Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.01.2025, Az.: 2 LA 19/23
Erstattung der Kosten für die Schülerbeförderung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.01.2025
- Aktenzeichen
- 2 LA 19/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 10144
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2025:0122.2LA19.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 18.01.2023 - AZ: 6 A 5241/21
Rechtsgrundlage
Redaktioneller Leitsatz
Liegt die nächste Schule außerhalb des Gebiets des Trägers der Schülerbeförderung, so kann dieser sich auf die Erstattung der Kosten der teuersten Zeitkarte des öffentlichen Personennahverkehrs beschränken, die er für die Schülerbeförderung in seinem Gebiet zu erstatten hätte.
Tenor:
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 6. Kammer - vom 18. Januar 2023 wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Zulassungsverfahren auf 436,40 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Berufung gegen das angefochtene Urteil ist nicht gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO zuzulassen, da die Voraussetzungen der geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO nicht dargelegt sind bzw. nicht vorliegen. Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (dazu unter 1.) noch weist die Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) auf (dazu unter 2.).
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zuzulassen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, Beschl. v. 18.6.2019 - 1 BvR 587/17 -, juris Rn. 32 und v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, juris Rn. 96). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, juris Rn. 9). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 17.6.2015 - 8 LA 16/15 -, juris, Rn. 10; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 206 jeweils m.w.N.).
Nach diesem Maßstab begründen die Einwände der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat den für den Zeitraum von August 2020 bis Juli 2021 geltend gemachten (weitergehenden) Erstattungsanspruch unter Hinweis auf § 114 Abs. 3 Satz 5 NSchG abgelehnt. Nach dieser Vorschrift könne der Träger der Schülerbeförderung die zu erstattenden notwendigen Aufwendungen für den Schulweg auf die Höhe der Kosten der für Schülerinnen und Schüler teuersten Zeitkarte des öffentlichen Personennahverkehrs in der Region Hannover beschränken, soweit die nächste Schule im Sinne von § 114 NSchG außerhalb des Regionsgebietes liege. Davon habe die Beklagte in § 2 Abs. 4 der Schülerbeförderungsatzung Gebrauch gemacht. Der Begriff "teuerste Zeitkarte" sei unter Berücksichtigung des Notwendigkeitsgrundsatzes dabei so zu verstehen, dass die Kosten für die Zeitkarte zu erstatten seien, die der Träger der Schülerbeförderung maximal für eine Beförderung innerhalb des Regionsgebietes aufwenden müsste. Dies berücksichtige, dass bei einem Mehr-Zonen-System auf die Karte abzustellen sei, die für alle Zonen gelte und nicht auf eine günstigere Ein-Zonen-Karte. Gemeint sei jedoch nicht - wie es die Kläger verstünden -, dass auf die teuerste Karte abzustellen sei, die nach den im maßgeblichen Zeitraum geltenden Tarifbedingungen des Großraums Verkehr F-Stadt (GVH) von einem Schüler habe erworben werden können.
Hiergegen wenden die Kläger ein, bei der Jugendnetzkarte, welche das Verwaltungsgericht hinsichtlich der Begrenzung der Erstattungspflicht für maßgeblich halte, handle es sich gerade nicht um die Zeitkarte, die der Träger der Schülerbeförderung für die Beförderung eines Schülers innerhalb des Regionsgebiets aufwenden müsse. Die Jugendnetzkarte sei ausweislich der GVH-Bedingungen bzw. des Gemeinschaftstarifs für den GVH (Ziff. 4.3 (4)) nur für solche Vorschüler und Schüler der betroffenen Schuljahrgänge, welche keinen Anspruch auf kostenfreie Beförderung oder auf Erhalt der Schulfahrkarte (Anm. des Senats: die sogen. SchulCard, vgl. § 1 Abs. 1 der Schülerbeförderungssatzung der Beklagten) hätten, bzw. für Vollzeitschüler ab dem 11. Schuljahrgang beziehbar. Ihr Sohn hätte, würde er eine Schule im Bereich des Schulträgers besuchen, Anspruch auf eine SchulCard, deren Kosten durch den Träger der Schülerbeförderung übernommen werden müsse. Er hätte mithin keinen Anspruch auf den Erwerb einer Jugendnetzkarte, da er schlicht nicht unter die entsprechenden Bedingungen falle. Gegenstand der Betrachtung könne allerdings immer nur der konkrete Anspruch des betroffenen Schülers sein. Eine Begrenzung der Erstattungshöhe auf die Kosten einer Fahrkarte, auf welche der Schüler keinen Anspruch habe, sei unzulässig. Da nach § 114 Abs. 3 Satz 5 NSchG eine Begrenzung der Kosten (lediglich) auf die Höhe der Kosten der für Schülerinnen und Schüler teuersten Zeitkarte des öffentlichen Personalverkehrs zulässig sei, könnten auch ausschließlich die Kosten zugrunde gelegt werden, welche für die tatsächlich beziehbare Zeitkarte zugrunde zu legen seien. Dies sei allerdings entsprechend ihrem Vortrag in erster Instanz mangels Anspruchs auf die Jugendnetzkarte der Betrag der teuersten Fahrkarte in der beklagten Region Hannover in Höhe von 79,60 € monatlich (Mehr-Zonenkarte "Ausbildung Abo" für alle Tarifzonen). Auch eine Beschränkung der Kosten auf den Betrag, welchen der Träger der Schülerbeförderung für die kostenlosen Schulfahrkarten an den ÖPNV-Träger zu erstatten habe, sei nach dem Wortlaut des § 114 Abs. 3 Satz 5 NSchG unzulässig. Eine Erstattung in dieser Höhe sei erstinstanzlich allerdings auch nicht problematisiert worden, weil - fehlerhafterweise - von vornherein eine Begrenzung auf die Kosten der von ihrem Sohn nicht zu beanspruchenden Jugendnetzkarte erfolgt sei. Vor diesem Hintergrund bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Dem folgt der Senat nicht. § 114 Abs. 3 Satz 5 Halbsatz 1 NSchG regelt: Liegt die nächste Schule außerhalb des Gebiets des Trägers der Schülerbeförderung, so kann dieser seine Verpflichtung nach Absatz 1 auf die Erstattung der Kosten der teuersten Zeitkarte des öffentlichen Personennahverkehrs beschränken, die er für die Schülerbeförderung in seinem Gebiet zu erstatten hätte. Danach kann sich der Träger der Schülerbeförderung in diesen Fällen darauf beschränken, 1. anstelle einer Beförderung der betreffenden Schülerinnen und Schüler ihnen oder ihren Erziehungsberechtigten nur die nachgewiesenen Beförderungsaufwendungen zu erstatten, wobei 2. die Erstattung der Höhe nach begrenzt wird auf den Betrag, der den Kosten entspricht, die Schülerinnen und Schülern für den Kauf der teuersten Zeitkarte des öffentlichen Personennahverkehrs für ihre Beförderung innerhalb des Gebiets des zuständigen Trägers der Schülerbeförderung (weiteste Entfernung) entstünden (so verdeutlichend Littmann, in: Brockmann/Littmann/Schippmann, Niedersächsisches Schulgesetz Band II, Anm. 4.2.1).
Die Vorschrift dient der Kostenersparnis und trägt der Tatsache Rechnung, dass Schulen in benachbarten Landkreisen bzw. kreisfreien Städten mit öffentlichen Verkehrsmitteln häufig schlechter erreichbar sind und ohnehin zu organisierende Schülerverkehre diese Schulen regelmäßig nicht anfahren (vgl. LT-Drs. 13/1650, S. 23 f.). Sie ist verfassungsrechtlich unbedenklich, weil es sich bei der Schülerbeförderung um eine nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht geschuldete freiwillige Leistung handelt (vgl. im Einzelnen zu diesem Gesichtspunkt Senatsbeschl. v. 15.11.2024 - 2 ME 190/24 -, juris Rn. 7, sowie ferner Senatsurt. v. 2.12.2014 - 2 LB 353/12 -, juris Rn. 66) und der vorgenannte Sachgrund im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG die zum Ausdruck gebrachte Differenzierung rechtfertigt (vgl. Senatsbeschl. v. 30.1.2020 - 2 ME 622/19 -, juris Rn. 11, u. v. 15.11.2024 - 2 ME 190/24 -, juris Rn. 12).
Die teuerste Zeitkarte des ÖPNV, die die Beklagte für die Beförderung der Schülerinnen und Schüler im streitgegenständlichen Zeitraum in ihrem Gebiet (weiteste Entfernung) zu erstatten gehabt hätte, ist die Jugendnetzkarte. Allein auf diese fiktive und zugleich abstrakte Betrachtung kommt es an. Es ist dagegen unbeachtlich, dass die Beklagte die Beförderungsleistung tatsächlich gegenüber den Schülerinnen und Schülern, die einen dahingehenden Anspruch haben, auf andere Weise - nämlich in aller Regel durch Aushändigung der SchulCard - erbringt. Denn die SchulCard ist schon keine reguläre Zeitkarte des ÖPNV, die von Schülerinnen oder Schülern (oder auch Dritten) käuflich erworben werden kann. Sie ist lediglich eine Einrichtung, die die Beklagte nutzt, um ihre Schülerbeförderungspflicht gegenüber denjenigen zu erfüllen, die - anders als der Sohn der Kläger, der lediglich einen Erstattungsanspruch hat - darauf einen Anspruch haben (vgl. § 1 Abs. 1 der Schülerbeförderungssatzung). Von daher kommt es auch nicht darauf an, dass der Sohn der Kläger, würde er die für ihn nächstgelegene Schule innerhalb des Gebiets der Beklagten besuchen, eine SchulCard und nicht die Jugendnetzkarte erhalten würde. Ebenso wenig ist relevant, ob die Beklagte für den Sohn der Kläger bei einem Schulbesuch innerhalb der beklagten Region Hannover für diesen überhaupt eine Jugendnetzkarte erwerben könnte.
Soweit sich die Kläger darauf berufen, dass ihr Sohn unter den gegebenen Bedingungen tatsächlich keine Möglichkeit gehabt habe, die Jugendnetzkarte zu erwerben, ergibt sich dies aus dem in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vortrag der Kläger nicht; dass das in der Sache zutreffen könnte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die ÜSTRA F-Stadtsche Verkehrsbetriebe Aktiengesellschaft informiert vielmehr dahingehend, dass die Jugendnetzkarte von allen Schülern und Schülerinnen (Grundschule, Sekundarstufe I und II) bis einschließlich 22 Jahre erworben werden könne, wenn kein Anspruch auf die Schulfahrkarte (SchulCard) bestehe. Das ist bei dem Sohn der Kläger aber gerade der Fall, denn er hat keinen Anspruch auf die SchulCard, sondern lediglich einen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für den Transport zur Schule. Hiervon Abweichendes haben auch die Kläger im Kern nicht vorgetragen. Soweit sie in ihrer Antragsbegründung auf den Wortlaut abstellen, dass der jeweilige Schüler auch "keinen Anspruch auf kostenfreie Beförderung" haben dürfe, trifft das auf ihren Sohn ebenfalls zu. Denn ihr Sohn hatte im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf die unmittelbare Leistungserbringung einer kostenlosen Beförderung zur Schule (die die Beklagte nach § 1 Abs. 1 ihrer Schülerbeförderungssatzung wie bereits hervorgehoben dadurch erbringt, dass sie die SchulCard zur Verfügung stellt), sondern - wie ausgeführt - lediglich einen Erstattungsanspruch.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 211 m.w.N.).
Für die Klärung, was unter dem Begriff der "teuersten Zeitkarte" gemäß § 114 Abs. 3 Satz 5 NSchG zu verstehen ist, bedarf es nicht der Durchführung eines Berufungsverfahrens. Den obigen Darlegungen lässt sich vielmehr ohne Weiteres entnehmen, dass das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass maximal die Kosten für die Zeitkarte zu erstatten sind, die der Träger der Schülerbeförderung für eine Beförderung der Schülerin oder des Schülers innerhalb des Regionsgebiets aufwenden muss. Auf die Frage, "ob auch Zeitkarten gemeint sein können, auf die eigentlich ein Anspruch nicht besteht" kommt es nach dem oben Gesagten gerade nicht an. Die Frage, "ob ggf. eine Erstattungspflicht jedenfalls in dem Umfang besteht, in dem der Träger der Schülerbeförderung ansonsten eine Erstattung an den ÖPNV in seinem Gebiet für die (kostenlose) Schülerfahrkarte vornehmen müsste" ist zu verneinen. Der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf es nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).