Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.11.2024, Az.: 6 W 132/24
Nachlassverfahren gegen die Erteilung eines Erbscheins auf Basis eines durch die Erblasserin eigenhändig errichteten Testaments
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.11.2024
- Aktenzeichen
- 6 W 132/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 32726
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Celle - AZ: 10 VI 929/23
Rechtsgrundlagen
- § 2247 Abs. 1 BGB
- § 2267 S. 1 BGB
Redaktioneller Leitsatz
Einem gemeinschaftlichen Testament kommt zwar keine Bindungswirkung zu, soweit die Eheleute sich im gemeinschaftlichen Testament einen Änderungsvorbehalt eingeräumt haben. Die Anordnung der Eheleute im gemeinschaftlichen Testament, dass der überlebende Ehegatte "berechtigt ist, frei und unbeschränkt über den Nachlass zu verfügen", ist aber mangels besonderer Umstände im Zweifel dahin zu verstehen, dass damit nur die Vollerbenstellung des überlebenden Ehegatten samt der Verfügungsbefugnis unter Lebenden im Rahmen der Lebensführung betont wird, also § 2286 BGB entsprechende Anwendung findet.
In der Nachlasssache
betreffend die Erteilung eines Erbscheins nach der am 4. Januar 2023 verstorbenen E. G. B., mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in C.,
Beteiligte:
1. H.-W. B., in C.,
2. J. B., in B.,
zu 1, 2: Antragsteller,
Verfahrensbevollmächtigter zu 1, 2:
Notar L. in C.,
3. S. B. in M.
4. C. G. in L.,
zu 3, 4: Antragsgegnerinnen und Beschwerdeführerinnen,
Verfahrensbevollmächtigte zu 3 und 4:
S. Rechtsanwälte in C.,
hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3 und 4 vom 20. September 2024 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Celle vom 3. September 2024 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. D., den Richter am Oberlandesgericht V. und die Richterin am Oberlandesgericht S. am 12. November 2024 beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, den notariellen Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 und 2 vom 14. April 2023 zurückzuweisen.
Beschwerdewert: 23.666,67 €.
Gründe
A.
Die Beteiligten zu 3 und 4 wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Feststellung des Amtsgerichts, den Beteiligten zu 1 und 2 sei ein Erbschein zu erteilen, der sie als Miterben zu je 1/2 ausweist.
Die am 28. Januar 1932 geborene und am 4. Januar 2023 verstorbene Erblasserin war mit dem am 10. Juni 1988 verstorbenen R. K. F. B. verheiratet. Aus der Ehe sind vier Kinder hervorgegangen, die Beteiligten zu 1 - 4.
Mit gemeinschaftlichem Testament vom 22. August 1975 (Bl. 3 der Testamentsakten 10 IV 1067/17 Amtsgericht C.) ordneten die Eheleute an:
"Gemeinschaftliches Testament
Wir, die Eheleute ...,
bestimmen für den Fall unseres Todes folgendes:
Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu
Erben unseres derzeitigen Nachlasses ein, dergestalt,
daß der Überlebende von uns berechtigt ist,
frei und unbeschränkt über den Nachlass zu ver-
fügen. Nacherben sind unsere 4 Kinder."
Nach der Unterschrift des Ehemannes folgt eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung der Erblasserin:
"Das vorstehende Testament meines Ehemannes
soll auch als mein Testament gelten.
Celle, d. 22.8.1975 E. B."
Das Amtsgericht erteilte den Erbschein vom 19. Juli 1988 zu 10 VI 458/88 (Bl. 6 d. A.), der die Erblasserin als Alleinerbin ihres Ehemannes ausweist.
Aufgrund des Erbscheins wurde die Erblasserin als Alleineigentümerin im Grundbuch des Wohnhausgrundstücks W. Weg # in C. eingetragen, das den Eheleuten zuvor je zur ideellen Hälfte gehört hatte (Bl. 31 ff. der Testamentsakten).
Am 30. Oktober 2017 reichte die Erblasserin beim Amtsgericht ihre eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung vom 27. Oktober 2017 (Bl. 36 d. Testamentsakten) zur Verwahrung ein (Bl. 9 d. A.), in der sie bestimmte:
"Mein Testament!
Ich (,die Erblasserin,) setze hiermit meine Söhne (, die Beteiligten zu 1 und 2,) als meine Erben ein.
Meine Töchter (, die Beteiligten zu 3 und 4,) haben jeglichen Kontakt zu mir abgebrochen und somit schliesse ich beide vom Erbe aus."
Dem verwahrten Testament war ein Zeitungsausschnitt mit einem Zitat aus einer Entscheidung des OLG München zu 31 WX 108/06 beigefügt, wonach der überlebende Partner an die Verfügung nur gebunden sei, wenn dies ausdrücklich so bestimmt sei.
Der Beteiligte zu 2 überreichte dem Amtsgericht mit Schreiben vom 11. Januar 2023 (Bl. 23 der Testamentsakten) folgende eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung der Erblasserin vom 1. Dezember 2017 (Bl. 29 der Testamentsakten):
"Nachtrag zum Testament
vom 27.10.2017
Registrierung(s)nummer 311 607 75
Hiermit widerrufe ich die Verfügung im alten Testament vom 22.8.1975 insofern, dass nicht 4 Kinder als Nacherben bestimmt werden sollen, weil ich zwei Kinder vom Erbe ausgeschlossen habe.
Zum Erbe gehören somit nur meine Söhne (, die Beteiligten zu 1 und 2)."
Mit notarieller Urkunde vom 14. April 2023 haben die Beteiligten zu 1 und 2 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Miterben zu je 1/2 ausweist (Bl. 3 d. A.). Sie haben geltend gemacht, die Erblasserin sei berechtigt gewesen, das gemeinschaftliche Testament vom 22. August 1975 zu ändern, weil die Eheleute dem Überlebenden von ihnen eingeräumt hätten, frei und unbeschränkt über den Nachlass zu verfügen.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 12. Juli 2024 (Bl. 54 ff. d. A.) haben die Beteiligten zu 3 und 4 eingewendet, die Erblasserin sei von den Beteiligten zu 1 - 4 zu je 1/4 beerbt worden, weil sie an die Erbeinsetzung der vier Kinder im gemeinschaftlichen Testament vom 22. August 1975 gebunden gewesen sei.
Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. September 2024 die Tatsachen für festgestellt erachtet, die erforderlich sind, den beantragten Erbschein zu erteilen, der die Beteiligten zu 1 und 2 als Miterben zu je 1/2 ausweist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 aus dem Testament vom 27. Oktober 2017 sei wirksam. Die Erblasserin sei nicht an die Erbeinsetzung der Kinder im gemeinschaftlichen Testament gebunden gewesen. Der Zusatz, dass der Längerlebende "frei und unbeschränkt" über den Nachlass verfügen könne, spreche tendenziell gegen eine Bindungswirkung, werde in der obergerichtlichen Rechtsprechung jedoch regelmäßig dahin ausgelegt, dass diese Regelung keine neue Verfügung von Todes wegen erfasse. Es gebe keine Lebenserfahrung, dass der eine Ehegatte die gemeinsamen Abkömmlinge nur deshalb bedacht habe, weil es auch der andere getan habe. Vielmehr liege es in solchen Fällen näher, dass jeder Elternteil von sich aus und unabhängig von dem anderen sein Kind als Erbe sehen wolle, was die Überzeugungsbildung von einem Wechselbezug zumindest erschwere. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 2270 Abs. 2 BGB. Diese Regel sei dann heranzuziehen, wenn eine Person bedacht werde, die lediglich mit einem der Erblasser im Verwandtschaftsverhältnis stehe.
Mit der "sofortigen Beschwerde", der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat (Bl. 71 f. d. A.), wenden die Beteiligten zu 3 und 4 ein, das Amtsgericht habe die Anwendbarkeit des § 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB verkannt. Diese Regelung gelte auch für gemeinsame Kinder. Anhaltspunkte, die gegen eine Wechselbezüglichkeit sprächen, lägen nicht vor.
B.
Die Beschwerde ist begründet.
I.
Es sind nicht die Tatsachen für festgestellt zu erachten (§ 352 e Abs. 1 Satz 1 FamFG), die erforderlich sind, den Beteiligten zu 1 und 2 den mit notarieller Urkunde vom 14. April 2023 beantragten Erbschein zu erteilen, der sie als Miterben zu je 1/2 ausweist.
Die Beteiligten zu 1 - 4 haben ihre Mutter, die Erblasserin, aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 22. August 1975 zu je 1/4 beerbt.
1. Diese Erbeinsetzung ist formwirksam erfolgt.
Den Testamentstext hat der Erblasser "durch eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung" errichtet (§ 2247 Abs. 1 BGB). Diese gemeinschaftliche Erklärung hat die Erblasserin am selben Tag mit der Angabe, das vorstehende Testament meines Ehemannes soll auch als mein Testament gelten, "durch eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung mitunterzeichnet" (§ 2267 Satz 1 BGB).
2. Dieses gemeinschaftliche Testament enthält für den eingetretenen Fall, dass der Ehemann der Erblasserin vorverstirbt, die letztwillige Verfügung der Erblasserin, ihre vier Kinder als Schlusserben zu gleichen Teilen einzusetzen.
a) Der von den Eheleuten verwandte Begriff "Nacherben" ist nicht in dem Sinne zu verstehen, dass sie sich für die sogenannte Trennungslösung entschieden haben, also der überlebende Ehegatte nur Vorerbe für den Nachlass des zuerst versterbenden Ehegatten wird und die gemeinsamen Kinder Nacherben für dessen Nachlass.
Die erforderliche Auslegung (vgl. zu den Abgrenzungskriterien zwischen Einheits- und Trennungslösung: Grüneberg/Weidlich, BGB, 83. Auflage 2024, § 2269 Rn. 6 ff. m. w. N.) des gemeinschaftlichen Testaments ergibt den Willen der Eheleute für die Einheitslösung, so dass die Erblasserin Vollerbin des Vermögens ihres vorverstorbenen Ehemanns geworden ist und die vier gemeinsamen Kinder das gesamte Vermögen der Erblasserin als Schlusserben erhalten sollten.
Hierfür spricht, dass die Eheleute ihr Vermögen als Einheit gesehen haben ("unseres derzeitigen Nachlasses"). Es liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, dass sie eine Trennung ihrer beiden Vermögen gewollt haben.
Dementsprechend ist auch nach dem Tod des Ehemanns ohne Widerspruch der Erblasserin oder ihrer Kinder in der Weise verfahren worden, dass das Amtsgericht der Erblasserin einen Erbschein als Vollerbin erteilt hat und sie dementsprechend als Alleineigentümerin im Grundbuch für das Grundstück eingetragen worden ist, das den Eheleuten je zur ideellen Hälfte gehört hatte.
b) Die fehlende Angabe der Erbquote ist unerheblich.
Für den Fall, dass mehrere Erben ohne Bestimmung der Erbteile eingesetzt sind, erben sie zu gleichen Teilen (§ 2091 BGB), wenn sich - wie hier (§ 1924 Abs. 1, 4 BGB) - aus den §§ 2066 bis 2069 BGB nichts anderes ergibt.
3. Diese Erbeinsetzung der Beteiligten zu 3 und 4 hat die Erblasserin nicht durch ihre Testamente vom 27. Oktober 2017 und 1. Dezember 2017 wirksam aufgehoben.
Zwar hat sie darin erklärt, sie widerrufe die Verfügungen im Testament vom 22. August 1975 insofern, dass sie ihre beiden Töchter vom Erbe ausschließe und ihre beiden Söhne als Erben einsetze.
Doch war das Recht der Erblasserin, die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 3 und 4 zu widerrufen, bereits erloschen, weil sie die Erbeinsetzung durch ihren Ehemann nach dessen Tod nicht ausgeschlagen hat (§ 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB).
Die Enterbung der Beteiligten zu 3 und 4 und die gleichzeitige Einsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 als Miterben zu je 1/2 ist daher in entsprechender Anwendung des § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, soweit diese Verfügung die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 3 und 4 als Miterben zu je 1/4 beeinträchtigt. Denn nach dieser Vorschrift, die wegen der vergleichbaren Interessenlage auf bindend gewordene Verfügungen aus gemeinschaftlichen Testamenten entsprechende Anwendung findet (Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 2271 Rn. 12), ist eine spätere Verfügung von Todes wegen unwirksam, soweit sie das Recht des bindend Bedachten beeinträchtigen würde.
Die Erblasserin und ihr vorverstorbener Ehemann hatten ihre vier gemeinsamen Kinder im gemeinschaftlichen Testament vom 22. August 1975 bindend als Schlusserben zu gleichen Anteilen eingesetzt.
a) Für die Prüfung der Frage, ob eine gemeinschaftliches Testament bindende Verfügungen zugunsten der Schlusserben enthält, gelten folgende Grundsätze:
Nach § 2270 Abs. 1 BGB ist Wechselbezüglichkeit gegeben, wenn Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament Verfügungen getroffen haben, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde.
Wechselbezüglich sind Verfügungen, bei denen also aus dem Zusammenhang des Motivs heraus eine innere Abhängigkeit zwischen den einzelnen Verfügungen derart besteht, dass die Verfügung des einen Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil auch der andere Partner eine bestimmte andere Verfügung getroffen hat. Das gemeinschaftliche Testament als solches kann allerdings nicht wechselbezüglich sein, weil § 2270 Abs. 1 BGB nur von den einzelnen letztwilligen Verfügungen der beiden Testierenden spricht. Für jede einzelne Verfügung ist daher gesondert zu prüfen, zu welcher anderen Verfügung sie wechselbezüglich ist oder nicht. Aus dem Willen zum gemeinschaftlichen Testament allein ergibt sich noch nicht die Abhängigkeit der Verfügung. Es muss also konkret bestimmt werden, welche Verfügung des anderen Ehegatten korrespektiv zu der Verfügung sein soll, deren Wechselbezüglichkeit infrage steht (vgl. zu allem: Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 2270 Rn. 1 m. w. N.). Die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB ist nur dann anwendbar, wenn die vorrangige Erforschung des bei Testamentserrichtung bestehenden Willens beider Ehegatten durch Auslegung trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten bezüglich der Wechselbezüglichkeit kein eindeutiges Ergebnis ergeben hat, also weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit (Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 2270 Rn. 7 m. w. N.).
b) Bei der Prüfung, ob wechselbezügliche Verfügungen vorliegen, ist also auf die konkret betroffene Verfügung abzustellen. Im vorliegenden Fall kommt es für die Feststellung der Wechselbezüglichkeit nicht darauf an, dass die Eheleute sich gegenseitig als Erben eingesetzt haben. Vielmehr ist vorliegend zu prüfen, ob die Verfügung des Ehemanns, die Erblasserin als seine Alleinerbin einzusetzen, nicht ohne die Verfügung der Ehefrau getroffen sein würde, die vier Kinder als ihre Erben einzusetzen. Insoweit enthält das gemeinschaftliche Testament keine eindeutigen Erklärungen der Eheleute, dass sie eine Bindung durch Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen wollen oder nicht wollen. Begleitumstände, die einen sicheren Schluss auf den Willen der Eheleute bei Testamentserrichtung am 22. August 1975 zulassen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Zwar kommt einem gemeinschaftlichen Testament keine Bindungswirkung zu, soweit die Eheleute sich im gemeinschaftlichen Testament einen Änderungsvorbehalt eingeräumt haben (vgl. zum Änderungsvorbehalt Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 2271 Rn. 20 ff. m. w. N.).
Doch enthält das gemeinschaftliche Testament keine ausreichende Erklärung, die den überlebenden Ehegatten berechtigt, die Schlusserbeinsetzung der gemeinsamen Kinder zu ändern. Die Anordnung der Eheleute im gemeinschaftlichen Testament, dass der überlebende Ehegatte "berechtigt ist, frei und unbeschränkt über den Nachlass zu verfügen", ist, wie bereits in erster Instanz ausgeführt, mangels besonderer Umstände im Zweifel dahin zu verstehen dass damit nur die Vollerbenstellung des überlebenden Ehegatten samt der Verfügungsbefugnis unter Lebenden im Rahmen der Lebensführung betont wird, also § 2286 BGB entsprechende Anwendung findet (Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 2271 Rn 21 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Im vorliegenden Fall sind keinen besonderen Umstände vorgetragen oder ersichtlich, die die Annahme eines Änderungsvorbehalts rechtfertigen. Vielmehr hat der Rechtspfleger des Amtsgerichts in den Verfügungen vom 13. Juli 2023 und 8. November 2023 (Bl. 13 und 31 d. A.) zutreffend darauf hingewiesen, dass die Stellung dieser Klausel im gemeinschaftlichen Testament dafür spricht, dass kein Änderungsvorbehalt gewollt war. Denn diese Berechtigung, frei und unbeschränkt über den Nachlass zu verfügen, ist der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute angefügt und bezieht sich damit auf die Verfügungen, die der überlebende Ehegatte zu Lebzeiten vornehmen kann. Erst anschließend kommt die Verfügung der Eheleute, "Nacherben sind unsere vier Kinder". Für diese Anordnung haben die Eheleute keinen Änderungsvorbehalt in das gemeinschaftliche Testament aufgenommen.
c) Es kommt daher auf die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB an. Danach ist ein wechselbezügliches Verhältnis der Verfügungen zueinander im Zweifel u.a. anzunehmen, wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist.
Die Voraussetzungen für diese Auslegungsregel liegen vor, weil der Ehemann die Erblasserin als seine Erbin eingesetzt hat und für den Fall, dass diese ihn überlebt, die Erblasserin eine Verfügung zugunsten der gemeinsamen Kinder getroffen hat, die mit ihrem Ehemann "verwandt" sind.
Die Feststellung des Amtsgerichts diese Auslegungsregel gelte nur für den Fall, dass es sich nicht um gemeinsame Kinder der Eheleute handelt, ist unzutreffend. Der Wortlaut des Gesetzes enthält insoweit keine Einschränkung. Auch vom Sinn der Vorschrift (vgl. Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 2270 Rn. 7) ist die Schlusserbeinsetzung gemeinsamer Kinder von dieser Auslegungsregel erfasst. Denn die Entscheidung des Ehemanns, die Erblasserin als seine Alleinerbin einzusetzen, hatte zur Folge, dass beim Tod des Ehemanns der Erblasserin die vier Kinder des Ehemanns vollständig enterbt waren und ihnen am Nachlass des Vaters nur Pflichtteilsansprüche zustanden. Daher ist nach der gesetzlichen Wertung bei Fehlen anderer Anhaltspunkte die Annahme gerechtfertigt, dass der zuerst versterbende Ehegatte zur Enterbung seiner Verwandten nur bereit war, wenn der andere Ehegatte, diese Verwandten bedenkt und nicht berechtigt ist, die Erbquoten zu verändern oder sogar Dritte zu bedenken (z. B. neue Lebenspartner oder deren Kinder). Die vom Amtsgericht zitierten Entscheidungen betreffen nicht vergleichbare Fallgruppen.
Tatsachen, die der Anwendung der Auslegungsregel entgegenstehen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
d) Eine Änderungsbefugnis der Erblasserin folgt nicht aus § 2271 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach der Überlebende "nach der Annahme der Zuwendung zur Aufhebung nach Maßgabe des § 2294 und des § 2336 (BGB) berechtigt" ist.
Die Erblasserin hat nicht in einer letztwilligen Verfügung (§ 2336 BGB) angegeben, dass die Beteiligten zu 3 und 4 sich einer Verfehlung schuldig gemacht haben, die die Erblasserin zur Entziehung des Pflichtteils berechtigt hätte. Die Angabe im Testament der Erblasserin vom 27. Oktober 2017 (Bl. 36 d. A.), ihre Töchter, die Beteiligten zu 3 und 4, hätten "jeglichen Kontakt zu (ihr) abgebrochen", reicht dazu nicht aus.
II.
Eine Kostenentscheidung war entbehrlich.
Für das erfolgreiche Beschwerdeverfahren fallen keine Gerichtskosten an.
Eine Kostenerstattung war nicht anzuordnen, weil diese nicht billigem Ermessen entspricht (§ 81 FamFG) und keine Tatsachen für eine Entscheidung nach § 81 Abs. 2 FamFG vorgetragen oder ersichtlich sind. Die Entscheidung hing von einer schwierigen Testamentsauslegung ab.
Der Beschwerdewert wurde gemäß § 36 Abs. 1, § 61 Abs. 1 Satz 1 GNotKG auf 23.666,67 € festgesetzt (= 2/3 von 35.500 € [= 1/4 (= 2 x 1/8) von 142.000 €]).
Das nach § 35 GNotKG zusammenzurechnende Interesse der Beteiligten zu 3 und 4 war darauf gerichtet, am Nachlass nicht nur mit einem Pflichtteil von je 1/8 beteiligt zu werden, sondern als Miterbe zu je 1/4. Es war daher auf die Differenz von 1/8 abzustellen (= 1/4 - 1/8). Der Wert des Nachlasses war mit 142.000 € anzunehmen, wie von den Beteiligten zu 1 und 2 im notariellen Erbscheinsantrag angegeben. Ein weiteres Drittel war wegen der eingeschränkten Funktion des Erbscheins (nur Legitimationswirkung) abzuziehen.