Gemäß Artikel 4 i. V. m. Nummer 12 des Anhangs der Richtlinie 98/58/EG des Rates vom 20.7.1998 über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere (ABl. EG Nr. L 221 S. 23), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) des Rates vom 14.4.2003 (ABl. EU Nr. L 122 S. 1), sind Tiere, die nicht in Gebäuden untergebracht sind, soweit erforderlich und möglich u. a. vor Raubtieren zu schützen, wobei u. a. die Tierart sowie ihre physiologischen und ethologischen Bedürfnisse entsprechend praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu berücksichtigen sind. Diese Vorgabe ist Cross-Compliance-relevant.
Umgesetzt in nationales Recht findet sich diese Vorgabe in § 2 des Tierschutzgesetzes i. V. m. § 3 Abs. 2 Nr. 3 TierSchNutztV wieder. Danach müssen Haltungseinrichtungen so ausgestattet sein, dass u. a. die Tiere, soweit möglich, vor Beutegreifern geschützt werden. Die Formulierungen in der EG-Richtlinie, ebenso wie die in der TierSchNutztV, verdeutlichen, dass ein absoluter Schutz vor Raubtieren oder Beutegreifern nicht möglich und insofern auch nicht gefordert ist.
Bei der Abwägung der Frage, ob und ggf. welche (Mindest-) Anforderungen, auch im Rahmen von Cross Compliance, in diesem Zusammenhang von Seiten der Behörde gestellt werden müssen, ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einzelfallbezogen zu urteilen. Faktoren, die hier zu berücksichtigen sind, sind z. B.
die tatsächliche Gefährdungslage (Vorkommen von Raubtieren oder Beutegreifern, wie z. B. Wölfen, Füchsen oder Greifvögeln etc. in der Umgebung, beobachtetes Rissverhalten oder Beuteschema);
vorliegende Möglichkeiten, Schutzmaßnahmen zu ergreifen (z. B. rechtliche Möglichkeit zum Errichten von Zäunen, Verbringen der Tiere in geschützte Räumlichkeiten in den Dämmerungs- und Nachtstunden, Herdenschutztiere);
die Art der Nutztierhaltung (Stallhaltung oder Freiland- bzw. Weidehaltung oder Wander[schaf]haltung);
die gehaltene Tierart (z. B. Schafe sind bezüglich Wölfen gefährdeter als Rinder, aber bezüglich Füchsen oder Greifvögeln weniger gefährdet als Geflügel, Schutz von Jungtieren durch die Herde z. B. bei Rindern).
Beispiel 1: Für Milch- oder Fleischrinder stellt die gängige Form der Weidehaltung (Herdenhaltung - bei der Fleischrinderhaltung auch einschließlich Kälbern - unter Einzäunung mit ein bis zwei Reihen Stacheldraht oder einem eindrahtigen Elektrozaun) in der Regel auch in Wolfsgebieten einen ausreichenden Schutz dar, der tierschutzrechtlichen Vorgaben nicht widerspricht und daher auch nicht als Cross-Compliance-relevanter Verstoß zu ahnden ist.
Beispiel 2: Bei der Freilandhaltung von Geflügel können - abhängig von Art und Alter der Tiere - für den erforderlichen Schutz vor Greifvögeln Unterschlupfmöglichkeiten, z. B. durch Gebüsch, als ausreichend angesehen werden.
Gemäß Artikel 97 i. V. m. Artikel 99 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.12.2013 über die Finanzierung, die Verwaltung und das Kontrollsystem der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. EU Nr. L 347 S. 549; 2016 Nr. L 130 S. 9), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) 2016/791 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2016 (ABl. EU Nr. L 135 S. 1), ist eine Sanktionierung im Rahmen von Cross Compliance nur dann vorzunehmen, wenn der betreffenden Betriebsinhaberin oder dem betreffenden Betriebsinhaber ein festgestellter Verstoß unmittelbar anzulasten ist oder ihr oder ihm fahrlässiges oder vorsätzliches Handeln nachzuweisen ist.
Sofern etwaig getroffene Schutzmaßnahmen von der zuständigen Behörde geprüft und aus fachlicher und rechtlicher Sicht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles als ausreichend oder Schutzmaßnahmen als nicht notwendig eingestuft wurden, ist davon auszugehen, dass bei der Verletzung eines Nutztieres durch ein Raubtier oder einen Beutegreifer kein Verstoß nach Fachrecht und dann auch kein Cross-Compliance-relevanter Verstoß vorliegt. In Zweifelsfällen wird eine Abstimmung zu den erforderlichen und umsetzbaren Maßnahmen zwischen Tierhalterin oder Tierhalter und Veterinärbehörde angeraten.
Die Anforderungen der "Richtlinie Wolf" (siehe Bezugserlass) sind als Voraussetzung für die Zahlung von Billigkeitsleistungen erlassen worden. Solche Billigkeitsleistungen werden als freiwillige Unterstützung des Staates zur Minderung der Schäden bei Nutztieren durch die Rückkehr der Tierart Wolf nach Niedersachsen gewährt. Diese Richtlinie stellt nicht die (Mindest-)Anforderungen zur Einhaltung der tierschutzrechtlichen Erfordernisse dar. Grundsätzlich kann die Umsetzung dieser Anforderungen aber erforderlich werden, wenn die Gefahrenlage dieses geboten erscheinen lässt. Es ist nachzuregulieren, wenn ein Übergriff nicht einmalig erfolgt, sondern häufigere Übergriffe auf dieselbe Tierhaltung vorkommen.
Die Frage, ob etwaig getroffene Schutzmaßnahmen zur Erfüllung der Anforderungen der Richtlinie 98/58/EG und der TierSchNutztV hinsichtlich des Schutzes von Nutztieren vor Raubtieren oder
Beutegreifern ausreichend sind, ist einzelfallbezogen zu beantworten. Das gilt sowohl
im Rahmen der fachlichen Anforderungen als auch im Rahmen von Cross Compliance.