Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 31.03.2025, Az.: 1 A 49/24

Aufstockerklage; Flüchtlingsanerkennung; HTS; Sturz des Assad-Regimes; Syrien; Übergangsregierung; Wehrdienstentziehung; Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Syrien)

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
31.03.2025
Aktenzeichen
1 A 49/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2025, 12980
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2025:0331.1A49.24.00

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt über den von der Beklagten mit Bescheid vom 7. Februar 2024 zuerkannten subsidiären Schutzstatus hinaus die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der am E.. Januar 1991 geborene Kläger hat die syrische Staats-, arabische Volks- und sunnitische Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 20. September 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 27. November 2023 einen Asylantrag stellte. Im Rahmen der am 29. November 2023 durchgeführten persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (Bundesamt) trug er zur Begründung insbesondere vor, dass er Syrien aufgrund der Krieges und der allgemein schlechten Lage verlassen habe. Zudem habe er keinen Wehrdienst leisten wollen. Sein Bruder sei vom "Islamischen Staat" (IS) getötet worden und er habe sich davor gefürchtet, dass ihm dasselbe widerfahren könnte. Er sei weder politisch aktiv gewesen noch habe er persönliche Probleme mit staatlichen Akteuren gehabt. Seine Eltern, fünf Brüder und seine Schwester würden weiterhin in Syrien leben. Seine schwangere Ehefrau lebe mit den beiden gemeinsamen Kindern in der Türkei. Bei seiner Rückkehr nach Syrien befürchte er, zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Auch befürchte er von den SDF (Demokratische Kräfte Syriens) zwangsrekrutiert zu werden. Zudem habe er Angst vor dem in Syrien herrschenden Krieg und davor, Menschen umbringen zu müssen oder selbst umgebracht zu werden. Wegen seines Studiums sei er vorübergehend vom Wehrdienst zurückgestellt worden. Unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leide er nicht.

Mit Bescheid vom 7. Februar 2024 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1). Im Übrigen lehnte es den Asylantrag ab (Ziffer 2). Zur Begründung gab es an, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft seien nicht gegeben. Der Kläger habe keine drohende oder bereits erlittene Verfolgung in Syrien glaubhaft machen können, die an einen Verfolgungsgrund nach § 3b Asylgesetz (AsylG) anknüpfe. Die geäußerten Sorgen über den Krieg und die allgemeine schlechte Lage stellten allein keine Verfolgung im Sinne der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsyIG aufgeführten Merkmale dar. Soweit der Kläger die Einberufung zum Militärdienst fürchte sei festzustellen, dass die Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung, Wehrdienst- bzw. Kriegsdienstverweigerung oder Desertion für sich allein nach überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung darstelle. Der Kläger habe keinen individuellen Verfolgungsgrund glaubhaft machen können, er sei vielmehr wegen des herrschenden Bürgerkrieges und den sich daraus für sich und seine Familie ergebenden Folgen ausgereist.

Gegen den genannten Bescheid hat der Kläger am 19. Februar 2024 Klage erhoben.

Zur Begründung trägt er im Wesentlich vor, dass er unter Berücksichtigung des Urteils des EuGH vom 19. November 2020 (C-238/19) Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft habe. Nach dem Urteil sei die erforderliche Verknüpfung zwischen der Bestrafung und einem Verfolgungsgrund stark zugunsten des Schutzsuchenden zu vermuten. Vorliegend bestehe die sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass er, der vor der Flucht aufgrund seines Studiums vom Wehrdienst freigestellt gewesen sei, bei einer hypothetischen Rückkehr von der syrischen Armee zur Rekrutierung einberufen werde. Er habe keinen Einberufungsbescheid oder Haftbefehl erhalten. Aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht und der Erwartung der Regierung, dass sich alle Bürger ihren Befehlen fügen, sei es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis er erneut einberufen werde. Menschen, die sich der Wehrpflicht entziehen oder dem Regime kritisch gegenüberstehen würden systematisch verfolgt, gefoltert und anderweitig misshandelt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 7. Februar 2024 teilweise aufzuheben und ihm die Flüchtlingseigenschaft zu zuerkennen.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angegriffenen Bescheid,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 26. März 2025 ist der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 7. Februar 2024 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, soweit darin für ihn die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt worden ist (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist und keiner der genannten Ausnahmetatbestände einschlägig ist. Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention -, BGBl. 1953 II S. 559, 560) wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b).

§ 3a Abs. 1 AsylG definiert den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG bezeichneten Begriff der Verfolgung als dauerhafte oder systematische schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte. In § 3a Abs. 2 Nrn. 1 bis 6 AsylG werden einzelne Beispiele für Verfolgungshandlungen genannt, unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (Nr. 1), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (Nr. 3) oder eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Nr. 5). Gemäß § 3c AsylG sind Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, u. a. der Staat oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.

Zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten und in § 3b Abs. 1 AsylG jeweils näher erläuterten Verfolgungsgründen sowie den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG beschriebenen Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Wer eine ihm geltende Verfolgungshandlung (§ 3a AsylG) sowie den Wegfall nationalen Schutzes (§ 3c bis § 3e AsylG) darlegen kann, wird als Flüchtling anerkannt, wenn die Verfolgung auf einem oder mehreren der in § 3b Abs. 1 AsylG bezeichneten Verfolgungsgründen beruht. Kann die Anknüpfung der Verfolgung an einen solchen Verfolgungsgrund nicht dargelegt werden, besteht nach Maßgabe der entsprechenden Voraussetzungen lediglich Anspruch auf subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG). Es ist dabei unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z. B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreiche, wenn der Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Unerheblich ist dabei, ob der Betreffende aufgrund der ihm zugeschriebenen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung (überhaupt) tätig geworden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, juris Rn. 5). Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Verfolgungsgrundes im Sinne des § 3b AsylG erfolgt, ist anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.01.2009 - 10 C 52.07 -, juris Rn. 22; Urt. v. 21.04.2009 - 10 C 11.08 -, juris Rn. 13). Für die Verknüpfung reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Gerade mit Blick auf komplexe und multikausale Sachverhalte ist nicht zu verlangen, dass ein bestimmter Verfolgungsgrund die zentrale Motivation oder die alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme ist. Indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.04.2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 13; Nds. OVG, Urt. v. 22.04.2021 - 2 LB 408/20 -, juris Rn. 20).

Ob eine Verfolgung droht, d. h. der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG aus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.03.1990 - 9 C 14/89 -, juris, Rn. 13 m. w. N.). Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat einheitlich anhand des Maßstabs der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" zu erfolgen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25/10 - juris, Rn. 22; Urt. v. 01.03.2012 - 10 C 7/11 - juris, Rn. 12 m. w. N.).

Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.02.2008 - 10 C 33/07 - juris, Rn. 37 m. w. N.) eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Eine Verfolgung ist demzufolge beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z. B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.02.2008 - 10 C 33/07 - juris, Rn. 37; Nds. OVG, Urt. v. 22.04.2021 - 2 LB 408/20 -, juris Rn. 22). Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung vor der Ausreise im Herkunftsstaat (Vorverfolgung) oder auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem oder weil der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchtgründe), insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG).

Ausgehend von den dargelegten Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Bei verständiger Würdigung ist eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgungsgefahr für den Kläger nicht zu erkennen. Hierbei ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung maßgeblich.

1. Der Kläger ist weder vorverfolgt aus Syrien ausgereist noch musste er in dem Zeitpunkt, in dem er Syrien verlassen hat, jederzeit mit einer Verfolgung rechnen.

Umstände, aus denen sich eine bereits erlittene oder im Zeitpunkt der Ausreise unmittelbar drohende politische Verfolgung ergeben, sind seinem Vorbringen nicht zu entnehmen. Vielmehr hat der Kläger im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt angegeben, dass er sich nicht politisch gegen das Assad-Regime betätigt hat und persönlich keine Probleme mit der ehemaligen syrischen Regierung gehabt habe. Er war aufgrund seines Studiums ausweislich seines Wehrbuches bis zum 31. August 2012 vom Wehrdienst zurückgestellt. Einen Einberufungsbefehl hat er danach bis zu seiner Ausreise im Jahr 2017 nicht erhalten. Nach eigenen Angaben wurde der Kläger bis zum Zeitpunkt seiner endgültigen Ausreise auch nie persönlich aufgefordert, sich Oppositionellen bzw. Rebellen zum Kampf anzuschließen.

Dem Kläger drohte wegen der behaupteten Wehrdienstentziehung auch vor dem Sturz des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigende Verfolgungsgefahr. Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit folgte unter der Herrschaft des Assad-Regimes für syrische Flüchtlinge auch nicht aus einer Wehrpflichtentziehung als Rekrut oder Reservist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 15.05.2023 - 2 LB 444/19 -, juris; Urt. v. 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, juris; Beschl. v. 31.08.2020 - 2 LB 674/18 -, juris; Beschl. v. 16.1.2020 - 2 LB 731/19 -, juris). Die Entziehung vom Militärdienst ohne besondere risikoerhöhende individuelle Umstände begründet keine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit, da es insoweit an der gemäß § 3a Abs. 3 AsylG erforderlichen Verknüpfung zwischen einer eventuellen Verfolgungshandlung und einem Verfolgungsgrund im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG fehlt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 22.04.2021 - 2 LB 147/18 und 2 LB 408/20 -, juris; vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v 11.05.2022 - 2 LB 52/22 -, juris).

2. Dem Kläger droht auch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung aufgrund von

Ereignissen, die nach dem Verlassen Syriens eingetreten sind (sog. Nachfluchtgründe, § 28 Abs. 1a AsylG).

Nach dem Sturz des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad im Dezember 2024 steht das syrische Staatsgebiet nicht mehr unter der Kontrolle des syrischen Assad-Regimes. Aktuell steht der überwiegende Teil des syrischen Staatsgebietes einschließlich der syrischen Hauptstadt Damaskus unter der Kontrolle des Bündnisses mehrerer Rebellen-Gruppierungen, welches von der Gruppierung Hayat Tahrir al-Sham (HTS) angeführt wird (vgl. https://syria.liveuamap.com/de, abgerufen am: 27.03.2025). Die Frage, ob sich - wie von dem Kläger vorgetragen - für ihn eine Verfolgungsgefahr durch das Assad-Regime ergeben könnte, stellt sich daher nicht mehr (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 24.01.2025 - 2 LA 2/24 -, juris Rn. 20). Die Verfassung von 2012 wurde außer Kraft gesetzt. Die Streitkräfte sollen neu organisiert, die Rebellengruppen in die Staatsstrukturen integriert werden. Mit dem gestürzten Assad-Regime verbundene Sicherheitsorgane wurden aufgelöst (vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/asien/scharaa-syrien-100.html, abgerufen am: 28.03.2025). Zwischenzeitlich hat der Übergangspräsident Ahmed Al-Scharaa eine aus 22 Ministern bestehende Regierung ernannt. Teil des Kabinetts sind neben ehemaligen Rebellenvertretern auch eine christliche Frau sowie Vertreter der Alawiten und der Drusen (vgl. https://www.tagesschau.de/ausland/asien/regierung-syrien-100.html, abgerufen am: 31.03.2025).

Aus Syrien stammenden Personen droht bei einer Rückkehr nach Syrien im Allgemeinen wegen ihrer illegalen Ausreise in Verbindung mit einem Asylantrag und dem Verbleib im westlichen Ausland keine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. Es entsprach bereits unter Herrschaft des Assad-Regimes ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, dass eine illegale Ausreise, die Stellung eines Asylantrages sowie der Aufenthalt im westlichen Ausland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu flüchtlingsschutzrelevanten Maßnahmen durch die syrischen Sicherheitskräfte führen (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 22.04.2021 - 2 LB 147/18 -, juris, Urt. v. 27.06.2017 - 2 LB 91/17 -, juris; OVG Nordrh.-Westf., Beschl. v. 25.1.2021 - 14 A 822/19.A; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.10.2018 - A 3 S 791/18 -, juris; OVG Bremen, Urt. v. 24.1.2018 - 2 LB 194/17 -, juris). Zur Überzeugung des Gerichts gilt dies fort und dem Kläger droht auch unter Herrschaft des HTS-Bündnisses bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung wegen seiner illegalen Ausreise und seinem Aufenthalt in Deutschland (vgl. auch VG Würzburg, Urt. v. 18.12.2024 - W 2 K 24.30056 -, juris). Vielmehr fordert HTS syrische Flüchtlinge auf, nach Syrien zurückzukehren und beim Wiederaufbau zu helfen (vglhttps://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-syrien-102.html#Al-Baschir-ruft-Syrer-zur-Rueckkehr-auf, abgerufen am: 27.03.2025). Politische Inhaftierte des Assad-Regimes sind von HTS aus den Gefängnissen befreit worden (vgl. https://www.spiegel.de/ausland/syrien-syrische-milizen-melden-befreiung-des-foltergefaengnisses-saidnaja-a-3b2bbedf-c30a-4f23-ae0f-d910c86714e8, abgerufen am: 27.03.2025).

Nach dem Sturz des Assad Regimes sind sowohl das Vorbringen des Klägers zu seiner Verweigerung des Wehrdienstes als auch die Frage, unter welchen konkreten Umständen das Assad Regime Wehrdienstentzieher als Regimegegner betrachtet hat, obsolet geworden. Denn das HTS-Bündnis hat eine Generalamnestie für Mitglieder der syrischen Armee und alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt (vgl. z.B. https://www.deutschlandfunk.de/rebellen-verkuenden-amnestie-fuer-soldaten-114.html, abgerufen am 27.03.2025). Nach Aussage des Präsidenten der syrischen Übergangsregierung, Ahmed Al-Scharaa, sei die Wehrdienstpflicht abgeschafft und stattdessen werde zukünftig auf freiwillige Rekrutierung gesetzt (vgl. ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen, Stand: 21.03.2025). Es ist somit nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger wegen des Wehrdienstentzuges Verfolgung zu befürchten hat.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts steht die Heimatregion des Klägers, die Stadt F. in der Provinz G., unter der militärischen Kontrolle der Kurden (vgl. https://syria.liveuamap.com/, abgerufen am: 31.03.2025). Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Annahme erkennbar, dass dem Kläger bei einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien eine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylG seitens der Kurden droht.

Insbesondere rechtfertigt eine dem Kläger ggf. drohende Heranziehung zum Dienst in der YPG (Yekîneyên Parastina Gel) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 04.02.2019 - 2 LB 866/18 -, V. n. b.; OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 22.08.2019 - 5 LB 37/19 -, juris; OVG Hamburg, Urt. v. 29.05.2019 - 1 Bf 284/17.A -, juris; OVG Saarland, Urt. v. 02.08.2018 - 2 A 694/17 -, juris).

Die kurdische Partei PYD (Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der demokratischen Union), die Gebiete im Norden Syriens kontrolliert, hat im Jahr 2014 einen verpflichtenden Wehrdienst eingeführt. Danach ist jede Familie verpflichtet, ein Familienmitglied als "Freiwilligen" zu stellen, der für einen Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr Wehrdienst bei der YPG, den Volksverteidigungseinheiten der PYD, leisten muss. Der Altersrahmen wurde 2021 beschränkt. Auch Frauen können davon betroffen sein. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kommt es zu Zwangsrekrutierungen oder zu rechtlichen Konsequenzen (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand: 27.03.2024, S. 157). Selbst wenn auf dieser Grundlage angenommen würde, dass bei Verweigerung des Dienstes bei der YPG eine flüchtlingsrechtlich beachtliche Verfolgungshandlung drohen würde, fehlte es zumindest an der Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund. Denn die Wehrpflicht besteht für alle Familien in den kurdischen Selbstverwaltungsgebieten gleichermaßen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen nur dann eine flüchtlingsrechtliche erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung ist demgegenüber zu verneinen, wenn die verhängte Sanktion an eine alle gleichermaßen treffende Pflicht anknüpft (vgl. jeweils m. w. N.: BVerwG, Beschl. v. 02.06.2017 - 1 B 108/17 u.a. -, juris; Beschl. v. 24.04.2017 - 1 B 22/17 -, juris). In Anlehnung an diese Rechtsprechung fehlt etwaigen Verfolgungshandlungen die Anknüpfung an ein flüchtlingsschutzrechtlich relevantes Verfolgungsmerkmal.

Am 10. März 2025 unterzeichneten Übergangspräsident Ahmed Al-Scharaa und SDF-Kommandeur Mazloum Abdi eine Vereinbarung, die einen Waffenstillstand ermöglichen und den Weg zu einer politischen Einigung enthalten soll. Die Absichtserklärung umfasst unter anderem die bis Ende des Jahres 2025 angestrebte Integration der militärischen und zivilen Bestandteile der SDF (Demokratischen Kräfte Syriens) in die Übergangsregierung (vgl. BAMF Briefings Notes, Stand: 17.03.2025, S. 10).

3. Andere individuelle Gründe, welche im Falle einer Rückkehr nach Syrien eine Verfolgung i. S. d. § 3 AsylG beachtlich wahrscheinlich machen würden, sind von dem Kläger nicht vorgetragen worden. Damit ergibt sich für den Kläger zur Überzeugung des Gerichts auch bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände und dem Vortrag zu seinem individuellen Verfolgungsschicksal unter Einbeziehung der aktuellen Erkenntnislage (vgl. etwas Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand: 27.03.2024; BAMF Briefings Notes v. 17.03.2025 und 24.03.2025) keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG. Anderweitige die Gefahr einer Verfolgung des Klägers - verglichen mit der Bevölkerung im Allgemeinen - erhöhende Umstände sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).