Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.10.2024, Az.: 8 Sa 797/23

Vergütungsansprüche eines Arbeitnehmers als freigestelltes Betriebsratsmitglied

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
09.10.2024
Aktenzeichen
8 Sa 797/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 31157
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:1009.8Sa797.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 17.10.2023 - AZ: 12 Ca 272/23

Fundstelle

  • ZIP 2025, 532-535

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Aus § 78 Satz 2 BetrVG kann sich iVm. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. § 37 Abs. 4 BetrVG enthält insoweit keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers.

  2. 2.

    Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen.

  3. 3.

    Ist zwischen den Parteien unstreitig, dass bei der Arbeitgeberin eine bestimmte Stelle in der Vergangenheit zu besetzen war, und war darüber hinaus eine später erfolgte Bewerbung des Betriebsratsmitgliedes auf eine gleichartige Stelle erfolgreich, so hat das erkennende Gericht nicht darüber hinaus von Amts wegen zu ermitteln, ob das Betriebsratsmitglied bei objektiver Betrachtung die notwendigen fachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die Bekleidung der Stelle mitbrachte bzw. mitbringt. Das gilt jedenfalls in den Fällen, in denen die fachliche und persönliche Eignung nicht offensichtlich fehlt.

  4. 4.

    Die Beklagte wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrags rückwirkend zum 08.06.2023 entsprechend der Stellenausschreibung Nr. ... Fachbereich (NV-KT) mit der Tätigkeitsbeschreibung "Kaufmännischer Fachreferent/in Koordination Service Backoffice - ADMT (TB...)" und einer Vergütung nach ES 18 anzunehmen, ihn entsprechend zu vergüten und zu entwickeln.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 17.10.2023 - 12 Ca 272/23 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass Ziffer 4. des Tenors der erstinstanzlichen Entscheidung wegen offenbarer Unrichtigkeit wie folgt berichtigt wird:

4. Die Beklagte wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrags rückwirkend zum 08.06.2023 entsprechend der Stellenausschreibung Nr. ... Fachbereich (NV-KT) mit der Tätigkeitsbeschreibung "Kaufmännischer Fachreferent/in Koordination Service Backoffice - ADMT (TB...)" und einer Vergütung nach ES 18 anzunehmen, ihn entsprechend zu vergüten und zu entwickeln.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Vergütungsansprüche des Klägers als freigestelltes Betriebsratsmitglied.

Der im Jahr 0000 geborene Kläger ist gelernter Industriemechaniker und seit 1996 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, tätig. Der Kläger war bis 2003 als Montagewerker tätig. In den Jahren 2003 bis 2006 war er als Springer mit Vergütung der Entgeltstufe 10 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die von der Beklagten abgeschlossenen Haustarifverträge Anwendung. Die Eingruppierung in die jeweiligen Entgeltstufen erfolgt bei der Beklagten grundsätzlich nach dem Rahmentarifvertrag zur Eingruppierung auf der Grundlage der überwiegenden Tätigkeiten. Bei ungeraden Entgeltstufen erfolgt nach einem Zeitablauf von zwei Jahren eine Höhergruppierung in die gerade Entgeltstufe.

Vom 04.05.2006 bis zum 12.06.2013 war der Kläger freigestelltes Mitglied des Betriebsrates im Betrieb der Beklagten in A-Stadt. Vom 12.06.2013 bis zum 25.09.2013 bestand aufgrund einer erfolgreichen Wahlanfechtung kein Betriebsrat. In diesem Zeitraum war der Kläger als Güteprüfer mit einer Vergütung der Entgeltstufe 13 tätig. Seit dem 25.09.2013 ist er wieder Mitglied des Betriebsrates und seit 2022 zudem dessen Vorsitzender.

Während seiner Zeit als Betriebsratsmitglied absolvierte der Kläger diverse Fort- und Weiterbildungen. Unter anderem legte er im Jahr 2011 eine Ausbildungseignungsprüfung (IHK) ab und absolvierte im Jahr 2012 eine Ausbildung zum IHK-geprüften Personalkaufmann. Daneben nahm er an einem Führungskräfteseminar sowie an verschiedenen Seminaren zum Arbeits- und Arbeitszeitrecht teil. Seit 2018 ist der Kläger zudem Mitglied im Personalausschuss für Führungskräfte und berät in diesem Zusammenhang ca. 380 Führungskräfte der V., insbesondere aus Managerkreisen. Im Sommer 2022 absolvierte der Kläger eine Ausbildung zum IHK-Betriebsmediator. Auch ist er Mitglied der Steuerkreise "Compliance", "Corporate Social Responsibility" und "Nachhaltigkeit und Diversity". Zudem absolvierte er im Zeitraum von September 2021 bis November 2022 den Vorbereitungslehrgang "Geprüfter Betriebswirt/Geprüfte Betriebswirtin" an der ... Schule.

Im November 2019 führte die Beklagte - unter anderem für den Kläger - ein freiwilliges Schiedsverfahren zur Ermittlung der zutreffenden Vergütung für freigestellte Betriebsratsmitglieder durch. Unter Bezugnahme auf das Gutachten der Schiedsrichter aus dem Dezember 2020 gruppierte die Beklagte den Kläger rückwirkend zum 01.05.2020 in die Entgeltstufe 17 ein.

Mit Schreiben vom 30.01.2023 teilte die Beklagte dem Kläger mit, ab Januar 2023 erfolge die Auszahlung seines Gehalts unter Berücksichtigung eines Urteils des Bundesgerichtshofes vom 10.01.2023 nur unter Vorbehalt der rückwirkenden Anpassung an den Median der Vergleichsgruppe. Ferner stellte die Beklagte die Rückforderung überzahlter Vergütung für die Monate Oktober bis Dezember 2022 in Aussicht.

Mit weiterem Schreiben vom 27.02.2023 teilte die Beklagte mit, die Höhe der Bruttovergütung richte sich zukünftig nach dem Median der Vergleichsgruppe in der Entgeltstufe 11 und belaufe sich auf 4.317,00 Euro brutto monatlich. Sie teilte weiter ohne konkrete Berechnung mit, die Entgeltbestandteile "Schichtpauschale" und "hypothetische Mehrarbeit" würden auf Basis der Zuordnung zu einer Beschäftigungsgruppe Angestellte, Zeitlohn oder Leistungslohn pauschal gezahlt. Es folgten bezifferte Rückforderungsschreiben im März und April 2023. Für den Fall der Nichtunterzeichnung einer Sondervereinbarung, die dem Kläger übermittelt wurde, kündigte die Beklagte betreffend Entgeltzahlungen ab Mai 2023 die Aufrechnung mit überzahlten Beträgen für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 an.

Für die Monate Februar 2023 bis September 2023 zahlte die Beklagte an den Kläger ein um einen Betrag in Höhe von 1.798,00 Euro brutto gekürztes Gehalt. Dies entspricht der Entgeltdifferenz der Entgeltstufe 17 zur Entgeltstufe 11. Zudem erfolgte im Monat Mai 2023 in Bezug auf die Rückforderung für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 ein Abzug in Höhe von insgesamt 4.312,31 Euro netto.

Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens bewarb der Kläger sich auf eine bei der Beklagten ausgeschriebene Stelle "Kfm. Fachreferent/in...)" mit der Entgeltstufe 17. Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin per E-Mail mit, dass seine Bewerbung erfolgreich gewesen sei und er die Stelle ab dem 08.06.2023 antreten könne, sofern er vor der Übernahme in den Fachbereich sein Betriebsratsamt niederlege. Der Kläger antwortete, dass er das Angebot annehmen, sein Amt als Betriebsrat aber nicht aufgeben werde. Mangels tatsächlicher Arbeitsaufnahme seitens des Klägers sah die Beklagte davon ab, dem Kläger die Vergütung entsprechend der Entgeltstufe 17 zu zahlen.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht die Kürzung seiner Vergütung und den Einbehalt seiner Vergütung durch die Beklagte gerügt. Er hat im Wesentlichen die Auffassung vertreten, er sei unter Berücksichtigung seiner hypothetischen Sonderkarriere zum 01.05.2020 rechtmäßig in die Entgeltstufe 17 eingruppiert worden. Halte man die Voraussetzungen für eine solche Sonderkarriere nicht für gegeben, sei jedenfalls die von der Beklagten gebildete Vergleichsgruppe unzutreffend.

Der Kläger hat, soweit für die Berufung von Bedeutung, erstinstanzlich beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger seit dem 01.10.2023 nach Entgeltstufe (ES) 18 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der V. und der I. vom 05. März 2018 in der Fassung vom 01.05.2021, ab dem 01.06.2023 in der Fassung vom 23.11.2022 (Anlage 1 zum Verhandlungsergebnis) zu vergüten,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für den Monat Mai 4.312,31 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2023 zu zahlen,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für die Monate Mai 2022 bis Januar 2023 jeweils monatlich 339,00 EUR brutto für Februar 2023 bis Mai 2023 jeweils monatlich 2.137:00 EUR brutto und für Juni 2023 bis September 2023 jeweils monatlich 2.248,00 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2022, 01.07.2022, 01.08.2022, 01.09.2022, 01.10.2022, 01.11.2022, 01.12.2022, 01.01.2023 und 01.02.2023 auf jeweils 339,00 EUR brutto, seit dem 01.03.2023, 01.04.2023, 01.05.2023 und 01.06.2023 auf jeweils 2.137,00 EUR brutto und seit dem 01.07.2023. 01.08.2023, 01.09.2023 und 01.10.2023 auf jeweils 2.248,00 EUR brutto zu zahlen,

  4. 4.

    die Beklagte zu verurteilen, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrags rückwirkend zum 08.06.2023 entsprechend der Stellenausschreibung Nr. ... Fachbereich (NV-KT) mit der Tätigkeitsbeschreibung "Steuerung HR-Beratungscenter ..." und einer Vergütung nach ES 18 anzunehmen, ihn entsprechend zu vergüten und zu entwickeln.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, für die Ermittlung der Vergütungshöhe von Betriebsräten sei gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs lediglich die Vergleichsgruppe, nicht jedoch eine hypothetische Sonderkarriere ausschlaggebend. Entscheidend sei für den Kläger damit die bei seiner erstmaligen Betriebsratstätigkeit zu bildende Vergleichsgruppe. Die Betrachtung einer typischen Karriere anhand der für den Kläger einschlägigen Vergleichsgruppe "Springer" führe zu einer Eingruppierung in die Entgeltstufe 11.

Wegen des weiteren Vorbringens erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze, die Verhandlungsprotokolle und den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 17.10.2023 der Klage - soweit für das Berufungsverfahren von Interesse - stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf die Zahlung von Entgelt gemäß der Entgeltstufe 18 zu. Die Parteien hätten mit Wirkung zum 01.05.2020 rechtmäßig vereinbart, den Kläger gemäß der Entgeltstufe 17 zu vergüten. Diese Vereinbarung sei nicht gem. § 134 BGB wegen eines Verstoßes gegen das Begünstigungsverbot gem. § 78 S. 2 BetrVG nichtig. Einen derartigen Verstoß hätte die Beklagte darlegen und beweisen müssen, was ihr nicht gelungen sei. Gemäß den Regelungen des Rahmentarifvertrages sei der Kläger nach Ablauf von 2 Jahren in die gerade Entgeltstufe und damit in die Entgeltstufe 18 einzugruppieren. Auf die Frage, wie eine Vergleichsgruppe nach § 37 Abs. 4 BetrVG zu bilden sei und welche Vergütungshöhe sich hieraus ergäbe, komme es damit nicht entscheidungserheblich an. Der Kläger besitze zudem einen Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsvertrags rückwirkend zum 08.05.2023 entsprechend der Stellenausschreibung Nr. ... Fachbereich (NV-KT) mit der Tätigkeitsbeschreibung "Steuerung HR-Beratungscenter ..." und einer Vergütung nach der Entgeltstufe 18. Die Beklagte habe den Vertragsschluss nicht unter die Bedingung stellen dürfen, dass der Kläger sein Betriebsratsamt niederlege. Dieses Verhalten stelle einen Verstoß gegen das Benachteiligungsgebot des § 78 S. 2 BetrVG dar.

Gegen das ihr am 09.11.2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.12.2023 Berufung eingelegt und diese nach gerichtlich gewährter Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 11.03.2024 begründet. Sie ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe sich mit den Voraussetzungen einer hypothetischen Sonderkarriere nicht ausreichend auseinandergesetzt. Zudem sei es nicht auf die Frage eingegangen, ob die vom Kläger während seiner Amtszeit als Betriebsrat erworbenen

Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Eignungsfeststellung für eine bestimmte Position berücksichtigt werden dürften.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 17.10.2023 - 12 Ca 272/23 - abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts als zutreffend. Der Gesetzgeber habe im Rahmen des Gesetzesentwurfes zur Zweiten Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes bereits deutlich gemacht, in welchen Fällen die während einer Amtszeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten von Betriebsräten bei der Eignungsfeststellung berücksichtigt werden dürften. Daran gemessen seien die Kenntnisse und Fähigkeiten, die der Kläger während seiner Betriebsratstätigkeit erworben habe, in jedem Fall für die Feststellung seiner Eignung für eine bestimmte Position zu berücksichtigen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien in erster und zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zurecht stattgegeben.

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Unter Zugrundelegung des im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltenden Beibringungsgrundsatzes ist für die Zwecke der Entscheidung der vorliegenden Rechtsstreitigkeit davon auszugehen, dass dem Kläger Ansprüche auf die begehrten Zahlungen und Feststellungen zustehen. Seine Ansprüche ergeben sich unmittelbar aus § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB. Auf die Frage, ob der Kläger seine Ansprüche daneben auch auf § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG stützen kann, kommt es nicht an.

1.

a.

Nach § 78 Satz 2 BetrVG dürfen die Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Amtstätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung. Aus § 78 Satz 2 BetrVG kann sich iVm. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. § 37 Abs. 4 BetrVG enthält insoweit keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers. Die Vorschrift des § 78 Satz 2 BetrVG enthält ein an den Arbeitgeber gerichtetes allgemeines Verbot, ein Betriebsratsmitglied wegen der Amtstätigkeit in seiner beruflichen Entwicklung zu benachteiligen. Der Arbeitgeber muss den Mitgliedern der in § 78 Satz 1 BetrVG genannten Arbeitnehmervertretungen eine berufliche Entwicklung gewährleisten, die derjenigen entspricht, die sie ohne ihre Amtstätigkeit durchlaufen hätten. Von dem Benachteiligungsverbot erfasst wird nicht nur die berufliche Tätigkeit, sondern auch das sich aus ihr ergebende Entgelt. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen (st. Rspr., vgl. BAG 22. Januar 2020 - 7 AZR 222/19 - Rn. 29 mwN).

b.

Die Darlegungs- und Beweislast für eine unzulässige Benachteiligung wegen des Betriebsratsamts trägt grundsätzlich das Betriebsratsmitglied. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt (vgl. etwa BAG 25. Juni 2014 - 7 AZR 847/12 - Rn. 36 mwN, BAGE 148, 299). Will der Amtsträger geltend machen, dass er ohne Ausübung seines Amts oder ohne die Freistellung durch Beförderung einen beruflichen Aufstieg genommen hätte, hat er hierzu mehrere Möglichkeiten (vgl. BAG 22. Januar 2020 - 7 AZR 222/19 - Rn. 31 mwN). Er kann vortragen, dass seine Bewerbung auf eine bestimmte Stelle gerade wegen seiner Freistellung und/oder seiner Betriebsratstätigkeit erfolglos geblieben ist (BAG 4. November 2015 - 7 AZR 972/13 - Rn. 31; 27. Juni 2001 - 7 AZR 496/99 - zu B II 1 b aa der Gründe mwN, BAGE 98, 164). Hat sich ein freigestellter Amtsträger auf eine bestimmte Stelle tatsächlich nicht beworben, kann und muss er zur Begründung des fiktiven Beförderungsanspruchs darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre. Aber auch wenn eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung danach keinen Erfolg gehabt hätte oder hätte haben müssen, steht dies einem Anspruch nicht zwingend entgegen. Scheitert nämlich eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung des freigestellten Amtsträgers an fehlenden aktuellen Fachkenntnissen oder daran, dass der Arbeitgeber sich zur Beurteilung der fachlichen und beruflichen Qualifikation infolge der Freistellung außerstande gesehen hat, so ist zwar die Entscheidung des Arbeitgebers für den als qualifizierter erachteten Bewerber nicht zu beanstanden. Gleichwohl kann in einem solchen Fall ein fiktiver Beförderungsanspruch des Amtsträgers bestehen, wenn das Fehlen von feststellbarem aktuellen Fachwissen gerade aufgrund der Freistellung eingetreten ist (vgl. BAG 4. November 2015 - 7 AZR 972/13 - Rn. 31; 14. Juli 2010 - 7 AZR 359/09 - Rn. 20 mwN; zu allem Vorstehenden BAG, Urteil vom 20. Januar 2021 - 7 AZR 52/20 -, Rn. 24, juris).

2.

Vorliegend steht auf der Grundlage des beiderseitigen Parteivorbringens für das erkennende Gericht fest, dass der Kläger aufgrund seiner Fortbildungen, insbesondere aufgrund seiner Ausbildung zum IHK-geprüften Personalkaufmann, seiner Teilnahme an einem Führungskräfteseminar sowie an verschiedenen Seminaren zum Arbeits- und Arbeitszeitrecht, sowie dem absolvierten Vorbereitungslehrgang "Geprüfter Betriebswirt/Geprüfte Betriebswirtin", über derartige Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen verfügte, dass er bei einer Bewerbung auf die bei der Beklagten vorhandenen und auch in ausreichender Zahl freien Stellen eines "HR Business Partner" als auch - alternativ - eines "Kfm. Fachreferenten Koordination Service Back Office - ADMT" erfolgreich gewesen wäre, und dass der Kläger des Weiteren Bewerbungen hierauf nur aufgrund seines Betriebsratsamtes unterließ, so dass jedenfalls ab dem 01.05.2020 eine Eingruppierung und Vergütung des Klägers nach Entgeltstufe 17 zu erfolgen hatte. Diese Qualifikationen stehen auch nicht im Zusammenhang mit dem Betriebsratsamt des Klägers, so dass sich die diesbezüglich seitens der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen im vorliegenden Fall nicht stellen. Da sich das Gericht eine klare Überzeugung bilden konnte, kommt es vorliegend auf Fragen der Darlegungs- und Beweislast nicht an.

a.

Zur Überzeugung des Gerichts ergibt sich aus dem Prozessstoff, dass bei der Beklagten laufend, insbesondere in der Zeit ab dem 01.05.2020, Stellen im Personalmanagement zu besetzen waren, als deren Inhaber man auch in Entgeltstufe 17 eingruppiert ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Vortrag der Beklagten auf Seite 13 der Berufungsbegründungsschrift. Danach gab es bei der Beklagten im Jahr 2020 freie Stellen, die der Tätigkeitsbeschreibung "TB ..." entsprachen. Hierzu gehörte nach dem eigenen Vortrag der Beklagten etwa auch die Stelle "Mitarbeiter Personalmanagement", die im Februar 2020 ausgeschrieben wurde. Die Beklagte geht, wie sie vorträgt, zudem davon aus, dass der Kläger die Qualifikationsanforderungen für die Besetzung der Stellen nach der Tätigkeitsbeschreibung TB ... erfüllte.

Gleiches gilt zur Überzeugung des Gerichts auch für die Stelle eines kaufmännischen Fachreferenten Koordination Service Back Office - ADMT (TB ...)", der - ebenfalls nach eigenem Vortrag der Beklagten auf Seite 14 bis 16 der Berufungsbegründung - in die Entgeltstufe 17 eingruppiert ist bzw. eingruppiert sein kann, und für die der Kläger unstreitig ebenfalls qualifiziert war und ist. Der Umstand, dass die Beklagte in Deutschland nahezu 300.000 Mitarbeiter beschäftigt, spricht hinreichend dafür, dass sich darunter auch eine erhebliche Zahl solcher Mitarbeiter befindet, und dass nicht nur - wie zwischen den Parteien unstreitig ist - zum 8.6.2023 eine solche Stelle vakant war, sondern aufgrund von Personalfluktuation jedes Jahr mindestens ein solcher Arbeitsplatz neu zu besetzen ist. Vor diesem Hintergrund hätte es der Beklagten oblegen, substantiiert vorzutragen und unter Beweis zu stellen, dass bei ihr im Jahr 2020 und auch in der näheren Folgezeit keine Stelle eines kaufmännischen Fachreferenten zu besetzen war.

b.

Zur Überzeugung des erkennenden Gerichts steht weiter fest, dass eine im Jahre 2020 erfolgte Bewerbung des Klägers auf eine Stelle als Mitarbeiter im Personalmanagement erfolgreich gewesen wäre. Wie oben ausgeführt, räumt die Beklagte selbst ein, dass der Kläger bereits im Jahr 2020 die hierfür erforderlichen Qualifikationen uneingeschränkt mitbrachte.

Weiter steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass auch eine im Jahre 2020 erfolgte Bewerbung des Klägers auf die Stelle eines kaufmännischen Fachreferenten Erfolg gehabt hätte. Der Kläger weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass die Möglichkeit seiner hypothetischen Karriere durch seine im Jahr 2023 geschehene erfolgreiche Bewerbung auf die wieder zu besetzende Stelle eines kfm. Fachreferenten im TB ... belegt werde.

Der Kläger hat seine Fortbildungen sämtlich vor dem Jahre 2020 durchlaufen. Dass der Kläger erst nach dem Jahre 2020 Wissen und praktische Erfahrung erworben hätte, welche erst den entscheidenden Ausschlag für die Beklagte gegeben hätten, seiner im Jahr 2023 erfolgten Bewerbung den Zuschlag zu erteilen, ist nicht zu sehen und wird seitens der Beklagten auch nicht behauptet.

c.

Nach Ablauf von zwei Jahren nach Eingruppierung in die Entgeltstufe 17 und damit ab dem 1. Mai 2022 war der Kläger nach unstreitigem Parteivortrag gem. den Bestimmungen des einschlägigen Rahmentarifvertrages in die Entgeltstufe 18 einzugruppieren.

d.

Dieser zwischen den Parteien in weiten Teilen unstreitige, im Übrigen von der Beklagten nicht bestrittene Sachverhalt ist für die Bildung einer richterlichen Überzeugung vorliegend ausreichend. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren gilt wie in jedem zivilprozessualen Rechtsstreit der Beibringungsgrundsatz. Das erkennende Gericht hat nicht darüber hinaus Prüfungen von Amts wegen durchzuführen.

3.

Da der Kläger nach dem oben Ausgeführten ab dem 1.5.2020 in die Entgeltstufe 17 und damit ab dem 1.5.2022 in die Entgeltstufe 18 einzugruppieren war, ergeben sich auch die Rückzahlungsansprüche des Klägers wegen zu Unrecht einbehaltener Vergütung im erstinstanzlich austenorierten Umfang. Die Beklagte hat insoweit keine darauf gerichteten Einwendungen vorgebracht.

4.

Die Beklagte ist zudem, wie erstinstanzlich zu Recht entschieden, gem. § 78 S. 2 BetrVG verpflichtet, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrags rückwirkend zum 08.06.2023 entsprechend der Stellenausschreibung Nr. ... Fachbereich (NV-KT) mit der Tätigkeitsbeschreibung "Kaufmännischer Fachreferent/in Koordination Service Backoffice - ADMT (TB ...)" und einer Vergütung nach ES 18 anzunehmen, ihn entsprechend zu vergüten und zu entwickeln. Diesbezüglich war wegen einer offenbaren Unrichtigkeit auf Antrag und mit Zustimmung der Beklagten eine klarstellende Änderung zu Ziffer 4. des erstinstanzlichen Tenors vorzunehmen.

Die Annahme des Angebots unter der Bedingung der Amtsniederlegung stellt einen Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Benachteiligungsgebot aus § 78 S. 2 BetrVG dar, sodass der Kläger so zu stellen ist, wie er ohne die Benachteiligung stünde. Die Kammer macht sich die Ausführungen unter IV. 1. - 3. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zu eigen, verweist auf diese und stellt dies fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

III.

Die Beklagte hat die Kosten des von ihr erfolglos eingelegten Rechtsmittels der Berufung zu tragen (§ 97 ZPO).

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung entscheidungserheblicher, klärungsfähiger und -bedürftiger Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anwendung des § 78 BetrVG zuzulassen.