Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.01.2023, Az.: 9 K 162/21
Ehevertrag; Güterstandsschaukel; Steuerfolgen als Geschäftsgrundlage; Wegfall der Geschäftsgrundlage; Rückwirkende Anpassung eines Ehevertrags aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 05.01.2023
- Aktenzeichen
- 9 K 162/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 11966
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE::2023:0105.9K162.21.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- BFH - AZ: IX R 4/23
Rechtsgrundlagen
- AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
- BGB § 313
- BGB § 364 Abs. 1
- EStG § 17
Fundstellen
- DStRE 2023, 1327-1332
- ErbR 2023, 974-981
- RdW 2023, 556-557
- StX 2023, 597-598
Amtlicher Leitsatz
Die Rückgängigmachung eines Vertrages aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB führt nur dann zu einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, wenn der Rechtsgrund für den Wegfall der Geschäftsgrundlage im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt war. Um einen bereits verwirklichten Sachverhalt nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit steuerlicher Rückwirkung wieder entfallen zu lassen, muss ein nicht am Vertragsschluss beteiligter Dritter, der die Vertragsgrundlagen nicht ohne Weiteres kennen kann, auch tatsächlich erkennen, dass die dem Abschluss des Rechtsgeschäfts zugrundeliegenden Umstände bereits im Rechtsgeschäft angelegt waren. Es ist daher nicht ausreichend, dass bloße Umstände, die eine Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB darstellen, ohne weitere erkennbare Anknüpfungspunkte zur Rückgängigmachung des Rechtsgeschäfts geführt haben. Die von den Vertragsparteien gemeinsam zur Vertragsgrundlage gemachten Umstände dürfen daher nicht nur einmal zwischen diesen Parteien angesprochen worden sein. Eine solche Vertragsgrundlage muss für sich allein erkennbar sein. Sie muss sich also zumindest aus sonstigen, im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts stehenden Quellen ergeben. Hierfür können beispielsweise im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts erstellte Dokumente herangezogen werden oder auch Aussagen eines nicht am Vertragsschluss beteiligten Dritten.
Tatbestand
Streitig ist, ob eine aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfolgte Vertragsanpassung ein rückwirkendes Ereignis darstellt, das einen entstandenen Veräußerungsgewinns gem. § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit entfallen lässt.
Die Kläger sind seit dem Jahr 1997 - und auch weiterhin - verheiratet und wurden im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Nach einer erbschaftsteuerrechtlichen Beratung durch einen Notar entschieden die Kläger im Streitjahr 2019, abweichend vom gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft eine Gütertrennung zu vereinbaren. Es war angedacht, den dadurch entstehenden Zugewinnausgleichsanspruch durch Übertragung von Anteilen an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu erfüllen. Da die Kläger sichergehen wollten, dass dies keine Steuer auslöst, ließen sie sich von ihrem Steuerberater - dem Prozessbevollmächtigten - diesbezüglich beraten. In einem gemeinsamen Gespräch mit den Klägern erteilte der Steuerberater die Auskunft, dass die Übertragung der Anteile keine Einkommensteuer auslöse. Die Ergebnisse dieser Besprechung fasste der Steuerberater in einem an die Kläger gerichteten Schreiben vom ... 2019 zusammen.
Im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an dieses Beratungsgespräch schlossen die Kläger am ... 2019 (14 Tage nach dem Schreiben des Steuerberaters) einen notariellen Ehevertrag nebst Zugewinnausgleichsvereinbarung (nachfolgend "Ehevertrag") ab. Hierin vereinbarten sie die Gütertrennung (§ 1 des Ehevertrages) und setzten einvernehmlich einen Zugewinnausgleichsanspruch der Klägerin gegenüber dem Kläger in Höhe von ... Mio. EUR fest (§ 4 des Ehevertrages). Der Kläger erklärte, dass er Gesellschafter der ... GmbH (GmbH) sei und dass er die Geschäftsanteile Nr. 1 bis 12.500 im Nennbetrag von jeweils ... EUR halte. Die Kläger erklärten übereinstimmend, dass der Verkehrswert der Geschäftsanteile insgesamt ... Mio. EUR (also ... EUR je Geschäftsanteil) betrage (§ 5 Ziff. 1 des Ehevertrages). Zur Erfüllung des Zugewinnausgleichsanspruchs aus § 4 des Ehevertrages übertrug der Kläger die Geschäftsanteile Nr. 8.301 bis Nr. 12.500 im Nennbetrag von insgesamt ... EUR an die Klägerin und trat die benannten Geschäftsanteile an die Klägerin ab. Die Klägerin nahm die Übertragung und Abtretung an. Die Kläger erklärten, dass damit der Zugewinnausgleichsanspruch der Klägerin in Höhe von ... Mio. EUR abgedeckt sei. Den weitergehenden Betrag von ... EUR habe die Klägerin am Tag des Vertragsschlusses in bar vom Kläger ausgezahlt bekommen (§ 5 Ziff. 3 des Ehevertrages). Der Notar wies die Kläger darauf hin, dass er eine steuerrechtliche Beratung nicht durchgeführt, deren Einholung jedoch empfohlen und auf eine mögliche Grunderwerbsteuer- und Schenkungsteuerpflicht hingewiesen habe (§ 6 Ziff. 4 des Ehevertrages). Die Kläger vereinbarten, dass sie die Kosten der Vereinbarung und ihrer Durchführung gemeinsam tragen (§ 6 Ziff. 7 des Ehevertrages). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Ehevertrag vom ... 2019 Bezug genommen.
Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens gegen den Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer 2019 vom ... 2019, in dem der Beklagte den Vorgang nach § 17 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 2 Satz 5 EStG der Besteuerung unterwarf und entsprechende Einkommensteuervorauszahlungen für das Streitjahr festsetzte, teilten die Kläger dem Beklagten mit, dass sie beabsichtigten, die Anteilsübertragung vom Kläger an die Klägerin rückgängig zu machen. Die Rückabwicklung solle wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfolgen und stelle nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein rückwirkendes Ereignis dar, das steuerlich auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Anteilsübertragung zurückwirke.
Am ... 2020 schlossen die Kläger eine notarielle Änderungsvereinbarung ab. Dort regelten die Kläger, dass sie bei Abschluss des Ehevertrages am ... 2019 übereinstimmend die Vorstellung gehabt hätten, dass die Übertragung der GmbH-Anteile zum Ausgleich der Zugewinnausgleichsforderung keine einkommensteuerrechtlichen Konsequenzen haben würde. Vor diesem Hintergrund passten die Kläger den Ehevertrag an und änderten ihn teilweise inhaltlich. Die Kläger fassten sodann § 5 Ziff. 3 des Ehevertrages neu und regelten, dass zur Erfüllung des in § 4 des Ehevertrages geregelten Zugewinnausgleichs der Kläger an die Klägerin eine Teilzahlung in Höhe von ... EUR in bar leistet. Die Klägerin bekannte und bestätigte, dass sie diesen Betrag von dem Kläger in bar ausgezahlt erhalten hat. Die Klägerin stundete den weitergehenden "Zugewinnausanspruch" in Höhe von ... Mio. EUR verzinslich bis zum Tode des Klägers (Ziff. 1 der Änderungsvereinbarung). Die Kläger gingen übereinstimmend davon aus, dass der rechtliche Grund für die Abtretung der Geschäftsanteile entfallen sei. Zur Erfüllung des Bereicherungsanspruches nach § 812 BGB übertrug die Klägerin die Geschäftsanteile mit allen Rechten, Pflichten und dem Gewinnbezugsrecht für das abgelaufene Geschäftsjahr und für das gesamte derzeit laufende Geschäftsjahr einschließlich aller etwa unter die Gesellschafter noch nicht verteilter Gewinne vorangegangener Geschäftsjahre an den Kläger zur Alleinberechtigung zurück und trat die Geschäftsanteile ab (Ziff. 2 der Änderungsvereinbarung).
Die Kläger reichten im ... 2020 ihre Einkommensteuererklärung für 2019 beim Beklagten ein. Hierin erklärten sie keinen Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG.
Der Beklagte folgte der von den Klägern in der Steuererklärung vertretenen Auffassung nicht. Er setzte daher im Einkommensteuerbescheid 2019 vom ... 2021 einen Veräußerungsgewinn in Höhe von ... Mio. EUR an. Aus den Erläuterungen ergibt sich, dass der Beklagte von der Erfüllung des Tatbestandes des § 17 EStG durch den vertraglich beschlossenen Zugewinnausgleich im Ehevertrag vom ... 2019 ausging. Es handele sich um einen tauschähnlichen Vorgang (BFH, Beschluss vom 30. März 2011 IX B 114/10). Die Rückabwicklung des Vertrages durch die Änderungsvereinbarung vom ... 2020 stelle kein rückwirkendes Ereignis dar, das steuerlich auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Anteilsübertragung zurückwirke. Die steuerlichen Folgen des Veräußerungsgeschäftes gehörten nur dann nicht in die alleinige Risikosphäre des Veräußerers, wenn die Vertragsparteien eine bestimmte Lastenverteilung explizit zur Vertragsgrundlage gemacht hätten. Hierbei genüge es, dass die Vertragsbedingungen eine gemeinsame Fehlvorstellung über die steuerlichen Folgen offenbarten. Der Vertrag im vorliegenden Fall erfülle diese Bedingungen jedoch nicht. Er enthalte, abgesehen von dem Standardhinweis, dass der Notar keine steuerliche Beratung durchgeführt habe (§ 6 Ziff. 4 des Ehevertrages), keine Hinweise auf steuerlichen Folgen. Die Berechnung des Veräußerungsgewinns ergebe sich aus dem Vorauszahlungsbescheid über Einkommensteuer vom ... 2019. In diesem ging der Beklagte von Anschaffungskosten in Höhe von ... EUR und einem gemeinen Wert der Anteile bei Veräußerung in Höhe von ... Mio. EUR aus. Daraus ergab sich ein Veräußerungsgewinn i.S.d. § 17 EStG in Höhe von ... Mio. EUR. Unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach § 3 Nr. 40 Buchst. c EStG ergab sich demnach ein steuerfreier Anteil in Höhe von ... Mio. EUR und ein steuerpflichtiger Anteil in Höhe von ... Mio. EUR.
Hiergegen wendeten sich die Kläger mit ihrem fristgerecht erhobenen Einspruch.
Die Anteilsübertragung aufgrund des Ehevertrages sei durch die Änderungsvereinbarung aufgehoben worden. Die Vertragsaufhebung stelle ein rückwirkendes Ereignis dar, das steuerlich auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Anteilsübertragung zurückwirke. Die Vertragsparteien seien fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Übertragung der GmbH-Anteile keine steuerrechtlichen Konsequenzen habe. Die Vertragsparteien hätten nicht gewusst, dass ein Zugewinnausgleichsanspruch nur in Geld bestehen könne, nicht jedoch in Sachwerten. Auch der Notar habe nicht darüber informiert, dass es sich um einen Geldanspruch handele. Im Ursprungsvertrag müsse nichts über die steuerlichen Konsequenzen geschrieben worden sein; es reiche nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 8. November 1975 VI ZR 153/73) aus, dass die Vertragsparteien eine gemeinsame Fehlvorstellung über die steuerlichen Konsequenzen gehabt hätten. Der gemeinsame Irrtum über steuerliche Folgen könne zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen. Die Rückabwicklung des Vertrages sei daher ein rückwirkendes Ereignis mit der Folge, dass kein Veräußerungsgewinn im Streitjahr zu berücksichtigen sei.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom ... 2021 als unbegründet zurück.
Durch die Übertragung der GmbH-Anteile aufgrund des Ehevertrages sei ein Veräußerungsgewinn entstanden, da die Kläger die Übertragung einvernehmlich ohne weitere Gegenleistung vereinbart hätten. Die Kläger hätten sich vorweg über die Höhe ihrer Vermögen und den auszugleichenden Zugewinn geeinigt. Der Veräußerungsgewinn entstehe im Zeitpunkt des Übergangs des rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentums. Der Zufluss des Entgeltes sei nicht entscheidend. Abzustellen sei auf den tatsächlich erzielten Erlös, welcher Sachleistungen am Tag des Gefahrübergangs einschließe. Veränderungen des Werts der Gegenleistung nach vollständiger Erfüllung der Gegenleistungspflicht beeinflussten die Höhe des Veräußerungspreises grundsätzlich nicht mehr. Anders sei dies nur, wenn der Grund für die spätere Änderung im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt sei. Ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung könne dementsprechend u.a. anzunehmen sein, wenn die nachträgliche Veränderung des zunächst geschuldeten Kaufpreises auf einem dem Veräußerungsvorgang selbst anhaftenden Mangel, z.B. einer Leistungsstörung, beruhe. Auch soweit der Erwerber die geschuldete Gegenleistung bereits erbracht habe, könne in diesen Fällen regelmäßig davon ausgegangen werden, dass der Grund für das Ereignis, das zur späteren Änderung der Gegenleistung führe, im ursprünglichen Rechtsgeschäft selbst angelegt gewesen sei. Dies gelte auch dann, wenn der Kaufpreis infolge Fehlens oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage zurückgezahlt werden müsse.
Die Aussage der Kläger, dass für eine Anlage der späteren Änderung im ursprünglichen Rechtsgeschäft bereits die gemeinsame Fehlvorstellung über die steuerlichen Konsequenzen ausreiche, sei aus dem von den Klägern angeführten BGH-Urteil nicht erkennbar. Der vorliegende Fall liege zudem anders, da in dem Ehevertrag nur eine Einholung steuerlicher Beratung vom Notar empfohlen worden sei, für die der Notar jedoch nicht zuständig gewesen sei. Dass die steuerlichen Erwägungen der Kläger bei der Vertragsgestaltung eine erhebliche Rolle gespielt hätten, sei daher - anders als im vom BGH entschiedenen Fall - schon nicht ersichtlich.
Der erforderliche Zusammenhang mit dem Veräußerungsvorgang, der zu einer steuerlichen Rückwirkung führen würde, liege hier nicht vor. Die Kläger hätten sich im notariellen Ehevertrag auf die Übertragung der GmbH-Anteile geeinigt. Die Übergabe sei direkt bei Vertragsabschluss erfolgt. Auch wenn bei der Rückübertragung in der Änderungsvereinbarung auf den ursprünglichen Vertrag Bezug genommen worden sei, so führe dies nicht dazu, dass der ursprüngliche Vertrag aufgehoben worden sei. Er werde nur dahingehend geändert, dass die GmbH-Anteile erneut (zurück-)übertragen würden und die Klägerin einen Anspruch auf Verzinsung erhalte.
Die durch die Übertragung anfallende Steuerbelastung sei grundsätzlich von den Klägern gemeinsam zu tragen. Auch wenn sich die Schlussvorschrift hinsichtlich der gemeinsamen Tragung der Kosten nicht explizit auf Steuerforderungen bezogen habe, so sei darauf hinzuweisen, dass die Kläger auch für Forderungen aufgrund des Einkommensteuerbescheides Gesamtschuldner seien. Zudem hätten die Kläger vereinbart, dass sie auch die Kosten der Durchführung des Vertrages gemeinsam bezahlen wollten.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer fristgerecht beim Niedersächsischen Finanzgericht erhobene Klage. Sie verfolgen ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiter.
Der Prozessbevollmächtigte habe übersehen, dass es sich bei einem Zugewinnausgleichsanspruch um einen Geldanspruch handele. Der Zugewinnausgleich durch Übertragung von GmbH-Anteilen könne entgegen der damaligen Ansicht nicht steuerfrei erfolgen, sondern stelle einen tauschähnlichen Vorgang dar und erfülle damit den Veräußerungstatbestand des § 17 EStG. Er habe daher die Kläger falsch beraten.
Geschäftsgrundlage für den Abschluss des Ehevertrages seien erbschaftsteuerliche Optimierungen in Form einer Ersparnis zukünftiger Erbschaftsteuer bei der späteren Übertragung des Vermögens auf die nächste Generation gewesen. Wenn durch diesen Vorgang eine Einkommensteuer entstehe, die deutlich höher sei als die mögliche Erbschaftsteuerersparnis, sei der Grund für den Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben. Dies gelte insbesondere, da sich die Kläger trotz vorheriger steuerlicher Beratung gemeinsam über die steuerlichen Folgen des Ehevertrages im Irrtum befunden hätten. Infolge dieser Überlegungen sei die Änderungsvereinbarung abgeschlossen, die Anteilsübertragung rückgängig gemacht und der Zugewinnausgleichsanspruch verzinslich bis zum Tod des Klägers gestundet worden.
Der vorliegende Sachverhalt sei mit dem, dem BFH-Urteil vom 28. Oktober 2009 IX R 17/09 (BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539) zugrundeliegenden Fall vergleichbar. Auch dort seien die Beteiligten von gar keiner oder nur einer minimalen Steuerbelastung ausgegangen; tatsächlich habe die Vertragskonstellation jedoch zu riesigen Steuernachzahlungen geführt. Wegen des gemeinsamen Rechtsirrtums habe der BFH einen Wegfall der Geschäftsgrundlage anerkannt.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid 2019 vom ... 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... 2021 dahingehend abzuändern, dass die Einkünfte aus Gewerbebetrieb - Veräußerungsgewinn gem. § 17 EStG - in Höhe von 0 EUR angesetzt werden und die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Fall des BFH-Urteils vom 28. Oktober 2009 IX R 17/09 sei mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Zum einen sei zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages im vom BFH zu entscheidenden Fall die Rechtslage noch nicht geklärt gewesen. Im vorliegenden Fall sei jedoch die Rechtslage bereits klar gewesen. Zum anderen sei im vorliegenden Fall § 313 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anwendbar. Nach § 313 Abs. 2 BGB stehe es der Veränderung der Umstände gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, sich als falsch herausstellten. Im vom BFH zu entscheidenden Fall sei unter Ziffer 5 des Vertrages vereinbart worden, dass die mit dieser Urkunde und ihrem Vollzug verbundenen Kosten und die evtl. Steuern der Gesellschaft zur Last fallen. Im vorliegenden Fall sei hingegen nur eine Empfehlung zur Einholung steuerlicher Beratung vom Notar ausgesprochen worden. Zudem sei vereinbart worden, dass die Kosten der Vereinbarung und ihrer Durchführung gemeinsam getragen werden sollen. Eine bestimmte steuerliche Lastenverteilung sei hier - anders als im Fall des BFH - gerade nicht erfolgt.
Ein Ereignis wirke auf den bereits entstandenen materiellen Steueranspruch des § 17 Abs. 1 EStG ein und mithin zurück, wenn ein Kaufpreis aus Gründen zurückgewährt werde, die im Vertrag selbst angelegt seien. Selbst wenn man keine Steuerklausel im eigentlichen Sinne verlange, die den Vertrag bei einer bestimmten steuerrechtlichen Einordnung von vornherein entfallen ließe, sondern es ausreichen lasse, dass die Vertragsbedingungen eine gemeinsame Fehlvorstellung über die steuerlichen Folgen offenbarten, lägen die Voraussetzungen für ein rückwirkendes Ereignis vorliegend nicht vor. Der Ehevertrag enthalte ebenso wenig Ausführungen zur steuerlichen Lastenverteilung wie Hinweise oder Vereinbarungen bezüglich seiner steuerlichen Folgen. Ein bloßer Irrtum über die steuerlichen Folgen könne keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen, wenn er in den Vertragsbedingungen keinen Niederschlag gefunden habe.
Dem Senat lag die zur Steuernummer ... geführte Einkommensteuerakte des Beklagten nebst Rechtsbehelfshalbhefter ESt 2019 vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird hierauf sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2022 Bezug genommen (§ 105 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist begründet.
Der Einkommensteuerbescheid 2019 vom ... 2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zu Unrecht einen Veräußerungsgewinn in Höhe von ... Mio. EUR der Besteuerung unterworfen. Zwar erfüllte die Übertragung der GmbH-Anteile aufgrund des Ehevertrages zunächst den Tatbestand des § 17 Abs. 1 EStG (siehe hierzu unter 1.). Der Beklagte ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Rückübertragung der GmbH-Anteile auf den Kläger aufgrund der Änderungsvereinbarung kein rückwirkendes Ereignis darstellt (vgl. hierzu unter 2.).
1. Die Übertragung der GmbH-Anteile vom Kläger auf die Klägerin am ... 2019 erfüllt den Tatbestand des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG.
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war.
Im Streitfall war der Kläger innerhalb der letzten fünf Jahre vor Abschluss des Ehevertrages zu mindestens 1 Prozent an der GmbH beteiligt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Übertragung der GmbH-Anteile auf die Klägerin den Tatbestand des § 17 Abs. 1 EStG erfüllt. Dem stimmt der Senat im Ergebnis zu. Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin aufgrund des Ehevertrages einen auf eine Geldleistung gerichtete Zugewinnausgleichsanspruch gegenüber dem Kläger. Sie hat jedoch die Übertragung der GmbH-Anteile des Klägers, also eines Surrogats, an Erfüllungs statt angenommen. Dadurch ist das Schuldverhältnis zwischen den Klägern nach § 364 Abs. 1 BGB erloschen. Dieser Vorgang stellt eine entgeltliche Veräußerung i.S.d. § 17 EStG dar (so im Ergebnis auch BFH, Beschluss vom 30. März 2011 IX B 114/10, BFH/NV 2011, 1323 m.w.N.).
Auch die Höhe des vom Beklagten ermittelten Veräußerungsgewinns ist nicht zu beanstanden.
2. Der Beklagte ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der entstandene Veräußerungsgewinn nicht mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit entfallen ist. Die Rückübertragung der GmbH-Anteile auf den Kläger aufgrund der Änderungsvereinbarung stellt - entgegen der Auffassung des Beklagten - ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar.
a. Die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, § 38 AO. Bei den laufend veranlagten Steuern - wie vorliegend der Einkommensteuer - sind die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Grundsätzlich kann ein Sachverhalt nicht mit steuerrechtlicher Wirkung rückwirkend gestaltet werden, weil der Steuerpflichtige auf einen entsprechenden Steueranspruch nicht rückwirkend Einfluss nehmen kann. Eine solche Einflussnahme wäre ein unzulässiger Eingriff in öffentlich-rechtliche Verhältnisse (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 18. September 1984 VIII R 119/81, BFHE 142, 130, BStBl II 1985, 55 [BFH 18.09.1984 - VIII R 119/81]). Dies gilt jedoch nur insoweit, als die einschlägigen steuerrechtlichen Regelungen nicht bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt. § 313 BGB, auf den sich die Kläger berufen, ist eine zivilrechtliche Vorschrift und gerade keine solche steuerrechtliche Regelung (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 10. Mai 2017 3 K 1157/16, EFG 2017, 1440).
Es kommt somit maßgeblich darauf an, ob es sich bei dem Abschluss der Änderungsvereinbarung um ein Ereignis mit steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit (rückwirkendes Ereignis) im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO handelt. Nach der Rechtsprechung des BFH gilt § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sinngemäß für Bescheide, die rechtzeitig - wie hier - mit dem Einspruch angefochten worden sind (vgl. BFH, Urteile vom 19. August 2003 VIII R 67/02, BStBl II 2004, 107, 109; vom 28. Oktober 2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539).
b. Für die Frage, ob ein Veräußerungspreis materiell-rechtlich mit Wirkung auf den Zeitpunkt der Entstehung des Veräußerungsgewinns zurückwirkend geändert werden kann, ist nach der Rechtsprechung des BFH entscheidend, ob es sich um einen Fall eines beiderseits noch nicht vollständig erfüllten Kaufvertrags handelt oder ob die Gegenleistung bereits vollständig erbracht worden ist (vgl. nur BFH, Urteil vom 6. Dezember 2016 IX R 49/15, BFHE 256, 470, BStBl II 2017, 673).
aa. Im Fall eines beiderseits noch nicht vollständig erfüllten Kaufvertrags wirkt eine Veränderung der wertbestimmenden Umstände materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Entstehung des Veräußerungsgewinns zurück. Dabei ist es unerheblich, welche Gründe für die Minderung oder Erhöhung des (tatsächlich erzielten) Erlöses maßgebend waren (vgl. BFH, Urteil vom 13. Oktober 2015 IX R 43/14, BFHE 251, 326, BStBl II 2016, 212). Diese zur Höhe des Veräußerungspreises ergangene Rechtsprechung ist auch auf die Frage übertragbar, ob ein Anschaffungsvorgang dem Grunde nach anzunehmen ist (vgl. BFH, Urteil vom 6. Dezember 2016 IX R 49/15, BFHE 256, 470, BStBl II 2017, 673 m.w.N.). Die Rückübertragung der Verfügungsmacht stellt in diesem Fall keinen gesonderten marktoffenbaren Vorgang dar, sondern nur einen notwendigen Teilakt im Rahmen der Rückabwicklung (vgl. BFH, Urteil vom 6. Dezember 2016 IX R 49/15, BFHE 256, 470, BStBl II 2017, 673 m.w.N.). Der Veräußerungsgewinn entfällt in einem solchen Fall rückwirkend.
bb. Verändert sich der Wert der Gegenleistung hingegen nach vollständiger Erfüllung der Gegenleistungspflicht, beeinflusst dies die Höhe des Veräußerungspreises nicht mehr. Vereinbarungen, durch welche eine bereits erfüllte Gegenleistung noch einmal geändert wird, wirken nach der Rechtsprechung nur dann auf den Zeitpunkt der Entstehung des Veräußerungsgewinns zurück, wenn der Rechtsgrund für die spätere Änderung im ursprünglichen Rechtsgeschäft bereits angelegt war (vgl. BFH, Urteile vom 6. Dezember 2016 IX R 49/15, BFHE 256, 470, BStBl II 2017, 673; vom 13. Oktober 2015 IX R 43/14, BFHE 251, 326, BStBl II 2016, 212; vom 23. Mai 2012 IX R 32/11, BFHE 237, 234, BStBl II 2012, 675; vom 19. August 2003 VIII R 67/02, BFHE 203, 309, BStBl II 2004, 107; vom 14. Juni 2005 VIII R 14/04, BFHE 210, 278, BStBl II 2006, 15; zustimmend Hils, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2016, 1345, 1352).
Für den Fall, dass der Verkauf eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft durch die Parteien des Kaufvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage tatsächlich und vollständig rückgängig gemacht wird, hat der BFH zudem entschieden, dass dieses Ereignis steuerlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirken kann (vgl. BFH, Urteil vom 28. Oktober 2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539 [BFH 28.10.2009 - IX R 17/09]). Dieses Urteil ist allerdings für die Zeit vor der Kodifizierung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB ergangen.
c. Vorliegend handelt es sich um einen Fall der vollständigen Erfüllung der Gegenleistungspflicht, so dass eine steuerliche Rückwirkung nur angenommen werden kann, wenn der Rechtsgrund für die spätere Änderung im ursprünglichen Rechtsgeschäft bereits angelegt war.
aa. Soweit ersichtlich, scheint der BFH in seinem Urteil vom 28. Oktober 2009 (IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539 [BFH 28.10.2009 - IX R 17/09]) ebenso wie F. Dötsch (Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe, 1987, S. 143 ff.; jurisPR-SteuerR 13/2010 Anm. 3) davon auszugehen, dass im Falle eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage - jedenfalls vor der Kodifizierung in § 313 BGB - zwingend - also ohne weitere Prüfung - von einem rückwirkenden Ereignis im steuerrechtlichen Sinne auszugehen ist, da der Anknüpfungspunkt hier stets im Kaufvertrag liege. Allerdings ist anzumerken, dass der BFH in dem zu entscheidenden Fall davon ausging, dass sich die für den Wegfall der Geschäftsgrundlage erforderliche gemeinsame Fehlvorstellung über die steuerrechtlichen Folgen auch explizit aus den Vertragsbedingungen offenbarte.
bb. Der erkennende Senat geht ebenfalls davon aus, dass es im Fall eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB möglich sein kann, dass die tatsächliche und vollständige Rückgängigmachung des Vertrages zu einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO führt. Hierfür muss zunächst geklärt werden, ob zivilrechtlich von einer Rückgängigmachung des Anteilskaufvertrages aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB auszugehen ist. Zudem könnte nach Ansicht des Senats sodann jedoch weiter zu prüfen sein, ob der Rechtsgrund für den Wegfall der Geschäftsgrundlage im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt war (so wohl auch Carlé, Kölner Steuerdialog - kösdi - 2017, 2029 ff.). Zur Überzeugung des Senats bedeutet die stets vom BFH gewählte Formulierung im Vertrag "angelegt" sein, ein Mehr, das über den reinen zivilrechtlichen Begriff des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hinausgehen dürfte, so dass nicht in jedem Fall - in dem ein Wegfall der Geschäftsgrundlage gegeben ist - ohne weitere Prüfung auch ein rückwirkendes Ereignis im steuerrechtlichen Sinne anzunehmen ist.
cc. Letztlich bedarf es jedoch keiner abschließenden Entscheidung, welcher der beiden Auffassungen der Senat folgt, da im vorliegenden Fall - auch wenn man über den Wegfall der Geschäftsgrundlage hinaus noch ein "angelegt sein" im Vertrag fordert - anzunehmen ist, dass der Rechtsgrund für die aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorgenommene Änderung des Ehevertrages im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt gewesen ist.
(1) Im vorliegenden Fall konnten die Kläger die Regelungen des Ehevertrages aufgrund eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Rahmen der Änderungsvereinbarung anpassen und teilweise inhaltlich ändern.
(a) Haben sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann gemäß § 313 Abs. 1 BGB die Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Nach § 313 Abs. 2 BGB steht es einer Veränderung der Umstände gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen. Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten (§ 313 Abs. 3 Satz 1 BGB).
(b) Primäre Rechtsfolge der Geschäftsgrundlagenstörung ist, da die Geschäftsgrundlagenlehre vor allem auf den Schutz der dem Vertrag gemeinsam zugrunde gelegten subjektiven Parteierwartungen zielt, die Vertragsanpassung; nur wenn diese unter Berücksichtigung des Parteiwillens nicht möglich ist, so besteht ein Rücktrittsrecht (vgl. Pfeiffer in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Stand: 31. Mai 2021, § 313 BGB Rn. 10).
Geschäftsgrundlage sind nur diejenigen Umstände und Vorstellungen, auf denen der Geschäftswille der Parteien aufbaut. Wie § 313 BGB ausdrücklich voraussetzt, kann die Vorschrift nur eingreifen, wenn die Parteien den Vertrag bei Kenntnis der Störung nicht oder jedenfalls nur mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten. Erforderlich ist mit anderen Worten die äquivalente Kausalität des Vorliegens bestimmter Umstände oder Vorstellungen für den Abschluss des Vertrags mit diesem bestimmten Inhalt. (vgl. Pfeiffer in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., Stand: 31. Mai 2021, § 313 BGB Rn. 57). Die Geschäftsgrundlage ist somit nicht Vertragsinhalt. Führt die (ggf. ergänzende) Vertragsauslegung (§ 157 BGB) zu einer vertraglichen Regelung des betreffenden Umstands, scheidet § 313 BGB aus (vgl. BGH, Urteile vom 1. Februar 1984 VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69-85; vom 17. Februar 1995 V ZR 267/93, NJW-RR 1995, 854; Stadler in: Jauernig, BGB, 18. Aufl. 2021, § 313 Rn. 8).
(c) Im vorliegenden Fall ließen sich die Kläger gemeinsam vom Prozessbevollmächtigten zu der Frage beraten, ob die geplante Übertragung der GmbH-Anteile Einkommensteuer auslöst. Da der Prozessbevollmächtigte dies - entgegen der Rechtsprechung des BFH - verneinte, gingen sie gemeinsam von fehlerhaften Umständen aus, als sie den Ehevertrag schlossen.
Diese Umstände sind auch gerade nicht Vertragsinhalt geworden. Der Wortlaut des Ehevertrages offenbarte diese gemeinsame Fehlvorstellung der Kläger hinsichtlich der einkommensteuerrechtlichen Konsequenzen gerade nicht.
In § 6 Ziff. 4 des Ehevertrages ist lediglich ein Hinweis des Notars enthalten, dass eine steuerliche Beratung empfohlen werde. Zwar konnten die Kläger nachweisen, dass eine solche vor Abschluss des Ehevertrages stattgefunden hat, dies kann jedoch gerade nicht dem Wortlaut des Ehevertrages entnommen werden. Es wurde weder eine explizite Lastenverteilung hinsichtlich der Steuern vereinbart noch ist eine Fehlvorstellung hinsichtlich der steuerrechtlichen Folgen einer Übertragung der GmbH-Anteile auf die Klägerin zur Erfüllung des Zugewinnausgleichsanspruchs in irgendeiner Art und Weise aus den Regelungen des Ehevertrages selbst ersichtlich. Es wurde insbesondere nicht in der Präambel des Ehevertrages aufgenommen, aus welchem Grund - erbschaftsteuerliche Optimierung - die Kläger den Vertrag schlossen. Es ergibt sich ebenfalls nicht aus dem Ehevertrag, wieso die Kläger den Wunsch hatten, einen Zugewinnausgleich trotz fortbestehender Ehe vorzunehmen. Aus dem Ehevertrag geht lediglich hervor, dass die Kläger bei der Ermittlung der Werte ihres jeweiligen Vermögens mit ihrem gemeinsamen Steuerberater zusammengearbeitet haben (vgl. § 4 Absatz 2 des Ehevertrages). Zudem ergibt sich noch einmal explizit, dass der Steuerberater bei der Berechnung des Verkehrswerts der GmbH-Anteile mitgewirkt hat (§ 5 Ziff. 1 Absatz 2 des Ehevertrages). Des Weiteren kann auch aus den Schlussbestimmungen (§ 6 Ziff. 1 des Ehevertrages), in denen geregelt wird, dass das Finanzamt (Körperschaftsteuerstelle, Schenkungsteuerstelle und Grunderwerbsteuerstelle) je eine beglaubigte Abschrift des Ehevertrages erhält, nicht geschlossen werden, dass die Kläger sich vor dem Abschluss des Ehevertrages über die einkommensteuerrechtliche Behandlung der Übertragung der GmbH-Anteile Gedanken gemacht haben. Ebenso wenig ist dies aus der Regelung zur gemeinsamen Kostentragung (§ 6 Ziff. 7 des Ehevertrages) ersichtlich.
Jedoch haben die Kläger durch den Abschluss der Änderungsvereinbarung klar zum Ausdruck gebracht, dass sie bei Kenntnis der wahren Umstände - Einkommensteuerpflicht der Übertragung der GmbH-Anteile - den Vertrag mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten. Durch die Vorlage der schriftlichen Zusammenfassung und die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung steht zudem zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, dass die Kläger bereits vor dem Abschluss des Ehevertrages einem gemeinsam Irrtum über die einkommensteuerrechtlichen Konsequenzen der Übertragung der GmbH-Anteile unterlegen haben und dieser gemeinsame Irrtum auch kausal für den Abschluss des Ehevertrages und der darin enthaltenen Regelung zur Übertragung der GmbH-Anteile zur Erfüllung des Zugewinnausgleichsanspruchs in § 5 Ziff. 3 war. Sie haben gerade nicht erstmals nach dem Erlass des Vorauszahlungsbescheids über Einkommensteuer, sondern bereits vor dem Abschluss des Ehevertrages, über die einkommensteuerrechtlichen Konsequenzen nachgedacht. In diesem Zusammenhang ist aus Sicht des Senats erheblich, dass der Abschluss des streitbefangenen Ehevertrags zur Durchführung einer Güterstandsschaukel allein der steuerlichen, insbesondere erbschaftsteuerlichen Optimierung dienen sollte und es den Klägern maßgeblich auf den Eintritt bestimmter steuerlicher Folgen ankam. Allein schon aus diesen Gründen ist nicht anzunehmen, dass die Kläger die Erfüllung der Zugewinnausgleichsforderung durch den Kläger durch Übertragung der wertgleichen GmbH-Anteile vorgenommen hätten, wenn sie bereits bei Vertragsschluss positiv gewusst hätten, dass die einkommensteuerlichen Folgen die erbschaftsteuerlichen Effekte übersteigen. Vielmehr steht für den Senat damit fest, dass das Wohl und Wehe des Ehevertrags von Anfang an davon abhing, dass die Übertragung der GmbH-Anteile keine Einkommensteuer auslöst und die Kläger dies zur entscheidenden Grundlage ihres Handelns gemacht haben.
Nach den zivilrechtlichen Vorgaben lag somit ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vor. Dieser berechtigte die Kläger nach § 313 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BGB auch vorrangig zu einer Vertragsänderung, da es den Klägern aufgrund der Aufzehrung etwaiger erbschaftsteuerlicher Vorteile durch die anfallende Einkommensteuer aufgrund der Übertragung der GmbH-Anteile, nicht zumutbar war, unverändert am Vertrag festzuhalten.
Im vorliegenden Fall entschieden die Kläger sich dazu, die Übertragung und Abtretung der GmbH-Anteile vom Kläger auf die Klägerin rückgängig zu machen. Dies geschah, indem sie den Zugewinnausgleichsanspruch der Klägerin - entgegen der ursprünglichen Vereinbarung im Ehevertrag - bestehen ließen und verzinslich bis zum Tod des Klägers stundeten. Hierdurch entfiel lediglich die Verpflichtung des Klägers die GmbH-Anteile auf die Klägerin zu übertragen. Nach der Auffassung der Kläger führte dies zu einer ungerechtfertigten Bereicherung und einem Rückübertragungsanspruch nach § 812 BGB (vgl. Ziff. 2 der Änderungsvereinbarung). Hierbei verkannten die Kläger, dass die Anpassung des Vertrages nach § 313 BGB zu einer Vertragsänderung führt und die Rückübertragung daher aufgrund eines vertraglichen - und gerade nicht aufgrund eines gesetzlichen - Anspruchs hätte erfolgen müssen. Die fehlerhafte Benennung der Rückabwicklungsnorm ändert jedoch nichts daran, dass die Kläger den Vertrag tatsächlich aufgrund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ändern wollten und konnten. Die Auslegung der Änderungsvereinbarung ergibt daher, dass die Rückübertragung der GmbH-Anteile - entgegen der von den Klägern gewählten Formulierung und von diesen benannten Rechtsvorschrift - tatsächlich aufgrund eines vertraglichen Anspruchs erfolgt ist.
(2) Aufgrund der Änderung des Ehevertrages durch die Änderungsvereinbarung kam es auch tatsächlich zu einer vollständigen Rückgängigmachung der Übertragung der GmbH-Anteile. Die Klägerin übertrug die GmbH-Anteile mit allen Rechten, Pflichten und dem Gewinnbezugsrecht für das abgelaufene Geschäftsjahr und für das gesamte laufende Geschäftsjahr auf den Kläger zur Alleinberechtigung zurück und trat die GmbH-Anteile an den Kläger ab. Der Kläger war somit im Anschluss an die Änderungsvereinbarung genau wie zuvor Eigentümer der GmbH-Anteile und ihm standen aufgrund der getroffenen Vereinbarung auch alle Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit den GmbH-Anteilen ununterbrochen zu.
(3) Diese Rückgängigmachung war auch im ursprünglichen Rechtsgeschäft - also dem Ehevertrag - angelegt.
(a) Bislang ist - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht geklärt, was genau unter "angelegt" im ursprünglichen Rechtsgeschäft zu verstehen ist. Es könnte daher im Zusammenhang mit einem zivilrechtlichen Wegfall der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB darauf ankommen, ob sich im Wortlaut des ursprünglichen Vertrages - hier des Ehevertrages - Anhaltspunkte für die spätere Rückgängigmachung finden lassen. Alternativ könnte es jedoch auch ausreichen, wenn sich lediglich aus der Vereinbarung hinsichtlich der Rückgängigmachung oder aus im zeitlichen Zusammenhang mit dem ursprünglichen Rechtsgeschäft stehenden Quellen ergibt, worin die Umstände bestanden, aufgrund derer die Vertragsparteien sich zum Abschluss des Vertrages entschieden und die letztlich zum Wegfall der Geschäftsgrundlage geführt haben.
(b) Der Senat versteht die von der BFH-Rechtsprechung verwendete Formulierung "angelegt im ursprünglichen Rechtsgeschäft" dahingehend, dass es gerade nicht erforderlich ist, dass der Grund für die Rückgängigmachung im Vertragswortlaut seinen Niederschlag gefunden haben muss. Zwar könnten an dieser Auffassung Zweifel bestehen, da der BFH in seinem Urteil vom 28. Oktober 2009 (IX R 17/09) unter II.2.b) ausgeführt hat, dass die steuerlichen Folgen eines Veräußerungsgeschäfts nicht in die alleinige Risikosphäre des Verkäufers gehören, wenn die Vertragsparteien eine bestimmte steuerliche Lastenverteilung explizit zur Vertragsgrundlage gemacht haben. Es ist allerdings zu beachten, dass diese Ausführungen vom BFH zu der Fragestellung erfolgten, ob zivilrechtlich ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vorlag. Im vorliegenden Fall ist jedoch auch ohne eine explizite Regelung im Vertrag - aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls - davon auszugehen, dass ein Wegfall der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB gegeben ist. Die Ausführungen des BFH stehen daher der vom erkennenden Senat vertretenen Auffassung nicht entgegen.
(c) Allerdings hält es der Senat auch nicht für ausreichend, wenn lediglich in dem Rechtsgeschäft zur Rückgängigmachung - hier der Änderungsvereinbarung - behauptet wird, dass bereits bei Abschluss des ursprünglichen Rechtsgeschäfts eine gemeinsame Fehlvorstellung der Vertragsparteien vorlag, welche zum Wegfall der Geschäftsgrundlage geführt hat.
(d) § 313 BGB ermöglicht es den Vertragsparteien, die die Umstände des Vertragsschlusses kannten, sich wieder vom Vertrag zu lösen oder den Vertrag zumindest anzupassen. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ermöglicht hingegen einen bereits verwirklichten Sachverhalt mit steuerlicher Rückwirkung wieder entfallen zu lassen. Hierzu muss nach der Auffassung des erkennenden Senats ein nicht am Vertragsschluss beteiligter Dritter, der die Vertragsgrundlagen nicht ohne Weiteres kennen kann, auch tatsächlich erkennen, dass die dem Abschluss des Rechtsgeschäfts zugrundeliegenden Umstände bereits im Rechtsgeschäft angelegt waren. Es ist daher nicht ausreichend, dass bloße Umstände, die eine Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 BGB darstellen, ohne weitere erkennbare Anknüpfungspunkte zur Rückgängigmachung des Rechtsgeschäfts geführt haben. Die von den Vertragsparteien gemeinsam zur Vertragsgrundlage gemachten Umstände dürfen daher nicht nur einmal zwischen diesen Parteien angesprochen worden sein. Eine solche Vertragsgrundlage muss vielmehr für sich allein erkennbar sein. Sie muss sich also zumindest aus sonstigen, im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts stehenden Quellen ergeben. Hierfür können beispielsweise im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts erstellte Dokumente herangezogen werden oder auch Aussagen eines nicht am Vertragsschluss beteiligten Dritten.
(e) Im vorliegenden Fall ist durch das Beratungsgespräch mit dem Steuerberater - welches im Anschluss in einem Schriftsatz an die Kläger zusammengefasst worden ist - klar nach außen erkennbar zutage getreten, dass der Umstand, dass die Übertragung der GmbH-Anteile nicht der Einkommensbesteuerung unterliegt, eine Vertragsgrundlage für beide Vertragsparteien geworden ist. Da diese Beratung im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschluss des Ehevertrages erfolgt und für einen Dritten erkennbar ist, geht der Senat im vorliegenden Fall davon aus, dass der Umstand auch im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt war.
(f) Der Senat geht daher davon aus, dass ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gegeben ist und daher mit steuerlicher Rückwirkung der Veräußerungsgewinn entfallen ist. Der Klage hatte daher in vollem Umfang Erfolg.
II. Die Ausrechnung der Steuer wird dem Beklagten gem. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen. Der Beklagte hat den Klägern das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mitzuteilen und nach Rechtskraft des Urteils den Einkommensteuerbescheid 2019 mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben (§ 100 Abs. 2 Satz 3 FGO).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
V. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Fortbildung des Rechts erforderlich erscheint. Klärungsbedürftig erscheint insbesondere, in welchen Fällen ein Wegfall der Geschäftsgrundlage zu einem rückwirkenden Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO führen kann und welche Anforderungen dabei an das "angelegt sein im früheren Rechtsgeschäft" zu stellen sind.