Amtsgericht Stade
Urt. v. 05.09.2023, Az.: 36 OWi 2530 Js 16279/23 (193/23)
Feststellung der Fahrereigenschaft im Rahmen einer begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung
Bibliographie
- Gericht
- AG Stade
- Datum
- 05.09.2023
- Aktenzeichen
- 36 OWi 2530 Js 16279/23 (193/23)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 57202
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGSTADE:2023:0905.36OWI2530JS16279.00
Rechtsgrundlagen
- § 41 Abs. 1 StVO
- § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO
- § 24 StVG
In der Bußgeldsache
gegen
O. K.
Verteidiger:
RA I.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat das Amtsgericht Stade - Richter in Bußgeldsachen - in der öffentlichen Sitzung vom 05.09.2023, an der teilgenommen haben:
Richter S.
als Richter in Bußgeldsachen
RA H.
als Verteidiger
- gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 226 Abs. 2 StPO wurde von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgesehen -
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Betroffene wird wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 68 km/h zu einer Geldbuße von 1.200,00 € verurteilt.
Es wird ein Fahrverbot von 2 Monaten gegen den Betroffenen verhängt und ihm damit untersagt, für diese Dauer Kraftfahrzeuge aller Art im Straßenverkehr zu führen.
Es wird bestimmt, dass das Fahrverbot nicht mit Rechtskraft der Entscheidung, sondern erst dann wirksam wird, wenn der Führerschein bei der zuständigen Behörde in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch nach Ablauf von vier Monaten.
Dem Betroffenen wird gestattet, die Geldbuße in monatlichen Raten von 100,00 €, zahlbar jeweils bis zum 10. eines Monats, beginnend in dem auf die Rechtskraft des Urteils folgenden Monat, zu zahlen. Diese Vergünstigung entfällt, wenn der Betroffene mit einer Rate mehr als zwei Wochen in Rückstand kommt.
Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens sowie seine eigenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Der zum Tatzeitpunkt 23-jährige Betroffene wohnt in H. und ist ledig. Beruflich ist er in einem B. tätig.
Fahreignungsrechtlich ist der Betroffene bislang nicht in Erscheinung getreten.
II.
Zur Sache hat das Gericht folgende Feststellungen getroffen:
Der Betroffene befuhr am XX.XX.2022 um 20:49 Uhr die X in G., KM XX in Fahrtrichtung C. als Führer des Pkw Nissan, amtliches Kennzeichen XX, mit einer festgestellten Geschwindigkeit nach Toleranzabzug von 138 km/h bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Das Verkehrszeichen 274, das den Beginn einer Geschwindigkeitsbeschränkung kennzeichnet, war in über 500 m Entfernung von der Messstelle aufgestellt. Der Betroffene hat das Verkehrsschild zuvor passiert.
III.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen beruhen auf dessen Angaben in der Hauptverhandlung sowie dem verlesenen Auszug aus dem Fahreignungsregister aus 2023.
Die Feststellungen zur Sache stützen sich auf den in der Hauptverhandlung erhobenen Beweismitteln.
Das Verfahren basiert auf dem Bescheid des Landkreises Stade vom XX (Az.: X ), auf dessen Verlesung in der Hauptverhandlung allseits verzichtet wurde.
Der Betroffene hat in der Hauptverhandlung keine Äußerungen zur Sache getätigt, sondern von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch gemacht. Es wurde lediglich durch den Verteidiger erklärt, dass die Fahrereigenschaft bestritten werde.
Das Gericht ist jedoch davon überzeugt, dass der Betroffene der Fahrer des Fahrzeugs war und die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft um 68 km/h vorsätzlich überschritten hat.
1.
Die Messung erfolgte im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens. Der Betroffene hat keine Einwände gegen die technische Richtigkeit der Messung erhoben. Hinweise auf Fehler in der Messung haben sich nicht ergeben. Die Ordnungsgemäßheit der Messung steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest.
Im Rahmen der Hauptverhandlung wurden sowohl das Messortprotokoll (Bl. 92 d. A.) als auch der Eichschein (Bl. 93 d. A.) verlesen. Aus dem Messortprotokoll ergibt sich, dass die Geschwindigkeitsmessung an dem Tattag mit dem Geschwindigkeitsmessgerät TraffiStar S350 MiniRack mit der Identifikationsnummer XXX erfolgt ist. Messbeginn war ausweislich des Protokolls der 21.10.2022 um 06:10 Uhr und Messende der 29.10.2022 um 09:12 Uhr. Protokolliert ist ebenfalls die Kontrolle von Verkehrszeichen vor und nach der Messung, sowie von angebrachten Eichmarken und eichtechnischen Sicherungen.
Die zulässige Geschwindigkeit nach Protokoll ist mit 70 km/h für Pkw angegeben und der Abstand zu dem Verkehrszeichen 274 ist mit 575 m und zu dem Verkehrszeichen 278 mit 375 m vermerkt.
Das Messortprotokoll ist von den Messbeamten D. (Messbeginn) und Di. (Messende) unterzeichnet. Insoweit wurde vermerkt und bestätigt, dass die Anwendung des Gerätes nach der zum Gerät gehörenden Bedienungsanleitung des Herstellers durch qualifiziertes Fachpersonal erfolgt ist. Weiterhin ist das Protokoll auch durch die Auswertende Frau B. unterzeichnet worden.
Der verlesene Eichschein des Landesbetriebs Mess- und Eichwesen Nordrhein-Westfalen vom 20.12.2021 bescheinigt, dass das Geschwindigkeitsmessgerät TraffiStar S350 MiniRack mit der Identifikationsnummer XXX mit der Eichfrist bis zum 31.12.2022 unter dem 07.12.2021 gültig geeicht worden ist. Der Eichschein ist mit Dienstsiegel und Unterschrift versehen. In der ebenfalls verlesenen Anlage (Bl. 93 R. d. A.) sind die zusätzlichen Komponenten der geeichten Messanlage aufgeführt.
Ausweislich des verlesenen Fallprotokolls (Bl. 97 d. A. - Balken im oberen Fallfoto) ist das betroffene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX am XX.XX.2022 um 20:49 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 143 km/h gemessen worden. Auf die zum Fallprotokoll gehörigen Lichtbilder wird gem. § 46 OWiG i. V. m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen. Diese sind zum Gegenstand der Hauptverhandlung durch Inaugenscheinnahme gemacht worden. Das Kennzeichen befindet sich entsprechend im Messrahmen. Ein entsprechender Toleranzabzug ergibt dabei die vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung von 68 km/h.
Ebenfalls wurden die Schulungsnachweise der Messbeamten D. und Di. (Bl. 94+95 d. A.) sowie der auswertenden Beamtin B. (Bl. 96 d. A.) verlesen. Insofern ergab sich daraus, dass die Beamten am 22.03.2019, 27.10.2021 bzw. 29.07.2021 erfolgreich an einer Schulung für die Verkehrsüberwachsungsanlage TraffiStar S350 teilgenommen haben und dabei in aller Ausführlichkeit mit der Bedienung und Vorgangsauswertung bzw. betreffend Frau B. nur mit der Vorgangsauswertung des Gerätes vertraut gemacht wurden.
2.
Die Feststellung der Fahrereigenschaft des Betroffenen folgt aus der Inaugenscheinnahme des Fallprotokolls (Bl. 97 d. A.) mitsamt der darin enthaltenen Messbilder, des Passfotos des Betroffenen (Bl. 65 d. A.) sowie der Person des anwesenden Betroffenen in der Hauptverhandlung. Auf die Augenscheinsobjekte wird dabei gem. § 46 OWiG i. V. m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO wegen der Einzelheiten ausdrücklich Bezug genommen.
Aus dem Vergleich des Fallfotos mit der Person des Betroffenen sowie dessen Passfoto konnte dieser als Fahrer des Fahrzeugs eindeutig identifiziert werden. Insoweit ist die Qualität des Fallfotos zwar nicht ideal, jedoch zur Identifzierung absolut ausreichend.
Zunächst stimmt rein optisch das Alter und das Geschlecht der abgebildeten und der in Augenschein genommenen Person überein. Weitere deutliche Übereinstimmungen ergeben sich in den markanten Augenbrauen, dem Mund- und Kinnbereich mit der auffälligen Bartstruktur (mittig unterhalb der Unterlippe sehr nah an diese herangezogen) sowie den leicht eingefallen wirkenden Augenbereichen. Ebenfalls prägnant und übereinstimmend ist der relativ gerade verlaufende Haaransatz im oberen Stirnbereich.
Der Einwand der Verteidigung, der abgebildete Fahrzeugführer unterscheide sich in Bezug auf den Betroffenen im Nasenbereich (Wurzel, Spitze) sowie auch beim Bartwuchs an den Mundwinkeln, kann derweil nicht überzeugen.
Zum einen sieht das Gericht schon keinen deutlichen Unterschied des Bartwuchses im Mundwinkelbereich. Zum anderen hängt ein solcher Bartwuchs auch immer von der jeweiligen Pflege des Bartbereiches ab und kann dementsprechend auch verändert werden. Ein kräftigerer bzw. lückenloserer Bartwuchs in einer geringen Abweichung kann demzufolge nach Ansicht des Gerichts im hiesigen Fall nicht allein als Identifizierungsausschlussmerkmal herhalten. Auch bei der Nasenform des Betroffenen sieht das Gericht keinen solchen Unterschied, dass es an der getroffenen Fahreridentifikation zweifeln würde. Zwar wirkt es auf den ersten Blick so, als wenn der Nasenrücken des Fahrzeugführers im Vergleich zu dem Nasenrücken des Betroffenen auf dem Passfoto etwas rundlicher wäre. Allerdings sieht das Gericht diese geringe Abweichung in der verringerten Schärfe und teilweisen Verschattung des Messfotos begründet. Hinsichtlich der Nasenspitze erscheint die ebenfalls rundliche und "knubbelige" Form bei Fahrzeugführer und Betroffenem derweil sogar identisch.
Aufgrund der vorgenannten Übereinstimmungen steht der Identifikation des Betroffenen auch nicht der Umstand entgegen, dass die rechte Stirnhälfte der Person auf dem Fallfoto von dem Rückspiegel des Fahrzeugs verdeckt ist.
Die Aufklärungspflicht des Gerichts gebietet die beantragte Beweiserhebung durch Einholung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens zur Erforschung der Wahrheit nicht. Bereits durch die vorgenannten Inaugenscheinnahmen und den Abgleich mit dem in der Sitzung anwesenden Betroffenen war das Gericht der Überzeugung, dass der Betroffene der Fahrer des gemessenen Fahrzeugs ist. Die Einholung eines Gutachtens bedurfte es daher aus Sicht des Gerichts nach Abwägung aller relevanten Umstände nicht.
Des Weiteren kann auch der Umstand, dass die Halterin des Fahrzeugs ausweislich der verlesenen Auskunft aus dem Melderegisterdatenspiegel (Bl. 98 d. A.) spätestens seit dem XX.XX.2022 unter derselben Anschrift wie der Betroffene wohnhaft ist und zudem den gleichen Nachnamen trägt, als Indiz dafür gewertet werden, dass der Betroffene Zugriff auf das Fahrzeug der Halterin H. K. zum Tatzeitpunkt gehabt hat. Letztendlich hat der Betroffene auch keine andere Person als Fahrer benannt.
Der in der Akte zunächst als möglicher Fahrer geführte Herr G. N. konnte derweil bei der Inaugenscheinnahme des Lichtbildes (Bl. 11 d. A.) im Vergleich mit dem Fallfoto als Fahrzeugführer ausgeschlossen werden. Vor allem der Haaransatz und die schwächer hervortretenden Augenbrauen aber auch das Gesamterscheinungsbild des Kopfes der Person unterscheiden sich von der Person des Fahrzeugführers.
3.
Der Betroffene hat nach alledem die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 68 km/h überschritten. Aus dieser erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung von fast 100 % der zulässigen Höchstgeschwindigkeit kann ein Rückschluss auf die vorsätzliche Begehung geschlossen werden (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 28.10.2013, Az.: 322 SsRs 280/13). Eine solche Geschwindigkeitsüberschreitung wird zweifellos bemerkt, auch durch den Betroffenen. Ebenfalls kann davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß aufgestellte) Vorschriftszeichen von Verkehrsteilnehmern in der Regel wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 23.06.2017, Az.: 2 Ss (Owi) 137/17). Besondere Umstände, die noch für eine Annahme von fahrlässigem Handeln gesprochen hätten, waren nicht ersichtlich. Im Übrigen war der Betroffene auch für eine Landstraße ohne Geschwindigkeitsbegrenzung deutlich zu schnell unterwegs.
IV.
Der Betroffene hat folglich eine Ordnungswidrigkeit gem. §§ 41 Abs. 1 i. V. m. Anlage 2, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG begangen, indem er vorsätzlich auf einer Strecke außerhalb geschlossener Ortschaft, auf der die zulässige Geschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt ist, nach Toleranzabzug mit einer Geschwindigkeit von 138 km/h gefahren ist.
V.
Für die Ordnungswidrigkeit der Geschwindigkeitsüberschreitung in der vorliegenden Form war nach Nr. 11.3.9 BKat in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung eine Regelgeldbuße von 600,00 € sowie ein Fahrverbot von zwei Monaten vorgesehen. Abweichend von der Regelgeldbuße hat das Gericht vorliegend berücksichtigt, dass der Betroffene vorsätzlich gehandelt hat, sodass die Geldbuße nach § 3 Abs. 4a BKatV zu verdoppeln war. Das Gericht hält die verhängte Geldbuße von 1.200,00 € für tat- und schuldangemessen.
Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene die verhängte Geldbuße nicht zahlen könnte, sind für das Gericht nicht ersichtlich und wurden von der Verteidigung auch nicht geltend gemacht. Zudem wurde dem Betroffenen auch eine Ratenzahlung gewährt.
Weiterhin war auch die Verhängung des Regelfahrverbotes von zwei Monaten neben der Geldbuße zur Einwirkung auf den Betroffenen geboten. Es liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Anordnung des Fahrverbotes unverhältnismäßig erscheinen lassen. Das Fahrverbot entspricht der Schuld des Betroffenen.
Da gegen den Betroffenen in den zwei Jahren vor der Ordnungswidrigkeit und auch bis zur Bußgeldentscheidung kein Fahrverbot verhängt wurde, konnte jedoch gem. § 25 Abs. 2a StVG bestimmt werden, dass das Fahrverbot nicht mit Rechtskraft der Entscheidung, sondern erst dann wirksam wird, wenn der Führerschein bei der zuständigen Behörde in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch nach Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
VI.
Die Ratenzahlungsvereinbarung beruht auf § 18 OWiG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 465 Abs. 1 StPO.