Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.08.2025, Az.: 1 LA 84/25
Untersagung der Nutzung zweier Wohnungen zu Ferienwohnzwecken; Entstehung eines aus der Eigentumsgarantie abgeleiteten Bestandsschutzes
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.08.2025
- Aktenzeichen
- 1 LA 84/25
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 21695
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2025:0822.1LA84.25.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 17.06.2025 - AZ: 4 A 3277/21
Rechtsgrundlagen
- § 79 NBauO,Ni
- Art. 14 GG
Fundstelle
- NJW-Spezial 2025, 652 "Wie weit reicht die Eigentumsgarantie?"
Amtlicher Leitsatz
Die Entstehung eines aus der Eigentumsgarantie abgeleiteten Bestandsschutzes setzt voraus, dass das Bauvorhaben in jeder Hinsicht baurechtmäßig ist. Lediglich in Fällen, in denen der Landesgesetzgeber die Entstehung einer geschützten Rechtsposition nicht an die Beachtung eines Genehmigungserfordernisses geknüpft hat, also in den Fällen der Verfahrens- bzw. Genehmigungsfreiheit, genügt hierfür allein die materielle Baurechtmäßigkeit (st. Rspr., vgl. Senatsbeschl. v. 17.12.2021 - 1 LA 91/20 -, BauR 2022, 459 = ZfBR 2022, 272 = juris Rn. 27).
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 17. Juni 2025 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Untersagung der Nutzung zweier Wohnungen zu Ferienwohnzwecken.
Die Wohnungen liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. F. "Am Weststrand" der Beigeladenen, der dort in seiner Urfassung von 1982 "Betriebswohnen" als einzig zulässige Nutzungsart im Rahmen eines sonstigen Sondergebietes für Kur-, Heil- und Erholungzwecke vorsah. Die darauffolgenden Planänderungen änderten daran nichts. Lediglich durch die 2019 beschlossene, vom Senat mit Urteil vom 13. Mai 2022 - 1 KN 85/20 - für unwirksam erklärte 5. Planänderung wurde diese Festsetzung durch die eines sonstigen Sondergebietes "Dauerwohnen" ersetzt.
Bereits zuvor, im Jahr 1994, wurde das Gebäude, in dem sich die Wohnungen der Klägerin befinden, errichtet. Die hierfür erteilte Baugenehmigung bezeichnete das Vorhaben als "Neubau einer Wohnanlage mit Betriebswohnungen". Nachdem der Beklagte festgestellt hatte, dass die Klägerin ihre Wohnungen zu Ferienwohnzwecken vermietete, untersagte er ihr diese Nutzung mit Bescheid vom 8. Juni 2021.
Die dagegen nach erfolglosem Widerspruch gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgewiesen, die Nutzungsuntersagung sei rechtmäßig. Sie habe - wie geschehen - auf die formelle Baurechtswidrigkeit des Vorhabens, die sich aus der Abweichung der ausgeübten von der genehmigten Nutzungsart ergebe, gestützt werden können. Eine - auch langjährige - tatsächliche Nutzung als Ferienwohnung begründe keinen irgendwie gearteten Bestands- bzw. Vertrauensschutz. Bestandsschutz komme lediglich für formell baurechtmäßige Anlagen bzw. Nutzungen in Betracht. Die untersagte Nutzung sei auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Insoweit gelte ein strenger Maßstab. Die Argumentation der Klägerin, die auf eine Zulässigkeit der Nutzung nach § 34 BauGB abstelle, setze voraus, dass entgegen einer vom Senat im Verfahren 1 KN 85/20 vorgenommenen Einschätzung der Ursprungsplan in Gestalt seiner 1988 beschlossenen 1. Änderung unwirksam sei. Das Erfordernis einer inzidenten Normenkontrolle schließe aber die Annahme einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit aus. Unabhängig davon überzeugten die von der Klägerin vorgetragenen Zweifel an der Wirksamkeit der 1. Änderung auch in der Sache nicht. Die Ausfertigung der Satzung sei nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen das Entwicklungsgebot liege nicht vor. Der Begriff des "Betriebswohnens" sei hinreichend bestimmt. Eine Funktionslosigkeit der Festsetzung der Nutzungsart "Betriebswohnungen" liege nicht vor. Gegen eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit streite ferner, dass nach der maßgeblichen Erhaltungssatzung der Beigeladenen die vorgenommene Nutzungsänderung der Genehmigung bzw. eine die Nutzungsänderung zulassende Baugenehmigung des Einvernehmens der Beigeladenen bedürfe. Auch im Falle einer Unwirksamkeit des Bebauungsplans fehle es an einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit; ob die Wohnungen in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil lägen, innerhalb dessen sich diese nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügten, sei nicht ohne weitere Ermittlungen zweifelsfrei zu erkennen. Weitere Ermessensfehler weise die Nutzungsuntersagung nicht auf. Namentlich stehe deren Erlass keine bewusste Duldung seitens des Beklagten entgegen. Eine sog. passive Duldung genüge insoweit nicht, eine aktive Duldung, die gem. § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG der Schriftform bedürfe, liege nicht vor. Soweit die Klägerin Vertrauensschutz aus einem - von diesem bestrittenen - Verhalten des Beklagten im Jahr 2017 herleiten wolle, sei nicht erkennbar, dass sie im Vertrauen auf dieses wirtschaftliche Dispositionen getroffen habe. Die Nutzungsuntersagung sei auch verhältnismäßig.
II.
Der dagegen gerichtete, auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens eine erhebliche Tatsachenfeststellung oder einen tragenden Rechtssatz in der angegriffenen Entscheidung mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich; es genügt, wenn sich diese auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens als offen erweisen. Daran fehlt es hier.
Ohne Erfolg rügt die Klägerin, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass nach bundesverfassungs- sowie bundesverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung Bestandsschutz trotz Fehlens einer Baugenehmigung auch dann greife, wenn die bauliche Nutzung zu irgendeinem Zeitpunkt genehmigungsfähig, also materiell baurechtmäßig gewesen sei. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, kommt bei - wie hier - genehmigungsbedürftigen Anlagen etwaiger Bestandsschutz nur in Betracht, wenn auch die (erforderliche) Baugenehmigung erteilt wurde (ebenso u.a. Mann, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 79 Rn. 22 f.; Stiel/Lenz, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 85 Rn. 6; BayVGH, Urt. v. 17.10.2006 - 1 B 05.1429 -, juris Rn. 24; Urt. v. 14.5.2024 - 1 N 23.2256 -, juris Rn. 19; OVG Berl.-Bbg, Beschl. v. 22.6.2023 - OVG 10 S 15/23 -, juris Rn. 16), denn Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) werden auch durch gesetzlich geregelte Genehmigungspflichten bestimmt. Daher können nur eine formell baurechtmäßige Anlage und eine formell baurechtmäßige Nutzung gegenüber einer Änderung der Rechtslage in ihrem Bestand geschützt sein. Die Eigentumsgarantie setzt gerade voraus, dass das Bauvorhaben formell und materiell rechtmäßig ist (BVerwG, Beschl. v. 18.7.1997 - 4 B 116.97 -, BRS 59 Nr. 96 = BauR 1997, 991 = juris Rn. 7; vgl. zum Ganzen Senatsbeschl. v. 17.12.2021 - 1 LA 91/20 -, BauR 2022, 459 = ZfBR 2022, 272 = juris Rn. 27; v. 9.7.2025 - 1 LA 165/24 -, juris Rn. 16). Aus der von der Klägerin angeführten Rechtsprechung folgt nichts Anderes. Die beiden verfassungsgerichtlichen Kammerbeschlüsse (Beschl. v. 29.4.2022 - 1 BvL 2/17 -, NZM 2022, 604 [BVerfG 29.04.2022 - 1 BvL 2/17] = juris Rn. 20; v. 24.7.2000 - 1 BvR 151/99 -, NVwZ 2001, 424 = juris Rn. 8) betonen wie der Senat, dass die Gesamtheit aller im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs bestehenden, die Eigentümerstellung regelnden Vorschriften das Eigentum beschränken, und leiten daraus ab, dass Voraussetzung für die Annahme von Bestandsschutz die formelle oder jedenfalls die materielle Baurechtmäßigkeit war. Letzteres greift in Fällen, in denen der Landesgesetzgeber die Entstehung einer geschützten Rechtsposition nicht an die Beachtung eines Genehmigungserfordernisses geknüpft hat, also in den - hier nicht vorliegenden - Fällen der Verfahrens- bzw. Genehmigungsfreiheit. Die angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 5.6.2007 - 4 B 20.07 -, BauR 2007, 1697 = juris Rn. 3) befasst sich überhaupt nicht mit einem im Rahmen des Bauordnungsrechts zu beachtenden Bestandsschutz, sondern mit dem Begriff der "zulässigen Errichtung" in § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB.
Hat das Verwaltungsgericht seine Prüfung der materiellen Baurechtmäßigkeit der untersagten Nutzung mithin zu Recht auf einen Offensichtlichkeitsmaßstab beschränkt, kommt es auf das nachfolgende Zulassungsvorbringen, der Bebauungsplan Nr. 28 der Beigeladenen sei unwirksam bzw. funktionslos, nicht mehr an - zum einen, weil die Klägerin selbst nicht geltend macht, diese Unwirksamkeit sei offensichtlich, zum anderen, weil das Verwaltungsgericht selbständig tragend und mit Zulassungsgründen nicht angegriffen ausgeführt hat, selbst im Falle einer Lage der klägerischen Wohnungen außerhalb eines überplanten Bereichs sei die Genehmigungsfähigkeit einer Ferienwohnnutzung nicht offensichtlich. Nur ergänzend merkt der Senat daher an, dass der Vortrag der Klägerin auch der Sache nicht geeignet ist, die Erwägungen des Senats in seinem Normenkontrollurteil vom 13. Mai 2022 (- 1 KN 85/20 -, ZfBR 2022, 576 = juris Rn. 44 ff.) in Frage zu stellen.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begründet schließlich nicht die Rüge, das Verwaltungsgericht sei dem Vortrag der Klägerin, bei einem Gespräch im Oktober 2017 habe zwischen ihr und dem Beklagten Einverständnis darüber bestanden, dass bei der vorliegenden Sach- und Rechtslage ein bauaufsichtliches Einschreiten nicht in Betracht komme, zu Unrecht nicht nachgegangen. Entgegen der Auffassung der Klägerin war diese Frage für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich, weil nach seinem mit Zulassungsgründen nicht in Frage gestellten und im Übrigen zutreffenden Rechtsstandpunkt eine aktive Duldung im Sinne einer Zusage, keine Nutzungsuntersagung zu verfügen, der Schriftform (vgl. Senatsbeschl. v. 4.3.2024 - 1 ME 159/23 -, juris Rn. 16) und ein aus dem angeblichen Gespräch abgeleiteter Vertrauensschutz einer Betätigung dieses Vertrauens, die hier nicht erkennbar sei, bedurft hätte.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil sie sich im Beschwerdeverfahren nicht durch Antragstellung einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt und das Verfahren auch nicht gefördert hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).