Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 17.12.2024, Az.: L 15 SO 49/24 B ER

Auswirkungen des Verlustes der Freizügigkeit auf einen Leistungsanspruch eines Ausländers auf Sozialhilfe

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.12.2024
Aktenzeichen
L 15 SO 49/24 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 29368
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2024:1217.15SO49.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 11.10.2024 - AZ: S 33 SO 166/24 ER

Amtlicher Leitsatz

Die Rückausnahme nach § 23 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 SGB XII setzt nicht voraus, dass die Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit bestandskräftig geworden ist.

In dem Beschwerdeverfahren
A.
- Antragstellerin und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B.
gegen
Stadtgemeinde C.
- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -
hat der 15. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 17. Dezember 2024 in Bremen durch den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht D., die Richterin am Landessozialgericht E. und den Richter am Landessozialgericht F. beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 11. Oktober 2024 (einstweiliger Rechtsschutz) wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 11. Oktober 2024 ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das SG den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

Gemessen an diesen Maßstäben hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 3. bzw. 4 Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII), insbesondere nicht auf Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII, da sie nach § 23 Abs. 3 Satz 7 Halbsatz 2 SGB XII von diesen Leistungen ausgeschlossen ist. Die Antragstellerin verfügt über kein Aufenthaltsrecht. Sie ist auch nicht nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII zum Bezug von Leistungen nach dem SGB XII aufgrund eines etwaigen mindestens fünfjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland leistungsberechtigt, da der Verlust des Rechtes nach § 2 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) festgestellt bzw. der Antrag auf Bescheinigung eines Daueraufenthaltsrechts abgelehnt worden ist.

Insoweit hält der Senat an seiner ständigen (im Hinblick auf die vergleichbare Regelung im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch [SGB II] ergangenen) Rechtsprechung auch weiterhin fest, wonach ein vom Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht geführte Klage gegen den Bescheid des Migrationsamtes (bzw. ein hiergegen geführter Widerspruch) keine aufschiebende Wirkung entfaltet, die zum (weiteren) Leistungsbezug nach dem SGB XII bzw. nach dem SGB II berechtigen würde (vgl. Beschlüsse des Senates zur entsprechenden Vorschrift in § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II vom 2. Juni 2022 - L 15 SO 15/22 B ER, vom 21. Oktober 2021 - L 15 AS 376/21 B ER und vom 26. Mai 2017 - L 15 AS 62/17 B ER; ebenso: Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. September 2023 - L 13 AS 412/21 - juris Rn. 36; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 25. November 2016 - L 11 AS 567/16 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 9. Februar 2023 - L 7 AS 447/22 B ER - juris Rn. 23; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 8. Juli 2021 - L 6 AS 92/21 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. März 2018 - L 19 AS 133/18 B ER). Die Rechtsprechung zu § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II ist auf das SGB XII zu übertragen; auch insoweit ist die Bestandskraft einer Verlustfeststellung nicht Voraussetzung für die Entfaltung von rechtlichen Wirkungen. Bereits die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts führt nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII zur Unanwendbarkeit der Ausnahmeregelung vom Leistungsausschluss für Ausländer, die sich seit mindestens fünf Jahren ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten (LSG Hamburg, Beschluss vom 28. September 2017 - L 4 SO 55/17 B ER unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung der derzeitigen Fassung des § 23 As. 3 SGB XII, BT-Drs. 18/10211, S. 16 i. V. m. S. 14; Schleswig-Holsteinisches LSG, a. a. O.; Hessisches LSG, Beschluss vom 9. Oktober 2019 - L 4 SO 160/19 B ER - juris Rn. 41; Groth in: BeckOK SozR, 74. Ed. 1. September 2024, § 23 SGB XII Rn. 18c; Hohm in: Schellhorn/Hohm/Scheider/Busse, SGB XII, 21. Aufl. 2023, § 23 Rn. 98). Grundsätzlich gilt, dass die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts durch das Migrationsamt hinsichtlich ihrer Auswirkungen für die Gewährung von Grundsicherungsleistungen keine Unanfechtbarkeit erfordert. Im Hinblick auf eine etwaige Leistungsberechtigung nach dem SGB XII ist - abgesehen von Härtefällen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII bzw. Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII - unabhängig von der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Klage gegen einen den Verlust des Freizügigkeitsrechts feststellenden Verwaltungsakt gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) allein auf die rechtlichen Vorgaben des § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU abzustellen. Unabhängig davon, ob EU-Ausländer nach Erlass eines Bescheids über die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt i. S. v. § 23 Abs. 1 SGB XII in Deutschland haben, können sie sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht i. S. v. § 23 Abs. 3 SGB XII berufen. Nach der unmittelbar aus dem primären Europarecht und aus dem FreizügG/EU folgenden generellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU ist der Aufenthalt eines Unionsbürgers solange rechtmäßig, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts nach Maßgabe des § 5 Abs. 4 FreizügG/EU bzw. der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs. 7 FreizügG/EU feststellt; die Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU (ebenso Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 8. Juli 2021 - L 6 AS 92/21 B ER). Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I, S. 1970) das Erfordernis der Unanfechtbarkeit für die Begründung der Ausreisepflicht in § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ausdrücklich entfallen lassen (BT- Drs. 16/5065, S. 211). Somit wirkt schon die Feststellung des Verlustes der Freizügigkeitsberechtigung einer (weiteren) Verfestigung des Aufenthalts entgegen (so auch der 11. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 4. Juni 2019 - L 11 AS 138/19 B ER - und vom 25. November 2016 - L 11 AS 567/16 B ER). Da eine Aufenthaltsverfestigung somit nicht (mehr) vorliegt, kann ein etwaiger nach § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII wegen fünfjährigen gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland bestehender SGB XII-Leistungsanspruch nicht (mehr) bestehen (§ 23 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2). Durch eine solche ausländerbehördliche Verlustfeststellung unterfallen die Betroffenen der Ausschlussregelung des § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, denn ein eingetretener Suspensiveffekt beseitigt nicht die Wirksamkeit der Ordnungsverfügung und damit das Bestehen der Ausreisepflicht des Betroffenen (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 9. Februar 2023 - L 7 AS 447/22 B ER - juris Rn. 23 m. w. N.; LSG Hamburg, Beschluss vom 8. März 2023 - L 4 AS 31/23 B ER D - juris Rn. 4 m. w. N.; Beschluss vom 28. September 2017- L 4 SO 55/17 B ER - juris Rn. 6; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 8. Juli 2021 - L 6 AS 92/21 B ER - juris Rn. 23; Hessisches LSG, Beschluss vom 9. Februar 2023 - L 7 AS 447/22 B ER - juris Rn. 23; Groth, in BeckOK Sozialrecht, 74. Ed., § 23 SGB XII Rn 18c; Hohm, a. a. O. Rn. 98; Schlette in: Hauck/Noftz SGB XII, Stand: März 2024, § 23 Rn. 89c; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, FreizügG/EU, 14. Aufl. 2022, § 7 Rn. 21). Dem Suspensiveffekt kommt lediglich Vollzugs- und keine Wirksamkeitshemmung zu. Die rechtsgestaltende Wirkung der Verlustfeststellung auf die nationale Rechtsposition, die durch die Freizügigkeitsvermutung hervorgerufen wird, beendet den rechtmäßigen Aufenthalt. Während des Zeitraums bis zur Entscheidung durch das Gericht ist der Aufenthalt ausschließlich geduldet und entspricht damit der Rechtsstellung eines ausgewiesenen Ausländers nach § 84 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. September 2023 - L 13 AS 412/21 - juris Rn. 36). Bei einer solchen Verlustfeststellung ist dann eine Berufung auf ein Aufenthaltsrecht im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII ausgeschlossen. In dem Gesamtzusammenhang ist nach Auffassung des Senats auch zu berücksichtigen, dass § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII nicht an ein materiell-rechtliches Aufenthalts- oder Freizügigkeitsrecht anknüpft, sondern (nur) an den gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Ausländerinnen und Ausländer sind von Gesetzes wegen ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht (Geyer in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 7 FreizügG/EU Rn. 3). Hat die Behörde eine solche Nichtbestehensfeststellung getroffen, beseitigt sie dadurch die vorherige Freizügigkeitsvermutung (Kurzidem in: BeckOK AuslR, 42. Ed. 1. Juli 2024, § 7 FreizügG/EU Rn. 1). Dass die Ausreisepflicht wegen der eingelegten Rechtsbehelfe noch nicht durchgesetzt werden kann, ändert nach dem niedergelegten Willen des Gesetzgebers (s.o.) nichts. Die förmliche Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts durch die Ausländerbehörde ist für die Sozialgerichte bindend und hat Tatbestandswirkung (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Mai 2017 - L 15 AS 62/17 B ER, juris Rn. 11f.; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 8. Juli 2021 - L 6 AS 92/21 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. März 2018 - L 19 AS 133/19 B ER; LSG Hamburg, a.a.O.). Soweit die Gegenauffassung von einer umfassenden aufschiebenden Wirkung in dem Sinne ausgeht, dass bei Widerspruch und Klage die Verlustfeststellung in jeder Hinsicht in ihrer Wirksamkeit gehemmt werde und während des laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gegen die Verlustfeststellung Leistungen nach dem SGB II bzw. SGB XII zu gewähren seien (so z. B. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Mai 2019 - L 8 SO 109/19 B ER - juris Rn. 9), folgt der Senat dem aus den genannten Gründen nicht. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Migrationsamt Bremen seine Entscheidung mit Bescheid vom 2. Juli 2024 umfangreich und nachvollziehbar begründet hat, während die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren lediglich die Verfassungswidrigkeit des Leistungsausschlusses geltend macht. Einer Entscheidung darüber, ob bzw. inwieweit nach der Verlustfeststellung eingetretene Veränderungen zu einer abweichenden Beurteilung aus sozialrechtlicher Sicht führen können, bedarf es vorliegend nicht, da kein entsprechender Vortrag erfolgt ist. Soweit hierin eine Verkürzung des Rechtsschutzes im Hinblick auf die sozialrechtlichen Auswirkungen einer Entscheidung der Ausländerbehörde gesehen wird (vgl. SG Hamburg, Beschluss vom 19. März 2021 - S 62 AS 732/21 ER - juris Rn. 20), ist dies zutreffend, jedoch Ziel auch der ausdrücklichen gesetzlichen Änderungen zum SGB II und XII. Mit der aufgrund des Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I 3155) mit Wirkung zum 1. Januar 2017 neu geschaffenen Regelung des Abs. 1 S. 2 Nr. 2a sollten nach den Gesetzesmaterialien die bisher normierten Leistungsausschlüsse ergänzt und damit klargestellt werden, dass nicht erwerbstätige Personen ohne materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht und deren Familienangehörigen "erst recht" von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sein sollen (G. Becker in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 7 Rn. 51). Ausdrücklich gilt dies für die Verlustfeststellung sogar dann, wenn bereits ein fünfjähriger gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, a. a. O.)." Eine Gesetzesauslegung, nach der eine Verlustfeststellung die Rückausnahme des § 23 Abs. 7 Satz 3 SGB XII nicht sperrt, solange die Verlustfeststellung nicht bestandskräftig ist, ist nach alledem - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG] (Kammerbeschluss vom 26. Februar 2020 - 1 BvL 1/20) nicht vorzunehmen.

Auch der weitergehende Vortrag der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung, der vornehmlich unter Wiedergabe älterer Entscheidungen des BVerfG eine Verfassungswidrigkeit des Leistungsausschlusses geltend macht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 7 Halbs. 2 SGB XII. Denn der Gesetzgeber darf Unionsbürger regelmäßig darauf verweisen, die erforderlichen Existenzsicherungsleistungen durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Heimatstaat als Ausprägung eigenverantwortlicher Selbsthilfe zu realisieren (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 6. Juni 2023 - B 4 AS 4/22 R - juris Rn. 27). Leistungsansprüche sind für diese Personengruppe nach der seit dem 29. Dezember 2016 geltenden Rechtslage nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern nur auf solche Hilfen beschränkt, die erforderlich sind, um die Betroffenen in die Lage zu versetzen, existenzsichernde Leistungen ihres Heimatlandes in Anspruch zu nehmen. So räumt § 23 SGB XII einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen bis zur Ausreise (Abs. 3 Satz 3, 5) ein und verpflichtet die Behörde zur Übernahme der Rückreisekosten (Abs. 3a). Die Härtefallregelung in § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII stellt sicher, dass im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte Leistungen erbracht werden, die nach Art, Umfang und Dauer noch über die Überbrückungsleistungen hinausgehen. Mit dieser Regelung bewegt sich der Gesetzgeber innerhalb eines Spielraums, der ihm bei der Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG eingeräumt ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 27. März 2019 - L 7 AS 27/19 B - juris Rn. 12 m. w. N.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27. September 2023 - L 13 AS 412/21 - juris Rn. 38). In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Beschwerdebegründung sich nicht mit der neueren Rechtsprechung des BVerfG sowie des BSG auseinandersetzt, sondern lediglich einzelne (teilweise ältere) Entscheidungen wiedergibt. So hat das BVerfG im Nichtannahmebeschluss vom 8. Oktober 2024 (1 BvR 2006/24) festgestellt, dass das BSG - wie bereits oben zitiert - in seinem Urteil vom 6. Juni 2023 (B 4 AS 4/22 R) unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG dargelegt habe, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II und § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht verletze; der Gesetzgeber müsse Unionsbürgern ohne ein Aufenthaltsrecht jedenfalls dann keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einräumen, wenn ihnen eine Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere eine Rückkehr in ihr Heimatland möglich und zumutbar sei. Der Gesetzgeber dürfe Unionsbürger regelmäßig darauf verweisen, die erforderlichen Existenzsicherungsleistungen durch die Inanspruchnahme von Sozialleistungen im Heimatstaat als Ausprägung der eigenverantwortlichen Selbsthilfe zu realisieren. Im Beschluss vom 18. April 2023 (1 BvR 1430/22) hat das BVerfG zudem darauf hingewiesen, dass es im Einzelfall vor dem Hintergrund der Möglichkeiten einer Prozessvertretung nicht unzumutbar sei, das sozialgerichtliche Hauptsacheverfahren ggf. von dem Heimatland aus weiter zu betreiben. Die Rechtsauffassung der Antragstellerin, wonach es hierdurch im Einzelfall möglicherweise zu einem faktischen Vollzugszwang komme, so dass ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG vorliege, lässt sich mithin gerade nicht aus der neueren Rechtsprechung von BVerfG und BSG herleiten. Vorliegend ist zudem nicht ansatzweise erkennbar bzw. vorgetragen, dass es der Antragstellerin nicht zumutbar sein könnte, zunächst in ihren Heimatstaat auszureisen und ggf. die in Deutschland anhängigen (gerichtlichen) Verfahren von dort aus durch ihre Prozessvertretung weiter zu betreiben.

Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 bis 5 SGB XII. Danach werden hilfebedürftigen Ausländern, die § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren nur eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen). Denn die Antragstellerin begehrt nach bisherigem Kenntnisstand erkennbar keine Überbrückungsleistungen. Diese stellen im Verhältnis zu den laufenden existenzsichernden Sozialhilfeleistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII einen anderen Streitgegenstand dar, daher ist Voraussetzung für die Gewährung von Überbrückungsleistungen jedenfalls der erkennbare Wille, auch diese Leistungen zu erhalten. Die Antragstellerin begehrt ausschließlich die zukunftsoffene und damit dauerhafte Gewährung von existenzsichernden Leistungen und damit gerade keine zeitlich und hinsichtlich der Höhe beschränkten Überbrückungsleistungen.

Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB II, wonach Leistungen über einen Zeitraum von einem Monat hinaus zu erbringen sind, soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist. Es kann dabei dahinstehen, ob die Härtefallleistungen ausschließlich bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII in Betracht kommen, da die Antragstellerin einen solchen Härtefall nicht glaubhaft gemacht hat. Eine solche besondere Härte zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht für alle vom Leistungsausschluss betroffenen Personen typisch ist, also über die mit dem reduzierten Leistungsumfang typischerweise verbundenen Härten in der Person des Leistungsberechtigten individuelle Besonderheiten hinzutreten (z. B. der Ausschluss der Grundpflege bei einer schwerpflegebedürftigen Person). Des Weiteren müssen besondere Umstände vorliegen, die sich auf die zeitliche Befristung beziehen (z. B. die Vorbereitung der Sicherung der Pflege im Heimatland, für die mehr als einen Monat Vorbereitungszeit benötigt wird). Bisher hat die Rechtsprechung eine besondere Härte bejaht bei Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung bzw. Behinderung, deren Behandlung bzw. Betreuung im Herkunftsland bei Zweifeln am ausreichenden Krankenversicherungsschutz nicht sichergestellt ist, bei bestehendem Mutterschutz, bei einer Nierenerkrankung mit notwendiger Dialysebehandlung, bei notwendiger Tumor-Nachsorge, bei mehrfacher schwerer Behinderung und/oder Gewährung von Eingliederungshilfe, bei schwerer Krebserkrankung bei zuerkanntem Grad der Behinderung von 100 und anerkanntem Merkzeichen "G" und "B".

Da die Antragstellerin nach obigen Ausführungen nicht nur von den laufenden Leistungen nach dem SGB XII, sondern auch von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, bedarf es keiner Beiladung des zuständigen Jobcenters, da eine Verpflichtung (§ 75 Abs. 2 SGG) nicht in Betracht kommt. Der - zumindest erstinstanzlich - gestellte Hilfsantrag geht daher ins Leere.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.