Landgericht Hannover
Urt. v. 24.11.2023, Az.: 5 S 11/23

Entschädigungsanspruch infolge eines annullierten Ersatzfluges im Zusammenhang mit einer frühzeitig beendeten Kreuzfahrt

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
24.11.2023
Aktenzeichen
5 S 11/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 57087
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:1923:1224.5S11.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - AZ: 463 C 3768/22

In dem Rechtsstreit
1. xxx
2. xxx
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte zu 1. und 2.:
xxx
Geschäftszeichen: xxx
gegen
xxx
- Beklagte zu 1.) -
xxx
- Beklagte zu 2.) und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
xxx
Geschäftszeichen: xxx
hat das Landgericht Hannover - 5. Zivilkammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht xxx als Einzelrichterin auf die mündliche Verhandlung vom 20.10.2023
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Berufung der Kläger und Berufungskläger wird das am 09.02.2023 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover (463 C 3768/22) wie folgt abgeändert:

    Die Beklagte zu 2.) wird verurteilt, an die Kläger jeweils 400,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2022 zu zahlen.

    Die Beklagte zu 2.) wird weiter verurteilt, an die Kläger 19,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2022 zu zahlen.

    Die Beklagte zu 2.) wird weiter verurteilt,

    1. a.)

      an die Rechtsschutzversicherung der Klägerin zu 1.) - xxx - zur Schadensnummer xxx in Höhe von 41,35 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2022 zu zahlen,

    2. b.)

      an den Kläger zu 2.) 150,- € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2022 zu zahlen

  2. 2.

    Die außergerichtlich entstandenen Kosten der Beklagten zu 1.) tragen die Kläger. Die gesamten Kosten des Rechtsstreits im Übrigen trägt die Beklagte zu 2.).

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 2.) kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung in derselben Höhe leisten.

  4. 4.

    Die Revision wird zugelassen.

  5. 5.

    Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 819,75 € festgesetzt.

Tatbestand

I.

Der Kläger zu 2.) buchte über das Kreuzfahrtunternehmen xxx für sich und die Klägerin zu 1.) eine Kreuzfahrt, beginnend ab 22.12.2021 mit regulärem Reiseende am 08.01.2022. In dem Reisevertrag war ein An - und Abreisepaket in Höhe von 295,- € pro Person inbegriffen. Der Rückflug sollte am 08.01.2022 von Las Palmas nach Hannover erfolgen.

Aufgrund eines Covid-19 Ausbruchs an Bord des Kreuzfahrtschiffes wurde am 02.01.2022 - das Schiff befand sich im Hafen von Lissabon - die Reise von xxx abgebrochen.

In dem Kabinenbrief, den auch die Kläger erhielten, heißt es:

"Aufgrund der aktuellen Situation haben wir uns jedoch entschieden, die Reise mit xxx nicht wie geplant bis zum 05. Januar auf die Kanarischen Inseln fortzusetzen.

Wir haben daher bereits begonnen für Sie die Heimreise ab Lissabon für Montag, 03.01.2022, zu organisieren.

Wir bitten um Verständnis für diese Entscheidung."

Aida Cruises charterte kostenpflichtig vier Maschinen bei der Beklagten zu 2.), die leer aus Deutschland nach Lissabon flogen und von dort die Passagiere nach Deutschland bringen sollten.

Die Kläger sollten am 03.01.2022 durch die Beklagte zu 2.) mit dem Flug Nr. xxx von Lissabon nach Hannover befördert werden. Der Flug sollte um 15.50 Uhr starten und um 21.15 am Zielflughafen landen. Der Flug fand nicht statt. Tatsächlich erreichten die Kläger den Zielflughafen mit einer Verspätung von mehr als 24 Stunden. Den Klägern entstanden Taxikosten in Höhe von 19,75,- €. Eine Aufklärung der Kläger über ihre Rechte nach der Fluggastrechteverordnung fand nicht statt.

Mit Schreiben der xxx vom 07.01.2022 erhielten die Kläger eine Rechnung über die Restzahlung für die gebuchte Reise. Hinsichtlich beider Kläger wurde für das An - und /oder Abreisepaket jeweils ein Betrag in Höhe von 295,- € in Ansatz gebracht.

Der von den Klägern beauftragte Rechtsanwalt machte gegenüber der Beklagten zu 2.) mit Schreiben vom 26.01.2022 unter Fristsetzung Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung in Höhe von 400,- € pro Person zuzüglich Erstattung der Taxikosten und Rechtsanwaltskosten geltend. Die Ansprüche wurden seitens der Beklagten zu 2.) mit Ausnahme der Taxikosten, deren Zahlung die Beklagte zu 2.) zusagte, zurückgewiesen. Auf die Rechnung der Rechtsanwälte in Höhe von 191,35 € wurde seitens der Rechtsschutzversicherung der Klägerin zu 1.) ein Betrag in Höhe von 41,35 € gezahlt, der Rest in Höhe von 150,- € wurde seitens des Beklagten zu 2.) gezahlt.

Die Klage gegen die Beklagte zu 1.) wurde mit Schriftsatz vom 24.08.2022 zurückgenommen.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung sei eröffnet. Ein Erstattungsanspruch sei aufgrund der unstreitigen Annullierung des Fluges gegeben

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.) 400,- € zuzgl. Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2022 zu zahlen

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2.) 400,- € zuzgl. Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2022 zu zahlen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger weitere 19,75 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2022 zu zahlen,

die Beklagte zu verurteilen, außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 191,35 €

  1. a,)

    an die Rechtsschutzversicherung der Klägerin zu 1.) - xxx - zur Schadensnummer xxx in Höhe von 41,35 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2022 zu zahlen,

  2. b.)

    an den Kläger zu 2.) die übrigen 150,- € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % - Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2022 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung sei nicht eröffnet. Es habe sich um einen kostenlosen Flug gehandelt, so dass Art. 3 Abs. 3 S. 1, 1.Alt. der Fluggastrechteverordnung greife. Es habe sich nicht um einen Ersatzflug für den tatsächlich gebuchten Rückflug von Cran Canaria am 08.01.2022 gehandelt. Dieser Flug habe tatsächlich stattgefunden. Das seitens der xxx zu zahlende Entgelt sei mit der Beklagten zu 2.) ausgehandelt worden, die Fluggäste seien zu einem reduzierten, der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Tarif befördert worden (Art. 3 III S.1 2. Alt. der Fluggastrechteverordnung). Der Anwendungsbereich der Verordnung sei ebenfalls wegen Art. 3 Abs. 6 S.2 der Verordnung nicht eröffnet.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung nicht vorläge, da die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 6 S.2 der Fluggastrechteverordnung erfüllt seien.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit ihrer form - und fristgerecht eingelegten Berufung.

Sie beantragten,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Klaganträgen stattzugeben.

Sie wiederholen und vertiefen ihre Argumente in erster Instanz.

Die Beklagte zu 2.) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ebenfalls ihre Argumentation erster Instanz.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach - und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache Erfolg. Die Klage ist in vollem Umfang begründet, so dass das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und die Klagforderungen zuzusprechen waren.

I.

1. Den Klägern steht wegen der streitgegenständlichen Annullierung des für den 03.01.2022 vorgesehenen Fluges von Lissabon nach Hannover, die letztlich zu einer Ankunftsverspätung der Kläger in Hannover von über 24 Stunden geführt hat, ein Ausgleichsanspruch aus Art. 7 Abs. 1 lit. b der Fluggastrechteverordnung zu.

Der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung ist eröffnet.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegen die Voraussetzungen nach Art. 3 Abs. 6 S. 2 der Verordnung nicht vor, da vorliegend - entgegen der Konstellation bei einer Annullierung der Reise vor Reisebeginn - ein Flug für die Kläger stattfinden sollte, dieser dann aber annulliert wurde. Vor diesem Hintergrund ist angesichts des hohen Schutzniveaus der Fluggastrechteverordnung nicht ersichtlich, warum die Kläger hinsichtlich dieses Fluges in Bezug auf Annullierungen und Verspätungen nicht schutzwürdig sein sollten.

Die Voraussetzungen für einen kostenlosen Flug (Art. 3 Abs. 3, S. 1, 1. Alt. der Verordnung) können ebenfalls nicht bejaht werden Die xxx hat für den streitgegenständlichen Flug unstreitig ein Entgelt entrichtet. Auch für die Kläger war dieser Flug nicht kostenlos. Die Kläger haben das Angebot der xxx auf vorzeitigen Rücktransport aufgrund des Abbruchs der Kreuzfahrt angenommen. Dieser Flug wurde den Klägern ausweislich der Schlussrechnung der Aida Cruises vom 07.01.2022 in vollem Umfang - wie vertraglich vorgesehen - berechnet. Damit ist der streitgegenständliche Flug wie ein Ersatzflug für den ursprünglich gebuchten Rückflug am 08.01.2022 zu behandeln. Vor diesem Hintergrund bleibt für die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 2. Alt. der Fluggastrechteverordnung (reduzierter Tarif, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist) kein Raum.

Die Kammer folgt damit den Ausführungen in dem Kommentar Schmid BeckOK, Fluggastrechteverordnung, Schmid, Stand 01.10.2023, Rdnr. 69a, die wie folgt lauten:

"Eine ersatzweise Beförderung ist auch dann nicht "kostenlos", wenn eine Flug-Pauschalreise vorzeitig abgebrochen wird und der Reiseveranstalter daher für die Reisenden einen vorzeitigen Rückflug auf einer anderen als der ursprünglich geplanten Strecke organisiert und es dann zu einer Flugunregelmäßigkeit kommt. Denn Art. 3 Abs. 2 lit b bezieht ausdrücklich den Fall in den Anwendungsbereich der VO ein, "wenn von (...) einem Reiseunternehmen von einem Flug, für den Fluggäste eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür." Das AG Frankfurt a.M. (23.11.2022 - 382 C 131/22-42; → Rn. 71a.2) hat entschieden, dass auch in diesem Fall der Fluggast nicht kostenlos reist (aA AG Frankfurt a.M. 3.12.2022 - 29 C 893/22-46; → Rn. 71a.2). Diese Rechtsansicht ist im Lichte des Zwecks der Verordnung (Erwägungsgrund 1 i.V.m. Erwägungsgrund 13) zutreffend, weil andernfalls Fluggäste solcher Rückholflüge - mangels Ansprüchen aus dem Werkvertragsrecht - weitgehend rechtlos gestellt würden, auch in Bezug auf Unterstützungsleistungen".

2. Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Erstattungsanspruch nach Art. 7 der Fluggastrechteverordnung sind gegeben. Der für die Kläger am 03.01.2022 organisierte Rückflug wurde unstreitig annulliert, so dass die Kläger ihr Ziel mit einer Verspätung von über 24 Stunden erreicht haben. Die Beklagte zu 2.) hat zu einer möglichen Entlastung nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung nichts vorgetragen. Damit ist die Beklagte zu 2.) verpflichtet, pro Person eine Ausgleichszahlung in Höhe von 400,- € zu entrichten.

Die Verpflichtung zur Zahlung der Taxikosten in Höhe von 19,75 € ergibt sich aus dem Anerkenntnis der Beklagten zu 2.).

Die Kläger haben zudem Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten zur Geltendmachung ihrer Forderungen. Das Luftverkehrsunternehmen muss einem Fluggast, dem ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Fluggastrechteverordnung zusteht, auch die Kosten für die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts erstatten, wenn es die ihm gem. Art. 14 Abs. 2 der Verordnung obliegende Informationspflicht verletzt hat. Dass eine solche Information nicht stattgefunden hat, ist zwischen den Parteien unstreitig. Damit hat die Beklagte zu 2.) die seitens der Rechtsschutzversicherung übernommene Zahlung in Höhe von 41.35 € gegenüber der Rechtsschutzversicherung auszugleichen sowie die seitens des Klägers zu 2.) erfolgte Zahlung in Höhe von 150,- €.

Die zuerkannten Zinsforderungen beruhen auf Verzug.

II.

Dem Antrag der Beklagten zu 2.) auf Vorlage des Rechtsstreits zur Übernahme durch die Kammer war nicht nachzukommen, da es an den Voraussetzungen des § 526 Abs. 2 ZPO fehlt.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 ZPO, 708 Nr. 10, 711 ZPO

IV.

Die Revision wird gem. § 543 Abs. 2 Ziff.1 ZPO zugelassen.