Versionsverlauf

Pflichtfeld

§ 21a NPsychKG - Behandlung gegen den natürlichen Willen zur Herstellung der Voraussetzungen freier Selbstbestimmung

Bibliographie

Titel
Niedersächsisches Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG)
Amtliche Abkürzung
NPsychKG
Normtyp
Gesetz
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
21069040000000

(1) Eine Behandlung der Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 1 Nr. 1 gegen den natürlichen Willen der untergebrachten Person ist zulässig, wenn

  1. 1.

    die untergebrachte Person zur Einsicht in die Schwere ihrer Krankheit oder Behinderung und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist,

  2. 2.

    eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 Satz 1 BGB, deren Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen und die die Durchführung der Behandlung untersagt, nicht vorliegt,

  3. 3.

    ein der Behandlung entgegenstehender Wille, den die untergebrachte Person in einwilligungsfähigem Zustand geäußert hat, auch im Übrigen nicht ermittelbar ist,

  4. 4.

    die untergebrachte Person über die beabsichtigte Behandlung und ihre Wirkungen in einer ihren Verständnismöglichkeiten und ihrem Gesundheitszustand entsprechenden Weise angemessen informiert worden ist,

  5. 5.

    der ernsthafte, mit dem erforderlichen Zeitaufwand und ohne Ausübung von Druck unternommene Versuch einer zuständigen Ärztin oder eines zuständigen Arztes, eine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu der Behandlung zu erreichen, erfolglos geblieben ist,

  6. 6.

    die Behandlung ausschließlich dem Ziel dient, die tatsächlichen Voraussetzungen freier Selbstbestimmung der untergebrachten Person so weit wie möglich wiederherzustellen, um ihr die Chance der Beendigung der Unterbringung zu eröffnen,

  7. 7.

    die Behandlung zur Erreichung ihres Ziels geeignet ist, nach ihrer geplanten Art und Dauer einschließlich der Auswahl und Dosierung der Medikamente sowie der begleitenden Kontrollen erforderlich ist, weniger eingreifende Behandlungen aussichtslos sind und

  8. 8.

    der Nutzen der Behandlung die mit ihr einhergehenden Belastungen und den möglichen Schaden bei Nichtbehandlung deutlich überwiegt.

(2) Die beabsichtigte Behandlung Volljähriger bedarf der Anordnung des Betreuungsgerichts. Die beabsichtigte Behandlung Minderjähriger bedarf der vorherigen Anhörung der Sorgeberechtigten durch die ärztliche Leitung sowie der Anordnung des Familiengerichts; § 167 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) findet mit der Maßgabe entsprechende Anwendung, dass die für Unterbringungssachen nach § 312 Nr. 4 FamFG geltenden Vorschriften auch auf die Anordnung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme anzuwenden sind. Die Anordnung oder die einstweilige Anordnung der Behandlung ist durch die ärztliche Leitung bei dem nach Satz 1 oder 2 zuständigen Gericht schriftlich zu beantragen.

(3) Die Behandlung ist nach Maßgabe des Inhalts der Beschlussformel des Gerichts durch die ärztliche Leitung schriftlich anzuordnen. In der ärztlichen Anordnung sind die Art und Dauer der Behandlung einschließlich der Auswahl und Dosierung der Medikamente, die nach dem Inhalt der Beschlussformel des Gerichts zulässig sind, die Art und Dauer der begleitenden Kontrollen sowie die Intensität der erforderlichen ärztlichen Überwachung anzugeben.

(4) Die zuständige Ärztin oder der zuständige Arzt informiert die untergebrachte Person und ihre gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Vertreterin oder ihren gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter über die Inhalte der Beschlussformel des Gerichts zu Art und Dauer, zur Durchführung sowie zur Dokumentation der angeordneten Behandlung und über die gegen die Anordnung des Gerichts möglichen Rechtsbehelfe. Die zuständige Ärztin oder der zuständige Arzt erläutert auch die Inhalte der ärztlichen Anordnung nach Absatz 3 und teilt den beabsichtigten Beginn der Behandlung rechtzeitig mit.

(5) Die Behandlung ist durch die zuständige Ärztin oder den zuständigen Arzt zu überwachen. Sie ist nach Maßgabe des Inhalts der Beschlussformel des Gerichts, mindestens jedoch unter Angabe der maßgeblichen medizinischen Gründe für ihre Anordnung, ihres Zwangscharakters, der Art und Weise ihrer Durchführung, der vorgenommenen Kontrollen und der Überwachung der therapeutischen Wirksamkeit zu dokumentieren.

(6) Die Behandlung ist zu beenden, wenn das Ziel der Behandlung nach Absatz 1 Nr. 6 erreicht ist. Sie ist auch zu beenden, wenn im Verlauf der Behandlung eine Besserung nicht eintritt oder schwerwiegende Nebenwirkungen einen Abbruch der Behandlung erforderlich machen. Die ärztliche Leitung teilt dem Betreuungsgericht, bei Minderjährigen den Sorgeberechtigten und dem Familiengericht, die Beendigung der Behandlung unverzüglich mit.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten für Untersuchungen, die im Rahmen der Behandlung der Krankheit oder Behinderung nach § 1 Nr. 1 erforderlich und mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind, entsprechend.