Einrichtungen die von der Klägerin begehrte Förderung zuteil wird, kann auch wegen des damit verbundenen Wettbewerbsnachteils der Klägerin die begehrte Feststellung nach § 8 NPflegeG nicht unter Hinweis auf die fehlenden Pläne nach § 3 und 4 NPflegeG verweigert werden.

    Der zur näheren Ausgestaltung der Prüfungsvoraussetzungen ergangene Runderlass des Nds. Sozialministeriums vom 05.08.1996 (107.2 - 43590/1.4. - VORIS 83000010100003 -) nennt folgende Kriterien.:

    1. 1.

      Da kein Pflegeplan vorliegt, sind sonstige Unterlagen heranzuziehen,

    2. 2.

      die örtlich gegebene pflegerische Versorgungsstruktur ist zu berücksichtigen,

    3. 3.

      die Entscheidung ist nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmen.

    Diese Kriterien sind zur Beurteilung der in § 8 NPflegeG genannten Voraussetzungen unzureichend. Die Ziffern 1. und 2. benennen Allgemeingut. Da es um die Beurteilung der Sachlage geht, müssen selbstverständlich Unterlagen herangezogen werden, und da es bereits nach dem Wortlaut des Gesetzes darum geht, festzustellen, ob eine Einrichtung erforderlich ist, um die notwendige pflegerische Versorgungsstruktur sicherzustellen, ist auch der Hinweis, dass die örtlich gegebene pflegerische Versorgungsstruktur zu berücksichtigen sei, nicht weiterführend. Geradezu in die Irre führt hingegen die Ziff. 3. des Runderlasses, denn sie erweckt den Eindruck, die Entscheidung über die hier zu treffende Feststellung stehe im Ermessen des Beklagten. Dies ist nicht zutreffend.

    Voraussetzung für eine positive Feststellungsentscheidung ist, dass die Einrichtung der Klägerin erforderlich ist. Die "Erforderlichkeit" ist ein klassischer unbestimmter Rechtsbegriff, der von den Verwaltungsgerichten voll zu überprüfen ist. Eine Formulierung, die eine Ermessensentscheidung eröffnen würde, ist dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen.

    Auch ein Beurteilungsspielraum wird der Beklagten bei der Auslegung dieser Begriffe nicht eröffnet. In einem solchen Fall muss das Gericht - innerhalb von ihm gesteckter Toleranzgrenzen - Beurteilungen der Behörde hinnehmen, ohne sie durch eigene ersetzen zu dürfen (Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. § 31 Rdnr. 18). Davon kann dann ausgegangen werden, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwaltungsentscheidung so schwierig ist, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt ( BVerfG, Beschl.v. 17.04.1991 - 1 BvR 419/81 E 84, 34, 50 -). Davon wird z.B. dann ausgegangen, wenn Prüfungs- und Leistungsurteile oder ähnliche Entscheidungen mit Zügen eines Gutachtens zu überprüfen sind oder wenn sogenannte Einschätzungsprärogativen und Prognoseermächtigungen der Entscheidung zugrunde liegen.

    Die erstgenannte Fallkonstellation ist hier ausgeschlossen, da es nicht um eine Prüfungsentscheidung oder Ähnliches geht. In Betracht kommt allenfalls eine Einschätzungsprärogative. Davon wird dann ausgegangen, wenn es um die Anwendung von Begriffen mit stark politischem Gehalt geht, vor allen Dingen, wenn Planungs- und Programmgesetze angewendet werden müssen. Anerkannt als Einschätzungsprärogative wurde z.B. die Würdigung der "gesamtwirtschaftlichen Lage und Entwicklung" durch die Kartellbehörde, Importquotenentscheidungen nach dem Außenwirtschaftsgesetz und die Feststellung "öffentlicher Verkehrsinteressen" bei der Zulassung neuer Taxen nach dem Personenförderungsgesetz. Nicht anerkannt als Einschätzungsprärogative wurden die "Belange der Bundesrepublik Deutschland" nach § 21 AuslG, Kriterien der Krankenhausplanung, "öffentliche Belange" im Rahmen der Bauleitplanung und Förderkriterien nach § 2 Investitionszulagengesetz (Schmidt-Aßmann in Maunz//Herzog/Dürig, GG, Art. 19 Rdnr. 197).

    Vergleicht man die hier gegenüber gestellten Begriffe, ist die nach § 8 NPflegeG zu klärende Frage der Erforderlichkeit, um die notwendige pflegerische Versorgungsstruktur sicherzustellen, der 2. Gruppe zuzuordnen. Bei dem zentralen Begriff der Erforderlichkeit handelt es sich um einen klassischen unbestimmten Rechtsbegriff ohne politischen Inhalt. Anders verhält es sich bei der näheren Definition der "notwendigen pflegerische Versorgungsstruktur", ein Begriff, der sicherlich einen planerischen Inhalt hat und auch politischen Orientierungen Raum gibt. Dem hat der Gesetzgeber durch das Erfordernis der Aufstellung von Pläne gem. §§ 3, 4 NPflegeG Rechnung getragen. Da sich die Exekutive dieser Möglichkeit begeben hat, sind keine Grenzen der gerichtlichen Überprüfbarkeit gegeben (anders: VG Speyer, Urt v. 26.05.1998 - S 13 P 63/97 in Pflegerecht 99, S. 75 zu dem im Landesrecht in der Parallelbestimmung verwandten Begriff der Bedarfsgerechtigkeit).

    Der Beklagte ist bei seiner Prüfung bereits von einem unrichtigen, weil lückenhaften Tatsachenmaterial ausgegangen. Er hat seiner Entscheidung die "Orientierungsdaten zur Entwicklung des Pflegebedarfs" des Nds. Sozialministeriums vom 21.08.1997 zugrundegelegt. Darin ist die genaue Zahl der Pflegebedürftigen in Alten- und Pflegeheimen im Jahre 1994 genannt, die unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung fortgeschrieben wurde. Die Beklagte ist damit zunächst allein von einem Bedarf in quantitativer Sicht ausgegangen und hat diese Zahl allein unter demographischen Gesichtspunkten hochgerechnet. Bei einer solchen Vorgehensweise können all die Gesichtspunkte nicht berücksichtigt werden, die neben der reinen Altersentwicklung Einfluß auf den Bedarf an Pflegeplätzen nehmen. Zu nennen sind hier Änderungen im Pflegeverhalten der Bevölkerung. Im wesentlichen werden die Aufgaben der Pflege von Frauen wahrgenommen. Zunehmend wachsen hier jedoch Generationen nach, in denen sich die Pflegebereitschaft wegen zunehmender Berufstätigkeit notwendig ändert. Derartige soziale und gesellschaftliche Entwicklungen werden in einer rein demographischen Prognose nicht berücksichtigt. Weiter fehlt bei der Orientierung allein an der Zunahme der Zahl alter Menschen die Berücksichtigung der Pflegebedürftigen, die unter 65 Jahre alt sind. Pflegebedürftigkeit besteht nicht nur wegen der Folgen des Alters, sondern kann auch auf seelischer oder geistiger Krankheit oder Behinderung beruhen. Diese gesamte Fallgruppe ist damit in die Entwicklung der Fallzahlen nicht einbezogen worden.

    Besonders evident wird die Fehlerhaftigkeit der Prognose durch das Auseinanderfallen von errechnetem Bedarf und tatsächlich vorhandenen und - wie sich in der mündlichen Verhandlung herausgestellt hat - belegten Pflegeplätzen. Eine Bedarfsermittlung kann nicht richtig sein, wenn sie so eklatant den sich objektiv manifestierenden Bedarf ignoriert. Der Vertreter der Beklagten hat dazu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, viele Heimbewohner stammten ursprünglich nicht aus ihrem Zuständigkeitsbereich. Es handele sich um alte Menschen, die in den Landkreis zögen, weil sie ein Heim in unmittelbarer Nähe ihrer Familie suchten, die mittlerweile Wohnsitz dort genommen hätte. Dies läßt die Fehlerhaftigkeit der Prognose nicht entfallen, sondern bestätigt sie geradezu. Alle Deutschen - auch alte und pflegebedürftige Menschen - genießen gem. Art. 11 GG im ganzen Bundesgebiet Freizügigkeit. Auch derartigen Innenmigrationseffekten muss eine Prognose nach § 8 NPflegeG Rechnung tragen. Ein durch Zuzug entstehender Bedarf ist in die pflegerische Versorgungsstruktur einzustellen, denn der Beklagte hat auch den Bedarf der Neubürger sicherzustellen. Als Argument, um die Richtigkeit der Bedarfsermittlung trotz deutlicher Abweichung von der Zahl der tatsächlich belegten Heimplätze (mehr als das Doppelte) zu belegen, ist der Umstand des Zuzugs ungeeignet.

    Darüber hinaus erschöpft eine allein quantitative Betrachtungsweise den Begriff der Erforderlichkeit für die notwendige pflegerische Versorgungsstruktur nicht. Zur Auslegung dieses Begriffs ist auf die Grundlagen des Gesetzes zurückzugreifen. Das NPflegeGesetz setzt § 9 SGB XI um. Danach sind die Länder verantwortlich für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur. Das Nähere zur Planung und zur Förderung der Pflegeeinrichtungen wird durch Landesrecht bestimmt. Zur finanziellen Förderung der Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen sollen Einsparungen eingesetzt werden, die den Trägern der Sozialhilfe durch die Einführung der Pflegeversicherung entstehen. Nach der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf (BR-Drucks. 505/93, S. 135 bis 137) zu § 72 Abs. 3 SGB XI soll die Beschränkung der Zulassungsvoraussetzungen auf die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung, den Landesverbänden der Pflegekassen die Möglichkeiten geben, Pflegeeinrichtungen auch über den aktuellen Versorgungsbedarf hinaus zur Pflege der Versicherten zuzulassen. Dadurch soll ein geschlossener Markt der zugelassenen Pflegeeinrichtungen verhindert, neuen innovativen Leistungsanbietern der Zugang zum "Pflegemarkt" offengehalten und so der Wettbewerb unter den Pflegeeinrichtungen gefördert werden. Daraus ergibt sich, dass das Ziel des SGB XI und damit auch des auf ihm beruhenden NPflegeG sich nicht in einer quantitativen Abdeckung des Pflegebedarfs erschöpft, sondern auch den Aufbau und die Sicherung eines breit gefächerten qualitativen Angebots erreichen will, das verschiedenen Bedürfnissen Rechnung trägt und dem einzelnen Versicherten die Möglichkeit einräumt, eine Pflegeeinrichtung zu wählen, die sowohl seinen ökonomischen Möglichkeiten als auch seinen sonstigen sozialen und kulturellen Vorstellungen entspricht/Gern. § 11 Abs. 2 SGB XI sind daher bei allen Entscheidungen die Vielfalt der Träger von Pflegeeinrichtungen zu wahren sowie deren Selbständigkeit, Selbstverständnis und Unabhängigkeit zu achten. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB XI besteht - ähnlich wie im Bereich der Jugendhilfe (§ 4 Abs. 2 SGB VIII) - ein Vorrang der gemeinnützigen und privaten gegenüber öffentlichen Trägern.

    Es ist bereits zweifelhaft, ob eine Bedarfssteuerung durch die Gewährung von Fördermitteln überhaupt mit den Zielen des SGB XI in Übereinstimmung zu bringen ist (ablehnend: LSG Rheinland-Pfalz, a.a.O.; Dalichau/Grüner/Müller-Alten, SGB XI, § 9 II.1). Dies kann an dieser Stelle offen bleiben, weil jedenfalls eine Bedarfssteuerung der hier vorgenommenen Art rechtswidrig ist. Keinesfalls kann eine - rechtmäßige - Bedarfsberechnung so gestaltet werden, dass neue Einrichtungen grundsätzlich von der Förderung ausgeschlossen bleiben, weil wegen des nach Auffassung des Beklagten bestehenden Überhangs an Pflegeplätzen kein Bedarf besteht. Diese reine quantitative Bedarfsbetrachtung entspricht weder den Zielen des § 8 NPflegeG noch der Intention des SGB XI. Sie kann ihre Berechtigung auch nicht darin finden, aus dem errechneten Überhang auf einen "Wildwuchs" zu schließen, der durch Förderungsentscheidungen beschnitten werden solle (Matthiesen, Was bringt das Niedersächsische Pflegegesetz? in: Nds. VBl. 97, 127, 129). Zum einen ist - wie bereits ausgeführt wurde - die Methode der Bedarfsberechnung grundsätzlich nicht geeignet, ein vor dem Hintergrund des SGB XI relevantes Überangebot an Pflegeplätzen festzustellen. Die weiter dort aufgestellte These, ein solches Überangebot schaffe seinen Bedarf selbst, wird durch nichts belegt, und kann daher weder die Ermittlungsmethode noch die Interpretation des Ergebnisses rechtfertigen.

    Darüber hinaus stellt diese Vorgehensweise einen Eingriff in das Marktgeschehen dar, der umso schwerer wiegt, als die entscheidende Behörde selbst Teilnehmer am Wettbewerb ist. Sie unterhält selbst Pflegeeinrichtungen, die - wie der Tagesspresse zu entnehmen war - mit erheblichen Belegungsproblemen zu kämpfen hatten. Sie trägt objektiv durch ihre Entscheidung dafür Sorge, dass eigene Einrichtungen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Mitbewerbern erhalten, denn durch die Förderung der Investitionskosten müssen die Bewohner der eigenen Heime geringere Heimentgelte aufbringen. Durch die mit der Entscheidung des Beklagten verbundene Verweigerung der Investitionsförderung wird unter Verletzung von Art. 3 GG in das Eigentumsrecht der Klägerin(Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb) nach Art. 14 GG ebenso eingegriffen wie in den Anspruch der Pflegebedürftigen, auf ein breit gefächertes Pflegeangebot.

    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Beklagte in seiner konkreten Entscheidung rechtswidrig handelte. Darüber hinaus kommt die Kammer zum Ergebnis, dass die Einrichtung der Klägerin im Sinne des § 8 Abs. 2 NPflegeG erforderlich ist.

    Allerdings stehen zu dieser Feststellung dem Gericht ebenso wenig wie dem Beklagten die in § 3 NPflegeG genannten Pläne zur Verfügung. Auch differenzierte Angaben über die Struktur der Pflegebedürftigen und das vorgehaltene Angebot im Zuständigkeitsbereich des Beklagten sind nicht gegeben. Es ist allerdings auch nicht Aufgabe des Gerichtes, im Rahmen der Amtsermittlung die notwendigen Erhebungen durchzuführen und damit planerischen Entscheidungen des Landes und des Beklagten vorzugreifen. Ausreichend aber auch aussagefähig genug ist hinsichtlich der Erforderlichkeit der Einrichtung der Klägerin hier, dass sich so viele Pflegebedürftige für ihr Angebot entschieden haben, dass von einer Vollbelegung ausgegangen werden kann. Dies wird von der Beklagten nicht bestritten. Dieser Umstand zeigt, dass ihr Angebot hinsichtlich der Qualität der geleisteten Pflege, der Rahmenbedingungen des Hauses und der finanziellen Gestaltung der Heimverträge so attraktiv ist, dass - trotz der Vielzahl der vorhandenen Pflegeplätze - so viele Pflegebedürftige sich für dieses Haus entschieden haben. Offensichtlich entsprechen andere vorgehaltene Pflegeangebote den Vorstellungen der Pflegebedürftigen in geringerem Umfang. Gerade diese Auswahlmöglichkeit sollte durch das SGB XI geschaffen werden. Sollten tatsächlich Pflegeplätze in Einrichtungen im Eigentum der öffentlichen Hand leerstehen, hätte sich jetzt schon die Erwartung erfüllt, dass eine bessere Leistungserbringung längerfristig in der Hand der frei gemeinnützigen und privaten Träger gewahrt werde (Dalichau/Grüner/Müller-Alten, a.a.O., § 11).

  2. 2.

    Obwohl sich die Entscheidung des Beklagten, die Einrichtung der Klägerin sei nicht erforderlich im Sinne des § 8 NPflegeG, als rechtswidrig erwiesen hat, konnte die Kammer den Beklagten nicht zur Feststellung der Erforderlichkeit verpflichten. Die Klägerin hat zu Recht ihren Antrag auf die Verpflichtung zur Neubescheidung beschränkt. Der Gesetzgeber hat es in § 8 Abs. 2 S. 2 NPflegeG in das Ermessen des Beklagten gestellt, auch erforderlichen Einrichtungen im Sinne des § 8 Abs. 2 S. 1 NPflegeG die Förderungsfähigkeit dann nicht zuzuerkennen, wenn sie nicht ortsnah oder von unangemessener Größe sind. Nach den internen Richtlinien werden davon alle Einrichtungen erfasst, die mehr als 40 Plätze vorhalten. Dies ist bei der Einrichtung der Klägerin der Fall.

    Der Beklagte wird bei der neu zu treffenden Entscheidung zu berücksichtigen haben, dass ihre Entscheidung sowohl der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG als auch dem Recht der freien Berufsausübung des Art. 12 Abs. 1 GG als auch dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG Rechnung zu tragen hat. Dies bedeutet, dass allein die Zahl der Pflegeplätze eine Ablehnung nicht rechtfertigt. Auch die Größe der Einrichtung ist zur Nachfrage und dem dort vorgehaltenen Angebot in Beziehung zu setzen. Dabei ist in die Ermessenserwägungen einzustellen, ob das Angebot der Klägerin, das offensichtlich stark nachgefragt wird - dieser Vortrag der Klägerin blieb in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen - eventuell gerade deshalb von hohem Niveau sein kann, weil eine bestimmte Größe überschritten wird. Wenn also die Größe gerade eine, besondere Qualität erst ermöglicht, kann dieser Gesichtspunkt nicht gegen die Förderungsfähigkeit ins Feld geführt werden. Weiter hat der Beklagte bei der Entscheidung unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG zu beachten, ob er in Fällen anderer Einrichtungen vergleichbarer Größe die Förderungsfähigkeit nach § 8 NPflegeG bejaht hat. Unter diesen Umständen würde sich eine auf diesen Gesichtspunkt gestützte Ablehnung als ermessensfehlerhaft erweisen.

15

Da der Beklagte im Verfahren unterlegen ist, hat er gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

Merz-Bender
Niewisch-Lennartz
Jeremias-Ochsmann
Werner
Zanot