Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.06.2024, Az.: 10 UF 191/23

Untersagung von therapeutischen Maßnahmen während einer laufenden Begutachtung zur Frage sexuellen Missbrauchs eines Kindes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.06.2024
Aktenzeichen
10 UF 191/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 27699
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2024:0605.10UF191.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - AZ: 638 F 3445/23

Fundstellen

  • FamRB 2025, 103
  • FamRZ 2025, 517
  • NJW 2025, 313-314

Amtlicher Leitsatz

Während einer laufenden oder anstehenden Begutachtung zur Frage, ob ein Elternteil das eigene Kind sexuell missbraucht hat, verbietet sich jedwede parallele Beratung, Befragung oder gar therapeutischen Behandlung durch eine Beratungsstelle. Jede zusätzliche Befragung des Kindes durch nicht sachverständige Personen hat bis zum Abschluss einer solchen Begutachtung, die insbesondere den Wahrheitsgehalt der Angaben des Kindes zu verifizieren hat, zu unterbleiben, da jede weitere Einwirkung auf das Kind durch nicht sachkundige Herangehensweise die erforderlichen Feststellungen nicht nur massiv erschweren, sondern sogar unmöglich machen kann. Gegebenenfalls würde ein frühzeitiger therapeutischer Ansatz auf Basis erfolgten Missbrauchs dort, wo nach Annahme des Verfahrensbeistandes und des Jugendamtes sowie den Erkenntnissen des Senats aus früheren Anhörungen ein Missbrauch nicht gegeben scheint, auch eine Kindeswohlgefährdung besorgen.

In der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für die beteiligten Kinder
pp.
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 5. Juni 2024 beschlossen:

Tenor:

Der Kindesmutter wird im Wege einstweiliger Anordnung untersagt, Y.K., geb. am 5. April 2019, der Beratungsstelle V. oder anderen Beratungsstellen vorzustellen, um diese im Sinne eines sexuellen Missbrauchs zu befragen, zu beraten oder zu therapieren.

Gründe

Während des bei Senat zum Verfahrensgegenstand der elterlichen Sorge anhängigen Beschwerdeverfahrens ist dieser gemäß § 50 Abs. 1 S. 2 FamFG auch zu Entscheidungen im einstweiligen Anordnungsverfahren berufen.

Die aus der Entscheidungsformel ersichtliche Anordnung ist gemäß § 1666 Abs, 3 BGB geboten, weil nach den Berichten des Jugendamtes und der Verfahrensbeiständin zu besorgen ist, dass die Kindesmutter Y. zur Beratung, Befragung oder gar therapeutischen Behandlung einer Beratungsstelle vorstellt. Dies ist jedoch während des bei der Staatsanwaltschaft laufenden Ermittlungsverfahren mit dem Vorwurf sexuellen Missbrauchs zu Lasten Y.s durch den Kindesvater nicht nur nicht angezeigt, solange ein solcher Missbrauch nicht feststeht oder zumindest naheliegt, sondern kontraproduktiv, weil jede zusätzliche Befragung Y.s durch nicht sachverständige Personen zu unterbleiben hat. Eine sachverständige Begutachtung, die insbesondere den Wahrheitsgehalt der Angaben Y.s zu verifizieren hat, muss dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vorbehalten bleiben, da gerichtskundig ist, dass jede weitere Einwirkung auf das Kind durch nicht sachkundige Herangehensweise die erforderlichen Feststellungen nicht nur massiv erschweren, sondern sogar unmöglich machen kann. Dies gilt insbesondere mit Blick auf das Alter des Kindes. Die erforderliche Sachkunde bringen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der einschlägigen Beratungsstellen regelmäßig nicht auf. Völlig verfehlt wäre im Übrigen auch ein therapeutischer Ansatz, wo nichts zu therapieren ist.

Auf all diese Umstände weist auch das Jugendamt in seinem Bericht vom 22. Mai 2024 -auf den der Senat zur weiteren Begründung Bezug nimmt- ausdrücklich hin. Gleiches gilt für die Stellungnahme der Verfahrensbeiständin vom 4. Juni 2024, auf die sich der Senat ergänzend stützt.

Da dem Verhalten der Kindesmutter zu entnehmen ist, dass sie die im Rahmen der Anhörung der Beteiligten am 30. Januar 2024 gegebenen Hinweise nicht erreicht haben, ist die vorliegende Anordnung ohne vorherige Anhörung der Beteiligten veranlasst.

Der Senat wird die Anhörung im bereits anberaumten Termin am 6. August 2024 nachholen.