Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.11.2024, Az.: 8 Sa 685/23
Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf zutreffende Bemessung der Vergütung; Rechtmäßigkeit einer Herabgruppierung durch den Arbeitgeber
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 13.11.2024
- Aktenzeichen
- 8 Sa 685/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 29761
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2024:1113.8Sa685.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 19.09.2023 - AZ: 2 Ca 131/23
Rechtsgrundlagen
- § 611a BGB
- § 134 BGB
- § 37 BetrVG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der Vergütungsanspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds kann sich sowohl aus § 37 Abs. 4 BetrVG (Vergleichsgruppe) als auch aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG (hypothetische Sonderkarriere) ergeben. In beiden Fällen trägt das Betriebsratsmitglied grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der anspruchsbegründenden Tatsachen.
- 2.
Entschließt sich der Arbeitgeber, das Betriebsratsmitglied zukünftig geringer bzw. nach einer niedrigeren Entgeltgruppe als bisher zu vergüten, hängt die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast davon ab, ob das Betriebsratsmitglied ein schutzwürdiges Vertrauen entwickeln konnte, zu Recht nach der bisherigen Entgeltgruppe vergütet zu werden.
- 3.
Wirken Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied bei der Festlegung einer unangemessen hohen Vergütung kollusiv zusammen, führen sie also in gegenseitigem Einvernehmen wissentlich eine ungerechtfertigte Begünstigung des Betriebsratsmitgliedes herbei, kann sich ein schützenswertes Vertrauen des Betriebsratsmitgliedes nicht entwickeln. Gleiches gilt, wenn es sich dem Betriebsratsmitglied geradezu aufdrängen muss, dass die ihm seitens des Arbeitgebers zugebilligte Entgeltgruppe weder über eine Vergleichsgruppenbildung noch im Hinblick auf eine hypothetische Sonderkarriere gerechtfertigt werden kann und es somit sachwidrig begünstigt.
- 4.
In allen anderen Fällen entwickelt das Betriebsratsmitglied ein schützenswertes Vertrauen darauf, dass seine Eingruppierung in rechtmäßiger Weise erfolgt ist und auch zukünftig Bestand haben wird. Weiterer Voraussetzungen, etwa des arbeitgeberseitigen Nachweises, wie die Vergleichsgruppenbildung im Einzelnen erfolgt ist, oder einer Dokumentation, welche genaue hypothetische Sonderkarriere der Eingruppierung zugrunde gelegt wurde, bedarf es dazu nicht.
- 5.
Ein Betriebsratsmitglied, das darauf vertrauen darf, dass seine Eingruppierung zutrifft, hat keinen Anlass dazu, Unterlagen anzulegen, die dazu geeignet sind, die Rechtmäßigkeit der Eingruppierung zu dokumentieren. Diesem Umstand ist durch eine weitgehende, wenn auch nicht vollständige, Umkehr der Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen.
- 6.
Beruft sich der Arbeitgeber darauf, dass sich die von ihm in der Vergangenheit an das Betriebsratsmitglied gezahlte Vergütung nicht aufgrund einer Vergleichsgruppenbildung rechtfertigen lasse, so hat er substantiiert dazu vorzutragen, nach welchen Kriterien eine Vergleichsgruppenbildung seines Erachtens richtigerweise vorzunehmen ist, welche Arbeitnehmer mit welchen rechtlich relevanten Daten der Vergleichsgruppe angehören und wie sich deren berufliche Entwicklung gestaltet hat. Hat der Arbeitgeber eine solche nachvollziehbare und den Erfordernissen des § 37 Abs. 4 BetrVG genügende Vergleichsgruppenbildung substantiiert ins Verfahren eingeführt, obliegt es dem Betriebsratsmitglied, hiergegen seinerseits substantiierte Einwendungen zu erheben, die geeignet sind, erhebliche Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Vergleichsgruppenbildung zu wecken. Alternativ steht es dem Betriebsratsmitglied offen, eine eigene Vergleichsgruppe zu bilden und hierzu ins Einzelne gehende Darlegungen zu tätigen, aus denen sich eine Rechtfertigung der bisher gezahlten Vergütung ableiten lässt.
- 7.
Hat der Arbeitgeber im Wege einer den obigen Anforderungen genügenden Vergleichsgruppenbildung seine abweichende Eingruppierung hinreichend begründet, kann er sich im Hinblick auf eine hypothetische Sonderkarriere des Betriebsratsmitgliedes grundsätzlich zunächst auf einfaches Bestreiten beschränken. Es ist dann zunächst Aufgabe des Betriebsratsmitgliedes, bei dem Arbeitgeber eingerichtete Stellen zu benennen, für die es qualifiziert zu sein glaubt. Weiter hat das Betriebsratsmitglied auch zu seinen Qualifikationen und Fähigkeiten vorzutragen, die es für die betreffenden Stellen aus seiner Sicht geeignet erscheinen lassen. Im Anschluss hieran obliegt es dem Arbeitgeber, Gegenvortrag zu leisten und substantiiert darzulegen und ggf. auch zu beweisen, dass die behauptete hypothetische Sonderkarriere nicht stattgefunden hätte. Dazu kann er entweder nachweisen, dass das Betriebsratsmitglied für die von ihm genannten Stellen nicht hinreichend qualifiziert ist, oder umfassend darlegen, dass Stellen der vom Betriebsratsmitglied benannten Art im gegenständlichen Zeitraum bei ihm nicht zu besetzen waren.
- 8.
Macht der freigestellte Betriebsrat geltend, er sei aufgrund einer hypothetischen Sonderkarriere höher als bisher einzugruppieren, so hat er vollumfänglich darzulegen und zu beweisen, dass er eine konkrete freie Stelle bei einer Bewerbung auch tatsächlich erhalten hätte. Dazu hat er nicht nur zu seiner - passenden - fachlichen und persönlichen Qualifikation vorzutragen, sondern darüber hinaus darzulegen und zu beweisen, dass er der bestgeeignete Bewerber gewesen wäre und sich dementsprechend in einem Bewerbungsverfahren gegen etwaige Mitbewerber durchgesetzt hätte.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin sowie die Anschlussberufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 19.09.2023 - 2 Ca 131/23 - werden zurückgewiesen.
Die Parteien haben die Kosten des Berufungsverfahrens je zur Hälfte zu tragen.
Die Revision wird für die Klägerin und für den Beklagten zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütungsansprüche des Beklagten als freigestelltes Betriebsratsmitglied.
Die Klägerin ist ein Unternehmen der Automobilindustrie. Der im Jahr 0000 geborene Beklagte ist gelernter Industriemechaniker, seit 1987 bei der Klägerin tätig und seit Mai 2010 freigestelltes Betriebsratsmitglied im Betrieb der Klägerin in C-Stadt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die zwischen der Klägerin und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt geschlossenen Tarifverträge Anwendung. Der Beklagte war im Zeitpunkt seiner Freistellung in die Entgeltstufe 11 des tariflichen Vergütungssystems eingruppiert. Die zu diesem Zeitpunkt durch den Beklagten ausgeübte Tätigkeit ist zwischen den Parteien streitig.
Der Beklagte absolvierte im Verlaufe seiner Beschäftigung diverse Fort- und Weiterbildungen unterschiedlicher Länge, u.A. zum Fertigungsinstandhalter Maschinenschlosser, EFA-Qualifizierung, Hydraulik, Servotechnik, ein ABBA-Basismodul, Pneumatik-Grundlagen sowie eine ARTIS-Bedienerschulung. Er besuchte verschiedene Seminare der IG-Metall und unterschiedliche Seminare für Betriebsräte. Vor seiner Freistellung übernahm er ferner die Auszubildendenbetreuung. Zudem ist der Beklagte Mitglied in diversen Ausschüssen, dabei seit 2016 im Tarifausschuss und der Entgeltkommission. Dort erwarb er Kenntnisse zu Aufbau und Inhalt der tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen zu den Themen Ein- und Umgruppierung, zu den Arbeitssystemen und Tätigkeitsbeschreibungen und wirkte an der Klärung individueller Eingruppierungskonflikte und der Verhandlung neuer Arbeitssystembeschreibungen für den Standort C-Stadt mit.
Im Zuge seiner Amtszeit als Betriebsrat entwickelte sich die Vergütung des Beklagten in die Entgeltstufe 14, wobei er zuletzt im Januar 2023 eine Vergütung i.H.v. 5.177,50 Euro brutto bezog. Über den Wechsel in die Entgeltstufe 14 (März 2015) informierte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 18. Februar 2015 unter Bezugnahme auf die Entscheidung der Kommission Betriebsratsvergütung. Die Klägerin führte in diesem Zusammenhang aus, die Kommission habe die Vergütung des Beklagten an die Gehaltsentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung angepasst.
Grundsätzlich finden bei der Klägerin unternehmensinterne Regelungen zur Betriebsratsvergütung Anwendung. So besteht eine Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 08/20 ("GBV-Vergütung") und eine dazugehörige interne Durchführungsanweisung ("DA-Vergütung").
Anlässlich der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen am 10. Januar 2023, nach der der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllt sein kann, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot aus § 78 S. 2 BetrVG, einem Betriebsratsmitglied ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt, begann die Klägerin, ihr System der Betriebsratsvergütung zu überprüfen.
Im Rahmen der Prüfung der Vergütung des Beklagten ermittelte die Klägerin eine Vergleichsgruppe von insgesamt 41 Personen, sämtlich Maschinen- und Anlagenüberwacher im Betrieb in C-Stadt, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme nach der Entgeltstufe 11 vergütet waren, über einen vergleichbaren Lehrberuf mit mechanischem Bezug verfügten und deren Alter und Dauer der Betriebszugehörigkeit sich in einem Korridor von +/-10 Jahren bewegte. 25 Mitglieder der so ermittelten Gruppe hatten keine Entwicklung in ihrer Vergütung erreicht, elf Mitglieder waren nach der Entgeltstufe 12 vergütet und zwei nach der Entgeltstufe 13. Neben dem Beklagten war niemand nach der Entgeltstufe 14 vergütet. Einbezogen in der Vergleichsgruppenbildung waren auch Personen, deren Vergütung sich im Rahmen von Entgeltsicherungsvorgaben nach der Entgeltstufe 11 richtete. Nach der Berechnung der Klägerin ergab sich sodann ein in der Entgeltstufe 11 liegender Median.
Mit per E-Mail übersandtem Schreiben vom 30. Januar 2023 teilte die Klägerin dem Beklagten zunächst mit, die Auszahlung seines Gehalts werde ab Januar 2023 unter dem Vorbehalt der rückwirkenden Anpassung anhand der gebildeten Vergleichsgruppe erfolgen, zudem fordere sie in den Grenzen der tariflichen Ausschlussfrist die überzahlte Vergütung zurück. Die Einschätzung der Klägerin wies der Beklagte mit Schreiben vom 8. Februar 2023 zurück.
Mit Schreiben vom 27. Februar 2023 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, er sei nach der Entgeltstufe 11 entsprechend dem Ergebnis ihrer Vergleichsgruppenbildung zu vergüten, und bot dem Beklagten den Abschluss einer Sondervereinbarung an, die eine Stundung der Rückforderung vorsah. Diese lehnte der Beklagte ab. Ab dem Monat zahlte die Klägerin dem Beklagten eine um 860,50 Euro brutto gekürzte Vergütung. Eine Schichtvergütung erhält der Beklagte nicht; ein Ausgleich für hypothetische Mehrarbeit erfolgt pauschaliert.
Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht vorgebracht, der Beklagte müsse bei der hier allein maßgeblichen vergleichsgruppenbezogenen Betrachtung nach der Entgeltstufe 11 vergütet werden. Eine Vergütung oberhalb dieser Entgeltstufe stelle einen Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot aus § 78 S. 2 BetrVG dar, sodass Eingruppierungsentscheidungen über eine Vergütung oberhalb der Entgeltstufe 11 gem. § 134 BGB nichtig seien. Keinesfalls stehe dem Beklagten ein Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltstufe 17 zu; entsprechende Angebote habe die Klägerin dem Beklagten durch ihre Mitarbeiter nicht unterbreitet, etwaige Gespräche hätten sich auf allgemeine Entwicklungschancen des Beklagten auf Unternehmensseite bezogen; vakante geeignete Stellen habe es nicht gegeben.
Die Klägerin hat erstinstanzlich - soweit für die Berufung von Bedeutung - beantragt,
festzustellen, dass der Beklagte zutreffend in Entgeltgruppe 11 eingruppiert und entsprechend dieser Entgeltgruppe zu vergüten ist.
Der Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
die Klage abzuweisen;
widerklagend,
- 1.
die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten für den Monat Mai 1.421,30 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2023 zu zahlen sowie für die Monate Juni 2023 bis August 2023 jeweils 104,80 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf 104,80 € netto seit dem 01.07.2023, auf 104,80 € netto seit dem 01.08.2023 und auf 104,80 € netto seit dem 01.09.2023 zu zahlen,
- 2.
festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, den Beklagten seit dem 01.02.2023 nach Entgeltstufe (ES) 17 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der Volkswagen AG und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vom 5. März 2018 in der Fassung vom 1. Mai 2021, ab dem 1. Juni 2023 in der Fassung vom 23. November 2022 (Anlage 1 zum Verhandlungsergebnis), zu vergüten und die Bruttonachzahlungsbeträge gem. § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der Volkswagen AG (Anlage B 2) ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit 5%-Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen,
hilfsweise festzustellen, dass sich die Verpflichtung nach der Entgeltstufe 14 richtet.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Der Beklagte hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, er sei zutreffend nach der Entgeltstufe 17 zu vergüten. Im Jahre 2018 habe der Beklagte von einer Mitarbeiterin der Klägerin, Frau ..., ein Angebot zu einem Wechsel in die Personalabteilung erhalten, dort für einen Einsatz als Mitarbeiter im Personalmanagement (Vergütungsexperte). Die hierfür erforderlichen Kenntnisse habe er als Mitglied im Tarifausschuss und der Entgeltkommission erworben. So hätten auch andere Mitglieder des Betriebsrates entsprechende Stellenangebote erhalten, die (bis in den Januar 2023) zu einer Vergütung nach der Entgeltstufe 17 geführt hätten. Der Beklagte habe von Bewerbungen für Stellen mit einer Erstvergütung nach Entgeltstufe 17 abgesehen, um sein Betriebsratsamt weiterhin auszuüben. Zudem habe die Klägerin darum gebeten, von "Scheinbewerbungen" abzusehen.
Jedenfalls stehe ihm weiterhin eine Vergütung nach der Entgeltstufe 14 zu. Die Bildung der Vergleichsgruppe bleibe - auch vor dem Hintergrund, dass die Klägerin die Namen der Vergleichsgruppenmitglieder ihm nicht offenlege - intransparent und fehlerhaft. Der Beklagte sei zuletzt vor Übernahme seines Amtes als Schlosser tätig gewesen; damit sei auch die Schlossertätigkeit der Vergleichsgruppenbildung zugrunde zu legen gewesen. Es sei denkbar, dass seine Tätigkeit im System fälschlich als Maschinen- und Anlagenbediener hinterlegt sei. Tatsächlich sei seine Spezialistentätigkeit in der Kurbelwellenfertigung benötigt worden, weshalb sein ursprünglicher Versetzungswunsch in eine Fachabteilung in den 90er-Jahren abgelehnt worden sei. Er habe mit Monteuren zusammen Maschinen aufgebaut und instandgesetzt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf die dort zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der dortigen Kammerverhandlung verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19. September 2023 die Klage abgewiesen und die Widerklage zum Teil abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe einen Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot gem. § 78 S. 2 BetrVG nicht hinreichend dargelegt. Sie trage hier die Darlegungs- und Beweislast für einen solchen Verstoß. Jedoch habe sie bereits nicht durchgreifend dargelegt, aufgrund welcher Umstände sich die Vergütung des Beklagten oberhalb der Entgeltstufe 11 als unzulässige Begünstigung darstellen würde. Es sei vielmehr von einer Vergütungspflicht nach der Entgeltstufe 14 auszugehen. Damit stehe der Klägerin auch kein Rückzahlungsanspruch zu. Die Voraussetzungen für eine Vergütung nach der Entgeltstufe 17 aufgrund einer hypothetischen Sonderkarriere müsse jedoch der Beklagte darlegen und beweisen. Der Beweis sei ihm nicht gelungen. Sein Vortrag zu Stellen im Personalwesen der Klägerin sei nicht ausreichend, um eine hypothetische Karriereentwicklung zu einer Tätigkeit, die nach der Entgeltstufe 17 zu vergüten gewesen wäre, anzunehmen.
Gegen das ihr am 16. Oktober 2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25. Oktober 2023 Berufung eingelegt und diese am Montag, den 18. Dezember 2023 begründet.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Sie ist im Wesentlichen der Ansicht, die Wertungen des angegriffenen Urteils stünden mit der strafrechtlichen Wertung des BGH im Widerspruch. Auch habe das Gericht die vom Beklagten vor Freistellung zuletzt durchgeführte Tätigkeit nicht zutreffend eingeordnet. Schließlich sei das Urteil auch in Bezug auf die Frage der Beweislast rechtsfehlerhaft, da auch vorliegend der Beklagte darlegen und beweisen müsse, dass er nach der Entgeltstufe 14 zu vergüten sei.
Die Anschlussberufung des Beklagten sei zurückzuweisen, da das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt habe, dass sein Vortrag zu Stellen im Personalwesen der Klägerin nicht ausreichend sei, um eine hypothetische Karriereentwicklung zu einer Tätigkeit, die nach der Entgeltstufe 17 zu vergüten gewesen wäre, anzunehmen.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 19. September 2023, Az. 2 Ca 131/23, festzustellen, dass der Beklagte zutreffend in Entgeltgruppe 11 eingruppiert und entsprechend zu vergüten ist,
- 2.
die Widerklage abzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Wege der Anschlussberufung beantragt der Beklagte,
das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 19.09.2023 - 2 Ca 131/23 - abzuändern und auf die Widerklage festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, den Beklagten seit dem 01.08.2020 nach Entgeltstufe (ES) 17 und seit dem 01.08.2022 nach Entgeltstufe 18 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der Volkswagen AG und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vom 05.03.20218 in der jeweils gültigen Fassung (aktuell vom 01.06.2023) zu vergüten und die Bruttonachzahlungsbeträge gem. § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der Volkswagen AG (Anlage B 2) ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit 5%-Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Die Klägerin beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt seine Auffassung vor, die Klägerin sei gemäß den Grundsätzen der Rechtsprechung zur korrigierenden Rückgruppierung darlegungs- und beweisbelastet, dass eine Vergütung des Beklagten nach Entgeltstufe 14 gegen das Begünstigungsverbot des § 78 Abs. 2 BetrVG verstoße. Dies sei der Klägerin jedoch nicht gelungen.
Zudem hätte er sich im Wege einer hypothetischen Karriere auf die Erfahrungsstufe 17 bzw. nach spätestens zwei Jahren auf die Erfahrungsstufe 18 entwickelt. Seine - tatsächlich nicht geschehene - Bewerbung auf die zum 1. August 2018 ausgeschriebene Position "Fachreferent (m/w/d) kaufmännisch ...", deren fachliche und persönliche Voraussetzungen er erfüllt habe und die mit einer Einstiegsvergütung von ES 17 und einer tarifautomatischen Erhöhung nach spätestens zwei Jahren auf die Erfahrungsstufe ES 18 versehen gewesen sei, hätte Erfolg gehabt. Das Arbeitsgericht habe den Sachverhalt, aus dem sich diese hypothetische Sonderkarriere ergebe, nicht vollständig subsumiert.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze in erster und zweiter Instanz nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen und der Widerklage im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattgegeben. Der Beklagte ist gem. § 78 S. 2 BetrVG auch weiterhin nach der Entgeltstufe 14 des einschlägigen Tarifvertrages zu vergüten und besitzt folgerichtig auch die widerklagend geltend gemachten Zahlungsansprüche.
Die zulässige Anschlussberufung ist unbegründet. Der Beklagte hat keinen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltstufe 17 bzw. 18.
I.
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Zulässigkeitsbedenken hinsichtlich der Anschlussberufung bestehen ebenfalls nicht. Die Erweiterung des erstinstanzlichen Feststellungsantrages in der gem. § 524 ZPO zulässigen Anschlussberufung ist sachdienlich und damit gem. § 263 ZPO zulässig.
II.
Der Feststellungsantrag der Klägerin, der Beklagte sei zutreffend in die Entgeltstufe 11 einzugruppieren und entsprechend zu vergüten, ist unbegründet. Die Klägerin hat zwar hinreichende Umstände dafür vorgetragen, dass die Vergütung des Beklagten sich anhand einer zutreffend vorgenommenen Vergleichsgruppenbildung gem. § 37 Abs. 4 BetrVG (allenfalls) nach der Entgeltstufe 11 zu richten vermag. Allerdings hat die Klägerin keine ausreichenden Darlegungen getätigt, die dazu führen, dass das Gericht es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als ausgeschlossen ansehen kann, dass der Beklagte eine Eingruppierung nach Entgeltstufe 14 im Wege einer hypothetischen Sonderkarriere erreicht hätte.
1.
Der Vergütungsanspruch eines Betriebsratsmitglieds kann sich sowohl aus § 37 Abs. 4 BetrVG (Vergleichsgruppe) als auch aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG (hypothetische Sonderkarriere) ergeben (vgl. BAG, Urt. v. 17.08.2005 - 7 AZR 528/04). In beiden Fällen trägt das Betriebsratsmitglied grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der anspruchsbegründenden Tatsachen (vgl. BAG, Urt. v. 20.01.2021 - 7 AZR 52/20 - Rn. 24 m.w.N.).
Nach Auffassung der 1. und der 5. Kammer des LAG Niedersachsen kann die Darlegungs- und Beweislast allerdings in entsprechender Anwendung der Rechtsgrundsätze, die bei einer korrigierenden Rückgruppierung zur Anwendung kommen (zuletzt BAG, Urt. v. 16. August 2023 - 4 AZR 339/22), auf den Arbeitgeber übergehen, wenn er den Betriebsrat nach einer niedrigeren als der bisher als zutreffend angenommenen Entgeltstufe vergüten will (vgl. LAG Nds., Urt. v. 01.07.2024 - 1 Sa 636/23; Urt. v. 27.06.2024 - 5 Sa 663/23). Dieser Ansicht schließt sich die 8. Kammer in Teilen an. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist bei dieser höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage folgende Prüfung vorzunehmen:
a)
Die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast setzt zunächst voraus, dass der Arbeitgeber mit dem Betriebsratsmitglied die Eingruppierung in eine bestimmte Entgeltgruppe vereinbart oder dem Betriebsratsmitglied eine dahingehende einseitige Zusage gemacht hat. Ausreichend kann es insoweit auch sein, dass der Arbeitgeber dem Betriebsratsmitglied tatsächlich ein Entgelt in bestimmter Höhe zahlt, falls sich für einen objektiven Dritten in der Rolle des Betriebsratsmitgliedes daraus die Schlussfolgerung ergibt, einer damit korrespondierenden Entgeltgruppe zugeordnet zu sein.
b)
Eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich bei dem Betriebsratsmitglied ein schutzwürdiges Vertrauen entwickeln konnte, zu Recht nach der betreffenden Entgeltgruppe vergütet zu werden. Wirken etwa Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied bei der Festlegung einer unangemessen hohen Vergütung kollusiv zusammen, führen beide also in gegenseitigem Einvernehmen wissentlich eine ungerechtfertigte Begünstigung des Betriebsratsmitgliedes herbei, beispielsweise um das Betriebsratsmitglied für eine dem Arbeitgeber günstige Amtsführung zu belohnen, kann sich ein schützenswertes Vertrauen des Betriebsratsmitgliedes nicht entwickeln. Gleiches gilt, wenn es sich dem Betriebsratsmitglied geradezu aufdrängen muss, dass die ihm seitens des Arbeitgebers zugebilligte Entgeltgruppe weder über eine Vergleichsgruppenbildung noch im Hinblick auf eine hypothetische Sonderkarriere gerechtfertigt werden kann und es somit sachwidrig begünstigt. Konnte das Betriebsratsmitglied ein schutzwürdiges Vertrauen nicht entwickeln, erscheint es auch nicht angemessen, zu seinen Gunsten von den grundsätzlichen Regeln zur Darlegungs- und Beweislast abzuweichen.
c)
Liegt weder ein kollusives Zusammenwirken von Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied noch eine offenkundig unangemessene Eingruppierung bzw. Vergütungshöhe vor, so entwickelt sich beim Betriebsratsmitglied ein in der Regel rechtlich schützenswertes Vertrauen darauf, dass seine Eingruppierung in rechtmäßiger Weise erfolgt ist und auch zukünftig Bestand haben wird. Weiterer Voraussetzungen, etwa des arbeitgeberseitigen Nachweises, wie die Vergleichsgruppenbildung im Einzelnen erfolgt ist, oder einer Dokumentation, welche genaue hypothetische Sonderkarriere der Eingruppierung zugrunde gelegt wurde, bedarf es dazu nach der Auffassung des erkennenden Gerichts nicht.
d)
Ein Betriebsratsmitglied, das darauf vertraut und nach den vorstehend aufgeführten Maßstäben auch darauf vertrauen darf, dass seine Eingruppierung zutrifft, hat keinen Anlass dazu, Unterlagen anzulegen, die dazu geeignet sind, die Rechtmäßigkeit der Eingruppierung zu dokumentieren. Insbesondere wird es sich nicht veranlasst sehen, Belege über offene Stellen, für die es in Frage gekommen wäre, zu sammeln oder sich gar auf solche Stellen zu bewerben. Diesen Umständen ist zur Überzeugung des erkennenden Gerichts durch eine weitgehende - wenn auch nicht vollständige - Umkehr der Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen.
aa)
Beruft sich der Arbeitgeber darauf, dass sich die von ihm in der Vergangenheit an das Betriebsratsmitglied gezahlte Vergütung nicht aufgrund einer Vergleichsgruppenbildung rechtfertigen lasse - bzw., dass eine seinerzeit vorgenommene Vergleichsgruppenbildung sachlich unzutreffend erfolgt sei -, so hat er substantiiert dazu vorzutragen, nach welchen Kriterien eine Vergleichsgruppenbildung seines Erachtens vorzunehmen ist, welche Arbeitnehmer mit welchen rechtlich relevanten Daten der Vergleichsgruppe angehören und wie sich deren berufliche Entwicklung gestaltet hat. Rechtsirrig wendet die Klägerin in diesem Zusammenhang ein, die Offenlegung dieser Daten sei aufgrund der Vorgaben der DSGVO bedenklich oder sogar unzulässig. Es muss dem Betriebsratsmitglied ermöglicht werden, die arbeitgeberseitige Ermittlung der Vergleichsgruppe auch tatsächlich nachvollziehen zu können. Die Vergleichsgruppe muss - wenn im Betrieb bzw. Unternehmen genügend vergleichbare Arbeitnehmer tätig sind - groß genug sein, um auf ihrer Grundlage eine statistisch fundierte Aussage treffen zu können. Hat der Arbeitgeber eine solche nachvollziehbare und den Erfordernissen des § 37 Abs. 4 BetrVG genügende Vergleichsgruppenbildung substantiiert ins Verfahren eingeführt, obliegt es dem Betriebsratsmitglied, hiergegen seinerseits substantiierte Einwendungen zu erheben, die geeignet sind, erhebliche Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Vergleichsgruppenbildung zu wecken. Alternativ steht es dem Betriebsratsmitglied offen, eine eigene Vergleichsgruppe zu bilden und hierzu ins Einzelne gehende Darlegungen zu tätigen, aus denen sich eine Rechtfertigung der bisher gezahlten Vergütung ableiten lässt.
bb)
§ 37 Abs. 4 BetrVG ist keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers. Die Vorschrift soll nur die Durchsetzung des Benachteiligungsverbots durch einfach nachzuweisende Anspruchsvoraussetzungen erleichtern. Daneben kann sich ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung aus § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen (BAG, Urt. v. 4. November 2015 - 7 AZR 972/13 - Rn. 30 m.w.N.).
Hat der Arbeitgeber im Wege einer den obigen Anforderungen genügenden Vergleichsgruppenbildung seine abweichende Eingruppierung hinreichend begründet, kann er sich im Hinblick auf eine hypothetische Sonderkarriere des Betriebsratsmitgliedes grundsätzlich zunächst auf einfaches Bestreiten beschränken. Es ist dann zunächst Aufgabe des Betriebsratsmitgliedes, bei dem Arbeitgeber eingerichtete Stellen zu benennen, für die es qualifiziert zu sein glaubt. Weiter hat das Betriebsratsmitglied auch zu seinen - von Anfang an bestehenden oder während der Betriebsratstätigkeit erworbenen - Qualifikationen und Fähigkeiten vorzutragen, die es für die betreffende(n) Stelle(n) aus seiner Sicht geeignet erscheinen lassen. Hingegen wird man von ihm für gewöhnlich nicht verlangen können, Vortrag dazu zu halten, welche dieser Stellen zu welchem Zeitpunkt frei gewesen ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - es sich um einen Betrieb mit zahlreichen Arbeitnehmern handelt und das Betriebsratsmitglied schon seit langer Zeit nach der nunmehr streitig gewordenen Entgeltgruppe vergütet wird. Hat das Betriebsratsmitglied seiner Darlegungslast genügt, so obliegt es dem Arbeitgeber, Gegenvortrag zu leisten und substantiiert darzulegen und ggf. auch zu beweisen, dass die behauptete hypothetische Sonderkarriere nicht stattgefunden hätte. Dazu kann der Arbeitgeber entweder nachweisen, dass das Betriebsratsmitglied für die von ihm genannte(n) Stelle(n) nicht hinreichend qualifiziert ist, wofür aber der Verweis auf formal in Stellenanzeigen verlangte Qualifikationen nicht ausreicht, sondern eine umfassende Darstellung der tatsächlichen Einstellungspraxis erforderlich ist. Stattdessen kann er - falls dies der Wahrheit entspricht - auch darlegen, dass Stellen der vom Betriebsratsmitglied benannten Art im gegenständlichen Zeitraum bei ihm nicht zu besetzen waren. Gab es im gegenständlichen Zeitraum bei ihm freie Stellen, hat er hierzu eine vollständige Darstellung zu tätigen und jeweils ins Einzelne gehend zu erläutern, weshalb eine Bewerbung des Betriebsratsmitgliedes nach seiner Auffassung ohne Erfolg geblieben wäre.
2.
Die Voraussetzungen dafür, dass sich bei dem Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtmäßigkeit einer Eingruppierung und Vergütung nach Entgeltstufe 14 entwickeln konnte, lagen hier vor. Die Klägerin hatte dem Beklagten jeweils eine schriftliche Mitteilung zukommen lassen. Zwar enthielt die Mitteilung an den Beklagten über seine zukünftige Vergütung gem. Entgeltstufe 14 vom 18. Februar 2015 lediglich eine pauschale Bezugnahme auf die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer. Erläuterungen, etwa zur Vorgehensweise des Arbeitgebers bei der Feststellung der Vergleichsgruppe oder eine Auflistung der vergleichbaren Arbeitnehmer waren der Mitteilung nicht beigefügt. Solcher Erläuterungen bedurfte es nach der hier vertretenen Ansicht aber auch nicht, um ein schutzwürdiges Vertrauen des Beklagten entstehen zu lassen. Hinzu kommt, dass die Richtigkeitsgewähr des Informationsschreibens aus Sicht des Beklagten durch den Umstand erhöht war, dass die Entgelterhöhung durch die Kommission Betriebsratsvergütung und damit durch ein Fachgremium beschlossen worden war. Für den Beklagten bestanden insofern keine Anhaltspunkte für einen Verstoß dieser Vergütungsentscheidung gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot. Er durfte vielmehr insbesondere auf die Richtigkeit der Entscheidung der Kommission Betriebsratsvergütung vertrauen.
Ein damaliges kollusives Zusammenwirken in Begünstigungsabsicht wird von keiner der Parteien behauptet. Eine Entwicklung der Vergütung zur Entgeltstufe 14 erscheint vorliegend auch nicht offenkundig unangemessen.
Die Klägerin ist somit nach den oben dargestellten Grundsätzen im Ergebnis dafür darlegungs- und beweisbelastet, dass die Entscheidung über die Zahlung einer Vergütung nach Entgeltstufe 14 gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG verstößt und damit gem. § 134 BGB nichtig ist.
a)
Die Klägerin hat substantiiert dargelegt, dass sich anhand einer Vergleichsgruppenbildung gerade kein Anspruch des Beklagten auf Vergütung nach der Entgeltstufe 14, sondern vielmehr ein solcher auf Vergütung nach der Entgeltstufe 11 ergibt.
Gem. § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Vergleichbar im Sinne der Vorschrift sind solche Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme des Betriebsrates ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie der Amtsträger und dafür in gleicher Weise wie dieser fachlich und persönlich qualifiziert waren. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Vergleichsgruppe ist dabei der Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes (BAG, Urt. v. 18. Januar 2017 - 7 AZR 205/15). Eine Entwicklung ist dann betriebsüblich, wenn die Mehrheit der vergleichbaren Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht eine solche Entwicklung vorgenommen hat (BAG, Urt. v. 18. Januar 2017 - 7 AZR 205/15). Besteht aufgrund deutlicher individueller Unterschiede keine Mehrheit im Hinblick auf die berufliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer, so kann der Arbeitgeber eine solche Entwicklung auch durch die Bildung eines Durchschnittswertes oder eines Median feststellen (vgl. BAG, Urt. v. 19. Januar 2005 - 7 AZR 208/04; Richardi in: Richardi/Thüsing, BetrVG, 17. Auflage 2022, § 37 Rn. 78a).
Daran gemessen hat die Klägerin unter Berücksichtigung des in der Berufungsinstanz auf gerichtlichen Hinweis erfolgten ergänzenden Sachvortrages und der nachgereichten Unterlagen substantiiert dargelegt, dass sich das Entgelt der Mehrheit der vergleichbaren Arbeitnehmer nicht über die Entgeltstufe 11 oder - falls man nur die Maschinen- und Betriebsschlosser betrachtet - nicht über die Entgeltstufe 12 hinaus entwickelt hat.
So hat die Klägerin unter Einreichung einer umfangreichen Auswertung (Anlage K 15, K 16) vorgetragen, der Median der damals nach der Entgeltstufe 11 vergüteten Maschinen- und Betriebsschlosser werde mittlerweile nach der Entgeltstufe 12 vergütet. Der Median der damals nach der Entgeltstufe 11 vergüteten Maschinen-/Anlagenüberwacher werde auch heute noch unverändert nach der Entgeltstufe 11 vergütet.
Diesem Vortrag ist der Beklagte nicht erheblich entgegengetreten. Es ist der Klägerin entgegen des Vortrags des Beklagten hier nicht zuzumuten, konkrete Unterschiede oder Gemeinsamkeiten im Hinblick auf die durchgeführte Tätigkeit aufzuzeigen. Auch ist die persönliche Leistungsfähigkeit bei der Betrachtung anhand der Vergleichsgruppe gerade außer Acht zu lassen. Die vom Beklagten geforderten Einzelheiten widersprechen gerade dem Zweck einer Vergleichsgruppenbetrachtung, die vor allem der einfachen Festlegung einer Betriebsratsvergütung in der Praxis dient und gerade nicht zur Berücksichtigung individueller Unterschiede zwischen grundsätzlich vergleichbaren Arbeitnehmern bestimmt ist. Damit sind auch die vom Beklagten behaupteten Seminare vor Eintritt in das Betriebsratsamt für die Bildung einer Vergleichsgruppe nicht von Bedeutung. Auch hat der Beklagte nicht vorgetragen, wie anhand der von der Klägerin aufgelisteten Arbeitnehmer eine Vergleichsgruppe zu bilden wäre, aus der sich eine Vergütung der Mehrheit vergleichbarer Arbeitnehmer gemäß Entgeltstufe 14 ergibt. Dies wäre ihm auch möglich und auch zumutbar gewesen.
b)
Ein Anspruch des Beklagten auf Vergütung nach Entgeltstufe 14 ergibt sich indes aus § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB.
Der Beklagte hat in hinreichendem Umfang tatsächliche Anhaltspunkte für eine hypothetische Sonderkarriere vorgetragen. Die sodann nach den oben dargelegten abgestuften Grundsätzen darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat nicht durchgreifend dargelegt, dass eine solche hypothetische Sonderkarriere des Beklagten nicht stattgefunden hätte.
Der Beklagte hat umfangreich zu seinen vor und während der Betriebsratstätigkeit erworbenen zusätzlichen Qualifikationen vorgetragen. Insbesondere hat er substantiiert vorgetragen und durch Vorlage entsprechender Urkunden auch hinreichend belegt, dass er zur Referenten für das Thema Entgelt- und Leistungspolitik ausgebildet worden und zu diesem Themenkreis auch aktiv Seminare abhält. Auch ist der Beklagte Sprecher der Entgeltkommission am Standort C-Stadt. Neben dem örtlichen Entgeltausschuss ist der Beklagte auch Mitglied in der Tarifkommission und Verhandlungskommission zur Verhandlung der Tarifverträge zwischen der Volkswagen AG und der IG Metall. Daneben wurde er in den Tarifausschuss des Gesamtbetriebsrats entsandt, in welchem standortübergreifend für das gesamte Unternehmen und den Konzern die Tarifpolitik und das Entgelt besprochen werden. Der Beklagte hat sich darauf berufen, aufgrund seiner Qualifikationen auf Stellen im Bereich Tarif und Entgelt für die Klägerin tätig werden zu können. Der Beklagte hat auch hinlänglich nachvollziehbar dazu vorgetragen, dass diese Stellen jedenfalls mindestens nach Entgeltstufe 14 vergütet waren bzw. dass er im Laufe des Betrachtungszeitraumes auf einer dieser Stellen eine Vergütung nach Entgeltstufe 14 erreicht hätte.
Vor dem Hintergrund dieses substantiierten Vortrages hätte es der Klägerin oblegen, ihrerseits substantiierten Gegenvortrag zu leisten. Dies hat sie nicht in dem erforderlichen Maße getan. Es reicht, wie die Klägerin verkennt, nicht aus, lediglich zu den vom Beklagten konkret genannten Stellen Position zu beziehen und sich ansonsten nicht weiter zur Sache einzulassen. Angesichts der zahlreichen bei der Klägerin - auch und gerade im Bereich Tarif und Entgelt - vorhandenen Stellen und des langen Betrachtungszeitraumes - der Beklagte wird seit 2015 nach Entgeltstufe 14 vergütet - hätte die Klägerin umfassend zu den in diesem Zeitraum bei ihr besetzten Stellen der vom Beklagten genannten Art vortragen müssen. Sie hätte dazu die Besetzungsvorgänge nach Zahl, Art und Zeitpunkt im Einzelnen offenlegen müssen, die verlangten und vom letztlich erfolgreichen Bewerber mitgebrachten Qualifikationen darstellen müssen und jeweils darlegen müssen, weshalb der Beklagte die notwendigen Kenntnisse nicht mitbringt oder sich gegen den erfolgreichen Bewerber nicht durchgesetzt hätte.
Da die Klägerin ihrer Darlegungslast nicht genügt hat, kann sie die begehrte Feststellung nicht mit Erfolg erreichen.
3.
Da der Beklagte durchgängig von der Klägerin nach Entgeltstufe 14 zu vergüten ist, besitzt er gegen die Klägerin auch die widerklagend geltend gemachten Zahlungsansprüche i.H.v. 1.421,30 Euro für den Monat Mai 2023 sowie für die Monate Juni 2023 bis August 2023 von jeweils 104,80 € netto aus § 78 S. 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB sowie den widerklagend geltend gemachten hilfsweisen, auf Entgeltstufe 14 gerichteten, Feststellungsanspruch.
III.
Die Anschlussberufung ist unbegründet. Der Beklagte hat keinen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltstufe 17 seit dem 01.08.2020 bzw. nach Entgeltstufe 18 seit dem 01.08.2022.
Das Arbeitsgericht hat frei von Rechtsfehlern festgestellt, dass der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht bewiesen hat, dass bei ihm die Voraussetzungen einer hypothetischen Sonderkarriere mit einer Vergütung oberhalb der Entgeltstufe 14 vorliegen. Die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts zu IV. Nr. 2 werden festgestellt und es wird auf sie verwiesen.
Hieran vermag auch der Vortrag des Beklagten zu der zum 1. August 2018 ausgeschriebenen Stelle "Fachreferent (m/w/d) kaufmännisch ..." nichts zu ändern.
Von einer hypothetischen Sonderkarriere gem. § 78 S. 2 BetrVG ist dann auszugehen, wenn sich das Betriebsratsmitglied auf eine bestimmte Stelle beworben hat, die Bewerbung aber gerade wegen Freistellung und/oder Betriebsratstätigkeit erfolglos geblieben ist (BAG, Urt. v. 27. Juni 2001). Ebenfalls anerkannt ist, dass, wenn eine Bewerbung unterblieben ist, entscheidend ist, ob eine Bewerbung gerade wegen der Freistellung zur Übernahme der Amtstätigkeit unterblieben ist, ohne die Freistellung allerdings erfolgreich gewesen wäre (BAG 4. November 2015).
Gemessen an diesen Anforderungen hat der Beklagte eine hypothetische Sonderkarriere nicht bewiesen.
So erfolgte eine Bewerbung auf die zum 1. August 2018 ausgeschriebene Stelle durch den Beklagten unstreitig nicht. Der Beklagte hat auch nicht bewiesen, dass er diese Stelle bei einer Bewerbung auch tatsächlich erhalten hätte. Es kommt insofern nicht lediglich auf die vom Beklagten vorgetragene fachliche und persönliche Qualifikation an. Vielmehr muss der Beklagte nach Auffassung des erkennenden Gerichts darüber hinaus darlegen und beweisen, dass er sich in einem Bewerbungsverfahren gegen etwaige Mitbewerber durchgesetzt hätte, mithin, dass er der bestgeeignete Bewerber für die Stelle gewesen wäre. Eine substantiierte Darlegung hierzu hat der Beklagte jedoch nicht geleistet.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Klägerin vermochte mit ihrer Berufung, der Beklagte vermochte mit seiner Anschlussberufung nicht durchzudringen. Da die von der Klägerin begehrte Feststellung eine um drei Entgeltstufen niedrigere Eingruppierung, die vom Beklagten im Wege der Anschlussberufung begehrte Feststellung eine im Wesentlichen um drei, teils auch um vier Entgeltstufen höhere Eingruppierung bedeutet hätte, erschien es im Wege einer Gesamtbetrachtung angemessen, die Kosten des Berufungsverfahrens beiden Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Für die Klägerin war sie zuzulassen, da in Fällen, in denen der Arbeitgeber den Betriebsrat nach einer niedrigeren als der bisher als zutreffend angenommenen Entgeltstufe vergüten will, insbesondere der vorliegend entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und -fähigen Frage nach der Darlegungs- und Beweislast grundsätzliche Bedeutung zukommt. Für den Beklagten war sie zuzulassen, weil durch die höchstrichterliche Rechtsprechung in der Tat die vorliegend entscheidungserhebliche und klärungsfähige Frage der Darlegungs- und Beweislast im Falle der unterlassenen Bewerbung auf eine konkrete Stelle gerade im Hinblick auf den Erfolg der konkreten Bewerbung gegenüber Mitbewerbern - u.a. auch, ob und wie dabei die bei der Auswahlentscheidung maßgeblichen subjektiven Kriterien zu bewerten sind - nicht vollständig geklärt ist.