Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.09.2024, Az.: 12 SLa 177/24

Bestimmen der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
16.09.2024
Aktenzeichen
12 SLa 177/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 28194
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:0916.12SLa177.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 01.02.2024 - AZ: 4 Ca 75/23

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Derjenige, der sich auf einen Verstoß gegen das Verbotsgesetz des § 78 S. 2 BetrVG beruft, muss diesen beweisen.

  2. 2.

    Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG, wenn er gegenüber dem Betriebsratsmitglied geltendmacht, eine in der Vergangenheit zugesagte und gezahlte Vergütung begünstige ihn unzulässig. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall einen Sachverhalt darlegen, der den Schluss auf einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot ermöglicht (Im Anschluss an Urteil des LAG Nds. vom 01.07.202,1 Sa 636/23)

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 01.02.2024 - 4 Ca 75/23 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

Auf die Widerklage des Beklagten wird

  1. 1.

    die Klägerin verurteilt, an den Beklagten für die Monate Mai bis Oktober 2023 630,87 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 105,15 EUR netto seit dem 01.06.2023, 01.07.2023, 01.08.2023, 10.09.2023, 01.10.2023 und 01.11.2023 zu zahlen.

  2. 2.

    festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, den Beklagten seit dem 01.02.2023 nach Entgeltstufe 12 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. AG und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vom 05. März 2018 in der jeweils gültigen Fassung zu vergüten und die Bruttonachzahlungsbeträge gem. § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der V. AG ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit 5%-Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, nach welcher Entgeltgruppe der Beklagte, ein freigestelltes Betriebsratsmitglied, zu vergüten ist.

Die klagende Aktiengesellschaft mit Stammsitz in W. stellt Kraftfahrzeuge her. 20 Prozent ihrer Aktien werden von einem deutschen Bundesland gehalten. Am Standort der Klägerin in H. ist, mit einer kurzfristigen Unterbrechung im Jahre 2013, ein mehr als 35 Mitglieder umfassender Betriebsrat gebildet worden, dessen Mitglieder sämtlichst von der Arbeitsleistung freigestellt waren und sind.

Der Beklagte, ein ausgebildeter Kfz-Mechaniker, steht seit dem 18.04.1990 in einem Arbeitsverhältnis mit der Klägerin. Ab dem 04.05.2010 und auch aktuell ist der Beklagte Mitglied des bei der Klägerin gebildeten Betriebsrates. Vor seiner erstmaligen Wahl im Jahr 2010 war der Beklagte am Standort H. als Montage-Springer im Arbeitssystem LP3RS180 eingesetzt und wurde gemäß Entgeltstufe (ES) 11 des Entgelt-Haustarifvertrages, der zwischen der Klägerin und der IG Metall vereinbart ist, vergütet.

Mit Schreiben vom 10.01.2012 (vgl. Anl. B13, Bl. 389 d. erstinstanzlichen Akte) hatte sich die Klägerin an den Beklagten gewandt. In diesem Schreiben heißt es u.a.:

"Die Kommission Betriebsratsvergütung hat Ihr Arbeitsentgelt entsprechend der mit Ihnen vergleichbaren Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG angepasst und zum 01.02.2012 nach Entgeltstufe 12 erhöht."

In der nach einer erfolgreichen Betriebsratswahlanfechtung betriebsratslosen Zeit vom 12.06.2013 bis zum 25.09.2013 setzte die Klägerin den Beklagten als Güteprüfer ein. Die konkrete tarifliche Wertigkeit der vom Beklagten in dieser Zeit ausgeübten Tätigkeiten ist zwischen den Parteien streitig. Bezahlt wurde der Kläger nach ES 12. Der damalige Vorgesetzte des Beklagten, Herr Dr. Ing. Dipl. Inform. A., hat dazu in einem E-Mail-Vermerk mitgeteilt "2013 wurde [der Beklagte] in der 3-monatigen ,betriebsratlosen Zeit' gemäß seiner damaligen Vergütungsgruppe im System ,Güteprüfer' in der Montage eingesetzt. Da [der Beklagte] aufgrund seiner vorherigen Tätigkeiten mit dem Thema Schraubdaten Erfahrungen hatte, konnte er statistische Auswertungen zu den Daten zur Schwerpunktbildung fachgerecht durchführen. Aus meiner Sicht hat er das Arbeitssystem Güteprüfer ausgefüllt." (Bl. 265, 269 d. A.)

Mit Schreiben vom 25.09.2013 wandte sich die Klägerin an den Beklagten. In diesem Schreiben (vgl. Bl. 390 d. erstinstanzlichen Akte) heißt es:

"Sie sind ab dem 25.09.2013 Mitglied des Betriebsrates und werden für Ihre Tätigkeit freigestellt. (...) Die Kommission Betriebsvergütung stellt fest, dass gemäß der Vergütungsregelung für freigestellte Betriebsratsmitglieder Ihre Vergütung weiterhin in Ihrer bisherigen Entgeltstufe 12 erfolgt. (...)".

Durch Urteil vom 10.01.2023 hob der Bundesgerichtshof in Strafsachen zum Az 6 StR 133/22 eine Entscheidung des Landgerichts Braunschweig auf, welche im Zusammenhang mit der Thematik "Untreue wegen überhöhter Betriebsratsvergütung durch Mitarbeiter der Klägerin" ergangen war. Mit Schreiben vom 30.01.2023, welches per E-Mail dem Beklagten zur Kenntnis gebracht wurde, teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie dessen bisherige Vergütung im Hinblick auf die vorgenannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen unter dem Vorbehalt der rückwirkenden Anpassung zahlen würde. In diesem Schreiben (vgl. Anl. K3, Bl. 77 - 78 d. erstinstanzlichen Akte) heißt es außerdem:

"(...) Weiterhin müssen wir Ihnen im Hinblick auf die dreimonatige Ausschlussfrist gem. § 23 MTV der (...) AG mitteilen, dass der Vorbehalt bedauerlicherweise auch eine Rückzahlung überzahlter Vergütung für die Abrechnungsläufe Oktober 2022 bis Dezember 2022 erfassen kann. Derzeit wird geprüft, ob eine Rückforderung erfolgen muss oder davon abgesehen werden kann. Diese Prüfung wird voraussichtlich vor der Entgeltabrechnung für Februar 2023 abgeschlossen sein. Sollte eine Rückzahlung erfolgen, entspricht die überzahlte Vergütung jeweils der Differenz zwischen der Ihnen tatsächlich ausgezahlten Vergütung und der Vergütung nach dem Median Ihrer Vergleichsgruppe. In diesem Fall würde dann mit der Entgeltabrechnung für Februar 2023 insgesamt die Korrektur und Rückabrechnung der überzahlten Vergütung aus den Monaten Oktober 2022 bis einschließlich Januar 2023 erfolgen. Der konkret bezifferte Kürzungsbetrag würde Ihnen in einem gesonderten Schreiben im Laufe des Februars 2023 mitgeteilt werden (...)".

Die Klägerin wandte sich weiterhin mit Schreiben vom 27.02.2023 an den Beklagten und teilte ihm mit, dass eine Kürzung seiner Vergütung vorgenommen würde. Auf den Inhalt des Schreibens vom 27.02.2023 (vgl. Anl. K6, Bl. 87 - 92 d. erstinstanzlichen Akte) wird Bezug genommen. Beginnend mit Vergütungsansprüchen des Beklagten ab Februar 2023 nahm die Klägerin eine Aufrechnung hinsichtlich der von ihrer Seite angenommenen Überzahlung für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 vor.

Mit der am 03.05.2023 per Telefax bei dem Arbeitsgericht Hannover eingegangenen Klage begehrte die Klägerin durch Klageantrag zu 1) zunächst die Rückzahlung von 630,87 € nebst Zinsen und durch Klageantrag zu 3) die Feststellung, dass die von der Klägerin für den Beklagten gebildete Vergleichsgruppe zutreffend sei und die Entwicklung seiner Vergütung anhand ihres Medians zu bemessen sei. Diese ursprünglichen Klageanträge zu 1) und 3) nahm die Klägerin im Laufe des Verfahrens zurück. Den ursprünglichen Klageantrag zu 2), dessen letzter Teil die Höhe eines monatlichen Bruttoentgelts ansprach, reduzierte die Klägerin auf die Feststellung, dass der Beklagte zutreffend in Entgeltgruppe 11 eingruppiert sei.

Die Klägerin vorgetragen, sie hätte nunmehr in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen auf den Grundsätzen der Rechtsprechung die Vergütung des Beklagten zutreffend mit einer Vergütung gemäß Entgeltstufe 11 ermittelt. Gemäß § 37 Abs. 4 BetrVG hätte die Klägerin die Gruppe potentieller Vergleichspersonen aus den 11 Springern im Arbeitssystem LP3RS180 gebildet, die zum Zeitpunkt der Übernahme des Amtes des Beklagten als Betriebsrat in der Entgeltstufe 11 eingruppiert gewesen seien. Alle diese Springer seien - wie der Kläger zum Zeitpunkt der Übernahme des Amtes als Betriebsrat - als Karosseriewerker tätig und damit mit der Montage der Fahrzeuge der Klägerin befasst (Montage-Springer). Bei der Klägerin seien sämtliche Arbeitnehmer als Springer bezeichnet, deren Tätigkeit durch das Ausführen aller Arbeit an wechselnden Arbeitsplätzen gekennzeichnet sei. Die Klägerin hat ausgeführt, Arbeitnehmer, die zum maßgeblichen Zeitpunkt der Übernahme des Amtes als Betriebsrates keinen einfachen Lehrberuf mit "Metallbezug" ausübten, seien mangels vergleichbarer Qualifikation nicht in die für den Beklagten maßgebliche Vergleichsgruppe einbezogen worden. Die Klägerin hab einen Zeitkorridor von +/- 10 Jahren nach den Kriterien Lebensalter und Betriebszugehörigkeit zugrunde gelegt. Die so gebildete Vergleichsgruppe habe sich auf die sieben Vergleichspersonen, gemäß Anlage K13 des klägerischen Schriftsatzes vom 14.08.2024 reduziert.

Nachdem die Klägerin aus Gründen des Datenschutzes zunächst eine Nennung der Namen dieser sieben Personen verweigerte, übergab sie dem Beklagten im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 17.08.2023 eine Liste, auf der auch die Namen dieser Vergleichspersonen genannt waren.

Die Klägerin hat vorgetragen, innerhalb dieser Vergleichsgruppe läge der Median bei der Entgeltstufe 11. Auf die Auflistung der Klägerin in Anl. K11 (vgl. Bl. 360 d. erstinstanzlichen Akte), Anl. K12 (vgl. Bl. 361 d. erstinstanzlichen Akte) und Anl. K13 (vgl. Bl. 362 d. erstinstanzlichen Akte) wird verwiesen.

Die Klägerin trägt weiterhin vor, die wesentliche Tätigkeit des Beklagten vor Mandatsübernahme sei diejenige des Springers im Arbeitssystem LP3RS180 gewesen. Er sei in Abhängigkeit vom Arbeitsanfall im Finishbereich zur Unterstützung und Abarbeitung der Nacharbeitsfahrzeuge eingesetzt worden. Die Tätigkeit im Finishbereich führe nicht zu einer abweichenden Vergleichsgruppenbildung. Die bloße unterstützende Tätigkeit im Finishbereich präge die Tätigkeit des Beklagten nicht derart wesentlich im Sinne des tariflichen "Überwiegensprinzips" der Eingruppierung. Aufgrund der universellen Einsatzbarkeit von Springern in der Montage unterscheide sich die Tätigkeit des Beklagten im Rahmen seiner Unterstützung im Finishbereich in keiner Weise von der anderer Springer. Auch hypothetische Funktionen als Gruppen- oder Teamsprecher seien für die Vergleichsgruppenbildung unerheblich. Für Personen mit Gruppensprecherfunktion gebe es kein gesondertes Arbeitssystem, keine gesonderte Tätigkeitsbeschreibung und auch keine gesonderte Entgeltstufe. Auch eine angebliche Tätigkeit des Beklagten im Bereich des Innenausbaus hochwertiger Fahrzeuge führe zu keiner wesentlichen Veränderung der inhaltlichen Tätigkeit des Beklagten als Springer in der Montage. Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, der kurzfristige Einsatz des Beklagten als Güteprüfer im Jahr 2013 habe nicht zu einem Anspruch des Beklagten gemäß ES 12 geführt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die von ihr im Wege der Aufrechnung durchgesetzte Rückzahlung der Differenzvergütung zwischen Entgeltstufe 11 und Entgeltstufe 12 für die Monate ab Oktober 2022 sei weder gemäß § 817 BGB noch gemäß § 23 des Manteltarifvertrages (Ausschlussfristen) ausgeschlossen.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass der Beklagte zutreffend in Entgeltgruppe 11 des Entgelttarifvertrages zwischen der V. AG und der IG Metall vom 05.03.2018 eingruppiert ist.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat im Wege der Widerklage beantragt,

  1. 8.

    die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten für die Monate Mai bis Oktober 2023 630,87 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 105,15 € netto seit dem 01.06.2023, 01.07.2023, 01.08.2023, 01.09.2023, 01.10.2023 und 01.11.2023 zu zahlen.

  2. 9.

    festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, den Beklagten seit dem 01.02.2023 nach Entgeltstufe (ES) 12 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. AG und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vom 05.03.2018 in der Fassung vom 01.05.2021, ab dem 01.06.2023 in der Fassung vom 23.11.2022 (Anl. 1 zum Verhandlungsergebnis), zu vergüten und die Bruttonachzahlungsbeträge gem. § 222 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der V. AG (Anl. B10) ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Widerklageantrag zu 9) hat der Beklagte und Widerkläger beantragt,

  1. 1.

    die Klägerin zu verpflichten, Auskunft über die bei ihr am 04.03.2010 Beschäftigten "Springer" aller Arbeitssysteme unter Angabe der jeweiligen Klarnamen zu geben und mitzuteilen, wodurch sich die Arbeitssysteme unterscheiden.

  2. 2.

    die Klägerin zu verpflichten mitzuteilen, welche der bei ihr am 04.05.2010 Beschäftigten "Springer" auch im Nacharbeitsbereich eingesetzt wurden.

  3. 3.

    die Klägerin zu verpflichten mitzuteilen, welche der bei ihr am 04.05.2010 Beschäftigten "Springer" Tätigkeiten im Regelkreis ausgeübt haben und welche "Springer" in diesem Zeitpunkt Erfahrung im Innenausbau hochwertiger Spezialfahrzeuge besaßen.

  4. 4.

    die Klägerin zu verpflichten mitzuteilen,

    1. a)

      wie viele Montage-Springer sich seit Mai 2010 bei ihr zu Nacharbeitern entwickelt haben, sowie

    2. b)

      nach welchen Kriterien die Stellenbesetzungen erfolgten.

  5. 5.

    die Klägerin zu verpflichten mitzuteilen, welche der bei ihr am 04.05.2010 Beschäftigten "Springer" Gruppen- und/oder Teamsprecher gewesen sind.

  6. 6.

    die Klägerin zu verpflichten, dem Kläger Auskunft zu erteilen über

    1. a)

      die für seine Eingruppierung zugrunde gelegten Kommissionsvorschläge,

    2. b)

      die Namen der Kommissionsmitglieder im Vorschlagszeitpunkt,

    3. c)

      die Begründung für die Höherstufung des Beklagten auf Entgeltstufe (ES) 12,

    4. d)

      die seit der Amtsübernahme am 04.05.2010 für den Beklagten bis heute jeweils gebildete Vergleichsgruppe unter Benennung der Klarnamen, Geburtsdaten, Eintrittsdaten, Qualifikationen, Eingruppierung über den gesamten Zeitraum und ausgeübten Tätigkeiten über den gesamten Zeitraum.

  7. 7.

    die Klägerin zu verpflichten, den Kläger unter Vorlage von Abrechnung oder vergleichbarer Nachweise Auskunft zu erteilen über

    die an alle Teamsprecher Nacharbeit von November 2021 bis heute gezahlte Schicht- und Mehrarbeitsvergütung,

hilfsweise für den Fall des Unterliegens

die an alle Nacharbeiter von November 2021 bis heute gezahlte Schicht- und Mehrarbeitsvergütung,

hilfsweise für den Fall des Unterliegens

die an alle Springer im November 2021 bis heute gezahlte Schicht- und Mehrarbeitsvergütung,

hilfsweise für den Fall des Unterliegens

die an alle Beschäftigten aus der von der Klägerin gebildeten Vergleichsgruppe von November 2021 bis heute gezahlte Schicht- und Mehrarbeitsvergütung.

Die Klägerin und Widerbeklagte hat beantragt,

die Widerklageanträge abzuweisen.

Der Beklagte hat darauf verwiesen, dass er in der betriebsratslosen Zeit vom 12.06.2013 bis zum 25.09.2013 von der Klägerin als Güteprüfer eingesetzt und gemäß Entgeltstufe 12 vergütet worden sei. Deswegen sei auch für die Zeit nach seiner Wahl in den Betriebsrat ab dem Jahre 2013 die Vergütung gemäß Entgeltstufe 12 zu zahlen. Der Beklagte vertritt die Auffassung, die Klägerin trage wie in sonstigen Fällen der korrigierenden Rückgruppierung die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Vergütung des Beklagten nach Entgeltstufe 12 fehlerhaft gewesen sei. Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, die von der Klägerin gebildete (neue) Vergleichsgruppe sei nicht korrekt. Für den Fall, dass nicht auf die Tätigkeit des Beklagten in der Zeit vom 12.06. bis zum 25.09.2013, sondern auf die Zeit seiner Springertätigkeit abzustellen wäre, wäre zu bestreiten, dass nur die Springer des Arbeitssystems LP3RS180 mit dem Beklagten vergleichbar seien.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin hätte hinsichtlich ihrer Rückzahlung, die per Aufrechnung realisiert worden sei, die Ausschlussfristen gem. § 23 MTV nicht gewahrt. Zudem sei eine Rückforderung gem. § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf den Inhalt der dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 01.02.2024 waren, verwiesen.

Mit Urteil vom 01.02.2024 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgeben und die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass mangels erheblichem Vortrags des Beklagten auf die von der Klägerin ermittelte und aus sieben Personen bestehende Vergleichsgruppe von Montage-Springern abzustellen gewesen sei. In dieser Vergleichsgruppe habe sich keiner der vormaligen Kollegen des Klägers höher als bis in die ES 11 entwickelt.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde am 20.02.2024 an die Prozessbevollmächtigte des Klägers zugestellt. Die dagegen gerichtete Berufungsschrift ist am 07.03.2024 und die dazugehörige Berufungsbegründung am 21.05.2024 und damit am letzten Tag der bis dahin verlängerten Berufungsbegründungsfrist beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Zur Begründung seiner Berufung macht der Beklagte geltend, dass er sich bei Zugrundelegung der ihm bis zur erstmaligen Amtsübernahme im Jahr 2010 übertragenen Tätigkeiten nach Maßgabe seiner fachlichen und persönlichen Qualifikationen mindestens in die ES 12 entwickelt hätte. Konkret hätte für ihn die Möglichkeit bestanden, sich zum Teamsprecher wählen zu lassen. Hierdurch hätte er eine Zulage in Höhe einer weiteren Entgeltstufe erhalten. Ferner hätte sich der Beklagte zum Nacharbeiter entwickelt. Der betriebliche Entwicklungsweg zum Mitarbeiter im Finishbereich mit einer Vergütung in ES 12 sei für Montagespringer vorgesehen. Schließlich habe der Beklagte im Jahr 2017 über Herrn S., den damaligen Personalsachbearbeiter, einen Antrag an die damalige Kommission zur Festlegung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern der V. AG zur Begutachtung einer möglichen Vergütungsentwicklung nach ES 13 gestellt. Die in diesem Antrag vom Beklagten benannten Vergleichspersonen R. H. und V. L. fehlten in der von der Klägerin gebildeten Vergleichsgruppe.

Hinsichtlich Verteilung der Darlegungs- und Beweislast vertritt der Beklagte die Auffassung, dass es Aufgabe der Klägerin sei, auf konkrete Tatsachen gestützt plausibel zu machen, warum die von der "Kommission Betriebsratsvergütung" mit Schreiben vom 10.01.2012 getroffene und von der Klägerin mit Schreiben vom 25.09.2013 bestätigte Feststellung, dass der Beklagte in seiner (hypothetischen) beruflichen Entwicklung in der ES 12 angelangt sei, auf einmal unzutreffend sein soll. Schließlich sei die Feststellung der Kommission im Schreiben vom 10.01.2012 ausdrücklich mit dem Hinweis auf mit dem Beklagten "vergleichbare [...] Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung gem. § 37 Abs. 4 BetrVG" getroffen worden. Der Beklagte kenne die tatsächlichen Grundlagen dieser Feststellungen nicht - die Klägerin sei insofern sachnäher.

Parallel dazu leitet der Beklagte seinen Anspruch auf Vergütung nach ES 12 daraus ab, dass er in der betriebsratslosen Zeit im Spätsommer 2013 als Güteprüfer Aufgaben übertragen bekommen habe, die von der Wertigkeit der ES 12 entsprochen hätten. Ohne seine erneute Kandidatur für den Betriebsrat im Jahr 2013 wäre der Beklagte in den Folgejahren weiter als Güteprüfer beschäftigt worden und hätte sich mit seinen Kollegen in diesem Bereich entwickelt.

Im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung vom 21.05.2024 (Bl. 151 ff.) ergänzt durch den Schriftsatz des Beklagten vom 10.09.2024 (Bl. 275 ff.) verwiesen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 01.02.2024 - 4 Ca 75/23 - abzuändern und

  1. 1.

    die Klage abzuweisen.

    Auf die Widerklage,

  2. 2.

    die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten für die Monate Mai bis Oktober 2023 630,87 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 105,15 EUR netto seit dem 01.06.2023, 01.07.2023, 01.08.2023, 10.09.2023, 01.10.2023 und 01.11.2023 zu zahlen.

  3. 3.

    festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, den Beklagten seit dem 01.02.2023 nach Entgeltstufe (ES) 12 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. AG und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vom 05. März 2018 in der jeweils gültigen Fassung (aktuell vom 01.06.2023) zu vergüten und die Bruttonachzahlungsbeträge gem. § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der V. AG (Anlage B 10) ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit 5%-Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

    Hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit Antrag Ziff. 3

  4. 4.

    die Klägerin zu verpflichten, Auskunft über die bei ihr am 04.05.2010 beschäftigten "Springer" aller Arbeitssysteme unter Angabe der jeweiligen Klarnamen zu geben und mitzuteilen, wodurch sich die Arbeitssysteme unterscheiden.

  5. 5.

    die Klägerin zu verpflichten mitzuteilen, welche der bei ihr am 04.05.2010 beschäftigten "Springer" auch im Nacharbeitsbereich eingesetzt wurden.

  6. 6.

    die Klägerin zu verpflichten mitzuteilen, welche der bei ihr am 04.05.2010 beschäftigten "Springer" Tätigkeiten im Regelkreis ausgeübt haben und welche "Springer" in diesem Zeitpunkt Erfahrung im Innenausbau hochwertiger Spezialfahrzeuge besaßen.

  7. 7.

    die Klägerin zu verpflichten mitzuteilen,

    1. a)

      wie viele Montagespringer sich seit Mai 2010 bei ihr zu Nacharbeitern entwickelt haben, sowie

    2. b)

      nach welchen Kriterien die Stellenbesetzungen erfolgten.

  8. 8.

    die Klägerin zu verpflichten mitzuteilen, welche der bei ihr am 04.05.2010 beschäftigten "Springer" Gruppen- und/oder Teamsprecher gewesen sind.

  9. 9.

    die Klägerin zu verpflichten, dem Kläger Auskunft zu erteilen über

    1. a)

      die für seine Eingruppierung zu Grunde gelegten Kommissionsvorschläge,

    2. b)

      die Namen der Kommissionsmitglieder im Vorschlagszeitpunkt,

    3. c)

      die Begründung für die Hochstufung des Beklagten auf Entgeltstufe (ES) 12,

    4. d)

      die seit der Amtsübernahme am 04.05.2010 für den Beklagten bis heute jeweils gebildete Vergleichsgruppe unter Benennung der Klarnamen, Geburtsdaten, Eintrittsdaten, Qualifikationen, Eingruppierungen über den gesamten Zeitraum und ausgeübten Tätigkeiten über den gesamten Zeitraum.

  10. 10.

    die Klägerin zu verpflichten, dem Kläger unter Vorlage von Abrechnungen oder vergleichbarer Nachweise Auskunft zu erteilen über

    die an alle Teamsprecher Nacharbeit von November 2021 bis heute gezahlte Schicht- und Mehrarbeitsvergütung,

hilfsweise für den Fall des Unterliegens

die an alle Nacharbeiter von November 2021 bis heute gezahlte Schicht- und Mehrarbeitsvergütung,

hilfsweise für den Fall des Unterliegens

die an alle Springer von November 2021 bis heute gezahlte Schicht- und Mehrarbeitsvergütung,

hilfsweise für den Fall des Unterliegens

die an alle Beschäftigten aus der von der Klägerin gebildeten Vergleichsgruppe von November 2021 bis heute gezahlte Schicht- und Mehrarbeitsvergütung.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin beruft sich darauf, dass das Arbeitsgericht Hannover die von der Klägerin jetzt vorgenommene Vergleichsgruppenbildung zum Zeitpunkt der Amtsübernahme des Beklagten am 04.05.2010 bestätigt habe. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er ohne die Freistellung für das Betriebsratsamt eine betriebsübliche Entwicklung über die ES 11 hinaus genommen hätte, liege beim Beklagten. Der Beklagte habe hinsichtlich einer etwaigen Funktion als Teamsprecher oder einer ausschließlichen Beschäftigung im Nacharbeitsbereich lediglich bestehende Möglichkeiten aufgezeigt. Den Nachweis, dass für ihn eine entsprechende Entwicklung zumindest überwiegend wahrscheinlich gewesen wäre, sei er indes schuldig geblieben.

Richtigerweise gehe das Arbeitsgericht Hannover davon aus, dass nicht auf die etwa 3,5 Monate lange betriebsratslose Zeit im Jahre 2013 am Standort H. abzustellen sei, weil es sich dabei lediglich um die Überbrückung eines sehr kurzen Zeitraums gehandelt habe. Auch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung über einen Einsatz des Beklagten als Güteprüfer sei abzulehnen. Für die Nichtberücksichtigung der betriebsratlosen Zeit im Rahmen der Vergleichsgruppenbildung spreche, dass eine betriebsübliche Entwicklung des Beklagten ohne Betriebsratsmandat im Sinne des § 37 Abs. 4 BetrVG durch das Abstellen auf eine solche eher zufällige Tätigkeit in dieser sehr kurzen Zeit nicht hinreichend abgebildet werden würde.

Ergänzend wird auf die Berufungserwiderung der Klägerin vom 24.06.2024 (Bl. 176 ff. d. A.) sowie deren Schriftsatz vom 06.09.2024 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die statthafte (§ 64 ArbGG) und vom Beklagten form- und fristgerecht eingelegte und begründete (§ 66 ArbGG) Berufung ist zulässig und begründet.

I.

Die Klage ist unbegründet, die Widerklage ist begründet. Der Kläger hat nach §§ 611a Abs. 2 BGB, 37 Abs. 2, 4, 78 S.2 BetrVG i.V.m. der Mitteilung der Beklagten vom 10.01.2012 und 25.09.2013 Anspruch auf Vergütung nach ES 12 im Klagezeitraum. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die mit Wirkung vom 01.02.2012 mitgeteilte Erhöhung der Vergütung nach ES 12 den Beklagten nach § 78 S. 2 BetrVG unzulässig begünstigt.

1.

Über die Bestimmung mit der Entgeltentwicklung von Betriebsratsmitgliedern verhält sich die GBV 08/20 (GBV Vergütung) sowie die hierzu ergangene Durchführungsanweisung (DA). Der Beklagte hat mit Schreiben der Klägerin vom 10.01.2012 (Bl. 389 d. erstinstanzlichen Akte) die Mitteilung über die Zahlung einer Vergütung nach ES mit Wirkung ab dem 01.12.2012 erhalten.

Darin liegt zwar kein Angebot auf vertragliche Abänderung der vereinbarten Vergütung, welches der Kläger konkludent gem. § 151 BGB angenommen hat. Die Auslegung des Schreibens vom 10.01.2012 wonach sich das Monatsentgelt entsprechend der mit dem Beklagten vergleichbaren Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung zum 01.02.2012 nach Entgeltstufe 12 erhöht, am Maßstab von §§ 133, 157 BGB lässt bereits durch die Bezugnahme auf die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer für den Empfänger deutlich werden, dass die Klägerin (nur) ihrer Verpflichtung nach § 37 Abs. 4 BetrVG nachkommen und dem Beklagten auf Grundlage der gesetzlichen Regelungen für die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern die ihm zustehende Vergütung zahlen wollte. "Erhöht" sich, wie es in dem Schreiben wörtlich heißt, das Monatsentgelt; ist für den Empfänger einer solchen Mitteilung hinreichend erkennbar, dass nicht das Angebot einer Vertragsänderung unterbreitet werden soll sondern sich die "Erhöhung" in Vollzug der Regelung des § 37 Abs. 4 BetrVG automatisch vollzieht.

2.

Dessen ungeachtet hat die Vergütungsmitteilung ein berechtigtes Vertrauen des Beklagten dahingehend begründet, dass die Klägerin auf Grundlage der GBV Vergütung und der dazu ergangenen DA die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Mitarbeitender und dessen berufliche Entwicklung gewürdigt und das ihm als freigestelltes Mitglied gesetzlich zustehende erhöhte Entgelt zahlt. Beruft sich der Arbeitgeber wie vorliegend die Klägerin erst nach elf Jahren darauf, dass die zugesagte Erhöhung der Vergütung das Betriebsratsmitglied nach § 78 S. 2 BetrVG unzulässig begünstigt, so ist der Arbeitgeber für das Vorliegen einer unzulässigen Vergünstigung darlegungs- und beweisverpflichtet.

a)

Das Betriebsratsmitglied trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast, wenn es wegen unzulässiger Benachteiligung in Bezug auf sein Betriebsratsamt einen Anspruch auf eine höhere Vergütung aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S.2 BetrVG gegenüber dem Arbeitgeber geltend macht. Derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, trägt die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen (BAG 20. Januar 2021 - 7 AZR 52/20 - Rn. 24). Behauptet er, dass er ohne Ausübung seines Amtes oder ohne Freistellung durch Beförderung einen beruflichen Aufstieg genommen hätte, kann er insoweit vortragen, dass seine Bewerbung auf eine bestimmte Stelle gerade wegen seiner Freistellung und / oder seiner Betriebsratstätigkeit erfolglos geblieben ist. Hat er sich auf eine bestimmte Stelle tatsächlich nicht beworben, kann und muss er zur Begründung des fiktiven Beförderungsanspruchs darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen und eine Bewerbung ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre. Hätte eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung keinen Erfolg gehabt, steht dies einem Anspruch nicht zwingend entgegen. Scheitert nämlich eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung des freigestellten Amtsträgers an fehlenden aktuellen Fachkenntnissen oder daran, dass der Arbeitgeber sich zur Beurteilung der fachlichen und beruflichen Qualifikationen in Folge der Freistellung außerstande gesehen hat, so ist zwar die Entscheidung des Arbeitgebers für den als qualifizierter erachteten Bewerber nicht zu beanstanden. Gleichwohl kann in einem solchen Fall ein fiktiver Beförderungsanspruch des Amtsträgers bestehen, wenn das Fehlen von feststellbarem aktuellen Fachwissen gerade aufgrund der Freistellung eingetreten ist (vgl. BAG 4. November 2015 - 7 AZR 972/13 - Rn. 31; 20. Januar 2021 - 7 AZR 52/20 - Rn. 23).

b)

Spiegelbildlich wechselt die Darlegungs- und Beweislast auf den Arbeitgeber, wenn er gegenüber dem Betriebsratsmitglied geltend macht, eine in der Vergangenheit zugesagte und gezahlte Vergütung verstoße gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S.2 BetrVG. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall einen Sachverhalt darlegen, der den Schluss auf eine unzulässige Begünstigung ermöglicht (BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - Rn. 44; BGH 13. Januar 1983 - III ZR 88/81 - Rn. 23); auch dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der sich auf einen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz beruft, diesen beweisen muss (BAG 29. August 2018 - 7 AZR 206/17 - a.a.O.) Solange somit eine höhere Vergütung zwischen den Parteien im Streit und noch nicht durch den Arbeitgeber zugesagt ist, trägt deshalb das Betriebsratsmitglied die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG; möchte der Arbeitgeber, der eine höhere Vergütung zugesagt hat, sich von dieser unter Berufung auf einen Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG wieder lösen, so muss er den Verstoß gegen das Verbotsgesetz darlegen und beweisen (LAG Niedersachsen 01.07.2024 - 1 Sa 636/23 - Rn. 31 ff.).

c)

Die Klägerin hat dem Beklagten mit Schreiben vom 10.01.2012 eine Vergütung nach ES 12 mitgeteilt und macht elf Jahre später geltend, diese Vergütung begünstige ihn nach § 78 S. 2 BetrVG unzulässig. Es obliegt in dieser Konstellation nicht dem beklagten Arbeitnehmer, nach Einstellung der Zahlung der zugesagten Vergütung im Nachhinein retrospektiv einen Vergütungsanspruch aus § 37 Abs. 4 BetrVG bzw. § 611a Abs. 2 i. V. m. § 78 S. 2 BetrVG darzulegen und zu beweisen. Dies ist einem Betriebsratsmitglied, das auf die Gesetzmäßigkeit der zugesagten Vergütung vertraut, regelmäßig nicht möglich. Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, einen Arbeitnehmer zu verpflichten, vorausschauend trotz Prüfung durch den Arbeitgeber und jahrelanger Zahlung einer vermeintlich übersetzten Vergütung Unterlagen vorzuhalten und Beweismittel zu sichern, die es ihm im Streitfall ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der gezahlten Vergütung darzulegen. Es obliegt deshalb dem Arbeitgeber, zunächst einen schlüssigen Sachverhalt darlegen, aus dem sich ein Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S.2 BetrVG ableiten lässt. Legt der Arbeitgeber einen solchen Sachverhalt aber schlüssig dar, ist es sodann Sache des Betriebsratsmitglieds, sich substantiiert hierauf einzulassen und diesen gegebenenfalls zu entkräften. Dazu kann in einem solchen Fall gehören, dass er Tatsachen dafür vorträgt, die den Rückschluss auf eine gesetzesmäßig ermittelte und vollzogene Vergütung erlauben. Bleiben entscheidungserhebliche Tatsachen im Streit, obliegt der Beweis dafür, dass die mitgeteilte und gezahlte Vergütung gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S.2 BetrVG verstößt, dem Arbeitgeber (LAG Niedersachsen 01.07.2024 - 1 Sa 636/23 - Rn. 34).

3.

Gemessen daran hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt, dass die Vergütungsmitteilung vom 10.01.2012, welche durch das Schreiben der Klägerin vom 25.09.2023 bestätigt worden ist, gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG verstößt.

a)

Die Klägerin beruft sich darauf, dass die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer nach § 37 Abs. 4 BetrVG nicht über die ES 11 des hinausgegangen sei, weil von den im vorliegenden Verfahren benannten sieben Montage-Springern im Arbeitssystem LP3RS180 sich keiner höher als die ES 11 entwickelt habe. Hingegen hat die Klägerin vorgerichtlich und im vorliegenden Verfahren keinerlei Auskunft dazu erteilt, von welcher Vergleichsgruppe die Kommission zur Festlegung der Vergütungen der Betriebsräte im Rahmen ihrer im Januar 2012 durchgeführten Beurteilung ausgegangen ist.

b)

Mit diesem Vortrag wird eine unzulässige Begünstigung nach § 78 S. 2 BetrVG nicht dargelegt. Die Klägerin setzt allein am Standort H. eine dreistellige Zahl von Montage-Springern ein. Die Gründe, warum diese relative große potenzielle Vergleichsgruppe auf die Montage-Springer im Arbeitssystem LP3RS180 zu reduzieren ist, hat die Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt. Der Beklagte hat seinerseits zumindest plausibel gemacht, welche Aufstiegsmöglichkeiten für ihn als Montage-Springer bestanden haben (Wahl zum Gruppen- bzw. Teamsprecher, Qualifizierung in den Bereich der Nacharbeit und nach der "vergleichenden Durchsprache" der vorrangige oder ausschließliche Einsatz im Finishbereich). Vor dem Hintergrund, dass der Beklagte hier die - ihm ursprünglich von der Klägerin zugestandene - berufliche Entwicklung um nur eine einzige Entgeltstufe (von der ES 11 in die ES 12) verteidigt, erscheint es der Kammer als sehr unwahrscheinlich, dass sich dieser Aufstieg um eine Gruppe nicht während einer mehr als zehnjährigen Zeitspanne vollzogen hätte, wenn der Beklagte in der Produktion verblieben wäre anstatt die mit dem Betriebsratsamt verbundene Freistellung in Anspruch zu nehmen. Dass der Beklagte die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser fiktiven beruflichen Entwicklung nicht hat darlegen können ist auch darauf zurückzuführen, dass die Klägerin die Beantwortung der vom Kläger mit seiner Hilfswiderklage gestellten Anträge verweigert hat.

4.

Da ein Verstoß gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG durch die Klägerin nicht dargelegt worden ist, hat der Beklagte Anspruch darauf, ab dem 01.12.20212 durchgängig nach ES 12 vergütet zu werden. Dem darauf gerichteten Feststellungantrag aus der Widerklage war stattzugeben - der gegenläufige Feststellungsantrag aus der Klage war abzuweisen. Für die von der Klägerin in den Monaten Mai bis Oktober 2023 durchgeführte Vergütungskürzung fehlte es an einer Rechtsgrundlage. Die monatlichen Differenzen i.H.v. 105,15 € netto hat die Klägerin zuzüglich der angefallenen Verzugszinsen an den Beklagten auszukehren. Die vom Beklagten als Hilfsanträge formulierten umfangreichen Auskunftsansprüche sind nicht zur Entscheidung angefallen, weil der Beklagte schon mit seinen Hauptanträgen obsiegt hat.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Zulassung der Revision aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.