Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 29.11.2024, Az.: 7 A 199/24

Existenzsicherung; Festsetzungsbescheid; Kenntnis oder Kennenmüssen; maßgeblicher Zeitpunkt; Rücknahme; sog. beitragsfreie Rentenanwartschaften; Vertrauensbetätigung; Vertrauensbildung; Zur Aufhebung von Festsetzungsbescheiden für sog. beitragsfreie Rentenanwartschaften

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
29.11.2024
Aktenzeichen
7 A 199/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 33783
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2024:1129.7A199.24.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine Vertrauensbetätigung d.h. ein sog. Ins-Werk-Setzen in Form einer durch das Vertrauen veranlassten Disposition des Betroffenen kann sich in einem Antrag auf Gewährung einer (Berufsunfähigkeits-)Rente manifestieren und ist vorliegend fortlaufend und auch in der Zukunft deshalb gegeben, weil die Leistungen ausschließlich im Bereich der Existenzsicherung liegen, sodass der Kläger diese im Rahmen der allgemeinen Lebensführung verbraucht.

  2. 2.

    Liegt aufgrund des Verhaltens einer Behörde eine atypische Konstellation vor, kann dies eine Ausnahme von der Regel in § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG begründen.

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 29. November 2023 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung eines Festsetzungsbescheides über seine Rentenanwartschaft.

Er wurde am D. geboren. 1998 schloss er sein Zahnmedizinstudium ab, nachdem er zuvor auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur gemacht hatte. Hieran schloss sich seine Assistenzarztzeit an. Von 2001 bis 2004 war er in drei Sozietäten tätig, unterbrochen von mehreren Monaten der Arbeitslosigkeit. Nach einer erneuten Arbeitslosigkeit übernahm er in der Zeit von 2005 bis 2014 als Selbstständiger eine Zahnarztpraxis in E.. Am F. und am G. musste er Insolvenz anmelden. 2015 bis 2016 arbeitete er - wiederum unterbrochen durch Arbeitslosigkeit - in verschiedenen Vertretungsstellen im Angestelltenverhältnis. Dabei gehörte er vom H. bis zum I. dem Beklagten als Mitglied an.

Der Beklagte ist eine teilrechtsfähige Einrichtung der Zahnärztekammer Niedersachen - ZKN - und Träger der berufsständischen Pflichtversorgung. Er gewährt seinen Mitgliedern beitragsfinanzierte Versorgungsleistungen. Die Höhe der Altersrente war in der Alterssicherungsordnung der ZKN - ASO - seit 1972 (unter anderem) abhängig von Geschlecht und Familienstand des Mitglieds geregelt. Eine Satzungsänderung zum 1. Januar 2000 ersetzte die bisherige Altersrentenstaffelung durch - der Satzung nicht beigegebene - neue Rechnungsgrundlagen. Die ASO 2005 verwies auf Einzelfallberechnungen anhand neuer, unveröffentlichter Rechnungsgrundlagen, die weiterhin unter anderem nach dem Geschlecht differenzierten. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht beanstandete mit Urteil vom 20. Juli 2006 die Bekanntmachungsmängel und einen Verstoß gegen § 12 des Niedersächsischen Kammergesetzes für die Heilberufe - HKG -, weil kein bewährtes Versicherungssystem gewählt worden sei, das eine lebenslange, den Grundbedarf sichernde Versorgung gewährleiste (- 8 LC 11/05 -, juris).

Im Wege der Ersatzvornahme erließ das zuständige Ministerium sodann rückwirkend zum Jahresbeginn 2007 die Satzung für die Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenensicherung - ABH 2007 -. Für solche Personen, die vor 2007 bereits Mitglieder des Beklagten und noch nicht berentet waren (aktive Altmitglieder), sah § 15 Abs. 2 ABH 2007 eine sog. "beitragsfreie Altersrente" aus den bis 2006 geleisteten Beiträgen vor. Sie sollte nach den bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Rechnungsgrundlagen ermittelt und auf das neue Renteneintrittsalter von 65 Jahren sowie bei Mitgliedern ohne Witwen- oder Witwerrentenanspruch auf die Anwartschaft eines verheirateten Mitglieds umgerechnet werden. Dem lag der Gedanke zugrunde, ein "Altsystem" und ein "Neusystem" nebeneinander zu stellen. Eine Änderung der "Altanwartschaften" aus dem zum Jahresende 2006 geschlossenen "Altsystem" war zukünftig nicht mehr beabsichtigt; neue Rentenanwartschaftsansprüche aus den seit 2007 gezahlten Beiträgen sollten zu Rentenanwartschaften nach dem sogenannten Neusystem gemäß § 15 Abs. 1 ABH in der damaligen Fassung führen.

Im Dezember 20007 erließ der Beklagte auf dieser Grundlage eine Vielzahl von Festsetzungsbescheiden für sog. beitragsfreie Rentenanwartschaften, die einer erheblichen Anzahl ihrer Adressaten wegen fehlerhafter Adressdaten nicht wirksam bekannt gegeben wurden.

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2008 setzte der Beklagte gemäß § 15 Abs. 2 ABH 2007 auch für den Kläger einen beitragsfreien Rentenanspruch für dessen bis zum 31. Dezember 2006 geleistete Beitragszahlungen in Höhe von 517,51 Euro - ausgehend von einem Renteneintritt nach Vollendung des 65. Lebensjahres - fest.

Derlei Bescheide sah das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschlüssen vom 21. und 23. Oktober 2009 (- 8 LC 2/09, 8 LC 12/09 und 8LC 13/09 -, juris) als rechtswidrig an, weil es an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehle. Indem § 15 Abs. 2 ABH 2007 auf die bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Rechnungsgrundlagen Bezug nehme, werde auf die tatsächlich in diesem Zeitraum angewandten Rechnungsgrundlagen abgestellt, die nicht veröffentlicht worden seien. Es sei somit unverändert geboten, eine wirksame Bestimmung zur Berechnung der Rentenhöhe auch für die Jahre 2000 bis 2006 zu schaffen und zu veröffentlichen. Zur Vermeidung weiterer Auseinandersetzungen wies das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht noch darauf hin, dass Artikel 4 der Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit auf den Beklagten grundsätzlich anwendbar sei, sodass eine Differenzierung des monatlichen Leistungsniveaus der Renten in unmittelbarer oder auch nur mittelbarer Anknüpfung an das Geschlecht ausgeschlossen sei, auch wenn es hierfür aus versicherungsmathematischer Sicht gute Gründe geben möge.

Daraufhin ergänzte die ZKN ihre Satzung zunächst mit Wirkung zum 1. Januar 2010 und sodann im Jahr 2011 rückwirkend zum 1. Januar 2007 um einen Tabellenanhang, der Regelungen zur Berechnung des als "beitragsfreie Altersrente" bezeichneten Teils der Rentenanwartschaft für bis zum Ablauf des Jahres 2006 gezahlte Beiträge enthielt und auf den in einem so bezeichneten § 15 Abs. 2 Satz 3 ABH verwiesen wurde.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht befand mit Urteil vom 12. Juni 2014 (- 8 LC 130/12 -, juris), dass dadurch die zuvor nicht wirksam erlassene Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 ABH nicht in Kraft gesetzt worden sei; es fehle an einem entsprechenden ordnungsgemäßen Beschluss der Kammerversammlung. § 15 Abs. 2 Satz 2 ABH, der bei ledigen Mitgliedern die Umrechnung auf ein verheiratetes Mitglied bezweckte, verletze zudem Art. 14 Abs. 1 GG.

2014 erfolgte deshalb eine weitere, auf den 1. Januar 2007 rückwirkende Änderung u.a. des § 15 Abs. 2 ABH. Danach sollte für die bis zum 31. Dezember 2006 entrichteten Beiträge eine "beitragsfreie Altersrente" nach den in § 15 Abs. 2 Satz 3 ABH genannten Rechnungsgrundlagen des Beklagten, die bis zum 31. Dezember 2006 gegolten hätten, berechnet und vom bisherigen individuell festgelegten Renteneintrittsalter auf das Renteneintrittsalter 65 umgerechnet werden. Bei Mitgliedern, die am 31. Dezember 2006 von dem Beklagten ohne Witwen- und Witwerrentenanspruch geführt wurden, sollte zusätzlich die Umrechnung auf ein verheiratetes Mitglied erfolgen. Die Berechnung sollte sich aus den Anlagen 6 bis 10 ergeben. Diese Anlagen waren nicht Bestandteil der Veröffentlichung der Satzung.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht befand daraufhin mit Beschluss vom 4. Juli 2016 (- 8 LC 89/14 -, juris), dass § 15 Abs. 2 ABH nicht wirksam erlassen worden sei. Die Kammerversammlung habe über die Rechnungsgrundlagen keinen Beschluss gefasst. Jedenfalls sei keine Veröffentlichung eines die Rechnungsgrundlagen einbeziehenden Satzungstextes erfolgt. §15 Abs. 2 Satz 2 ABH verletze zudem Art. 3 Abs. 1 GG. Die "fiktive Verheiratung" senke das höhere Anwartschaftsniveau lediger Mitglieder auf das niedrigere Anwartschaftsniveau verheirateter Mitglieder. Diese Ungleichbehandlung sei nicht gerechtfertigt, und zwar auch dann nicht, wenn sie die Sicherung der Funktionsfähigkeit und Finanzierung des Versorgungssystems bezwecke.

Mit Beschluss vom 18. April 2018 fasste die Kammerversammlung der ZKN die ABH neu - ABH 2018 -. Mit dieser Satzungsänderung wurde u.a. § 15a Abs. 2 ABH 2018 eingeführt. Dieser sah für die Ermittlung der Anwartschaft auf Altersrente für bis zum 31. Dezember 2006 gezahlte Beiträge eine Berechnungsformel vor, "soweit diese nicht durch Bescheid gesondert festgestellt worden war". Diese Vorschrift nahm also ausdrücklich Personen von ihrem Anwendungsbereich aus, die - wie der Kläger - über einen Verwaltungsakt verfügten, der die Höhe ihrer Rentenanwartschaft für bis zum Abschluss des Jahres 2006 entrichtete Beiträge regelte.

Am 30. Mai 2018 beantragte der Kläger bei dem Beklagten eine Berufsunfähigkeitsrente und gab an, gesundheitlich nicht mehr in der Lage zu sein, den Beruf des Zahnarztes auszuüben.

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2018 lehnte der Beklagte diesen Antrag zunächst ab, nachdem eine sozialmedizinische Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit vom 27. September 2018 ergeben hatte, dass aktuell zwar keine Leistungsfähigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes bestehe, jedoch noch keine abschließende Stellungnahme zu der Frage abgegeben werden könne, ob die Leistungseinschränkung vorübergehender oder dauerhafter Natur sei. Hiergegen erhob der Kläger am 6. November 2018 Klage (J.).

Mit Urteilen vom 25. Januar 2021 (- 8 KN 47/19, 8 KN 48/19, 8 KN 49/19 und 8 KN 57/19 -, juris) erklärte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht § 15a ABH 2018 wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG für unwirksam. § 15a ABH 2018 behandele die Mitglieder, die vor dem 31. Dezember 2006 Beiträge geleistet hätten, ungleich. Die Vorschrift schließe aus ihrem persönlichen Anwendungsbereich Mitglieder aus, deren aus Beiträgen bis 2006 abgeleitete Anwartschaft durch Bescheid gesondert festgestellt worden sei. Dies bewirke eine Ungleichbehandlung von Gleichem. Es erfolge eine Differenzierung zwischen Mitgliedern, die bis 2006 Beiträge geleistet hätten und deren Anwartschaftshöhe durch Bescheid geregelt sei, und solchen Mitgliedern, die ebenfalls in dem Zeitraum Beiträge geleistet hätten, und bei denen das nicht der Fall sei. Gegen dieses Urteil legte der Beklagte eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht ein.

Unter dem 11. Februar 2021 informierte der Beklagte den Kläger über die unveränderte Höhe seiner Altersrentenanwartschaft u.a. auf Grundlage der Ausnahmeregelung von § 15a Abs. 2 ABH 2018, wies jedoch darauf hin, dass Renteneinweisungen aufgrund der Entscheidungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2021 zurzeit nur vorläufig vorgenommen würden, weil nicht auszuschließen sei, dass der Bescheid vom 29. Oktober 2008, der eine Ungleichbehandlung nach dem Geschlecht zugunsten männlicher Mitglieder enthalte, aufgehoben werde.

Mit Bescheid vom 25. März 2021 gewährte der Beklagte dem Kläger ab dem 1. Juni 2018 rückwirkend vorläufig eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 569,90 Euro. Ausweislich der Begründung des Bescheides beinhaltete dieser Betrag u.a. 275,55 Euro aus Anwartschaft für bis zum 31. Dezember 2006 geleistete Beiträge auf Grundlage von § 15a Abs. 2 ABH 2018. Dabei wendete der Beklagte jedoch die reguläre Berechnungsformel des § 15a Abs. 2 ABH 2018 und nicht die hierin enthaltene Ausnahmeregelung für durch Bescheid gesondert festgestellte Anwartschaftsbeträge an. Ferner führte der Beklagte aus, dass aufgrund der noch nicht rechtskräftigen Ungültigkeitserklärung des § 15a ABH 2018 bis zum Neuerlass einer gültigen Regelung die Berechnung vorläufig erfolge. Es handele sich mangels verfassungsmäßiger Berechnungsgrundlage um eine unter Vorbehalt einer späteren abschließenden Entscheidung mitgeteilte Leistung. Dieser Bescheid stehe weiter unter dem Vorbehalt des Widerrufs für den Fall, dass aufgrund der Entscheidungen in den Normenkontrollverfahren die Grundlage für die Berechnung der Rentenleistung für Beitragszahlungen bis zum 31. Dezember 2006 geändert werden müsse. In diesem Zusammenhang werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es - je nach Ausgang des Verfahrens und dem evtl. Erlass der neuen Satzungsregelung - zu einer Erhöhung sowie Nachzahlung der beantragten Rentenleistung kommen könne. Der Kläger sei trotz objektiver satzungsgemäßer Berufsfähigkeit subjektiv nicht in der Lage, eine zahnärztliche Tätigkeit weiter auszuüben. Aufgrund seines Alters und seiner geringen Berufserfahrung sowie mangels fachlicher und persönlicher Kompetenzen könne er auch keiner zumutbaren Verweisungstätigkeit mehr nachgehen. Ferner behielt sich der Beklagte vor, die Berufsunfähigkeit zu überprüfen und diesbezügliche Atteste einzuholen. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 28. April 2021 Klage (K.), über die noch nicht entschieden ist.

Mit Urteil vom 28. Juni 2022 - 8 CN 1/21 - bestätigte das Bundesverwaltungsgericht, dass § 15a ABH 2018 den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletze. Eine satzungsrechtliche Klausel, die einen absoluten Bestandsschutz bekanntermaßen rechtswidriger, geschlechtsbezogen diskriminierender Bescheide zur Feststellung von Rentenanwartschaften vorsehe und den Anwendungsbereich der Neuregelung der Rentenberechnung auf unbeschiedene Mitglieder beschränke, missachte die gesetzlichen Grenzen der Bestandskraft von Verwaltungsakten und verletze Art. 3 Abs. 1 GG.

Mit Beschluss vom 3. Mai 2023 fasste die Kammerversammlung § 15a Abs. 2 ABH neu - ABH 2023 -. Die Ausnahme für die Ermittlung der Anwartschaft, soweit diese durch Bescheid gesondert festgestellt worden war, ist hierin nicht länger enthalten.

Unter dem 8. Juni 2023 hörte der Beklagte den Kläger zu einer Aufhebung des Bescheides vom 29. Oktober 2008 an und bat ihn, für die Ausübung des Aufhebungsermessens und die Beurteilung des schutzwürdigen Vertrauens bei der Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Aufhebung, einen beigefügten Anhörungsbogen auszufüllen.

Mit Schreiben vom 2. Juli 2023 übersandte der Kläger diesen Anhörungsbogen ausgefüllt zurück. Hierin gab er bezüglich seiner persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse an, dass keine Unterhaltsverpflichtungen bestünden. Er sei im Vertrauen auf den rechtswidrigen Bescheid keine finanziellen Verpflichtungen wie öffentliche oder private Versicherungen, Kredite, Investitionen, oder sonstige Vermögensdispositionen eingegangen. Ferner übersandte er Unterlagen zu seinen mittlerweile - mit und ohne Restschuldbefreiung - beendeten Insolvenzverfahren.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 29. November 2023, zugestellt am 19. Dezember 2023, hob der Beklagte den Festsetzungsbescheid vom 29. Oktober 2008 auf und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung führte er aus, dass der Bescheid rechtswidrig sei, weil es an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehle. § 15 Abs. 2 ABH 2007 sei wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und höherrangiges Recht für unwirksam erklärt worden. Der Kläger habe mit Schreiben vom 2. Juli 2023 verneint, auf den Bestand des Bescheides aus dem Jahr 2007 vertraut zu haben. Es sei jedoch nicht zuletzt aufgrund der Fehlauskünfte des Beklagten, u.a. der Anwartschaftsinformationen bis 2021, davon auszugehen, dass er auf den Bestand des Bescheides Vertrauen gebildet habe. Dieses Vertrauen sei aber nicht schutzwürdig. Insbesondere sei eine Vertrauensbetätigung nicht erkennbar und nicht ersichtlich, ob bzw. welche Vermögensdispositionen veranlasst worden seien. Der Kläger erreiche sein reguläres Renteneintrittsalter im Juli 2024. Seit Juni 2018 beziehe er eine rückwirkend bewilligte Berufsunfähigkeitsrente. Im Rahmen des Anhörungsverfahrens habe er keine Tatsachen vorgetragen, die auf schutzwürdiges Vertrauen schließen ließen. Dass er zwei Insolvenzverfahren durchlaufen habe, liege in seinem persönlichen Verantwortungsbereich. Dass er zeitweilig Sozialleistungen habe beziehen müssen, sei berücksichtigt worden. Eine Vermögensdisposition müsse zudem im Vertrauen auf den Bescheid getroffen worden sein. Ein solcher Zusammenhang könne mangels entsprechender Angaben nicht angenommen werden. Die Kosten und Einkommenseinbußen im Rahmen der Insolvenzverfahren seien keine Vermögensdispositionen im Vertrauen auf den streitgegenständlichen Bescheid gewesen. Auf Vertrauen könne sich der Einzelne zudem nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit gekannt habe oder doch jedenfalls habe erkennen müssen. Insoweit habe das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit Urteilen vom 25. Januar 2021 die Auffassung vertreten, dass die Rechtswidrigkeit der Bescheide für die Mitglieder des Versorgungswerkes erkennbar gewesen sei. Auch hätten seine Mitglieder von der in der Satzung seit 1963 vorhandenen verfassungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau gewusst und seit Geltung der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19.

Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit bzw. seit den Feststellungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Unwirksamkeit des Finanzierungssystems mit einer Satzungsänderung rechnen müssen. § 15 Abs. 2 ABH 2007 habe auf europarechts- und verfassungswidrige Rechtsgrundlagen verwiesen. Es seien diesbezüglich mehrere Klageverfahren anhängig gewesen; die Rechtswidrigkeit der Bescheide für die bis zum 31. Dezember 2006 eingezahlten Beiträge sei in der Presse und den Mitteilungsblättern der ZKN und des Beklagten stark diskutiert worden. Es sei zudem mit einer Neuregelung zu rechnen gewesen, weil die alte Rechtslage unklar und verworren gewesen sei. Bekannt sei auch, dass es seit der Gründung des Beklagten zu einer Reihe von Satzungsänderungen gekommen sei. Im Falle des Klägers sei noch zu beachten, dass er aktuell bereits Leistungen - jedoch auf Basis der aktuell gültigen Berechnungsgrundlage des § 15a ABH - beziehe. Im Rahmen einer Abwägung seien auf Seiten des Bestandsinteresses des Klägers die Differenz in der Rentenhöhe in Höhe von 241,96 Euro zu berücksichtigen. Weil diese jedoch aufgrund einer ursprünglich Unionsrechts- und verfassungswidrigen, willkürlichen Berechnung zustande gekommen sei, spiele sie nur eine untergeordnete Rolle. Je höher die Differenz, desto größer sei zudem der Unrechtsgehalt des erlangten Vorteils. Das öffentliche Interesse an der Beseitigung des Verwaltungsaktes überwiege das Bestandsinteresse des Klägers, weil sonst die verfassungs- und unionsrechtswidrige Ungleichbehandlung von Männern und Frauen perpetuiert werde. Die Aufhebung entspreche der Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 3 GG sowie der Gleichbehandlungsrichtlinie. Insofern bestehe ein Korrekturanspruch. Es gebe für den Beklagten daher nahezu keine alternative Entscheidungsmöglichkeit als den Bescheid aufzuheben. Insoweit sei auch in die Abwägung mit eingestellt worden, dass es regelmäßig Informationen der Mitglieder über laufende Gerichtsverfahren und -entscheidungen gegeben habe, sodass für die Mitglieder zu erkennen gewesen sei, dass die Rechtsgrundlagen der früheren Berechnung der Anwartschaften rechtswidrig gewesen seien und bis zuletzt insoweit keine verfassungsgemäße Berechnungsgrundlage existiert habe. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht sei in seinen Urteilen vom 25. Januar 2021 sogar davon ausgegangen, dass die Regelung für die Anwartschaftsberechnung für diese Beiträge derart "unseriös" gewesen sei, dass es jedem hätte einleuchten können, und dass die Missbräuchlichkeit des Versuchs, die Rentenhöhe flächendeckend durch Verwaltungsakt festzuschreiben und der Regelung durch Satzung dauerhaft zu entziehen, den Mitgliedern erkennbar gewesen sei. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens in den Bestand des Bescheides sei deshalb ganz erheblich vermindert. Letztlich müsse auch sichergestellt sein, dass der Beklagte langfristig funktions- und leistungsfähig bleibe, insbesondere im Sinne der Solidargemeinschaft der Mitglieder. Insofern bestehe auch ein Interesse an einer gleichmäßigen Verwendung der bis 2006 geleisteten Beiträge. Ein Generationenkonflikt müsse vermieden werden. Der Bescheid sei auch gemäß § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 VwVfG analog aufzuheben. Der Kläger habe von dem Bescheid noch keinen Gebrauch gemacht, denn bei der vorläufigen Renteneinweisung sei der Bescheid aufgrund der unklaren Sach- und Rechtslage nicht berücksichtigt worden.

Der Kläger hat gegen diesen Bescheid am 12. Januar 2024 Klage erhoben. Er trägt vor, dass die Aufhebung des Bescheides vom 29. Oktober 2008 rechtswidrig sei. Die Leistungen des Beklagten dienten seiner Existenzsicherung im Alter. Sie unterlägen dem Schutz von Art. 14 GG und könnten nur unter den Voraussetzungen des § 48 VwVfG aufgehoben werden. Es bestehe Vertrauensschutz, weil eine Verrentung bereits vorgenommen worden sei. Er habe sich nicht auf die Rentenkürzung einstellen können. Aufgrund der überraschenden Kürzung sei seine Existenz nicht mehr gesichert und er sei auf ergänzende Sicherung durch den Staat angewiesen. Eine Vermögensdisposition liege in jedem Verhalten, das in ursächlichem Zusammenhang mit dem begünstigenden Verwaltungsakt stehe und Auswirkungen auf das Vermögen des Betroffenen habe. Er habe sein Leben auf die ihm mitgeteilten Renteninformationen ausgerichtet und hiernach entschieden, ob und ggf. in welcher Höhe er anderweitig Vorsorge treffe. Der Beklagte habe ihm zuletzt mit der Anwartschaftsinformation 2021 Fehlauskünfte erteilt. Wer, wenn nicht der Beklagte, könne ihm verbindliche Auskünfte in Bezug auf seine Rentenanwartschaft erteilen. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 28. Juni 2022 ausgeführt, dass Vertrauensschutz bestehen könne, und insofern der Einschätzung des Nds. Oberverwaltungsgerichts widersprochen, welches ein auf Null reduziertes Rücknahmeermessen angenommen habe. Noch in einer Ausgabe von Juni 2018 habe der Beklagte in seinen Mitteilungen ausgeführt, dass Einigkeit zwischen Leitendem Ausschuss und einer Mehrheit der Kammerversammlung bestehe, bestandskräftige Bescheide nicht anzutasten. Vertrauen dürfe nicht enttäuscht werden. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides habe er nicht kennen können; es habe eine Fehlinformation durch den Beklagten bzw. ein Versagen des Satzungsgebers vorgelegen. Es sei ihm als Zahnarzt nicht möglich gewesen, dieses als solche zu erkennen, zumal auch die Aufsichtsbehörde die Bestimmung genehmigt habe. Des Anhörungsbogens hätte es im Falle einer Ermessensreduktion auf Null schon gar nicht bedurft, weil der Bescheid stets aufzuheben wäre. Seine hierin getätigten Angaben seien auch nicht entsprechend seines Verständnishorizonts berücksichtigt worden. Generell seien Härtefälle - wie der seine - nicht berücksichtigt worden. Gemäß § 49 VwVfG könne ein Verwaltungsakt lediglich für die Zukunft widerrufen werden. Bei einem rechtswidrigen Bescheid finde § 49 VwvfG keine Anwendung. Lägen die Voraussetzungen des § 49 VwVfG vor, wäre er nach dessen Absatz 6 zu entschädigen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 29. November 2023 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, sein Aufhebungsbescheid sei rechtmäßig. Durch ihn werde eine Anwartschaft nicht aberkannt, sondern lediglich ein rechtmäßiger Zustand aufgrund gesetzlicher Vorschriften geschaffen. Vorliegendes Vertrauen werde dem Kläger nicht abgesprochen. Dieses sei jedoch nicht schutzwürdig. Insbesondere lägen keine Rentenzusagen oder verbindliche Auskünfte vor. Die Rechtsprechung aus der Sozialgerichtsbarkeit schließe sogar die Rücknahme rechtswidriger Rentenbescheide nicht aus. Für die Aufhebung spreche u.a. auch der Rentenanspruch des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung, in welche er aufgrund seiner vorherigen Tätigkeit jahrelang eingezahlt habe. Zudem sei zu beachten, dass der aufgehobene Bescheid lange vor Erreichen des Renteneintrittsalters im Juli 2024, und zudem noch im Massenverfahren ohne Prüfung der einzelnen Umstände, der tatsächlichen Beitragszahlungen, Änderungen des Familienstandes usw. ergangen sei, sodass dem Kläger eindeutig erkennbar gewesen sei, dass sich die mitgeteilte Höhe ändern könne. Der Kläger habe noch im Jahr 2013 eine private Versicherung "Basis Rente Volkswohlbund" abgeschlossen; dies spreche gegen ein Vertrauen auf eine existenzsichernde Altersrente seitens des Beklagten. Der Ausschlusstatbestand des § 48 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG sei gegeben. Der Kläger habe erkennen können, dass in § 15 Abs. 2 Satz 1 ABH (2007) auf das alte Recht verwiesen werde. Aufgrund der Mitteilungen der Zahnärztekammer Niedersachsen und des Beklagten habe er auch offensichtlichen Anlass zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheides gehabt. Die Fehlerhaftigkeit habe sich dem Kläger geradezu aufdrängen müssen. Jedenfalls hätte man von ihm als Akademiker erwarten können bzw. müssen, dass er zur Klärung bzw. zum Verständnis der Regelungen sich eines Juristen hätte bedienen können und müssen. Das Ermessen sei ordnungsgemäß ausgeübt worden. Eine Ermessensreduktion auf Null sei nicht angenommen worden. Die "Verrentung" und die Berufsunfähigkeit des Klägers seien ebenso wie die tatsächlich gezahlten Beiträge berücksichtigt worden. Neben dem Bezug von Sozialleistungen -, welche im Falle des Klägers aufgrund der geringen Anwartschaft ohnehin beantragt werden müssten - und der Unmöglichkeit der Kompensierung durch die private Versorgung würden andere Umstände nicht vorgetragen. Zudem lasse der Kläger außer Acht, dass die Aufhebung auch aufgrund der wesentlichen Änderung der Rechtslage nach § 49 VwVfG vorgenommen worden sei. Die Berechnungsfaktoren des neuen § 15a ABH 20023 seien nunmehr geschlechtsneutral und versicherungsmathematisch richtig. Die Anpassung der Rentenfaktoren sei erforderlich geworden, um eine unerlässliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen vorzunehmen und damit eine gültige und verfassungskonforme Satzungsregelung zu erlassen. Zum Zeitpunkt der Satzungsänderung sei es nicht möglich gewesen, alle Rentner und Anwärter jeweils auf ein höheres Niveau mit jeweils höheren Rentenfaktoren einheitlich anzugleichen. Dies ergebe sich aus den auf der Homepage des Beklagten veröffentlichten jährlichen Berichten. Hierauf komme es aber letztlich nicht an, weil Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Bescheides § 48 f. VwVfG seien.

Unter dem 2. Januar 2024 wies der Beklagte den Kläger mit einem sog. "Schlussbescheid", zugestellt am 12. Januar 2024, auf der Grundlage von § 15a ABH 2023 in die Berufsunfähigkeitsrente ein und gewährte ihm auf dieser Grundlage mit Wirkung ab dem 1. Juni 2018 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente aus Anwartschaft für Beiträge bis zum 31. Dezember 2006 in Höhe von 275,55 Euro. Zur Begründung führte er aus, dass durch diesen Bescheid der vorläufige Teil des Bescheides vom 25. März 2021 rückwirkend ersetzt werde. Aufgrund des Erlasses der neuen Satzungsregelung sei der Grund für den Vorbehalt weggefallen, sodass die Berechnung der Anwartschaft aus Beiträgen bis zum 31. Dezember 2006 anhand der neuen wirksamen Satzungsregelung zu berechnen und der Bescheid vom 25. März 2021 entsprechend zu ersetzen sei. Die aufgrund des vorläufigen Bescheides erbrachten Leistungen entsprächen dem endgültig festgesetzten Betrag. Der Festsetzungsbescheid vom 29. Oktober 2008 sei aufgrund der Aufhebung mit Bescheid vom 29. November 2023 nicht zu berücksichtigen gewesen. Diesen Bescheid bezog der Kläger mit Schriftsatz vom 9. Februar 2024 in das Klageverfahren betreffend den vorläufigen Bescheid vom 25. März 2021 (7 A 216/23) mit ein.

Im Juni 2024 erreichte der Kläger sein reguläres Renteneintrittsalter. Daraufhin teilte ihm der Beklagte mit Bescheid vom 23. Juli 2024 den Übergang der Berufsunfähigkeitsrente in die Altersrente mit. Mit Erreichen seines Renteneintrittsalters setze sich die Berufsunfähigkeitsrente in gleicher Höhe als Altersrente fort.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

Der angefochtene Bescheid vom 29. November 2023 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -. 1. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - i. V. m. § 1 Nds. Verwaltungsverfahrensgesetz - Nds. VwVfG - liegen nicht vor. Zwar kann gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (s. hierzu a). Ein Verwaltungsakt, der eine Rentenanwartschaft begründet, ist jedoch begünstigend und darf nur unter den Einschränkungen des § 48 Abs. 2 bis Abs. 4 VwVfG zurückgenommen werden (s. hierzu b). Diesen Einschränkungen wird der streitgegenständliche Bescheid nicht gerecht.

a) Der Bescheid vom 29. Oktober 2008 ist rechtswidrig im Sinne der Norm, weil es ihm an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt. Als solche kommt nur § 15 Abs. 2 ABH 2007 in Betracht, der nach der o.g. Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts bis heute nicht wirksam in Kraft gesetzt bzw. wirksam erlassen worden ist (vgl. Beschlüsse vom 21.10.2009 und 23.10.2009 - 8 LC 2/09, 8 LC 12/09 und 8 LC 13/09 -, juris; Urteil vom 12.6.2014 - 8 LC 130/12 -, juris; Beschluss vom 4.7.2016 - 8 LC 89/14 -, juris).

b) Vorliegend darf der rechtswidrige Bescheid jedoch nicht zurückgenommen werden, weil der Kläger auf seinen Bestand vertraut hat (s. hierzu aa) und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (s. hierzu bb). Diese zusätzlichen Einschränkungen gelten gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG für einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, der - wie hier - eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist. § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG schließt nach seinem Wortlaut ("darf nicht") die Rücknahme auf Tatbestandsebene zwingend aus und hindert bereits die Eröffnung des Rücknahmeermessens nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG (vgl. Müller in: BeckOK VwVfG, 66. Ed., 1.4.2024, VwVfG, § 48, Rn. 47; zur Bedeutung des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG auf Ebene des Tatbestandes sowie des Ermessens vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.11.1996 - 25 A 1950/96 -, juris, Rn. 14, 18).

aa) Der Kläger hat auf den Bestand des Verwaltungsaktes vom 29. Oktober 2008 vertraut. Hiervon geht auch der Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid aus. Die Voraussetzungen des subjektiven Vertrauenstatbestandes liegen vor (s. hierzu 1) und das Vertrauen ist nicht gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG ausgeschlossen (s. hierzu 2).

1) Die Voraussetzungen des subjektiven Vertrauenstatbestandes - eine Vertrauensbildung und eine Vertrauensbetätigung - sind gegeben (vgl. zu diesen Anforderungen BVerwG, Urteil vom 28.10.1983 - 8 C 91/82 -, juris, Rn. 14; Schoch/Schneider/Schoch, Stand: Juli 2024, VwVfG, § 48, Rn. 135). Von einer Vertrauensbildung, d.h. einem Vertrauthaben, ist aufgrund des langen Zeitraums zwischen Erlass des Verwaltungsaktes vom 29. Oktober 2008 und seiner Aufhebung sowie des Fehlens von diesbezüglichen Ausschlussgründen (vgl. hierzu 2) auszugehen. Eine Vertrauensbetätigung - d.h. ein sog. Ins-Werk-Setzen in Form einer durch das Vertrauen veranlassten Disposition des Betroffenen - hat sich in dem Antrag auf Gewährung einer (Berufsunfähigkeits-)Rente vom 30. Mai 2018 manifestiert und ist vorliegend fortlaufend und auch in der Zukunft deshalb gegeben, weil die Leistungen des Beklagten ausschließlich im Bereich der Existenzsicherung liegen, sodass der Kläger diese im Rahmen der allgemeinen Lebensführung verbraucht (vgl. hierzu auch Schoch in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 5. EL Juli 2024, VwVfG, § 48, Rn. 151). Der Kläger hat in dem Anhörungsbogen vom 2. Juli 2023 auch nicht - wie der Beklagte meint - angegeben, nicht auf den Verwaltungsakt vertraut zu haben. Er hat lediglich zutreffend ausgeführt, insofern keine zusätzlichen Vermögensdispositionen in Form von finanziellen Verpflichtungen wie etwa öffentlichen oder privaten Versicherungen, Krediten oder Investitionen getroffen zu haben. Die Vertrauensbildung war auch für die Vertrauensbetätigung in der Form kausal, dass sie nachteilige Auswirkungen gezeitigt hat (vgl. zu dieser Anforderung Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Auflage 2022, VwVfG, § 48, Rn. 136). Dem Kläger war es vorliegend nicht möglich, anderweitig Vorsorge für seine Alters- und Berufsunfähigkeitssicherung zu treffen. Wenngleich dies für ihn aufgrund seiner finanziellen Schwierigkeiten wohl nur in begrenztem Maße überhaupt denkbar gewesen wäre, erscheint es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass er jedenfalls ergänzend Vorsorge hätte treffen können.

2) Die Berufung auf dieses Vertrauen ist auch nicht gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG ausgeschlossen. Der Kläger hatte keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes im Sinne dieser Norm (s. hierzu (a)). Selbst wenn man von einer Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit ausginge, wäre der Verwaltungsakt aufgrund des Verhaltens des Beklagten gleichwohl nicht gemäß § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG "in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit" zurückzunehmen (s. hierzu (b)). Eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis liegt gleichwohl nicht vor (s. hierzu (c)).

(a) Der Kläger hatte keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 29. Oktober 2008.

Grundsätzlich muss die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes vorliegen. Bei einem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - wie hier - kann das vertrauensstörende Element grundsätzlich auch später eintreten (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.9.1993 - 2 C 34/91 -, NVwZ-RR 1994, 369; noch offengelassen in BVerwG, Urteil vom 16.11.1989 - 2 C 43/87 -, NVwZ 1990, 672; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.4.1993 - 11 S 461/92 -, juris, Rn. 27; VG Osnabrück, Urteil vom 12.3.2025 - 1 A 93/24 -, V.n.b., Bl. 13 m.w.N.; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2022, VwVfG, § 48, Rn. 159; Schoch in: Schoch/Schneider, 5. EL Juli 2024, VwVfG, § 48, Rn. 181; differenzierend Müller in: BeckOK, VwVfG, 66. Edition, Stand 1. April 2024, § 48, Rn. 80). Hintergrund dieses Ausschlussgrundes, der eine Ausprägung des Verschuldensprinzips darstellt, ist allerdings die Erwägung, dass anderenfalls der Nachlässige oder der Rechtskundige nicht anders behandelt würde als der Sorgfältige oder der Rechtsunkundige (BT-Drs. 7/910, S. 70). Derjenige, der die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, handelt gewissermaßen auf eigenes Risiko, wenn er dennoch von dem Verwaltungsakt Gebrauch macht (BVerwG, Urteil vom 20.12.1999 - 7 C 42/98 -, NJW 2000, 1512, beck-online). Der Ausschlussgrund kann demgemäß nach dem Sinn und Zweck der Norm dann nicht mehr eingreifen, wenn die Kenntnis oder die fahrlässige Unkenntnis zu einem Zeitpunkt eintritt, zu dem der Vermögensverbrauch oder die Vermögensdisposition seitens des Begünstigten nicht mehr beeinflusst werden kann, d.h. wenn diesem in Bezug hierauf kein Verschulden (mehr) angelastet werden kann. Für die Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG genügt es des Weiteren nicht, dass der Erstattungspflichtige die Umstände kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, die die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründet haben. Erforderlich ist vielmehr, dass der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (BVerwG, Urteil vom 22.9.1993 - 2 C 34/91 -, NVwZ-RR 1994, 369, 370). Insofern kommt es maßgeblich darauf an, inwieweit dem Kläger die rechtlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes bekannt waren. Deren Beurteilung kann auf einer einschlägigen Rechtskenntnis basieren, ausreichend ist jedoch auch das auf Grund einer Parallelwertung in der Laiensphäre entwickelte Bewusstsein, dass der Verwaltungsakt so nicht richtig sein kann (VGH Kassel, Urteil vom 22.1.1990 - 8 UE 1215/84 -, NVwZ 1990, 883 [VGH Bayern 20.04.1990 - 22 B 88/3361], Schoch in: Schoch/Schneider, 5. EL Juli 2024, VwVfG, § 48, Rn. 180).

Gemessen an diesen Maßstäben kann dem Kläger nicht vorgehalten werden, er habe zu einem Zeitpunkt, in dem er seinen fortgesetzten Verbrauch der Rentenleistungen durch lebensunterhaltssichernde Ausgaben noch hätte beeinflussen können, d.h. vor Eintritt seiner Berufsunfähigkeit und der entsprechenden Beantragung seiner Berufsunfähigkeitsrente am 30. Mai 2018, ein Bewusstsein für die fehlende Richtigkeit des streitgegenständlichen Bescheides entwickeln müssen. Ein solches Bewusstsein vermochte der Kläger gerade aufgrund der seitens des Beklagten angeführten Mitteilungsblätter nicht zu bilden. Diese vermitteln - soweit sie sich in Bezug auf die Festsetzungsbescheide überhaupt verhalten - bis zum Jahre 2021 fortwährend den Eindruck, die Rechtswidrigkeit der Bescheide könnte durch immer neue Satzungsänderungen "geheilt" werden. Im Einzelnen:

Die vorgelegten Mitteilungsblätter aus den Jahren 2006 bis 2011 befassen sich inhaltlich nicht mit den streitgegenständlichen Bescheiden. Gegenstand der Mitteilungsblätter aus dem Jahr 2006 (ZKN November 2006; AVW-Info Dezember 2006) ist das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Juli 2006 (- 8 LC 11/05 -, GewArch. 2007, 33) und das Fehlen eines bewährten Versicherungssystems. Den angeführten Mitteilungen ist diesbezüglich zu entnehmen, dass die Satzung rückwirkend geändert werden solle, um den Vorgaben des Oberverwaltungsgerichts zu genügen. Die Mitteilungsblätter aus den Jahren 2007 und 2008 (AVW-info Juni 2007; AVW-info September 2007; AVW-info Dezember 2007; AVW-info 2008) beschäftigen sich mit der anschließenden Satzungsänderung, mit der "die Forderungen der Urteile des Oberverwaltungsgerichts vom 20. Juli 2006 umgesetzt würden" und die für die Mitglieder "eine planbare, verlässliche und zukunftssichere Altersversorgung auf der Grundlage 100-prozentiger Kapitaldeckung bedeute". Die Streitigkeiten um die Verabschiedung der Satzung werden ebenso wiedergegeben wie der Umstand, dass letztlich die Aufsichtsbehörde die Verabschiedung angeordnet sowie eine anschließende Ersatzvornahme veranlasst hat, sowie ein diesbezügliches Rechtsschutzersuchen einzelner Mitglieder der Kammerversammlung der Zahnärztekammer.

Die AVW-aktuell aus Februar 2012 befasst sich mit einer bevorstehenden Veröffentlichung von Rententabellen als Reaktion auf die Beschlüsse des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. und 23. Oktober 2009 (- 8 LC 2/09, 8 LC 12/09 und 8 LC 13/09 -, juris), in denen dieses die gegenüber Altmitgliedern erlassenen Festsetzungsbescheide betreffend Altanwartschaften für Beiträge aus den Jahren 2000 bis 2006 mangels (veröffentlichter) Rechtsgrundlage als rechtswidrig angesehen hatte. Hierin wird ausdrücklich angegeben, dass man mit dieser Veröffentlichung der Tabellen nunmehr in großer Anstrengung die Forderung des Oberverwaltungsgerichts "erfülle", alle Rentenansprüche aus Beiträgen innerhalb des Zeitraums von 2000 bis 2006 für die Mitglieder berechen- und nachvollziehbar zu machen. Der Hinweis des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zur Anwendbarkeit von Art. 4 der Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit und dem sich daraus ergebenden Ausschluss einer Differenzierung des monatlichen Leistungsniveaus der Renten in unmittelbarer oder auch nur mittelbarer Anknüpfung an das Geschlecht findet keine Erwähnung. Den rechtsunkundigen Mitgliedern wurde somit der Eindruck vermittelt, bei den Gründen für die Unwirksamkeit der Rechtsgrundlage des Beklagten handele es sich lediglich um "heilbare" Formalien. Zweifel in Bezug auf den Bestand der Bescheide, welche die Argumentation des Beklagten im Hinblick auf die fehlende alternative Vorsorge zur Alterssicherung rechtfertigen würde, vermag diese Mitteilung nicht zu begründen.

Die Mitteilungen aus dem Jahr 2014 (ZKN Mitteilungen August 2014; NZB November 2014; AVW-info Dezember 2014) kritisieren das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 12. Juni 2014 (- 8 LC 130/12 -, NdsVBl. 2015, 16), halten die notwendigen Konsequenzen gleichwohl für "überschaubar und lösbar". Das Oberverwaltungsgericht habe zwar keine konkreten Vorgaben gemacht; mit einer Erhöhung des sog. Ledigenzuschlags auf 18.75 Prozent sehe der Beklagte aber "die Ansprüche aus dem Urteil" als erfüllt an. Die Satzungsänderung könne so praktikabel gehalten und die Berechnung der beitragsfreien Rentenanwartschaften aus dem Altsystem anhand der umfassenden Tabellen aufrechterhalten werden.

Dem Niedersächsischen Zahnärzteblatt - NZB - aus November 2016 ist - ohne diesbezügliche Details - lediglich zu entnehmen, dass den Beklagten mit der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2016 (- 8 LC 89/14 -) "wieder einmal die Vergangenheit eingeholt habe". Bei einer geplanten Satzungsänderung "dürften die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt werden".

Für den Zeitraum bis zum unumkehrbaren Eintritt der Berufsunfähigkeit bzw. der entsprechenden Beantragung seiner Berufsunfähigkeitsrente am 30. Mai 2018 und der damit einhergehenden Unmöglichkeit, anderweitig Vorsorge für den Renteneintritt zu treffen, hat der Beklagte keine weiteren Mitteilungen angeführt, aus denen sich eine den Vertrauensschutz des Klägers ausschließende Bösgläubigkeit ergeben könnte. Der Beklagte ging zu diesem Zeitpunkt vielmehr - wie seine Vertreterin im Termin zu mündlichen Verhandlung bestätigt hat - selbst davon aus, die bisherigen Fehler seien durch Satzungsänderung behebbar. Weil er dies auch seinen Mitgliedern vermittelte, durfte der Kläger deshalb ebenfalls in dem insofern maßgeblichen Zeitpunkt noch von einem Bestand seines Festsetzungsbescheides vom 29. Oktober 2008 ausgehen.

Etwas anderes folgt nach Auffassung der Kammer auch nicht aus Verkündung der Neufassung der Alters-, Berufsunfähigkeits- und Hinterbliebenensicherung im Jahr 2018 (ABH 2018) in der Ausgabe Juni 2018 des Niedersächsischen Zahnärzteblattes. Das NZB aus Mai 2018 besagt insofern, dass die Satzungsänderung notwendig geworden sei, weil in den Jahren 2004 bis 2016 mehrere Urteile des Oberverwaltungsgerichts ergangen seien, die die Satzung des Beklagten in der bisherigen Form für unwirksam erklärt hätten; um diesen Zustand zu beseitigen, seien auch außerhäusige Juristen hinzugezogen worden. In der AVW-info Juni 2018 sind unter der Überschrift "Kammerversammlung beschloss formale Ergänzung der ABH - Keine Auswirkungen auf Anwartschaften und Renten" die Berechnungstabellen für die in den Jahren 2000 bis 2006 geleisteten Beiträge sowie die mit Einführung der neuen Satzung zum 1. Januar 2007 vorgenommenen Umrechnungen gemäß § 15 Abs. 2 ABH veröffentlicht. Hiermit erfülle die Zahnärztekammer Niedersachen eine "formale Pflicht", die zur Wirksamkeit der Tabellen notwendig sei. Die in der Vergangenheit vorgenommenen Berechnungen entsprächen den Tabellen. Es komme daher zu keinen Neuberechnungen von Anwartschaften und Renten. An den Renteninformationen und Bescheiden, die die Mitglieder erhalten hätten, ändere sich nichts.

Die Einführung des § 15a ABH 2018 ist damit erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Unumkehrbarkeit des Leistungsverbrauchs des Klägers erfolgt. Soweit das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom 25. Januar 2021 (- 8 KN 47/19, 8 KN 48/19, 8 KN 49/19 und 8 KN 57/19 -) davon ausgegangen ist, dass die Beibehaltung eines bestimmten Rechnungszinses unseriös und die Missbräuchlichkeit des mit der Einführung von § 15a Abs. 2 ABH 2018 verbundenen Versuchs, die Rentenhöhe flächendeckend durch Verwaltungsakt festzuschreiben und der Regelung durch Satzung dauerhaft zu entziehen, erkennbar gewesen sei, kann hieraus nicht auf eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts geschlossen werden. Sähe man dies anders, griffe in jedem Fall der Ausschlussgrund des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG. Hiervon geht aber auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 28. Juni 2022 (- 8 CN 1/21 -, juris, Rn. 24) nicht aus. Dieses legt umgekehrt dar, es sei nicht festgestellt, dass ein Fall, in dem sich der Adressat nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen könne, bei keinem Adressaten vorliege. Im Übrigen kann nach Auffassung der Kammer die Kenntnis eines feststehenden Rechnungszinses und des Regelungsmechanismus des § 15a Abs. 2 ABH bei rechtsunkundigen, nicht mit Verwaltungsaufgaben betrauten Mitgliedern nicht mit einer Kenntnis bzw. einem Kennen-Müssen einer Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts gleichgesetzt werden. Eine solche Gleichsetzung käme nur dann in Betracht, wenn der Kläger hinreichend rechtskundig wäre, um ohne weiteres die Folgerung zu ziehen, dass der Bescheid "nicht richtig" sein kann (VGH Kassel, Urteil vom 22.1.1990 - 8 UE 1215/84 -, NVwZ 1990, 883 [VGH Bayern 20.04.1990 - 22 B 88/3361]). Davon, dass der Kläger einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat, kann aber schon angesichts des Umstands, dass auch der rechtskundige Beklagte diese Erwägungen nicht angestellt hat, nicht ausgegangen werden. Im Gegenteil muss insofern auch Berücksichtigung finden, dass der Kläger die maßgeblichen Informationen ausschließlich von dem Beklagten bzw. der Zahnärztekammer erhalten und deren Auskünften - wie dargestellt - stets die Annahme zugrunde gelegen hat, den Anforderungen der Rechtsprechung könne mit Satzungsänderungen genüge getan werden. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit der Bescheide, weil diese den Mitgliedern schon nur eingeschränkt kommuniziert und der zunächst gegenläufigen versicherungsmathematischen Sichtweise gegenübergestellt worden ist. Es war dem rechtsunkundigen Kläger nach alledem nicht möglich, ein gegenüber dem rechtskundigen Beklagten überlegenes Wissen zu entwickeln.

Erst das Schreiben vom 11. Februar 2021 und die lediglich vorläufig erfolgte Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente mit Bescheid vom 25. März 2021 sowie die vorgelegten Mitteilungsblätter des Beklagten aus dem Jahr 2021 dürften erste Zweifel an der Richtigkeit bzw. des Fortbestandes des Bescheides seitens des Klägers begründet haben (vgl. auch VG Osnabrück, Urteil vom 12.3.2025 - 1 A 93/24 -, V.n.b., Bl. 13). Dabei ist allerdings anzumerken, dass der Beklagte selbst in dem Bescheid vom 25. März 2021 noch - unter Bezugnahme auf die Normenkontrollverfahren vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht und die zu diesem Zeitpunkt noch nicht rechtskräftigen Urteile vom 25. Januar 2021 (- 8 KN 47/19, 8 KN 48/19, 8 KN 49/19 und 8 KN 57/19 -) - lediglich darauf hingewiesen hatte, dass es je nach Ausgang des Verfahrens und dem evtl. Erlass der neuen Satzungsregelung "zu einer Erhöhung sowie Nachzahlung der beantragten Rentenleistung" kommen könne. Von einer möglichen Rentenkürzung ist nicht die Rede. Die Mitteilungsblätter aus dieser Zeit referieren und kritisieren wiederum die Urteile des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2021. Seit der gesetzlichen Gleichstellung von Frauen und Männern innerhalb der EU seien Rentenanwartschaften bei gleichen Beiträgen gleichzustellen. Eine unterschiedliche statistische Lebenserwartung dürfe keine Rolle spielen. Gerechtigkeit sei damit nicht hergestellt. Mit der Ungültigerklärung des § 15 a ABH 2018 habe das Oberverwaltungsgericht die Forderung verbunden, wenn es möglich sei, eine Gleichbehandlung aller Rentenanwärter herbeizuführen. Die Satzung könne so gestaltet werden, dass sie für Mitglieder mit und ohne Bescheid gelte. Wenn aber eine solche Satzungsgrundlage geschaffen werde, sei der Beklagte verpflichtet, die entsprechenden Bescheide aufzuheben. Die Bescheide derer, die bereits Rente bezögen, seien gegen Aufhebung geschützt. Dem Leitenden Ausschuss und dem Vorstand der ZKN sei bewusst, dass die Mitglieder, die seinerzeit die Festsetzung der Rentenansprüche durch Bescheid akzeptiert hätten, auf den Bestand dieser Bescheide vertraut hätten. Bestätige das Bundesverwaltungsgericht aber die Haltung der Lüneburger Richter, wäre dieses Vertrauen nicht schutzwürdig. Während des schwebenden Verfahrens sei für den Beklagten jedoch nicht abzusehen, ob Anwartschaften - und damit Renten - aus Beiträgen bis zum Jahr 2006 nach den damaligen Bescheiden oder nach den neu eingeführten Unisex-Rentenfaktoren zu berechnen sein würden. Sämtliche aktuelle Bescheide des Beklagten ergingen daher unter Vorbehalt (vgl. zum Vorstehenden AVW-info November 2021). Rechtssicherheit sei erst mit einer Entscheidung des Eufach0000000005s zu erwarten (NZB Dezember 2021).

Den Mitteilungen aus den Jahren 2022 und 2023 ist schließlich zu entnehmen, dass der Beklagte selbst sogar bis zu dem Urteil des Eufach0000000005s vom 28. Juni 2022 (- 8 CN 1/21 -) von einem schutzwürdigen Vertrauen seiner Mitglieder in den Bestand der Bescheide ausgegangen ist (AVW-info Juli 2022; NZB Dezember 2022; NZB Juni 2023): Der Revisionsantrag sei absolut erforderlich gewesen, um den Vertrauensschutz in fast 15 Jahre alte Bescheide, die von der großen Mehrheit als unabänderlich betrachtet worden seien, höchstrichterlich feststellen zu lassen. Diese Bescheide führten nach der Auffassung des Beklagten und der Kammerversammlung nach Beratung durch zahlreiche Juristen zu Vertrauensschutz, der unabhängig von der in Streit stehenden Satzungsänderung zu berücksichtigen sei. Die Aufhebung dieser alten Bescheide gegenüber Mitgliedern, von denen viele vor der Rente stünden und sich auf diese Rentenhöhe eingestellt hätten, erscheine den Beteiligten ungerecht. Am Ende habe das Bundesverwaltungsgericht aber das Urteil des Oberverwaltungsgerichts, das alle Bescheide aus dem Jahr 2007 aufgehoben und alle Mitglieder gemäß § 15a ABH behandelt sehen wolle, bestätigt und konkretisiert. Die Mitglieder, die im vergangenen Jahr in Rente gegangen seien, hätten vorläufige Bescheide erhalten. Auch bei diesen könne es zur Aufhebung von Bescheiden und ggf. geringeren Renten kommen.

(b) Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen davon ausginge, dass dem Kläger die Rechtswidrigkeit des Bescheides trotz dieser Mitteilungen des Beklagten und der ZKN erkennbar gewesen wäre im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG, wäre der Verwaltungsakt nicht gemäß § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG "in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit" zurückzunehmen. Hier liegt aufgrund des Verhaltens des Beklagten eine atypische Konstellation vor, so dass von der Regel des § 48 Abs. 3 Satz 4 VwVfG zu Gunsten des Klägers abzuweichen wäre. Mit der Formulierung "in der Regel" lässt § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG Ausnahmen für atypische Konstellationen zu. Nach einer verbreiteten Formel liegt eine entsprechende Fallgestaltung vor, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung als die für den Regelfall vorgesehene Rücknahmeentscheidung möglich erscheinen lassen. Werden derartige Umstände von der Behörde nicht hinreichend erwogen, liegt nicht etwa "ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor"; vielmehr wird eine Tatbestandsvoraussetzung verkannt, die voller gerichtlicher Nachprüfbarkeit unterliegt (vgl. Schoch in: Schoch/Schneider, 5. EL Juli 2024, VwVfG, § 48, Rn. 192 m.w.N.). Solch außergewöhnliche Umstände liegen hier darin begründet, dass der Beklagte bei dem Kläger durch die Schaffung immer wieder neuer Rechtsgrundlagen, die u.a. den Bestand des streitgegenständlichen Bescheides schützen sollten, und der Führung diverser Gerichtsverfahren über mehrere Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht sowie mittels seiner Mitteilungen über viele Jahre den Eindruck erweckt hat, die Festsetzungsbescheide betreffend die für die Jahre bis 2006 entrichteten Beiträge seien "heilbar" und er werde diese trotz ihrer Rechtswidrigkeit nicht aufheben. Es tritt hinzu, dass dem Beklagten die Rechtswidrigkeit der Bescheide infolge der gerichtlichen Entscheidungen seit vielen Jahren bekannt war und eine Aufhebung gleichwohl nicht erfolgte.

(c) In Abgrenzung hierzu liegt eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis nicht vor. Von einer solchen geht auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 28. Juni 2022 (- 8 CN 1/21 -, juris) nicht aus. Dem Kläger ist es gerade aufgrund des Verhaltens des Beklagten schon nicht möglich gewesen, bis zur Unumkehrbarkeit des Leistungsverbrauchs seiner Rente ein Bewusstsein für die fehlende Richtigkeit bzw. den fehlenden Bestand des Bescheides vom 29. Oktober 2008 zu bilden. Bis ins Jahr 2021 konnte er darüber hinaus nicht davon ausgehen, dass der Beklagte selbst überhaupt die Rücknehmbarkeit der Festsetzungsbescheide für sog. beitragsfreie Rentenanwartschaften erkannt hatte. Zu dem Zeitpunkt, in dem der Beklagte die Rücknehmbarkeit nach außen erkennbar wahrgenommen hatte, konnten jedenfalls Begünstigte mit einem vorläufigen Bescheid aufgrund der entsprechenden Mitteilungen nicht mehr darauf vertrauen, dass die Rücknahmebefugnis nicht mehr ausgeübt werde. Der Fall liegt damit anders, als jene, in denen eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis als Ausprägung des allgemeinen Rechtsprinzips von Treu und Glauben angenommen wird. Denn eine Verwirkung liegt dann vor, wenn ein die Rechtswidrigkeit kennender Begünstigter berechtigterweise den Schluss ziehen durfte, der Verwaltungsakt werde nicht mehr zurückgenommen, obwohl die Behörde dessen Rücknehmbarkeit erkannt hat, der Begünstigte ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass die Rücknahmebefugnis nicht mehr ausgeübt werde und dieses Vertrauen in einer Weise betätigt hat, dass ihm mit der sodann gleichwohl erfolgten Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.12.1999 - 7 C 42/98 -, NJW 2000, 1512). Eine Verwirkung setzt zudem voraus, dass die Behörde ihr betreffendes Recht längere Zeit nicht geltend macht und besondere Umstände vorliegen, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.1.2019 - 10 C 5.17 -, juris, Rn. 32; Beschluss vom 28.9.1994 - 11 C 3.93 -, juris, Rn. 43). Auch an letzterem fehlt es hier, weil die fehlende Rücknahme letztlich in dem Versuch begründet lag, durch entsprechende Satzungsänderungen rückwirkend eine Ermächtigungsgrundlage zu schaffen. Nach der diesbezüglich endgültigen Klärung durch die Urteile des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2021 hat der Beklagte jedenfalls gegenüber Personen, denen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorbehaltlos Rente gewährt worden war, nicht länger signalisiert, an den Festsetzungsbescheiden für sog. beitragsfreie Rentenanwartschaften aus den Jahren 2007 und 2008 festhalten zu wollen.

bb) Das klägerische Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes ist unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme auch schutzwürdig.

1) Vorliegend ist ein Vertrauensschutz gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG indiziert. Nach dieser Vorschrift ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen - wie hier (s.o.) - aufgrund eines bestehenden Vertrauenstatbestandes verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Ein solches "Inswsetzen" hat mit der Inanspruchnahme der Berufsunfähigkeitsrente stattgefunden, weil sich diese gemäß §§ 17 Abs. 3, 15 ff. ABH mit Erreichen des Renteneintrittsalters als Altersrente fortsetzt. Zudem lassen sich die mit dem Eintritt der Berufsunfähigkeit bzw. der mit der Beantragung der Berufsunfähigkeitsrente einhergehenden Abschläge für die Alterssicherung ab dem Zeitpunkt ihrer Beantragung nicht mehr rückgängig machen. Der Sachverhalt liegt damit grundlegend anders als die vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht mit Urteilen vom 25. Januar 2021 (- 8 KN 47/19, 8 KN 48/19, 8 KN 49/19 und 8 KN 57/19 -) entschiedenen Fälle, in denen sich die Kläger noch im Stadium der Anwartschaft befunden hatten und noch nicht in eine Rente eingewiesen worden waren.

2) Es liegt auch keine Ausnahme von der Regelwirkung des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG vor.

(a) Zwar ist der Beklagte vorliegend zu Recht davon ausgegangen, dass grundsätzlich an einer Aufhebung der Festsetzungsbescheide für sog. beitragsfreie Rentenanwartschaften gewichtige öffentliche Interessen bestehen. Ein solches Interesse besteht zunächst deshalb, weil diese Bescheide die verfassungs- und unionsrechtswidrige Ungleichbehandlung von Männern und Frauen perpetuieren (vgl. Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 4 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19.12.1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit), derentwegen ledige weibliche Mitglieder nach den bis zum 31. Dezember 2006 angewandten, den Bescheiden zugrundeliegenden Rechnungsgrundlagen bei gleich hohen Beiträgen und gleichem Renteneintrittsalter eine geringere monatliche Rente erhalten als ledige männliche Mitglieder. Dies ist zwar nicht das Ergebnis des einzelnen Verwaltungsakts, der immer nur die Rentenhöhe einer einzelnen Person regelt. Die Verwaltungsakte sind aber alle gleichzeitig an eine große Anzahl von männlichen und weiblichen Mitgliedern ergangen. Ihnen wurden einheitlich die seinerzeit vom Versorgungswerk faktisch angewendeten Rechnungsgrundlagen zugrunde gelegt, die zwischen Männern und Frauen differenzierten. Daneben besteht ein generelles Interesse an einer gleichmäßigen Verwendung der bis zum Jahre 2006 geleisteten Beiträge. Diese wurden nach für alle geltenden Beitragsregelungen erhoben (vgl. zum Vorstehenden Nds. OVG, Urteil vom 25.1.2021 - 8 KN 47/19 -, juris, Rn. 109; BVerwG, Urteil vom 28.6.2022 - 8 CN 1/21 -, juris, Rn. 32). Ein öffentliches Interesse an der Aufhebung besteht darüber hinaus aufgrund der willkürlichen Zusammensetzung des Kreises derer, die über einen Festsetzungsbescheid für sog. beitragsfreie Rentenanwartschaften verfügen. Die von der Ausnahmeklausel vorausgesetzte wirksame Bekanntgabe der Feststellungsbescheide war bei den Bescheiden aus dem Jahr 2007 wegen zahlreicher fehlerhafter Adressdaten weitgehend vom Zufall abhängig. Die Fehler waren dabei erkennbar; dennoch unternahm der Beklagte nichts, um sie zu korrigieren oder die in mindestens 172 Fällen deshalb gescheiterte Bekanntgabe nachzuholen. Ein derartiges rechtsstaatswidriges Behördenhandeln ist unter Gleichheitsgesichtspunkten nicht hinnehmbar (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 25.1.2021 - 8 KN 47/19 -, juris, Rn. 109).

(b) Allein diese gewichtigen öffentlichen Interessen an der Aufhebung vermögen jedoch keine Ausnahme von der Regelwirkung des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG zu begründen. Anderenfalls wäre im Ergebnis eine Einzelfallbetrachtung schutzwürdigen Vertrauens, wie sie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 28. Juni 2022 - 8 CN 1/21 -, juris, Rn. 24) vorausgesetzt hat, nicht eröffnet.

Die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Beklagten wird auch nicht erheblich gemindert, wenn in Einzelfällen aufgrund schutzwürdigen Vertrauens höhere Rentenleistungen erbracht werden müssen. Dies gilt umso mehr, als die Frage einer möglichen Ermessensreduktion aufgrund der genannten öffentlichen Interessen im Falle nicht vorliegenden schutzwürdigen Vertrauens hiervon gesondert betrachtet werden müsste.

3) Vorliegend besteht darüber hinaus auch ein gewichtiges öffentliches Interesse an dem (Fort-)Bestand des Bescheides vom 29. Oktober 2008, weil der Kläger in der Höhe der mit einer Aufhebung einhergehenden Differenz der Rentenleistung auf Sozialleistungen angewiesen wäre, welche gerade nicht von der Solidargemeinschaft des Klägers, sondern der Gesamtheit der steuerzahlenden Bevölkerung finanziert würden. Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass die Ursache der Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts nicht bei dem Begünstigten oder der Allgemeinheit, sondern in der Sphäre des Beklagten liegt, der als Träger der Pflichtversorgung der ersten Säule neben der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung steht. Es liegt insofern ein atypischer Sonderfall konfligierender öffentlicher Interessen vor, in dem sich die insoweit gerichtlich voll überprüfbare behördliche Entscheidung auch dann als rechtsfehlerhaft erweisen würde, wenn die Regelwirkung des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht eingriffe.

2. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwVfG i. V. m. § 1 Nds. VwVfG. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, soweit der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des Verwaltungsaktes noch keine Leistungen empfangen hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Ungeachtet der Frage der Anwendbarkeit dieser Norm liegen ihre Voraussetzungen nicht vor, weil der Kläger bereits von seinem Festsetzungsbescheid vom 29. Oktober 2008 Gebrauch gemacht hat. Der Begriff des Gebrauchsmachens ist - wofür schon eine im Wortlaut orientierte Auslegung spricht - im Sinne eines "Inswerksetzens" zu verstehen (BVerwG, Urteil vom 24.1.1992 - 7 C 38/90 -, NVwZ 1992, 565, beck-online). Ein solches liegt mit der Beantragung der Berufsunfähigkeitsrente vor (s.o.). Hiermit wurde das Vertrauen in den Bestand des rechtmäßigen Verwaltungsakts betätigt, was nach der ratio legis zu einer Widerrufssperre führt (vgl. Schoch in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 5. EL Juli 2024, VwVfG, § 49, Rn. 128). Käme es - wie der Beklagte meint - auf die konkrete Rechtsgrundlage für den Empfang einer Leistung an, wäre diese einschränkende Voraussetzung in den Fällen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwVfG wohl nie erfüllt, weil Ausgangspunkt der Norm stets eine geänderte Rechtsvorschrift ist.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.