Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.11.2024, Az.: 13 K 196/12
Ermittlung des Veräußerungsgewinns durch die Veräußerung von Anteilen an einer AG; Verfassungsrechtliche Grenzen der Besteuerung des Veräußerungsgewinns
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 12.11.2024
- Aktenzeichen
- 13 K 196/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 32068
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE::2024:1112.13K196.12.00
Rechtsgrundlagen
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Hat die Steuerpflichtige nach dem 31. Dezember 2001 Anteile an einer Kapitalgesellschaft veräußert und war sie innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar mindestens zu 1% aber nicht mindestens zu 10% beteiligt, bleiben bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns allenfalls die Wertzuwächse bis zum 26. Oktober 2000, nicht jedoch die Wertzuwächse bis zum 31. Dezember 2001 aus verfassungsrechtlichen Gründen unberücksichtigt.
- 2.
Die Kosten eines Gerichtsverfahrens, in dem über die Höhe der Besteuerung des Veräußerungsgewinns gemäß § 17 EStG gestritten wird, stellen keine Veräußerungskosten gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG in Bezug auf den Verkauf der Anteile an der Kapitalgesellschaft dar.
Tenor:
- 1.
unter Abänderung der Einspruchsentscheidung vom xx. Juni 2012 den Einkommensteuerbescheid 2002 des Beklagten vom xx. August 2004 für die am xx. September 2006 verstorbene I dahingehend zu ändern, dass für die Klägerin zu 1, die als Gesamtrechtsnachfolgerin des am xx. Mai 2017 verstorbenen F, dieser wiederum als Gesamtrechtsnachfolger nach Frau I und für die Klägerin zu 2., die als Gesamtrechtsnachfolgerin der am xx. November 2015 verstorbenen L, diese wiederum als Gesamtrechtsnachfolgerin nach Frau I handeln, der steuerpflichtige Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG von 2.502.384 € auf 0 € vermindert wird,
- 2.
hilfsweise für den Fall, dass der Hauptantrag zu 1. ganz oder teilweise nicht erfolgreich ist, Steuerberatungs- und Prozesskosten in Höhe von 16.829,82 € als Veräußerungskosten im Rahmen des Gewinns nach § 17 EStG zu berücksichtigen und festzustellen, dass alle weiter entstehenden Steuerberatungs- und Prozesskosten, die mit dem Veräußerungsgewinn laut Klageantrag zu 1. in Veranlassungszusammenhang stehen, als Veräußerungskosten zu berücksichtigen sind.
Tatbestand
Streitig ist, ob infolge der Veräußerung von Anteilen an der B-AG ein Veräußerungsgewinn gemäß § 17 Einkommensteuergesetz (EStG) entstanden ist.
Frau I (geboren am xx.xx 1932) hielt in ihrem Privatvermögen 24 Aktien der B-AG mit einem Nennwert pro Aktie in Höhe von 5.000 €; insgesamt also Aktien mit einem Nennwert von 120.000 €. Bei den Aktien der B-AG handelte sich um vinkulierte Namensaktien, die nicht an der Börse gehandelt wurden. Frau I hatte ihre Aktien im Jahr 1972 durch Erbfolge von ihrem Onkel H erhalten. Die Anschaffungskosten der Aktien sind nicht bekannt.
Anfang der 2000er Jahre gehörte die B-Gruppe zu den Top Ten der deutschen X-wirtschaft. Die B-AG war mit xx % die Hauptaktionärin der G-AG. Die G-AG produzierte u.a. xxx. Sie war u.a. die Muttergesellschaft der B-GmbH und des xxx. Außerdem gehörte die B-Gruppe zum X-Verbund.
Der Y-Konzern bekundete sein Interesse an der Übernahme der B-AG. Zur Erreichung dieses Ziels machte der Y-Konzern den Aktionären ein lukratives Angebot zum Erwerb der Aktien. Nach einer Satzungsänderung durch eine Sonderhauptversammlung im November 2002 und nach der Aufgabe des Widerstands von S, die ebenfalls an der B-AG beteiligt war, stand Ende 2002 fest, dass die Übernahme stattfinden werde.
Zum xx. Dezember 2002 verkaufte Frau I ihre Aktien an der B-AG an den Konzern Y, konkret an die A-GmbH. Der Veräußerungserlös betrug je 5.000 € Nennkapital 275.000 €. Dementsprechend erhielt Frau I für ihre 24 Aktien 6.600.000 €.
Das Nennkapital der B-AG betrug 9.xxx.xxx €. Frau I war unstreitig zu mehr als 1 % am Nennkapital der B-AG beteiligt.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2002 machte Frau I zu dem Verkaufsvorgang keine Angaben. Dementsprechend erging am xx. Januar 2004 ein Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2002 ohne Berücksichtigung des Anteilsverkaufs. Die Einkommensteuerfestsetzung betrug xx.xxx €.
Im Jahr 2004 wurde wegen des Verschweigens des Verkaufs ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Schwester von Frau I, Frau L, eingeleitet. Frau L war seit dem Jahr 1997 für den Bereich der Vermögenssorge die Betreuerin von Frau I. In dem Bericht des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen x vom xx.xx 2004 wurde ausgeführt, dass der Veräußerungserlös gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 steuerpflichtig gewesen sei, da Frau I zu mehr als 1 % am Nennkapital der B-AG beteiligt gewesen sei. Vom Veräußerungserlös seien die Anschaffungskosten abzuziehen. Diese seien nicht mehr ermittelbar. Deshalb würden die Anschaffungskosten mit dem Nennwert der Aktien vor der Kapitalerhöhung im Jahr 1997 mit 60.000 € geschätzt werden.
Am xx.xx 2004 änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2002 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) und berücksichtigte den Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG wie folgt:
Veräußerungserlös | 6.600.000 € |
---|---|
abzüglich geschätzte Anschaffungskosten | -60.000 € |
Veräußerungsgewinn | 6.540.000 € |
davon steuerpflichtig (Halbeinkünfteverfahren) | 3.270.000 € |
Die festgesetzte Einkommensteuer betrug 1.6xx.xxx €.
Mit am 6. September 2004 eingegangenem Einspruch vertrat Frau I die Auffassung, dass die Veräußerung nicht steuerpflichtig gewesen sei. Die rückwirkende Absenkung der wesentlichen Beteiligung im Sinne von § 17 EStG und die damit einhergehende nachträgliche Verstrickung der Anteile seien verfassungswidrig. Nach alter Rechtslage habe Frau I keine wesentliche Beteiligung innegehabt.
Der Beklagte ließ das Einspruchsverfahren zunächst ruhen.
Während des Einspruchsverfahrens verstarb Frau I (am xx.xx 2006). Die Rechtsnachfolger waren die Geschwister von Frau I, Frau L und Herr F.
Mit Beschluss vom 7. Juli 2010 erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die rückwirkende Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze von 25 % auf 10 % gemäß § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung vom 24. März 1999 für partiell nichtig, soweit in dem Veräußerungsgewinn auch Wertsteigerungen steuerlich erfasst wurden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 bereits entstanden waren und die entweder - wenn die Kapitalanteile bis zu diesem Zeitpunkt schon veräußert waren - nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden wären oder - bei einer Veräußerung der Kapitalanteile nach Verkündung des Gesetzes - sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können. Die Neuregelung verstoße insoweit gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes (Beschluss des BVerfG vom 7. Juli 2010, 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61, BStBl II 2011, 86).
Die Finanzverwaltung reagierte hierauf mit dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20. Dezember 2010 (BStBl I 2011, 16). In den Schreiben wurde ausgeführt, dass bei Steuerpflichtigen, die in den letzten fünf Jahren vor der Veräußerung an dem Kapital der Gesellschaft mindestens zu 10 % und höchstens zu 25 % beteiligt waren, der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen nicht steuerbar sei, soweit der Wertzuwachs auf den Zeitraum bis zum 31. März 1999 entfalle (Anmerkung A. II Nr. 1). Zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns trete abweichend von § 17 Abs. 2 EStG der gemeine Wert der veräußerten Anteile zum 31. März 1999 an die Stelle der ursprünglichen Anschaffungskosten.
Es wurde aus Vereinfachungsgründen zugelassen, den Umfang des steuerbaren Wertzuwachses der veräußerten Anteile entsprechend dem Verhältnis der Besitzzeit nach dem 31. März 1999 im Vergleich zur Gesamthaltedauer zeitanteilig linear (monatsweise) zu ermitteln (Anmerkung A. II Nr. 1 Buchst. a). In den Fällen, in denen die zeitanteilig lineare Aufteilung des Wertzuwachses zu offensichtlichen Widersprüchen zu den tatsächlichen Wertverhältnissen führen würde und klare, nachweisbare Anhaltspunkte für eine wesentliche - den linear ermittelten steuerbaren Wertzuwachs übersteigende - Wertsteigerung für den Zeitraum nach dem 31. März 1999 und dem Veräußerungszeitpunkt vorliegen würden, könne eine andere - im Einzelfall sachgerechtere - Aufteilung des Wertzuwachses durchgeführt werden (Anmerkung A. II Nr. 1 Buchst. c).
Diese Grundsätze sollten für die Absenkung der Beteiligungsgrenze auf mindestens 1 % durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz - StSenkG) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) entsprechend angewendet werden. Das StSenkG sei am 26. Oktober 2000 im Bundesgesetzblatt verkündet worden (Anmerkung D.).
Daraufhin nahm der Beklagte die Bearbeitung des Einspruchsverfahrens wieder auf.
Auf Nachfrage gab das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen an, dass der Wertzuwachs im vorliegenden Fall nicht nach der Vereinfachungsmethode ermittelt werden könne. Der Wert der Aktien sei erst in den Jahren 2001/2002 im Zusammenhang mit dem Interesse des Y-Konzerns an dem B-Konzern erheblich gestiegen.
Das Finanzamt O stellte dem Beklagten ein Schreiben der beiden Vorstandsmitglieder der B-AG, Herrn K und Herrn H, vom xx. Dezember 2000 zur Verfügung, dass folgenden Wortlaut hatte:
Bewertung der Aktien unserer Gesellschaft
Sehr geehrter Herr (anonymisiert),
wir teilen Ihnen mit, dass die uns bekannten Kaufpreise für Aktien unserer Gesellschaft im Nennwert von 5.000 € innerhalb der letzten 12 Monate nach unserer Kenntnis und aufgrund von eingeholten Informationen der Sparkasse xx zwischen 125.000 DM und 130.000 DM betragen haben.
Mit freundlichen Grüßen
Außerdem erhielt der Beklagte eine Aufstellung über Anteilsverkäufe aus dem Jahr 2000, die in anonymisierter Form folgende Daten enthielt:
Datum | Anteile Nennwert in € | Kaufpreis in € | Kurs in % |
---|---|---|---|
15.02.2000 | 2.500 | 33.250 | 1.330 |
15.03.2000 | 2.500 | 33.250 | 1.330 |
26.05.2000 | 5.000 | 62.500 | 1.250 |
26.05.2000 | 5.000 | 62.500 | 1.250 |
26.05.2000 | 4 x 2.500 | 125.000 | 1.250 |
30.05.2000 | 5.000 | 62.500 | 1.250 |
24.07.2000 | 2.500 | 32.500 | 1.300 |
15.08.2000 | 2 x 5.000 | 125.000 | 1.250 |
22.08.2000 | 3 x 2.500 | 94.125 | 1.255 |
17.10.2000 | 3 x 5.000 | 195.000 | 1.300 |
17.10.2000 | 4 x 2.500 | 130.000 | 1.300 |
21.11.2000 | 2.500 | 35.800 | 1.432 |
Datum fehlt | 2.500 | 33.250 | 1.330 |
Durchschnittlicher Kurswert | 1.024.675 | 1.281 |
Der Beklagte erhielt außerdem ein Schreiben der Sparkasse xx vom xx. November 2010 an ein Steuerberatungsbüro, dass folgenden Wortlaut hatte:
Kurs von B-Aktien
Sehr geehrter Herr (anonymisiert),
bezüglich Ihrer Anfrage teilen wir Ihnen mit, dass der gewichtete Durchschnittskurs der über die frühere Sparkasse xx gehandelten vinkulierten Namensaktien der B-AG (Wertpapierkennnummer ...) im Zeitraum vom 23.10.1999 bis zum 23.10.2000 bei 1.260,75 % lag.
Der dementsprechende Wert der "kleinen" Aktie (Nennwert 2.500 €) beträgt 31.518,75 €, der Wert der "großen" Aktie (Nennwert 5.000 €) 63.037,50 €.
Mit freundlichen Grüßen
Sparkasse xx Herr E
Daraufhin rief eine Rechtsbehelfsbearbeiterin des Finanzamts O bei Herrn E von der Sparkasse xx an und erhielt folgende Auskunft (Telefonvermerk vom xx. März 2011):
Es habe keinen Börsenhandel gegeben. Die vinkulierten Namensaktien seien über Kreditinstitute gehandelt und nur sporadisch verkauft worden. Im Jahreszeitraum vom 23. Oktober 1999 bis zum 23. Oktober 2000 seien 5 Verkäufe zum Nennwert von insgesamt 50.000 € getätigt worden. Die Verkäufe seien am 27. Oktober 1999, am 17. März 2000 sowie drei Verkäufe am 26. Mai 2000 erfolgt. Am 26. Mai 2000 sei zugleich der höchste und der niedrigste Kurs im Jahreszeitraum erzielt worden (1.250 % und 1.325 %). Die hohen Kurssteigerungen zwischen den Jahren 2000 und 2002 seien auf den Kauf der B-GmbH und auf die Verkaufsverhandlungen mit verschiedenen Interessenten (zum Beispiel Y), die sich gegenseitig überboten hätten, zurückzuführen. Deshalb habe sich der Kurs teilweise innerhalb von 8 Wochen vervierfacht.
Aufgrund dieses Datenmaterials ging der Beklagte davon aus, dass eine sogenannte "große Aktie" mit einem Nennwert von 5.000 € am Tag der Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 einen Wert in Höhe von 130.000 DM = 66.468 € hatte. Das entsprach einem Kurswert in Höhe von 1.329 %.
Gegen diese Vorgehensweise wandte die steuerliche Beraterin der Rechtsnachfolger von Frau I ein, dass der Wertzuwachs nach dem BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2010 nach dem Verhältnis der Besitzzeit zwischen dem Verkauf und dem 26. Oktober 2000 im Vergleich zur Gesamthaltedauer zeitanteilig linear zu ermitteln sei. Die Anteile seien im Jahr 1972 erworben worden. Selbst wenn man vom 31. Dezember 1972 ausgehe, betrage die Gesamtbesitzzeit 348 Monate. Die steuerbare Besitzzeit betrage nur 25 Monate. Der gesamte Wertzuwachs der Anteile betrage 6.540.000 €. Auf die steuerbare Besitzzeit entfalle deshalb nur ein Betrag in Höhe von 469.827 €.
Die steuerliche Beraterin führte weiter aus, dass das vorgelegte Schreiben der B-AG vom xx. Dezember 2000, nach dem die Kaufpreise im Jahr 2000 zwischen 125.000 DM und 130.000 DM betragen haben sollen, keinen klaren, nachweisbaren Anhaltspunkt für eine spätere wesentliche Wertsteigerung darstelle. Wolle das Finanzamt von der Vereinfachungsregelung abweichen, müsse es die Höhe des steuerbaren Wertzuwachses nach dem 26. Oktober 2000 durch ein Gutachten oder durch tatsächliche Veräußerungen in zeitlicher Nähe zum 26. Oktober 2000 nachweisen. Solche Nachweise seien nicht erbracht worden.
Mit Einspruchsbescheid vom xx. Juni 2012 gab der Beklagte dem Einspruch teilweise statt und ermittelte den Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG nunmehr wie folgt:
Veräußerungserlös | 6.600.000 € |
---|---|
abzüglich gemeiner Wert der Aktien am 26.10.2000 24 Aktien x 66.468 € | -1.595.232 € |
Veräußerungsgewinn | 5.004.768 € |
davon steuerpflichtig (Halbeinkünfteverfahren) | 2.502.384 € |
Die festgesetzte Einkommensteuer reduzierte sich auf 1.2xx.xxx €.
Mit am xx. Juli 2012 eingegangener Klage verfolgten die Rechtsnachfolger nach Frau I ihr Begehren weiter. Sie waren nunmehr der Auffassung, dass gar kein Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG angesetzt werden dürfe.
Die Kläger räumten ein, dass die Veräußerung der Anteile von Frau I an der B-AG dem Grunde nach den Tatbestand des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des StSenkG verwirklichen würde. Die Steuerpflicht ergebe sich aber erst aufgrund der Herabsetzung der sogenannten "Wesentlichkeitsgrenze" durch das StSenkG. Bis zum 31. Dezember 2001 sei die Beteiligung der Erblasserin an der B-AG in Höhe von 1,26 % nicht steuerverstrickt gewesen.
Während es unstreitig sei, dass die Aussagen des BVerfG in dem Beschluss vom 7. Juli 2010 auch auf die Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze von 10 % auf 1 % Anwendung finden würden, sei umstritten, ab welchem Zeitpunkt die Steuerbarkeit der Wertzuwächse beginne. In seinem Beschluss vom 7. Juli 2010 habe das BVerfG auf den Zeitpunkt der Verkündung des StEntlG 99/2000/2002 am 31. März 1999 abgestellt. Daraus schließe die Finanzverwaltung, dass es für den Zeitpunkt der Abgrenzung zwischen dem steuerfreien und dem steuerbaren Wertzuwachs für die erneute Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze ebenfalls auf das Verkündungsdatum des StSenkG am 26. Oktober 2000 ankomme. Dies sei aber aus den folgenden Gründen unzutreffend: Das StEntlG 1999/2000/2002 sei am 31. März 1999 verkündet und dann rückwirkend zum 1. Januar 1999 in Kraft getreten. Nur aus diesem Grunde habe das BVerfG den Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen nicht bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes, sondern weitergehend bis zum Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes, zu dem der Steuerpflichtige erstmals von der Gesetzesänderung erfahren konnte, gewährt. Das StSenkG sei aber am 26. Oktober 2000 und damit mehr als 14 Monate vor dem Inkrafttreten des Gesetzes verkündet worden. Deshalb könne für die Steuerbarkeit der Wertzuwächse nicht der Verkündungszeitpunkt, sondern nur der Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung auf den 1. Januar 2002 maßgeblich sein. Bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts müsse sich der Steuerpflichtige auf das noch geltende Recht verlassen dürfen. Das neue Gesetz könne seine Wirkung erst ab dem Zeitpunkt entfalten, ab dem es nach dem Willen des Gesetzgebers in Kraft treten solle. Bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Wertsteigerungen würden eine verfassungsrechtlich geschützte und konkret verfestigte Vermögensposition darstellen. Eine andere Denkweise würde dazu führen, dass das neue Gesetz im Wege einer echten Rückwirkung auf Zeiträume und Veranlagungszeiträume vor seiner Geltung zurückwirken würde.
Es würden gleiche Sachverhalte ungleich besteuert werden. Wenn die Erblasserin die veräußerte Beteiligung schon am 31. Dezember 2001 und nicht erst am xx. Dezember 2002 veräußert hätte, wäre der gesamte Veräußerungsgewinn steuerlich außer Ansatz geblieben. Dies würde auch für den Wertzuwachs zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem 31. Dezember 2001 gelten. Im Falle der Veräußerung am xx. Dezember 2002 werde dieser Wertzuwachs - nach Ansicht der Verwaltung - in die Besteuerung hineingezogen. Dies stelle eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte dar.
Deshalb müsse die Erblasserin nur diejenigen Wertsteigerungen versteuern, die auf den Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2002 und dem xx. Dezember 2002 entfallen würden. Solche Wertsteigerungen seien seitens der Finanzverwaltung nicht nachgewiesen worden. Die Finanzbehörde trage die Feststellungslast für steuerbegründende oder steuererhöhende Umstände. Um einen solchen Umstand handele es sich bei dem Nachweis des Wertzuwachses. Dies habe der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 25. November 2010 IX R 47/10, BStBl II 2011, 744 [BFH 05.05.2011 - V R 51/10] bereits entschieden.
Die Geschichte des Unternehmens nach dem Zweiten Weltkrieg zeige, dass die B-AG und ihre Tochtergesellschaft, die G-AG, ihre Aktivitäten über die Region hinaus ausgeweitet hätten (Erwerb des xx-Hauses, Übernahme der B-GmbH, Erwerb der W-AG). Deshalb könne es nicht sein - wie es der Beklagte behaupte -, dass die B-AG 75 % ihres Unternehmenswertes erst in den Zeitraum zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem xx. Dezember 2002 gebildet habe. Aus dem Schreiben der B-AG vom xx. Dezember 2000 ergebe sich nichts Gegenteiliges. In dem Schreiben würden nur angeblich eingeholte Informationen von der Sparkasse xx wiedergegeben werden. Es sei auch nicht erkennbar, dass die in dem Schreiben angesprochenen Anteile im gewöhnlichen Geschäftsverkehr veräußert worden seien. Es würden Angaben zu der Beteiligungshöhe bezüglich der veräußerten Anteile fehlen. Es sei nicht erkennbar, ob die Veräußerung eventuell an Angehörige erfolgt seien. Es sei auch nicht erkennbar, ob die Aktien mit den gleichen Rechten ausgestattet gewesen seien, wie die Aktien der Erblasserin. Schließlich sei nicht erkennbar, ob für die niedrigen Kaufpreise gegebenenfalls andere Vorteile gewährt worden seien. Mit anderen Worten, es sei nicht erkennbar, ob die in dem Schreiben angesprochenen Anteile mit den Aktien der Erblasserin vergleichbar seien.
In der Einspruchsentscheidung sei ausgeführt worden, dass die durch die Übernahme durch die Y-Gruppe unterstellten Wertsteigerungen in den Jahren 2001 und 2002 zu verorten seien. Es könne nicht konkret festgestellt werden, dass die Wertsteigerungen zwischen dem 1. Januar 2002 und dem xx. Dezember 2002 erfolgt seien. Klare, nachweisbare Anhaltspunkte für eine wesentliche Abweichung von einer linearen Verteilung im Sinne des BMF-Schreibens würden jedenfalls nicht vorliegen.
Aber auch der Ansatz eines linearen zeitanteiligen Wertzuwachses im Sinne der Vereinfachungsregelung des BMF-Schreibens sei nicht zulässig. Dies gelte unabhängig davon, dass das BVerfG im Hinblick auf die Wertermittlungsproblematik auch grobe Schätzungen als möglich angesehen habe (Beschluss des BVerfG vom 7. Juli 2010, Rz. 64). Die Finanzverwaltung könne nicht im Wege der Schätzung steuerbegründende Umstände, für die sie die Feststellungslast trage, unterstellen.
Schließlich würde ein zeitanteiliger linearer Wertzuwachs deutlich geringer ausfallen, als noch im Einspruchsverfahren angenommen. Frau I habe die Aktien am xx. März 1972 als Erbin nach ihrem Onkel H erhalten. Hierzu werde der Erbschein des Amtsgerichts O vom xx. Juli 1972 und der Erbschaftssteuerbescheid des Finanzamts O vorgelegt. In dem Erbschaftsteuerbescheid seien die B-Aktien ausdrücklich aufgeführt worden. Es müsse berücksichtigt werden, dass der Erwerb im Wege der Erbfolge erfolgt sei. Nach dem Rechtsgedanken des § 17 Abs. 1 Satz 5 EStG müsse die Besitzzeit des Rechtsvorgängers zu der Besitzzeit von Frau I hinzugerechnet werden. Seit wann der Rechtsvorgänger H die Aktien besessen habe, sei noch nicht klar. Schließlich müsse beachtet werden, dass sich der steuerbare Zeitraum von 25 Monaten auf 11 Monate verringern würde, weil nur der Wertzuwachs zwischen dem 1. Januar 2002 und dem xx. Dezember 2002 besteuert werden dürfe.
Beide Beteiligte erklärten sich mit dem Ruhen des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des beim BFH anhängigen Verfahrens IX R 19/12 einverstanden. Deshalb erging am 8. Oktober 2012 ein entsprechender Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts.
Das BFH-Verfahren wurde seinerseits bis zur Entscheidung des BVerfG in dem Verfahren 2 BvR 364/13 ausgesetzt. Die Verfassungsbeschwerde war erfolglos (Beschluss des BVerfG vom 6. Januar 2023, 2 BvR 364/13, NJW 2023, 1715). Das BFH-Verfahren IX R 19/12 wurde daraufhin durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet.
Während das Klageverfahren noch ruhte, verstarb die Klägerin L (am xx. November 2015). Sie wurde von ihrer Tochter, Frau M, geboren am xx. August 1977 beerbt (Erbschein vom xx. August 2017). Auch der Kläger F verstarb am xx. Mai 2017. Er wurde von seiner Ehefrau Frau F beerbt (gemeinschaftliches Testament vom xx. November 1991). Im Mai 2024 teilten der Prozessbevollmächtigte der Rechtsnachfolger mit, dass der Rechtsstreit fortgeführt werde.
Es sei nach wie vor streitig, ob die Wertsteigerungen bis zum 26. Oktober 2000 (Verkündung des Gesetzes) oder bis zum 31. Dezember 2001 (Tag vor dem Inkrafttreten des Gesetzes) steuerfrei seien. Außerdem sei streitig, welchen Wert die Aktien zum relevanten Stichtag gehabt hätten.
Zwar habe das BVerfG in seinem Beschluss vom 6. Januar 2023 die Herabsenkung der Wesentlichkeitsgrenze von 10 % auf 1 % dem Grunde nach nicht beanstandet. Die weitere Frage, ob auch die Wertsteigerungen zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem 31. Dezember 2001 besteuert werden dürften, habe das BVerfG aber aus prozessualen Gründen nicht beantwortet. Das BVerfG habe lediglich den Hinweis erteilt, dass eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vorliege, wenn einerseits eine Veräußerung der Anteile vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zu keiner Steuerpflicht der Wertzuwächse zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem 31. Dezember 2001 führe und andererseits eine Veräußerung der Anteile nach dem Inkrafttreten des Gesetzes diese Wertzuwächse erfasse. Das BVerfG habe außerdem angemerkt, dass bei der erneuten Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze von 10 % auf 1 % der wesentliche Unterschied zu der ersten Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze darin bestehe, dass die erneute Herabsetzung erst für künftige Veranlagungszeiträume anwendbar gewesen sei.
Zwar habe das Niedersächsische Finanzgericht in dem Urteil vom 28. Februar 2012 (12 K 10250/09, EFG 2012, 1337) die Auffassung vertreten, dass die Steuerpflichtigen ab der Verkündung des Gesetzes am 26. Oktober 2000 gewusst hätten, dass ihre Beteiligung in die Steuerpflicht hineinwachsen würden, sodass im Hinblick auf die Steuerfreiheit der noch eintretenden Wertsteigerungen bis zum 31. Dezember 2001 kein Vertrauensschutz gewährt werden müsse. Die Steuerpflichtigen hätten die Möglichkeit gehabt, ihre Beteiligung vor dem 1. Januar 2002 steuerfrei zu verkaufen. Sie hätten sich für den Fall des Abwartens bis nach dem 31. Dezember 2001 auf die zukünftige Besteuerung einstellen können.
Indes könne das Niedersächsische Finanzgericht den Steuerpflichtigen nicht auf alternative Realisierungszeitpunkte verweisen, da es nicht auf imaginäre, sondern auch tatsächlich erfolgte Besteuerungstatbestände ankomme. Außerdem übersehe das Niedersächsische Finanzgericht, dass die betroffenen Steuerpflichtigen bis zum 31. Dezember 2001 den Steuertatbestand noch gar nicht verwirklicht hätten und die veräußerten Anteile nicht steuerverstrickt gewesen seien. Deshalb habe der BFH in seinem Aussetzungsbeschluss vom 24. Februar 2012 (IX B 146/11, BStBl 2012, 335) und in dem Hauptsacheverfahren vom 11. Dezember 2012 (IX R 7/12) darauf abgestellt, dass nur derjenige Zuwachs an Leistungsfähigkeit besteuert werden könne, der nach der aktuellen Gesetzeslage auch steuerverstrickt sei. Würde man den Wertzuwachs zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem 31. Dezember 2001 besteuern, würde der Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend der Besteuerung unterworfen werden. Dieser Wertzuwachs müsse unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Rückwirkungsverbotes und des Gleichheitsgrundsatzes steuerfrei bleiben.
Es könne sein, dass die Steuerpflichtigen - wie es das Niedersächsische Finanzgericht meine - seit dem 26. Oktober 2000 nicht mehr auf die Steuerfreiheit von Anteilsveräußerungen ab dem Jahr 2002 hätten vertrauen dürften. Das sei aber nicht entscheidend. Da die Aktien bis zum 31. Dezember 2001 nicht steuerverstrickt gewesen seien, müssten die in diesem Zeitraum entstandenen Wertzuwächse aus verfassungsrechtlichen Gründen auch bei Verkäufen nach dem 31. Dezember 2001 steuerfrei realisiert werden können. Verfassungsrechtlich sei es geboten, diejenigen Steuerpflichtigen, die bis zum 31. Dezember 2001 ihre Beteiligung verkauft hätten und diejenigen Steuerpflichtigen, die ab dem 1. Januar 2002 die Beteiligung verkauft hätten im Hinblick auf die Wertzuwächse bis zum 31. Dezember 2001 gleich zu behandeln.
Einen Wertzuwachs zwischen dem 1. Januar 2002 und dem xx. Dezember 2002 habe der Beklagte nicht dargelegt. Für die Feststellung des Wertes eines Unternehmens sei ein Unternehmenswertgutachten erforderlich. Der Beklagte habe gar keine Unterlagen zum Wert auf den 31. Dezember 2001 vorgelegt. Die Feststellungslast trage das Finanzamt.
Hilfsweise werde beantragt, die Rechtsverfolgungskosten der Klägerinnen in Form der Honorare des Prozessbevollmächtigten für das hier vorliegende Verfahren sowie des Gerichtskostenvorschusses als Veräußerungskosten gemäß § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigen. Insoweit werde auf das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 22. Februar 2024 (10 K 1208/23, Revision eingelegt, Az. des BFH: IX R 12/24) verwiesen.
Die Klägerinnen beantragen,
- 1.
unter Abänderung der Einspruchsentscheidung vom xx. Juni 2012 den Einkommensteuerbescheid 2002 des Beklagten vom xx. August 2004 für die am xx. September 2006 verstorbene I dahingehend zu ändern, dass für die Klägerin zu 1, die als Gesamtrechtsnachfolgerin des am xx. Mai 2017 verstorbenen F, dieser wiederum als Gesamtrechtsnachfolger nach Frau I und für die Klägerin zu 2., die als Gesamtrechtsnachfolgerin der am xx. November 2015 verstorbenen L, diese wiederum als Gesamtrechtsnachfolgerin nach Frau I handeln, der steuerpflichtige Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG von 2.502.384 € auf 0 € vermindert wird,
- 2.
hilfsweise für den Fall, dass der Hauptantrag zu 1. ganz oder teilweise nicht erfolgreich ist, Steuerberatungs- und Prozesskosten in Höhe von 16.829,82 € als Veräußerungskosten im Rahmen des Gewinns nach § 17 EStG zu berücksichtigen und festzustellen, dass alle weiter entstehenden Steuerberatungs- und Prozesskosten, die mit dem Veräußerungsgewinn laut Klageantrag zu 1. in Veranlassungszusammenhang stehen, als Veräußerungskosten zu berücksichtigen sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte führt aus, dass die Rechtsvorgängerin der Klägerinnen die Versteuerung der Wertsteigerungen zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem 31. Januar 2001 hätte vermeiden können, wenn sie die steuerverhafteten Anteile bis zum 31. Dezember 2001 verkauft hätte. Die von den Klägerinnen beanstandete "Fallbeilwirkung" sei für zeitraumregelnde Steuerarten, wie die Einkommensteuer, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Wert der Aktien am 26. Oktober 2000 könne durch die Auflistung der Verkäufe von B-Aktien, den Telefonvermerk der Rechtsbehelfsbearbeiterin vom xx. März 2011 und das Schreiben der Sparkasse xx vom xx. November 2010 belegt werden.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig.
Die Klägerinnen sind befugt, das Klageverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 2002 vom xx. August 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom xx. Juni 2012 zu betreiben.
1. Der angegriffene Einkommensteuerbescheid 2002 vom xx. August 2004 war an Frau I, geboren am xx. August 1932, adressiert. Frau I ist am xx. September 2006 verstorben. Ausweislich des am xx. November 2006 vor dem Amtsgericht W eröffneten Testaments waren Frau L und Herr F die Erben von Frau I. Die beiden Erben traten gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 AO in die steuerrechtliche Rechtsstellung der Erblasserin ein. Dies gilt nicht nur für das materiell-rechtliche Steuerschuldverhältnis der Erblasserin (§ 38 AO), sondern auch für die verfahrensrechtliche Stellung der Rechtsvorgängerin (vgl. nur Koenig in Koenig, Abgabenordnung, 5. Auflage, § 45, Rz. 13). Deshalb ging die Rechtsbehelfsbefugnis auf die Rechtsnachfolger über (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Dezember 2008 IV B 121/08, BFH/NV 2009, 604, Rz. 6 bei juris). Somit konnten die beiden Erben das Einspruchsverfahren ihrer Rechtsvorgängerin fortführen. Der Einspruchsbescheid vom xx. Juni 2012 wurde zu Recht an Frau L und Herrn F als Gesamtrechtsnachfolger nach Frau I adressiert. Frau L und Herr F konnten in ihrer Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolger nach Frau I auch die vorliegende Klage erheben.
2. Frau L verstarb während des Klageverfahrens am xx. November 2015. Dies ergibt sich aus dem Erbschein des Amtsgerichts S vom xx. August 2017. Aus dem Erbschein ist auch ersichtlich, dass die alleinige Erbin die jetzige Klägerin zu 2. ist. Diese trat in die verfahrensrechtliche Stellung ihrer Rechtsvorgängerin ein.
3. Herr F verstarb am xx. Mai 2017. Dies ergibt sich aus der Eröffnung des Testaments vor dem Amtsgericht B vom xx. Juni 2017. Aus dem gemeinschaftlichen Testament vom xx. November 1991 ergibt sich, dass Herr F von seiner Ehefrau, der jetzigen Klägerin zu 1., beerbt worden ist. Damit trat die Klägerin zu 1. in die verfahrensrechtliche Stellung des Erblassers ein.
II. Die Klage ist im Hinblick auf den Hauptantrag unbegründet.
Der Beklagte hat den Verkauf der B-Aktien zum xx. Dezember 2002 durch Frau I zu Recht als steuerpflichtige Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG gewertet (dazu unter Nr. 1). Außer Ansatz bleiben lediglich die Wertzuwächse bis zum 26. Oktober 2000, nicht die Wertzuwächse bis zum 31. Dezember 2001 (dazu unter Nr. 2). Der Beklagte hat den gemeinen Wert einer sogenannten "großen Aktie" mit einem Nennwert von 5.000 € am 26. Oktober 2000 zutreffend mit 130.000 DM = 66.468 € angenommen (Kurswert 1.329%) (dazu unter Nr. 3).
1. Frau I hat mit dem Verkauf der B-Aktien zum xx. Dezember 2002 den Tatbestand des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG verwirklicht.
a) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 2002 gültigen Fassung gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war.
b) Die Beteiligungsgrenze in § 17 Abs. 1 EStG ist durch das StSenkG vom 23. Oktober 2000, verkündet am 26. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) von mindestens 10 % auf mindestens 1 % herabgesenkt worden. Art. 1 Nr. 40 des StSenkG regelt in § 52 Abs. 34a EStG, dass § 17 EStG in der neuen Fassung erstmals auf Veräußerungen anzuwenden ist, die nach Ablauf des ersten Wirtschaftsjahres der Gesellschaft vorgenommen werden, für das das Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der Fassung des Art. 3 des StSenkG erstmals anzuwenden ist. Das KStG ist in der neuen Fassung nach Art. 3 Nr. 20 des StSenkG bei kalenderjahrgleichen Wirtschaftsjahren erstmals für den Veranlagungszeitraum 2001 anzuwenden (§ 34 Abs. 1 KStG). Die B-AG hatte ab dem Jahr 2001 ein kalenderjahrgleiches Wirtschaftsjahr. Deshalb ist § 17 EStG in Verbindung mit § 52 Abs. 34a EStG in der Fassung des StSenkG erstmals für Verkäufe der B-Aktien ab dem 1. Januar 2002 anzuwenden. Da der hier zu beurteilende Veräußerungsvorgang erst zum xx. Dezember 2002 erfolgte, ist die Beteiligungsgrenze von 1 % einschlägig.
c) Es ist geklärt, dass die Absenkung der Beteiligungsgrenze von 10 % auf 1 % durch das StSenkG vom 23. Oktober 2000 nicht gegen die Verfassung verstößt. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ist nicht verletzt (Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 6. November 2023, 2 BvR 364/13, NJW 2023, 1715 [BVerfG 06.01.2023 - 2 BvR 364/13], Rz. 102 ff. bei juris). Dies wird von den Klägerinnen auch nicht in Zweifel gezogen.
d) Die Veräußerung der 24 Aktien der B-AG im Nennwert von insgesamt 120.000 € zum xx. Dezember 2002 unterfällt der Vorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, weil Frau I im Zeitpunkt der Veräußerung - und damit innerhalb der letzten fünf Jahre - am Kapital der Gesellschaft unmittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war.
aa) Die Höhe der Beteiligung am Kapital der Gesellschaft bemisst sich grundsätzlich nach dem nominalen Anteil an dem Grundkapital der Aktiengesellschaft. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass das Grundkapital der B-AG 9.xxx.xxx € betragen hat. Da Frau I in ihrem Privatvermögen 24 Aktien mit einem Nennwert pro Aktie in Höhe von 5.000 € hielt, war sie mit Aktien im Nennwert von insgesamt 120.000 € an der B-AG beteiligt. Die Beteiligten gehen übereinstimmend von einer Beteiligung in Höhe von 1,26 % des Grundkapitals aus.
bb) Allerdings hat das Niedersächsische Finanzgericht in seinem Urteil vom 28. Februar 2012 (12 K 10250/09, EFG 2012, 1337), welches ebenfalls eine Veräußerung von B-Aktien an den Y-Konzern im Dezember 2002 betraf, festgestellt, dass die B-AG eigene Aktien im Nennwert von 360.000 € hielt. Außerdem soll die G-AG, an der die B-AG zu xx,xx % beteiligt war, Aktien der B-AG im Nennwert von 270.000 € gehalten haben (wechselseitige Beteiligung). Schließlich soll die S mit zwei Genussrechten in Höhe von jeweils 30.000 € an der B-AG beteiligt gewesen sein.
cc) Auch wenn die damaligen Feststellungen zugrunde gelegt werden, war Frau I im Veräußerungszeitpunkt im Dezember 2002 zu mehr als 1 % an dem Kapital der B-AG beteiligt.
aaa) Das Niedersächsische Finanzgericht hat in seinem Urteil vom 28. Februar 2012 a.a.O. die eigenen Aktien der B-AG im Nennwert von 360.0000 € von dem maßgeblichen Grundkapital abgezogen. Diese Vorgehensweise ist zutreffend. Sie ergibt sich aus § 71b Aktiengesetz (AktG). Die Vorschrift besagt, dass der Gesellschaft aus eigenen Aktien keine Rechte zustehen. Deshalb ist die Gesellschaft im Umfang ihrer eigenen Anteile in wirtschaftlicher Hinsicht nicht an ihrem Unternehmen beteiligt. Die eigenen Anteile werden für die Berechnung der qualifizierten Beteiligung im Sinne von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG vom Nennkapital abgezogen (BFH-Urteil vom 24. September 1970 IV R 138/69, BFHE 100, 448, BStBl II 1971, 89, Rz. 4 ff bei juris; BFH-Urteil vom 18. April 1989 VIII R 329/84, BFH/NV 1990, 27, Rz. 16 f. bei juris; BFH-Urteil vom 25. November 1997 VIII R 36/96, BFH/NV 1998, 691, Rz. 34 bei juris; BFH-Urteil vom 5. April 2022 IX R 19/20, BFHE 276, 343, BStBl II 2023, 18, Rz. 15 bei juris, Verfassungsbeschwerde eingelegt, Az. des BVerfG: 2 BvR 1427/22).
bbb) Das Niedersächsische Finanzgericht hat in seinem Urteil vom 28. Februar 2012 a.a.O. auch die von der G-AG gehaltenen Aktien an der B-AG als mittelbar von der B-AG gehaltene eigene Anteile vom Nennkapital abgezogen (ebenso: Levedag in Schmidt, EStG, 43. Auflage, § 17 EStG, Rz. 76; Jäschke in Lademann, EStG, § 17 EStG Rz. 88; Vogt in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 17 EStG, Rz. 246). Der erkennende Senat schließt sich auch dieser Rechtsauffassung an. Für eine derartige Handhabung sprechen die Regelungen in § 71d Sätze 2 und 3 AktG, die von einer Gleichbehandlung von mittelbar gehaltenen eigenen Anteilen mit eigenen Anteilen der Gesellschaft ausgehen. Auch aus § 16 Abs. 2 Sätze 2 und 3 AktG ergibt sich, dass die mittelbar gehaltenen eigenen Anteile wie eigene Anteile der Gesellschaft zu behandeln sind. Ist die Obergesellschaft an der Tochtergesellschaft nicht zu 100 % beteiligt, ist die Beteiligungsquote für die mittelbaren eigenen Anteile wie bei einer mittelbaren Beteiligung im Wege einer rechnerischen Beteiligungsquote zu ermitteln (Jäschke in Lademann, EStG, § 17 EStG Rz. 90 mit Beispiel). Danach ergibt sich ein Abzugsbetrag in Höhe von 2xx.xxx € (270.000 € multipliziert mit xx,xx %).
ccc) Schließlich hat das Niedersächsische Finanzgericht in seinem Urteil vom 28. Februar 2012 a.a.O. aufgrund von umfangreichen Erwägungen den Wert der beiden Genussrechte der S nicht dem Nennkapital der B-AG hinzugerechnet. Der erkennende Senat lässt diese Frage offen, weil der Aktienbestand von Frau I die Beteiligungsgrenze von 1 % auch dann überschreiten würde, wenn die Genussrechte dem Nennkapital zugerechnet werden müssten:
Grundkapital | 9.xxx.xxx € |
---|---|
abzüglich eigene Anteile | -360.000 € |
abzüglich mittelbar eigene Anteile | -2xx.xxx € |
(eventuell) zuzüglich Genussrechte | + 60.000 € |
maßgebliches Kapital der Gesellschaft maximal | 8.900.000 € |
Beteiligung von Frau I | 120.000 € |
Beteiligungsquote | 1,3x % |
Die vom Gesetz vorgesehen Beteiligungsgrenze ist von Frau I im Zeitpunkt der Veräußerung am xx. Dezember 2002 auf jeden Fall überschritten worden.
dd) Die neuere Rechtsprechung des BFH zum "veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff" ändert an der Steuerpflicht des im Streit befindlichen Veräußerungsgewinns gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG nichts.
aaa) Der vom BFH entwickelte "veranlagungszeitraumbezogene Beteiligungsbegriff" bedeutet, dass die Beteiligungsgrenze innerhalb des Fünfjahreszeitraums gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG nach Maßgabe der von dem Gesetz für den jeweiligen Veranlagungszeitraum vorgegebenen Beteiligungshöhe und nicht nach Maßgabe der im Zeitpunkt der Veräußerung vom Gesetz vorgegebenen Beteiligungshöhe bestimmt wird. Diese Auslegung wird vom BFH damit begründet, dass im Zeitpunkt der Veräußerung ein über den vorangegangenen Zeitraum akkumulierter Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend der Besteuerung unterworfen wird. Die höhere Leistungsfähigkeit ist materiell über den gesamten Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung entstanden. Deshalb muss die sogenannte latente Verstrickung irgendwann während des Haltezeitraums auch einmal aktuell geworden sein. Es kann nicht allein steuerauslösend sein, dass der Steuerpflichtige nur in der Rückschau in den zurückliegenden fünf Jahren einmal wesentlich bzw. maßgeblich beteiligt war, ohne dass der Zuwachs an Leistungsfähigkeit im Falle der (hypothetisch hinzugedachten) Veräußerung der Beteiligung tatsächlich auch steuerbar gewesen wäre. Der BFH vermeidet mit dieser Auslegung, dass die Absenkung der Beteiligungsgrenze in vergangene Veranlagungszeiträume zurückwirkt. Ziel ist es, mit dem veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff den verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Vertrauensschutz, wie sie in dem Beschluss des BVerfG vom 7. Juli 2010 (2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61 ff.) formuliert worden sind, nachzukommen (BFH-Beschluss vom 24. Februar 2012 IX B 146/11, BFHE 236, 492, BStBl II 2012, 335, Rz. 15 ff. bei juris; BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 IX R 7/12, BFHE 239, 449, BStBl II 2013, 372, Rz. 14 ff. bei juris).
bbb) Der veranlagungszeitraumbezogene Beteiligungsbegriff gilt nicht nur im Zusammenhang mit der Absenkung der Wesentlichkeitsschwelle von mehr als 25 % auf mindestens 10 % durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402), sondern auch für die Absenkung der Beteiligungsgrenze von mindestens 10 % auf mindestens 1 % durch das StSenkG vom 23. Oktober 2000 (BFH-Urteil vom 12. März 2024 IX R 8/23 (IX R 37/15), BFH/NV 2024, 755, Rz. 23 ff. bei juris; BFH-Urteil vom 12. März 2024 IX R 9/23 (IX R 38/15), BFH/NV 2024, 836 [BFH 29.02.2024 - VI R 2/22], Rz. 23 ff. bei juris).
ccc) Die Anwendung des veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriffs auf die vorliegende Fallkonstellation bestätigt die Steuerpflicht des Veräußerungsvorgangs gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG. Frau I war im Veranlagungszeitraum 2002 zu mindestens 1 % an dem Kapital der B-AG beteiligt. Damit wurde die für den Veranlagungszeitraum 2002 gesetzlich vorgegebene Beteiligungshöhe von Frau I überschritten.
ddd) Für das Eingreifen der Steuerpflicht ist es nicht erforderlich, dass die gesetzlich vorgegebene Beteiligungshöhe in dem gesamten Fünfjahreszeitraum erreicht wird. Es reicht aus, wenn die Beteiligung zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb des Fünfjahreszeitraums bei mindestens 1 % des Kapitals der Gesellschaft gelegen hat. Durch eine noch so kurze relevante Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre sind die Wertzuwächse steuerlich verstrickt (Trossen in Kirchhof/ Kulosa/ Ratschow, Einkommensteuergesetz, Band 2, 2020, § 17 EStG, Rz. 286 und Rz. 297; Levedag in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 43. Auflage, § 17 Rz. 85; zur früheren wesentlichen Beteiligung: BFH-Urteil vom 10. Dezember 1969 I R 43/67, BFHE 98, 30, BStBl II 1970, 310, Rz. 8 bei juris; BFH-Urteil vom 5. Oktober 1976 VIII R 38/72, BFHE 120, 471, BStBl II 1977, 198, Rz. 13 bei juris; BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VI R 55/84, BFH/NV 1990, 23, Rz. 20 bei juris; BFH-Urteil vom 7. Juli 1992 VIII R 54/88, BFHE 169, 49, BStBl II 1993, 331, Rz. 19 bei juris; BFH-Urteil vom 20. April 1999 VIII R 58/97, BFHE 188, 362, BStBl II 1999, 650, Rz. 12 bei juris; BFH-Beschluss vom 9. September 2008 IX B 3/08, BFH/NV 2008, 2016, Rz. 3 bei juris; BFH-Beschluss vom 2. Juni 2016 IX R 10/16, BFH/NV 2016, 1448 [BFH 02.06.2016 - IX B 10/16]. Rz. 5 bei juris).
Dies gilt auch im Rahmen der Fortentwicklung der Rechtsprechung zum veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriff. Auch bei Anwendung des veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriffs reicht es aus, wenn die wesentliche Beteiligung nur kurze Zeit innerhalb des retrospektiven Fünfjahreszeitraums bestanden hat. Auf die Dauer und die Gründe dieser Beteiligung kommt es nicht an (so ausdrücklich: BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 IX R 7/12, BFHE 239, 449, BStBl II 2013, 372, Rz. 18 bei juris).
Im vorliegenden Fall ist durch die Überschreitung der gesetzlichen Beteiligungsgrenze im Veranlagungszeitraum 2002 die Steuerpflicht ausgelöst worden, auch wenn in den vorherigen Veranlagungszeiträumen die für diese Jahre maßgeblichen Beteiligungsgrenzen durch das Aktienpaket der Frau I nicht erreicht worden sind.
2. Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns bleiben nur die Wertzuwächse bis zum 26. Oktober 2000, nicht jedoch die Wertzuwächse bis zum 31. Dezember 2001 außer Betracht.
a) Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG wird der Veräußerungsgewinn dergestalt ermittelt, dass von dem Veräußerungspreis die Veräußerungskosten und die historischen Anschaffungskosten abgezogen werden. Allerdings hat bereits der Beklagte diese Vorschrift aus verfassungsrechtlichen Gründen einschränkend ausgelegt.
aa) Das BVerfG hat mit Beschluss vom 7. Juli 2010 (2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/95, BVerfGE 127, 61 ff.) im Zusammenhang mit der Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG von mehr als 25 % auf mindestens 10 % entschieden, dass § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl I S. 402) gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes verstößt und deshalb nichtig ist, soweit in dem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstanden sind und die entweder - bei einer Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt - nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder - bei einer Veräußerung nach der Verkündung des Gesetzes - sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können.
bb) Die Entscheidung des BVerfG betrifft zwar nicht unmittelbar die Absenkung der Beteiligungsgrenze von mindestens 10 % auf mindestens 1 % durch das StSenkG vom 23. Oktober 2000. Die Finanzverwaltung ist aber der Ansicht, dass die Grundsätze des Beschlusses des BVerfG vom 7. Juli 2010 a.a.O. auf die weitere Absenkung der Beteiligungsgrenze entsprechend anzuwenden sind (vgl. BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2010, BStBl I 2011, 16 unter Abschnitt D.; BMF-Schreiben vom 21. Dezember 2011, BStBl I 2012, 12 unter Abschnitt C.). Zwischen den Beteiligten ist deshalb nicht streitig, dass die Wertzuwächse bis zur Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 nicht der Besteuerung unterworfen werden. Streitig ist lediglich, ob auch die Wertzuwächse zwischen der Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 und dem Inkrafttreten der abgesenkten Beteiligungsgrenze am 1. Januar 2002 bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns außer Betracht bleiben.
b) Wird die bisher ergangene Rechtsprechung hierzu zu Rate gezogen, ergibt sich, dass bislang nur die Wertzuwächse bis zur Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 von der Besteuerung ausgenommen worden sind.
aa) Das Niedersächsische Finanzgericht hat in seinem Urteil vom 28. Februar 2012 (12 K 10250/09, EFG 2012, 1337) die Auffassung vertreten, dass die Grundsätze des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes keine weitergehende Steuerfreistellung rechtfertigen würden, weil die Steuerpflichtigen seit dem 26. Oktober 2000 wussten, dass Beteiligungen in einer Größenordnung von mindestens 1 % ab dem 1. Januar 2002 in die Steuerpflicht hineinwachsen würden. Den Steuerpflichtigen sei klar gewesen, dass bei einem Verkauf der Beteiligung nach dem 1. Januar 2002 eine Besteuerung erfolgen würde. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, sich auf die Besteuerung einzustellen. Insbesondere hätten sie die Besteuerung dadurch vermeiden können, dass sie die Beteiligung noch vor dem 1. Januar 2002 steuerfrei verkauften.
Das anschließende Revisionsverfahren beim BFH (IX R 19/12) wurde zunächst im Hinblick auf eine anderweitig anhängige Verfassungsbeschwerde ausgesetzt (siehe dazu auch unten). Die Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos. Daraufhin wurde das Verfahren beim BFH wiederaufgenommen. Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Kosten des Revisionsverfahrens hatten die Kläger allein zu tragen, weil sie mit ihrem Begehren, die Wertzuwächse zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem 1. Januar 2002 steuerfrei zu belassen, keinen Erfolg hatten (BFH-Beschluss vom 27. Juni 2023 IX R 7/23 (IX R 19/12), BFH/NV 2023, 1098 [BFH 21.06.2023 - IX B 58/22]).
bb) Das Finanzgericht Düsseldorf wies mit Urteil vom 6. Oktober 2011 (8 K 3811/09 E, EFG 2012, 516) eine Klage ab, mit der sich der Kläger dagegen gewehrt hatte, dass nach der Absenkung der Beteiligungsgrenze von mindestens 10 % auf mindestens 1 % die Wertzuwächse ab dem 26. Oktober 2000 der Besteuerung gemäß § 17 EStG unterworfen wurden. Da der Kläger zunächst lediglich eingewandt hatte, dass der Gesetzgeber mit der Absenkung der Beteiligungsgrenze das Gebot der Belastungsgleichheit und der Folgerichtigkeit verletzt habe, finden sich in dem Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf keine expliziten Aussagen zu der steuerlichen Behandlung der Wertzuwächse in dem Zeitraum zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem 31. Dezember 2001.
In dem anschließenden Revisionsverfahren beim BFH vertrat der Kläger ausdrücklich die Rechtsansicht, dass auch eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG vorliege, weil die Wertsteigerungen zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem 31. Dezember 2001 von der Besteuerung auszunehmen seien. Der BFH folgte dieser Argumentation nicht. In dem Urteil vom 24. Oktober 2012 (IX R 36/11, BFHE 239/334, BStBl II 2013, 164) führte der BFH aus, dass es nicht zu beanstanden sei, dass die Wertsteigerungen zwischen der Gesetzesverkündung bis zum Inkrafttreten der 1 % - Grenze steuerlich erfasst worden seien. Das BVerfG habe in seinem Beschluss vom 7. Juli 2010 a.a.O. im Hinblick auf die Wertsteigerungen zwischen Verkündung und Inkrafttreten der neuen Rechtslage keine Gleichheitswidrigkeit angenommen. Die Frage der Erfassung von Wertsteigerungen zwischen der Verkündung des Gesetzes bis zum Inkrafttreten des Gesetzes sei eine Frage des Vertrauensschutzes, nicht eine von Art. 3 Abs. 1 GG.
Die anschließend erhobene Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg (siehe auch oben). Das BVerfG führte in seinem Nichtannahmebeschluss vom 6. Januar 2023 (2 BvR 364/13, NJW 2023, 1715) aus, dass die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig sei, soweit eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gerügt werde. Der Beschwerdeführer hatte die Ungleichbehandlung darin gesehen, dass Steuerpflichtige mit einer Beteiligung zwischen 1 % und 10 %, die ihre Anteile in dem Zeitraum zwischen der Verkündung des StSenkG und dessen Inkrafttreten verkauft hätten, den Veräußerungsgewinn steuerfrei hätten vereinnahmen können (Rz. 89 bei juris). Das BVerfG meinte, es fehle an einer hinreichenden Aufarbeitung der Rechtslage zum einfachen Recht und zum Verfassungsrecht (Rz. 91 bei juris). Zu den Anforderungen des Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 GG führte das BVerfG aus, dass der Beschwerdeführer zu Recht beanstandet habe, dass der BFH von vornherein keinen Anknüpfungspunkt für die Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG angenommen habe. Das BVerfG habe in seinem Beschluss vom 7. Juli 2010 a.a.O. eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung darin gesehen, dass Steuerpflichtige ihre Beteiligung vor dem Inkrafttreten der Neuregelung noch steuerfrei hätten veräußern können, während Steuerpflichtige, die die Beteiligung erst nach dem Inkrafttreten der Neuregelung veräußert hätten, die Wertsteigerungen vor dem Inkrafttreten der abgesenkten Beteiligungsgrenze hätten versteuern müssen. Die verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung resultiere daraus, dass im Zeitpunkt der Realisierung ein über den vorangegangenen Zeitraum akkumulierter Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend der Besteuerung unterworfen werde (Rz. 98 bei juris).
Der Beschwerdeführer habe sich aber nicht mit möglichen Rechtfertigungsgründen auseinandergesetzt. Diese würden in dem Umstand liegen, dass die Anteilseigner seit der Verkündung des Gesetzes am 26. Oktober 2000 wussten, dass ihre Beteiligung mit dem Beginn der zeitlichen Anwendbarkeit der abgesenkten Beteiligungsgrenze in die Steuerpflicht hineinwachsen würden. Ihnen sei seit der Verkündung des Gesetzes klar gewesen, dass zukünftig eintretende Wertsteigerungen bei einer Veräußerung nach dem Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit der Neuregelung des § 17 Abs. 1 EStG nicht mehr steuerfrei erzielt werden könnten. Sie hätten sich auf die neue Rechtslage durch eine Veräußerung vor dem 1. Januar 2002 einstellen können (Rz. 101 bei juris).
cc) Der BFH hat sich zu der vorliegenden Problematik am Rande auch in den Urteilen vom 12. März 2024 (IX R 8/23 (IX R 37/15), BFH/NV 2024, 755 und IX [BFH 05.09.2023 - VIII R 2/20] R 9/23 (X R 38/15), BFH/NV 2024, 836 [BFH 29.02.2024 - VI R 2/22]; Vorinstanz: Urteile des Niedersächsisches Finanzgericht vom 14. April 2015, 13 K 254/12, EFG 2024, 32 und 13 K 255/12) geäußert. Es lag aber eine etwas abweichende Fallkonstellation vor. Zwar handelte sich erneut um die Veräußerung von Aktien der B-AG im Dezember 2002. Die Mutter der beiden Kläger hielt eine Beteiligung von 1,04 % am Kapital der B-AG. Mit Vertrag vom 5. Dezember 2000 übertrug die Mutter der Kläger jeweils die Hälfte des Aktienpakets auf die beiden Kläger (Beteiligung bei den Klägern ab dem 5. Dezember 2000 jeweils 0,52 %). Infolge des veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriffs entschied der BFH, dass die Beteiligungsgrenze des § 17 EStG in keinem Veranlagungszeitraum überschritten war.
In diesem Zusammenhang führte der BFH aus, dass die Übertragung der Anteile auf die Kläger am 5. Dezember 2000 zwar erst im Anschluss an die Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 erfolgt sei, dass dies aber unschädlich sei, weil das Vertrauen der Kläger auf die bis dahin geltende Rechtslage weiterhin schutzwürdig gewesen sei. Andernfalls würde sich die Rechtsänderung durch das StSenkG faktisch bereits vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung auswirken (Rz. 32 bei juris).
Der Senat hat erwogen, ob diese Aussage bedeuten könnte, dass auch in Fällen, in denen die Steuerpflicht - wie im vorliegenden Fall - bei Anwendung des veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriffs eindeutig zu bejahen ist, die Wertsteigerungen bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderung von der Besteuerung ausgenommen werden müssen. Indes versteht der Senat den BFH so, dass die Aussage in Rz. 32 nur verdeutlichen sollte, dass der veranlagungszeitraumbezogene Beteiligungsbegriff auch dann anzuwenden ist, wenn eine steuervermeidende Transaktion erst nach der Verkündung des Steueränderungsgesetzes stattgefunden hat. Dies ist auch einsichtig, weil unter Anwendung eines veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriffs eine im Jahr 2000 vorgenommene Reduzierung der Beteiligungshöhe auf 0,52 % nicht steuerschädlich sein kann, wenn die Beteiligungsgrenze erst ab dem 1. Januar 2002 auf mindestens 1 % sinkt. Dies muss auch dann gelten, wenn im Zeitpunkt der steuervermeidenden Transaktion bereits bekannt ist, dass ab dem 1. Januar 2002 die Beteiligungsgrenze auf mindestens 1 % sinkt.
Für die hier vorliegende Fallgruppe ergibt sich daraus aber nicht, dass das Vertrauen der Steuerpflichtigen in die Steuerfreiheit künftiger Veräußerungen auch noch nach der Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 schützenswert ist. Während sich der BFH in seinen Urteilen vom 12. März 2024 a.a.O. mit der Reichweite des veranlagungszeitraumbezogenen Beteiligungsbegriffs auseinandergesetzt hat, steht vorliegend eine verfassungskonforme Einschränkung des Berechnungsschemas für den Veräußerungsgewinn gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG im Streit. Diese beiden Fragestellungen unterscheiden sich voneinander. Deshalb kann aus Rz. 32 der beiden Urteile vom 12. März 2024 kein Vertrauensschutz bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes hergeleitet werden.
c) Die neuere Kommentarliteratur ist - insbesondere nach der erfolglosen Verfassungsbeschwerde (Nichtannahmebeschluss vom 6. Januar 2023, 2 BvR 364/13, NJW 2023, 1715) - der Auffassung, dass die Wertsteigerungen nur bis zur Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 von der Besteuerung auszunehmen sind (Levedag in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 43. Auflage (2024), § 17 EStG, Rz. 72; ausführlich: Oellerich in Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, 439. Aktualisierung, September 2021, § 17 EStG, Rz. 116; auch: Karrenbrock in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Ergänzungslieferung September 2023, § 17 EStG, Rz. 194 und 195 (Tabelle); Gosch/Oertel in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 17. Auflage (2018), § 17 EStG, Rz. 34a unter (5); Stahlbold in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, Lieferung 323, Januar 2024, § 17 EStG Anmerkung 81 unter "Anwendung auch für die Absenkung von 10 % auf 1 %"; allgemeiner: Trossen in Kirchhof/Kulosa/Ratschow, Einkommensteuergesetz, Band 2, § 17 EStG, Rz. 171). Diese Auffassung wird im Wesentlichen damit begründet, dass mit dem Tag der Verkündung das geschützte Vertrauen zerstört worden sei. Die Steuerpflichtigen hätten ab dem 26. Oktober 2000 gewusst, dass die Veräußerungsgewinne ab einer Mindestbeteiligung von 1 % zukünftig steuerpflichtig sein würden. Aus dem Tenor des Beschlusses des BVerfG gehe eindeutig hervor, dass der maßgebliche Zeitpunkt der Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes sei.
d) Dagegen wendet die Mehrheit der älteren Aufsatzliteratur ein, dass es dem allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip widerspreche, wenn einerseits Steuerpflichtige bei einem Verkauf der Beteiligung vor dem 1. Januar 2002 die Wertsteigerungen bis zum 31. Dezember 2001 steuerfrei vereinnahmen könnten, während Steuerpflichtige, die ihre Beteiligung erst ab dem 1. Januar 2002 veräußern würden, nicht nur die Wertsteigerungen ab dem 1. Januar 2002, sondern auch die Wertsteigerungen ab dem 26. Oktober 2000 versteuern müssten. Für eine solche Ungleichbehandlung gebe es keine Rechtfertigung (Birk, FR 2011, 1 (7); Musil/Lammers, BB 2011, 155 (159 f.); Förster, DB 2011, 259 (264); Milatz/Herbst, GmbHR 2011, 574 (578); Söffing, BB 2011, 917 (919); Schmidt/Renger, DStR 2011, 693 (696); Söffing/ Bron, DB 2012, 1585 (1591); Renger, BB 2013, 484 (485) [BFH 24.10.2012 - IX R 36/11]; Thomer/Schulz, BB 2013, 604 (607 f.).
e) Andere Autoren sind dagegen der Auffassung, dass wegen des zerstörten Vertrauens ab dem 26. Oktober 2000 nur die Wertzuwächse bis zur Verkündung des StSenkG steuerfrei zu stellen seien (Gragert, StuB 2011, 43 (46); Gelsheimer/Meyen, DStR 2011, 193 (197 f.); Wagner, NWB 2011, 881 (891); Dornheim, DStR 2012, 61 (63); Schöneborn, StBp 2012, 133 (134); Gragert, NWB 2012, 474 (477); unentschieden: Schwedhelm/Olbing/Binnewies, GmbHR 2010, 1233 (1240); Kamps, Stbg 2012, 551).
f) Unter Berücksichtigung der gegenläufigen Argumente ist der erkennende Senat der Auffassung, dass es keiner Einschränkung des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG aus verfassungsrechtlichen Gründen dahingehend bedarf, dass bei einer Beteiligung zwischen 10 % und 1 % an dem Kapital der Gesellschaft und einer Veräußerung der Beteiligung nach dem 31. Dezember 2001 alle Wertzuwächse bis zum 31. Dezember 2001 aus der Ermittlung des Veräußerungsgewinns ausgenommen werden.
aa) Die von den Klägerinnen geforderte Auslegung ist nicht aufgrund der Grundsätze des verfassungskonformen Vertrauensschutzes geboten.
aaa) Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 7. Juli 2010 a.a.O. ausgeführt, dass die Absenkung der Beteiligungsgrenze von mehr als 25 % auf mindestens 10 % durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eine "unechte Rückwirkung" darstelle, soweit sie sich tatbestandlich auf Beteiligungsverhältnisse bezieht, die bereits vor der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 bestanden haben (Rz 50 bei juris). Eine solche "tatbestandliche Rückanknüpfung" ist verfassungsrechtlich nicht grundsätzlich unzulässig. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht nicht so weit, das der Staatsbürger vor jeder Enttäuschung bewahrt wird. Die bloß allgemeine Erwartung, dass das geltende Recht zukünftig unverändert fortbestehen wird, genießt keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (Rz 46 bei juris). Allerdings muss der Gesetzgeber auch in Fällen der "unechten Rückwirkung" im Rahmen einer Abwägung dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maße Rechnung tragen (Rz. 47 bei juris). Dabei unterscheidet das BVerfG wie folgt:
Soweit aufgrund der geänderten Beteiligungsgrenze Wertsteigerungen steuererheblich werden, die erst nach der Verkündung des Gesetzes eintreten, begegnet die darin liegende gesetzgeberische Wertentscheidung zur Höhe der steuerpflichtigen Beteiligungsgrenze im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG unter den Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch darauf, dass der Gesetzgeber seine Bewertung der Sachlage für alle Zeiten unverändert lässt. Die Erwartung, dass ein etwaiger Veräußerungsgewinn steuerfrei vereinnahmt werden kann, geht nicht über die allgemeine Erwartung hinaus, dass das geltende Recht unverändert bleiben wird. Es fehlt ein besonderes Moment der Schutzbedürftigkeit, das den Gesetzgeber verpflichten könnte, auf die Erwartungen des Steuerpflichtigen Rücksicht zu nehmen. Die Enttäuschung der Hoffnung, dass auch zukünftig Vermögenszuwächse steuerfrei vereinnahmt werden können, stellt noch keine Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte dar (Rz. 51 f. bei juris).
Werden dagegen durch die Absenkung der Beteiligungsgrenze Wertzuwächse steuerlich erfasst, die bis zur Verkündung des steuerverschärfenden Gesetztes bereits entstanden sind und die entweder - bei einer Veräußerung zwischen der rückwirkenden Inkraftsetzung der Vorschrift und der Verkündung des Gesetzes - nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden wären oder - bei einer Veräußerung nach der Verkündung des Gesetzes - sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage steuerfrei hätten realisiert werden können, liegt ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes vor. Wertzuwächse von Beteiligungen, die die aktuelle Beteiligungsgrenzen für den Besteuerungszugriff nicht überschreiten, verfestigen sich zu einem konkret vorhandenen Vermögensbestand im grundrechtlichen Verfügungsbereich, der durch die rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze nachträglich entwertet wird (Rz. 53 ff. bei juris).
bbb) Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze können uneingeschränkt auf die hier zu beantwortende Frage übertragen werden, ob bei einer Beteiligung zwischen 1 % und 10 % an dem Kapital der Gesellschaft und bei einer Veräußerung der Beteiligung nach dem 31. Dezember 2001 nur die Wertzuwächse bis zur Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 oder die Wertzuwächse bis zum Inkrafttreten des StSenkG am 1. Januar 2002 steuerlich außer Betracht bleiben müssen. Nach den vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen sind allenfalls die Wertzuwächse bis zur Verkündung des StSenkG zu einem konkreten Vermögensbestand verfestigt, der durch die Absenkung der Beteiligungsgrenze auf mindestens 1 % nachträglich entwertet wird. Nach der Verkündung des neuen Gesetzes am 26. Oktober 2000 wird lediglich die Erwartung der Steuerpflichtigen, dass die Wertzuwächse auch zukünftig steuerfrei vereinnahmt werden können, enttäuscht. Die Steuerpflichtigen wussten ab dem 26. Oktober 2000, dass sich das geltende Recht ändern werde und dass die nunmehr erwirtschafteten Wertzuwächse nur noch dann steuerfrei realisiert werden konnten, wenn die Veräußerung vor dem 1. Januar 2002 stattfinden würde. Es fehlt daher das besondere Moment der Schutzbedürftigkeit der Steuerpflichtigen. Die bloße Enttäuschung der Hoffnung, dass auch zukünftig Vermögenszuwächse steuerfrei vereinnahmt werden können, stellt noch keine Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte dar.
bb) Entgegen der Auffassung der Klägerinnen liegt auch kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG vor.
aaa) Zwar hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 7. Juli 2010 a.a.O. eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung angenommen, wenn Steuerpflichtige, die bis zum Zeitpunkt der Absenkung der Beteiligungsgrenze die Beteiligung veräußern, die Wertzuwächse steuerfrei vereinnahmen können, während Steuerpflichtige, die die Beteiligung nach dem Zeitpunkt der Absenkung der Beteiligungsgrenze veräußern, nicht nur die Wertzuwächse ab dem Zeitpunkt der Absenkung der Beteiligungsgrenze, sondern auch die schon vorher entstandene Wertzuwächse ab dem Zeitpunkt der Verkündung des neuen Gesetzes versteuern müssen (Rz. 56 bei juris).
Dabei verkennt das BVerfG nicht, dass die Leistungsfähigkeit einkommensteuerrechtlich in Abschnitten (nach Veranlagungszeiträumen) bemessen wird. Es betont aber, dass der besteuerungsrelevante Wertzuwachs nicht erst im Zeitpunkt der Realisation entsteht, sondern dass ein über den vorangegangenen Zeitraum akkumulierter Zuwachs an Leistungsfähigkeit nachholend der Besteuerung unterworfen wird. Deshalb kommt es auf die formale Zuordnung des Veräußerungsgewinns zu einem bestimmten Veranlagungszeitraum nicht an. Maßgeblich ist, dass sich die höhere Leistungsfähigkeit materiell auf den gesamten Zeitraum zwischen der Anschaffung in der Veräußerung der Beteiligung bezieht (Rz. 57 bei juris).
In dem Beschluss vom 7. Juli 2010 a.a.O. erkannte das BVerfG - für die damalige Konstellation der rückwirkenden Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 mit Wirkung ab dem 1. Januar 1999 - keine hinreichend gewichtigen Gründe für die Ungleichbehandlung an. Weder das Ziel der Verbreiterung der Besteuerungsgrundlage (Rz. 59 bei juris) noch die Notwendigkeit der Gegenfinanzierung von Steuererleichterungen (Rz. 60 bei juris) noch der Aspekt der Missbrauchsbekämpfung (Rz. 61 bei juris) noch das Bedürfnis, Besteuerungslücken zu schließen (Rz. 62 bei juris) noch die Streitanfälligkeit einer stichtagsbezogenen Wertfeststellung (Rz. 63 bei juris) rechtfertigten nach Ansicht des BVerfG die rückwirkende Erfassung der Wertzuwächse.
bbb) Indes stellt sich die Sachlage im vorliegenden Fall gänzlich anders dar. Die Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 erfolgte nicht rückwirkend für einen bereits vergangenen Zeitpunkt, sondern für die Zukunft, weil das StSenkG erst am 1. Januar 2002 in Kraft trat.
Die Steuerpflichtigen wussten seit dem 26. Oktober 2000, dass Beteiligungen in Höhe von mindestens 1 % ab dem 1. Januar 2002 in die Steuerpflicht hineinwachsen würden. Sie hatten die Möglichkeit, sich auf diese Besteuerung einzustellen. Insbesondere konnten sie die Beteiligung vor dem 1. Januar 2002 steuerfrei verkaufen. Sie konnten auch steuervermeidende Transaktionen vor dem 1. Januar 2002 vornehmen (vgl. BFH-Urteile vom 12. März 2024 IX R 8/23 (IX R 37/15), BFH/NV 2024, 755 und IX [BFH 05.09.2023 - VIII R 2/20] R 9/23 (X R 38/15), BFH/NV 2024, 836 [BFH 29.02.2024 - VI R 2/22]: unentgeltliche Übertragung von Teilen der Beteiligung auf mehrere Dritte). Wenn sich Steuerpflichtige bei dieser Sachlage dazu entschlossen, die bislang entstandenen Wertzuwächse nicht steuerfrei zu realisieren und auch nicht die Beteiligungshöhe an die neuen gesetzlichen Vorgaben anzupassen, dann geschah dies in dem Bewusstsein, dass zukünftige Veräußerungen der Beteiligungen zu einer Steuerpflicht führen würden.
Diese Handlungsfreiheit ist für die verfassungsrechtliche Würdigung von Bedeutung. Es besteht ein verfassungsrechtlich relevanter Unterschied, ob die Besteuerung aufgrund einer legislativen, vom Steuerpflichtigen nicht mehr beeinflussbaren Maßnahme des Gesetzgebers ausgelöst wird oder ob das Handeln oder Nichthandeln des Steuerpflichtigen in Ausübung seiner Dispositionsfreiheit die Ursache für die Besteuerung ist (so auch BFH-Urteil vom 5. April 2022 IX R 19/20, BFHE 276, 343, BStBl II 2023, 18, Rz. 30 bei juris, Verfassungsbeschwerde eingelegt, Az des BVerfG: 2 BvR 1427/22). Der Gesetzgeber hat den Steuerpflichtigen, die eine Beteiligung zwischen 10 % und 1 % innehatten, die Wahl gelassen, ob sie die Wertzuwächse vor dem 1. Januar 2002 realisieren oder die zukünftige Besteuerung in Kauf nehmen wollten. Das "Hineinwachsen in die Steuerrelevanz" ist damit letztlich der Sphäre des Steuerpflichtigen und nicht dem Gesetzgeber zuzurechnen (so auch BFH-Urteil vom 5. April 2022 IX R 19/20, a.a.O., Rz. 30 bei juris).
So hätte auch Frau I die Möglichkeit gehabt, ihre Beteiligung in Höhe von über 1 % an der B-AG vor dem 1. Januar 2002 zu realisieren. Sie hätte dann aber in Kauf nehmen müssen, dass der Kurswert der Aktie erheblich niedriger gewesen wäre, als zu dem Zeitpunkt des Kaufangebots des Y-Konzerns im Herbst des Jahres 2002. Im Zeitpunkt der Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 betrug der Kurswert der Aktie nach den Ermittlungen des Finanzamts 1.329 %, was für den Aktienbestand von Frau I mit einem Nennwert von 120.000 € einen gemeinen Wert von 1.594.800 € bedeutete. Dagegen erhielt Frau I durch den Verkauf der Aktien an den Y-Konzern 6.600.000 € (Kurswert 5.500 %). Vor diesem Hintergrund gab es nachvollziehbare wirtschaftliche Gründe für Frau I, die Wertzuwächse der Aktien nicht vor dem 1. Januar 2002 zu realisieren. Frau I "erkaufte" sich aber die Erwartung auf einen höheren Gewinn mit dem Hineinwachsen in die Steuerpflicht. Hierbei handelte es sich aber um eine autonome Entscheidung der Steuerpflichtigen.
Nach Auffassung des Senats stellt die den Steuerpflichtigen eingeräumte Dispositionsbefugnis eine hinreichende Rechtfertigung dafür dar, dass die Wertzuwächse ab der Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 der Besteuerung unterworfen werden. Infolge der vorhandenen Kenntnis der Steuerpflichtigen von der zukünftigen Steuerpflicht stand es den Steuerpflichtigen mit Beteiligungen zwischen 10 % und 1 % am Kapital der Gesellschaft ab dem 26. Oktober 2000 frei, entweder die Beteiligungen vor dem 1. Januar 2002 steuerfrei zu veräußern oder zuzuwarten und auf höhere Veräußerungsgewinne in der Zukunft zu hoffen. Die ungleiche steuerliche Behandlung einer Veräußerung vor dem 1. Januar 2002 und einer Veräußerung nach dem 31. Dezember 2001 ist durch den Umstand gerechtfertigt, dass den Steuerpflichtigen die Möglichkeit offenstand, die Chance der steuerfreien Realisierung vor dem 1. Januar 2002 zu ergreifen. Wenn von dieser Möglichkeit abgesehen wurde, geschah dies im Wissen um die dann einsetzende Steuerpflicht.
Vor diesem Hintergrund hält es der Senat nicht einmal für zwingend, dass die Wertzuwächse bis zum 26. Oktober 2000 aus verfassungsrechtlichen Gründen steuerfrei zu belassen sind. Da der Beklagte diese Wertzuwächse im vorliegenden Fall nicht der Besteuerung unterworfen hat und das Gericht an einer verbösernden Entscheidung wegen des finanzgerichtlichen Verböserungsverbots gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) gehindert ist, bedarf es hierzu zwar keiner eingehenderen Erläuterungen. Es sei aber angemerkt, dass es dem Gesetzgeber nach Ansicht des Senats unbenommen bleibt, bisher nicht erschlossene Besteuerungsgegenstände für die Zukunft einer Steuerpflicht zu unterwerfen. Der verfassungsrechtlich garantierte Vertrauensschutz und der Gleichheitsgrundsatz können nicht tangiert sein, wenn der Gesetzgeber ein Gesetz verkündet, das erst in der Zukunft (im vorliegenden Fall erst 14 Monate später) bisher steuerfreie Wertsteigerungen im Falle einer Veräußerung als steuerpflichtig behandelt. Wegen der vom Gesetzgeber eingeräumten Reaktionsmöglichkeiten für die betroffenen Steuerpflichtigen erscheint diese Vorgehensweise verfassungsrechtlich unproblematisch. Dies gilt auch für Wertsteigerungen, die bei einer Veräußerung in früheren Veranlagungszeiträumen steuerfrei geblieben wären.
cc) Gestützt wird diese Auffassung durch die Entscheidung des BVerfG vom 10. April 2018 (1 BvR 1236/11, BStBl II 2018, 303) zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuerpflicht für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Mitunternehmerschaft gemäß § 7 Satz 2 GewStG. Zugrunde lag die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils, die durch schuldrechtlichen Vertrag vom 5. August 2001 vereinbart und am 1. Februar 2002 dinglich vollzogen wurde. Der Gewinn aus dieser Veräußerung war nach der Gesetzeslage bis zum 31. Dezember 2001 nicht steuerbar. Ab dem 1. Januar 2002 wurde der diesbezügliche Gewinn durch die Neufassung des § 7 Satz 2 GewStG gewerbesteuerpflichtig. Dieses Gesetz wurde am 10. September 2001 in den Bundestag eingebracht, am 14. Dezember 2001 verabschiedet und am 24. Dezember 2001 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Da der am 5. August 2001 abgeschlossene schuldrechtliche Vertrag im Vertrauen auf die damalige Rechtslage, die keine Gewerbesteuerpflicht vorsah, zustande gekommen war, wurde ein Verstoß gegen die Grundsätze des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes eingewandt.
Der BFH hatte mit Urteil vom 22. Juli 2010 (IV R 29/07, BFHE 230, 215, BStBl II 2011, 511) entschieden, dass § 7 Satz 2 GewStG weder gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoße, noch ein überwiegendes Gewicht des Vertrauensschutzinteresses der Steuerpflichtigen bestehe, obwohl die Vorgängerregelung seit Jahrzehnten Bestand hatte.
Infolge des Ergehens des BVerfG-Beschlusses vom 7. Juli 2010 a.a.O. zur Absenkung der Beteiligungsgrenze gemäß § 17 EStG von mehr als 25 % auf mindestens 10 % mutmaßte die Literatur, dass diese Auffassung des BFH verfassungsrechtlich nicht haltbar sei. Die bis zur Verkündung des Gesetzes am 24. Dezember 2001 entstandenen Wertsteigerungen müssten steuerfrei gestellt werden. Es dürften nur die Wertzuwächse zwischen dem 24. Dezember 2001 (Verkündung des Gesetzes) und dem 1. Februar 2002 (Vollzug des Veräußerungsgeschäfts) besteuert werden (Birk, FR 2011, 1 (5 f.); Schmidt/Renger, DStR 2011, 693 (697 f.)).
Das angerufene BVerfG sah in seinem Beschluss vom 10. April 2018 a.a.O. in der Neufassung des § 7 Satz 2 GewStG weder einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit noch einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgrundsätze. Vielmehr war das BVerfG der Meinung, dass das Vertrauen in die alte Regelung bereits mit der Zuleitung der Gesetzesvorlage an den Bundesrat zerstört worden sei. Ausdrücklich betonte das BVerfG, dass die Steuerpflichtigen ab der Veröffentlichung des Gesetzesvorhabens die Möglichkeit gehabt hätten, sich in ihrem Verhalten auf die Gesetzesänderung einzustellen. Es sei den Steuerpflichtigen zumutbar, bei in die Zukunft wirkenden Dispositionen darauf Bedacht zu nehmen (Rz. 150 ff. bei juris).
Es mag sein, dass der Beschluss des BVerfG vom 10. April 2018 a.a.O. in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem Beschluss des BVerfG vom 7. Juli 2010 a.a.O. steht, weil nach der neueren Entscheidung des BVerfG sogar die Wertzuwächse, die vor dem vertrauenszerstörenden Zeitpunkt entstanden sind, der Besteuerung unterworfen werden dürfen. Das kann im vorliegenden Fall aber offenbleiben, weil das Finanzamt die Wertzuwächse bis zum 26. Oktober 2006 - dem Zeitpunkt der Verkündung des StSenkG - sowieso nicht der Besteuerung unterworfen hat. Von Bedeutung für den vorliegenden Fall ist aber die Begründung des BVerfG, dass in denjenigen Fällen, in denen der Steuerpflichtige die Möglichkeit hat, auf das bevorstehende Inkrafttreten eines Gesetzes zu reagieren, keine verfassungsrechtliche Pflicht besteht, etwaige Wertzuwächse aus der Besteuerung auszunehmen, wenn sich der Steuerpflichtige in Kenntnis der bevorstehenden Steuerpflicht gegen eine Realisierung der Wertzuwächse in dem Zeitraum der noch bestehenden Steuerfreiheit entscheidet. Der Senat hält dies für den entscheidenden Punkt. Das BVerfG sieht keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, Wertzuwächse, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes entstehen, von der Besteuerung freizustellen, wenn der Steuerpflichtige auf die neue Rechtslage reagieren kann.
dd) Auch in der nachfolgenden Rechtsprechung hat das BVerfG auf den Umstand abgestellt, dass der Steuerpflichtige ab dem Zeitpunkt einer möglichen Kenntnisnahme einer geplanten Gesetzesänderung weniger schutzwürdig ist, weil er sich auf eine Änderung der Rechtslage für die Zukunft einstellen kann (BVerfG vom 25. März 2021 - 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177, NJW 2021, 2424, Rz. 63 ff. bei juris, zur teilweisen Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Beschränkung der sofortigen Absetzbarkeit von Vorauszahlungen auf Erbbauzinsen gemäß § 11 Abs. 2 EStG). Auch diese Entscheidung bestärkt den Senat in der Annahme, dass jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 das "Moment der besonderen Schutzbedürftigkeit" entfallen ist. Die Wertzuwächse in dem Zeitraum zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem 31. Dezember 2001 stellen wegen des Wissens um die zukünftige Besteuerung keine schon verfestigten Erwartungen auf nicht mehr entziehbare Vermögenspositionen dar.
ee) Hierfür spricht auch das Urteil des BFH vom 24. Februar 2022 (III R 9/20, BFHE 276, 107, BStBl II 2023, 75, Verfassungsbeschwerde eingelegt, Az des BVerfG: 2 BvR 1202/22). Dem Urteil lag folgender Fall zugrunde: Der Steuerpflichtige hatte eine atypische stille Unterbeteiligung an einem Kommanditanteil im Jahr 1998 mit einer zweijährigen Frist gekündigt. Zwischen der Kündigung und dem Eintritt der Kündigungsfolgen im Jahr 2000 ersetzte der Gesetzgeber die für den Steuerpflichtigen günstige Regelung der Besteuerung gewerblicher Veräußerungsgewinne mit dem halben Steuersatz ab dem 1. Januar 1999 durch die sogenannte Fünftel-Regelung. Dem Begehren des Steuerpflichtigen, aus Vertrauensschutzgründen noch den halben Steuersatz zu erhalten, trat der BFH mit der Bemerkung entgegen, dass es keinen allgemeinen Vertrauensschutz vor zukünftigen steuerrechtlichen Änderungen in Bezug auf noch nicht realisierte und nicht verfestigte Wertsteigerungen im Bereich der gewerblichen Einkünfte gebe (Rz. 35). Wenn bereits in Fällen, in denen der Steuerpflichtige im Zeitpunkt seiner Disposition (also im Zeitpunkt der Kündigung der Unterbeteiligung) von der Gesetzesänderung noch gar keine Kenntnis hatte, kein Vertrauensschutz gewährt wird, muss dies erst Recht gelten, wenn dem Steuerpflichtigen - wie im vorliegenden Fall - bekannt war, dass die in dem Zeitraum zwischen dem 26. Oktober 2000 und dem 31. Dezember 2001 entstehenden Wertzuwächse zukünftig in die Besteuerung hineinwachsen werden.
3. Der Beklagte hat den gemeinen Wert der sogenannten "großen Aktie" der B-AG mit einem Nennwert von 5.000 € zum maßgeblichen Zeitpunkt am 26. Oktober 2000 zutreffend mit 130.000 DM = 66.468 € angesetzt (Kurswert 1.329%).
a) Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Bewertungsgesetz (BewG) in der Fassung vom 29. Oktober 1997 (in der für das Streitjahr 2002 maßgeblichen Fassung) werden Wertpapiere, die am Stichtag an einer deutschen Börse zum amtlichen Handel zugelassen sind, mit dem niedrigsten am Stichtag für sie im amtlichen Handel notierten Kurs angesetzt. Liegt am Stichtag keine Notierung vor, so ist der letzte innerhalb von 30 Tagen vor dem Stichtag im amtlichen Handel notierte Kurs maßgeblich (§ 11 Abs. 1 Satz 2 BewG).
Die Aktien der B-AG wurden nicht an der Börse gehandelt. Dies ergibt sich aus dem Telefonvermerk des Finanzamts O vom xx. März 2011 mit dem zuständigen Mitarbeiter der Sparkasse (Herrn E). Herr E gab an, dass es sich um vinkulierte Namensaktien gehandelt habe, die nur sporadisch über Kreditinstitute verkauft worden seien. Diese Angabe stimmt mit den Informationen überein, die das Gericht bei der Bearbeitung anderer Verfahren wegen des Verkaufs der Aktien der B-AG an den Y-Konzern erhalten hat. Auch die Klägerseite hat nicht behauptet, dass es einen Börsenhandel gab. Deshalb scheidet eine Bewertung der Aktien gemäß § 11 Abs. 1 BewG anhand des im amtlichen Handel notierten Kurses aus.
b) Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht unter § 11 Abs. 1 BewG fallen, mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Der gemeine Wert wird in § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG dahingehend definiert, dass er durch den Preis bestimmt wird, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 BewG), nicht jedoch ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BewG), zu denen auch Verfügungsbeschränkungen gehören, die in der Person des Steuerpflichtigen oder eines Rechtsvorgängers begründet sind (§ 9 Abs. 3 BewG) (vgl. auch BFH-Urteil vom 16. November 2022 X R 17/20, BFHE 279, 44, BStBl II 2023, 484, Rz. 65 bei juris).
In § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG (in der für das Streitjahr 2002 gültigen Fassung) werden zwei Methoden zur Ermittlung des gemeinen Werts vorgegeben: Vorrangig muss der gemeine Wert aus Verkäufen abgeleitet werden, die weniger als ein Jahr zurückliegen. Ist dies nicht möglich, ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen. Im vorliegenden Fall kann der gemeine Wert aus Verkäufen abgeleitet werden, die weniger als ein Jahr zurückliegen.
aa) Dabei ist zunächst auf die Aufstellung über die Anteilsverkäufe aus dem Jahr 2000 abzustellen. Nicht angesetzt werden darf dabei der Verkauf vom 21. November 2000, der zeitlich nach dem Bewertungsstichtag am 26. Oktober 2000 liegt, weil nicht erkennbar ist, dass die Einigung über den Kaufpreis schon am Bewertungsstichtag herbeigeführt worden ist (BFH-Urteil vom 2. November 1988 II R 52/85, BFHE 155, 121, BStBl II 1989, 80, Rz. 15 bei juris). Auch der Verkauf ohne Angabe des Verkaufsdatums darf nicht berücksichtigt werden, weil nicht bekannt ist, ob sich der Verkauf in Zeitnähe zu dem Bewertungsstichtag zugetragen hat. Danach ergibt sich folgendes Bild:
Datum | Anteile Nennwert in € | Kaufpreis in € | Kurs in % |
---|---|---|---|
15.02.2000 | 2.500 | 33.250 | 1.330 |
15.03.2000 | 2.500 | 33.250 | 1.330 |
26.05.2000 | 5.000 | 62.500 | 1.250 |
26.05.2000 | 5.000 | 62.500 | 1.250 |
26.05.2000 | 4 x 2.500 | 125.000 | 1.250 |
30.05.2000 | 5.000 | 62.500 | 1.250 |
24.07.2000 | 2.500 | 32.500 | 1.300 |
15.08.2000 | 2 x 5.000 | 125.000 | 1.250 |
22.08.2000 | 3 x 2.500 | 94.125 | 1.255 |
17.10.2000 | 3 x 5.000 | 195.000 | 1.300 |
17.10.2000 | 4 x 2.500 | 130.000 | 1.300 |
21.11.2000 | |||
Datum fehlt | |||
Durchschnittlicher Kurswert | 75.000 | 955.625 | 1.274 |
bb) Diese Wertermittlung wird durch die Auskunft der Sparkasse xx vom xx. November 2010 ergänzt. In diesem Schreiben führte die Sparkasse aus, dass der gewichtete Durchschnittskurs der über die frühere Sparkasse xx gehandelten vinkulierten Namensaktien der B-AG im Zeitraum vom 23. Oktober 1999 bis zum 23. Oktober 2000 bei 1.260,75 % lag und dass der Wert der "großen Aktie" im Nennwert von 5.000 € einen Betrag in Höhe von 63.037,50 € umfasste. Der Betrachtungszeitraum betrug ziemlich genau ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag. Allerdings umfasste die Ermittlung nur 5 Verkäufe.
cc) Auch das Schreiben der beiden Vorstandsmitglieder der B-AG, Herrn K und Herrn H, vom xx. Dezember 2000 kann für die Wertfindung verwendet werden. Danach betrugen die Kaufpreise für die B-Aktien für die letzten 12 Monate - also vom 22. Dezember 1999 bis zum 22. Dezember 2000 - zwischen 125.000 DM (63.911,48 €) und 130.000 DM (66.467,94 €).
dd) Indem der Beklagte zu Gunsten der Klägerinnen den höchsten der ermittelten Werte als gemeinen Wert für die verkauften B-Aktien ansetzte (66.468 € für eine Aktie zum Nennwert von 5.000 €, entspricht einem Kurswert von 1.329 %), hat er eine auf Tatsachen basierte - sehr konservative - Schätzung vorgenommen. Zwar hält das Gericht die Wertermittlung anhand der bekannten Verkäufe in dem Jahreszeitraum vor der Veräußerung für überzeugender (Kurswert nur 1.274 %). Doch ist es dem Gericht verwehrt, den niedrigeren Kurswert anzusetzen. Dies würde zu einem geringeren gemeinen Wert auf den 26. Oktober 2000 und zu einem höheren Veräußerungsgewinn führen. Das Gericht darf aufgrund des finanzgerichtlichen Verböserungsverbots aber keine höhere Steuer festsetzen.
ee) Soweit die damalige steuerliche Beraterin im Einspruchsverfahren eingewandt hat, dass die vorhandenen Nachweise für den Kurswert am 26. Oktober 2000 keine "klaren und nachweisbaren Anhaltspunkte" im Sinne des BMF-Schreibens vom 20. Dezember 2010 (BStBl I 2011, 16, Anmerkung C. II. 1. c.) seien und dass deshalb die Vereinfachungsregelung der Finanzverwaltung anzuwenden sei, folgt der Senat nicht. Die Vereinfachungsregelung der Finanzverwaltung entspricht - jedenfalls für den vorliegenden Fall - nicht den gesetzlichen Bewertungsvorgaben in § 11 Abs. 2 BewG und § 9 Abs. 2 BewG. Die Finanzverwaltung ist auch nicht aus Gründen der "Selbstbindung der Verwaltung" verpflichtet, eine nicht gesetzeskonforme Wertermittlung vorzunehmen, weil sie aus "Vereinfachungsgründen" in einer Verwaltungsvorschrift angeordnet wird. Hinzu kommt, dass die BMF-Schreiben ein Abweichen von der Vereinfachungsregel ausdrücklich zulassen, wenn die zeitanteilig lineare Aufteilung der Wertzuwächse - wie hier - zu offensichtlichen Widersprüchen zu der tatsächlichen Wertfindung führt (BMF-Schreiben vom 20. Dezember 2010, BStBl I 2011, 16, Anmerkung C. II. 1. c.; BMF-Schreiben vom 21. Dezember 2011, BStBl I 2012, 42, Anmerkung A. I. 1. c.).
ff) Die Finanzverwaltung hat sämtliche verfügbaren Daten über die Verkäufe innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag gesammelt und ausgewertet. Damit hat sie die vorrangige Bewertungsvorschrift in § 11 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BewG angewandt (vgl. auch Niedersächsisches Finanzgericht vom 17. April 2024, 3 K 81/22, EFG 2024, 1399; Rz. 32 bei juris, mit Nachweisen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung). Die Wertermittlungsmethode des Beklagten geht der von den Klägerinnen geforderten Unternehmensbewertung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 BewG vor.
gg) Soweit die Klägerinnen meinen, dass sich aus der Unternehmensgeschichte ergebe, dass der Unternehmenswert der B-AG bereits vor dem Angebot des Y-Konzerns höher gewesen sein müsse, als von dem Beklagten angenommen, sprechen die konkret ermittelten Verkaufsergebnisse bis zum 26. Oktober 2000 gegen diese Behauptung.
hh) Soweit die Klägerinnen einwenden, dass nicht nachgewiesen worden sei, dass die von dem Beklagten ausgewerteten Verkäufe im gewöhnlichen Geschäftsverkehr stattgefunden hätten, ist der Vortrag ohne Substanz geblieben. Die Klägerinnen vermissen Nachweise dazu, ob Beteiligungen in einer ähnlichen Größenordnung verkauft worden seien, ob Verkäufe zwischen Angehörigen stattgefunden hätten und ob die verkauften Aktien mit den gleichen Rechten wie die Aktien der I ausgestattet gewesen seien. Dabei handelt es sich lediglich um eine Aufzählung abstrakt möglicher Einflüsse auf die Höhe des Verkaufspreises. Konkrete Anhaltspunkte, dass die zugrunde gelegten Verkaufspreise nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr entstanden sind, haben die Klägerinnen nicht vorgetragen.
Da sämtliche bekannten Verkäufe der B-Aktien im Jahr vor dem Bewertungsstichtag in die Wertermittlung eingeflossen sind, besteht eine Vermutung dafür, dass die Veräußerungen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr stattgefunden haben. Im Klageverfahren hat der Beklagte eine Excel-Tabelle vorgelegt (Blatt 148 Gerichtsakte), aus der sich nicht nur die Beteiligungshöhen der erfassten Verkäufe, sondern auch die Klarnamen der Veräußerer und Erwerber ergeben. Anhaltspunkte dafür, dass es sich um Verkäufe zwischen Angehörigen gehandelt haben könnte, sind aus den Namen der Veräußerer und Erwerber nicht ableitbar. Die Verkaufsvorgänge bezogen sich auf einzelne Aktien oder auf eine kleinere Anzahl von Aktien. Es ist nicht erkennbar, dass sich aus der Anzahl der verkauften Aktien oder aus dem Verhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber eine Verzerrung des Kurswertes ergeben hat. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die verkauften Aktien mit anderen Rechten ausgestattet waren, als die Aktien von Frau I. Auch insoweit ist der Vortrag der Klägerinnen vage geblieben. Es fehlt an konkreten Darlegungen, dass Aktien mit anderen Rechten gehandelt worden sind.
ii) Soweit die Klägerinnen auf die Feststellungslast für steuerbegründende Tatsachen hinweisen, ist ihnen grundsätzlich zuzustimmen. Der BFH hat bereits entschieden, dass die Finanzverwaltung für die Wertsteigerungen, die nach der Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstanden sind, die Feststellungslast trägt (BFH-Urteil vom 25. November 2010, IX R 47/10, BFHE 232, 335, BFH/NV 2011, 887, Rz. 10 bei juris). Nichts anderes kann für die Wertsteigerungen gelten, die nach der Verkündung des StSenkG am 26. Oktober 2000 entstanden sind. Indes greifen die Grundsätze über die Feststellungslast erst dann ein, wenn der Wert der Aktien nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen worden ist. Das ist vorliegend aber geschehen. Die von den Klägerinnen aufgezählten Möglichkeiten einer Wertverzerrung in dem vorliegenden Datenmaterial ist lediglich abstrakter Art. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das ausgewertete Datenmaterial keine zutreffenden Werte wiedergibt, haben die Klägerinnen nicht benannt. Die in dem Einspruchsbescheid dargestellte Ermittlung des Veräußerungsgewinns ist daher nach Auffassung des Gerichts nicht zu beanstanden.
III. Die Klage ist auch im Hinblick auf den Hilfsantrag unbegründet.
1. Die Kosten des hiesigen Gerichtsverfahrens in Höhe von 16.829,32 €, die den Klägerinnen und ihren Rechtsvorgängern entstanden sind, sind keine Veräußerungskosten im Zusammenhang mit dem Verkauf der B-Aktien durch Frau I im Jahr 2002.
a) Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ist der Veräußerungsgewinn derjenige Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Nach der früheren Rechtsprechung des BFH waren Veräußerungskosten nur Aufwendungen, die in einem "unmittelbaren sachlichen Zusammenhang" mit der Veräußerung standen (BFH-Urteil vom 27. Oktober 1977 IV R 60/74, BFHE 123, 553, BStBl II 1978, 100, Rz. 15 bei juris; BFH-Urteil vom 26. März 1987 IV R 20/84, BFHE 149. 557, BStBl II 1987, 561, Rz. 32 bei juris; BFH-Urteil vom 1. Dezember 1992 VIII R 43/90, BFH/NV 1993, 520, Rz. 23 bei juris).
b) In der jüngeren Rechtsprechung hat der BFH das Merkmal des "unmittelbaren sachlichen Zusammenhangs" zur Bestimmung der Veräußerungskosten in § 16 Abs. 2 EStG aufgegeben und durch das allgemeine Veranlassungsprinzip ersetzt. Maßgeblich ist nunmehr, ob das "auslösende Moment" für die Aufwendungen bei wertender Betrachtung in dem Veräußerungsvorgang liegt (vgl. BFH-Urteil vom 25. Januar 2000 VIII R 55/97, BFHE 191, 111, BStBl II 2000, 458, Rz. 11 ff. bei juris; BFH-Urteil vom 16. Dezember 2009 IV R 22/08, BFHE 227, 481, BStBl II 2010, 736, Rz. 17; BFH-Urteil vom 27. März 2013 I R 14/12, BFH/NV 2013, 1768, Rz. 15 bei juris). Diese Rechtsprechung ist auf den Begriff der Veräußerungskosten gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG übertragen worden (BFH-Urteil vom 2. April 2008 IX R 73/04, BFH/NV 2008 1658, Rz. 13 bei juris; BFH-Urteil vom 27. März 2013 I R 14/12, BFH/NV 2013, 1768, Rz. 15 bei juris).
c) Das Hessische Finanzgericht hat in seinem Urteil vom 22. Februar 2024 (10 K 1208/23, EFG 2024, 1379, Revision eingelegt, Az. des BFH: IX R 12/24) aus dieser Rechtsprechungsentwicklung den Schluss gezogen, dass auch Steuerberatungskosten, die im Zusammenhang mit der Ermittlung des Veräußerungsgewinns nach § 17 EStG anfallen, als Veräußerungskosten gemäß § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigen sind. Zur Begründung führt das Hessische Finanzgericht aus, dass derartige Steuerberatungskosten allein auf den nach § 17 EStG zu versteuernden Veräußerungsvorgang zurückzuführen sind.
d) Die Klägerinnen berufen sich für ihr Begehren, die Kosten des hiesigen Gerichtsverfahrens als Veräußerungskosten im Sinne von § 17 Abs. 2 EStG abzuziehen, zu Unrecht auf die neuere Rechtsprechungsentwicklung. Die Kosten für das hiesige Gerichtsverfahren stehen bei wertender Beurteilung des auslösenden Moments nicht in einem Veranlassungszusammenhang mit dem Veräußerungsvorgang im Jahr 2002.
aa) Der BFH hat mit seinem Urteil vom 9. Oktober 2013 (IX R 25/12, BFHE 242, 513, BStBl II 2014, 102) zu Aufwendungen für ein zwischenstaatliches Verständigungsverfahren wegen des Gewinns aus der Veräußerung einer GmbH-Beteiligung ausgeführt, dass derartige Rechtsverfolgungskosten nicht als Veräußerungskosten gemäß § 17 Abs. 2 EStG abgezogen werden können. Für die hier im Streit stehenden Kosten schließt sich der erkennende Senat dieser Rechtsprechung an. Der BFH führt zu Recht aus, dass derartige Rechtsverfolgungskosten nicht durch die steuerbare Anteilsveräußerung veranlasst sind. Sie dienen nicht der Durchführung der Veräußerung der Aktien. Nicht die Veräußerung selbst ist das auslösende Moment für die Rechtsverfolgungskosten, sondern der Streit über die Steuerbarkeit der Veräußerung. Die Rechtsverfolgungskosten sind nur mittelbar durch die Veräußerung der Aktien verursacht. Sie entstehen nicht im Zuge der Veräußerung. Es fehlt an einer hinreichenden Beziehung zum Veräußerungsvorgang.
bb) Gegen dieses Ergebnis kann nicht eingewandt werden, dass der IX. Senat des BFH in seinem Urteil vom 9. Oktober 2013 a.a.O. unter Verkennung der neueren Rechtsprechungsentwicklung auf den früheren Begriff des "unmittelbaren sachlichen Zusammenhangs" abgestellt hat. Zwar ist nicht bestreitbar, dass der IX. Senat diese Begrifflichkeit in seinen Urteilsgründen erwähnt (Rz. 10 bei juris). Er führt aber auch aus, dass die Aufwendungen durch die Veräußerung "wirtschaftlich veranlasst" sein müssen (ebenfalls Rz. 10 bei juris). Deshalb hat der I. Senat des BFH in zwei weiteren Urteilen vom 12. März 2014 (I R 45/13, BFHE 245, 25, BStBl II 2014, 719, Rz. 13 bei juris) und vom 9. April 2014 (I R 52/12, BFHE 245, 59, BStBl II 2014, 861, Rz. 14 bei juris) die Auffassung vertreten, dass nicht erkennbar sei, dass sich der IX. Senat mit seinem Urteil vom 9. Oktober 2013 a.a.O. von der Rechtsprechungsentwicklung der letzten Jahre habe distanzieren wollen. Vielmehr habe der IX. Senat in seinem Urteil vom 9. Oktober 2013 a.a.O. die BFH-Urteile vom 11. Mai 2010 (IX R 26/09, BFH/NV 2010, 2067, Rz. 33 bei juris) und vom 8. Februar 2011 (IX R 15/10, BStBl II 2011, 684, Rz. 12 bei juris) zitiert, die beide bei der Bestimmung der Veräußerungskosten gemäß § 17 Abs. 2 EStG auf den wirtschaftlichen Veranlassungszusammenhang abgestellt haben. Daraus sei zu schließen, dass der IX. Senat in seinem Urteil vom 9. Oktober 2013 a.a.O. bei seiner Sachverhaltswürdigung zwar das allgemeine Veranlassungsprinzip zugrunde gelegt habe, dass die wertende Beurteilung des konkreten Einzelfalls aber zur Verneinung eines ausreichenden Veranlassungszusammenhangs geführt habe.
cc) Der erkennende Senat geht ebenfalls davon aus, dass der IX. Senat die vorgenommene Würdigung unter wertender Anwendung des Veranlassungsprinzips vorgenommen hat.
aaa) Dies gilt unabhängig davon, dass Rechtsverfolgungskosten grundsätzlich der einkommensteuerlichen Qualifikation des Gegenstands der Rechtsverfolgung folgen. Wegen dieser Annexqualifikation sind Prozesskosten für finanzgerichtliche Verfahren regelmäßig der Erwerbssphäre zuzuordnen, wenn der Gegenstand des Prozesses mit einer Einkunftsart zusammenhängt (BFH-Urteil vom 22. Mai 1987 III R 220/83, BFHE 150, 148, BStBl II 1987, 711, Rz. 11 ff. bei juris; BFH-Beschluss vom 1. August 2005 IV B 45/04, BFH/NV 2005, 2186, Rz. 3 f. bei juris: BFH-Urteil vom 13. April 2010 VIII R 27/08, BFH/NV 2010, 2038, Rz. 12 ff. bei juris; BFH-Urteil vom 18. Oktober 2023 X R 7/20, BFHE 282, 388, BStBl II 2024, 288, Rz. 14 bei juris; Urteil des FG Münster vom 3. Dezember 2019 - 1 K 494/18 E, EFG 2020, 185, Rz. 25 ff. bei juris; Urteil des FG Münster vom 15. Dezember 2023 - 12 K 1090/21 E, EFG 2024, 809, Rz. 40 bei juris).
bbb) Im vorliegenden Fall besteht aber die Besonderheit, dass nicht nur der (allgemeine) Veranlassungszusammenhang mit einer betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit zu prüfen ist. Vielmehr muss nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG ein (spezieller) Veranlassungszusammenhang mit dem Veräußerungsvorgang (an sich) bejaht werden. Nur dann handelt es sich bei den Aufwendungen um "Veräußerungskosten" im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG. Darauf weist der IX. Senat des BFH in seinem Urteil vom 9. Oktober 2013 a.a.O. in Randziffer 11 auch ausdrücklich hin, wenn er ausführt, dass der objektive Zusammenhang mit der Anteilsveräußerung bestehen muss. Die Kosten können deshalb nur dann berücksichtigt werden, wenn es sich um "Kosten der Veräußerung" im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG und nicht um "Kosten zur Vermeidung der Steuerpflicht" handelt.
ccc) Bei wertender Betrachtung können Kosten, die 10 Jahre nach der Veräußerung der B-Aktien (Gerichtskosten und erste Honorarrechnung des Prozessbevollmächtigten im Jahr 2012) bzw. 22 Jahre nach der Veräußerung der B-Aktien (zweite Honorarrechnung des Prozessbevollmächtigten im Jahr 2024) den Rechtsnachfolgern der veräußernden Person entstanden sind, nicht mehr als "Kosten der Veräußerung" der B-Aktien im Jahr 2002 beurteilt werden. Die Aufwendungen stehen in einem Veranlassungszusammenhang zu dem einkommensteuerlichen Streit über die Steuerpflicht, nicht in einem Veranlassungszusammenhang zu dem eigentlichen Veräußerungsvorgang im Jahr 2002.
2. Soweit die Klägerinnen in ihrem Hilfsantrag die Feststellung begehren, dass alle weiter entstehenden Steuerberatungs- und Prozesskosten, die mit dem Veräußerungsgewinn in Veranlassungszusammenhang stehen, als Veräußerungskosten zu berücksichtigen sind, ist der Antrag bereits mangels eines berechtigten Feststellungsinteresses unzulässig (vgl. § 41 Abs. 1 FGO).
a) Eine Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können (§ 41 Abs. 2 Satz 1 FGO). Vorliegend haben die Klägerinnen nicht beachtet, dass eine sich erst in den Folgejahren ergebende Erhöhung der Veräußerungskosten ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt (vgl. nur BFH-Urteil vom 12. März 2014 I R 55/13, BFHE 245, 30, BStBl II 2015, 658, Rz. 16 bei juris). Zukünftige Veränderungen bei dem Veräußerungskosten können dementsprechend über einen Änderungsantrag gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO im Wege des Verpflichtungsbegehrens geltend gemacht werden. Die vorherige Feststellung des Bestehens eines entsprechenden Rechtsverhältnisses ist hierfür nicht erforderlich. Deshalb fehlt es an einem berechtigten Feststellungsinteresse.
b) Selbst wenn von der Zulässigkeit des gestellten Feststellungsantrags ausgegangen werden würde, wäre dieser auf jeden Fall unbegründet. Insoweit wird auf die Ausführungen zu den geltend gemachten Gerichtskosten für das hiesige Verfahren verwiesen. Es ist nicht erkennbar, dass für zukünftige Rechtsverfolgungskosten ein Veranlassungszusammenhang zu dem Veräußerungsvorgang der B-Aktien im Jahr 2002 bejaht werden könnte.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
V. Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Zum einen hat das BVerfG zu der Frage der zeitlichen Grenzen der Erfassung von Wertzuwächsen nach der Absenkung der Beteiligungsgrenze gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG von mindestens 10 % auf mindestens 1 % in seinem Beschluss vom 6. Januar 2023 (2 BvR 364/13, NJW 2023, 1715) noch keine inhaltliche Aussage getroffen. Zum anderen ist unter dem Aktenzeichen IX R 12/24 ein Revisionsverfahren zu der Frage anhängig, welche Aufwendungen als Veräußerungskosten gemäß § 17 Abs. 2 EStG angesehen werden können.