Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 27.11.2024, Az.: 9 W 86/17
Bestellung eines aktienrechtlichen Sonderprüfers im Zusammenhang mit der "Diesel-Affäre"
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 27.11.2024
- Aktenzeichen
- 9 W 86/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 33406
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 23.06.2017 - AZ: 15 O 28/16
- OLG Celle - 11.10.2024 - AZ: 9 W 86/17
- nachfolgend
- BGH - 06.10.2025 - AZ: II ZB 19/24
Rechtsgrundlage
- § 142 Abs. 1 AktG
Fundstellen
- AG 2025, 821-822
- NZG 2025, 798-800
Redaktioneller Leitsatz
Zur Bestellung eines aktienrechtlichen Sonderprüfers im Zusammenhang mit der "Diesel-Affäre"
Ein Rechtsschutzbedürfnis für die ausschließliche Verfolgung einer zukünftigen Verbesserung der Compliance-Strukturen lässt sich allein aus der wirtschaftlichen Beteiligung des Aktionärs, mithin aus dem in seinem Anteilseigentum verkörperten Vermögensinteresse an der Gesellschaft nicht herleiten.
In dem aktienrechtlichen Beschwerdeverfahren
über die gerichtliche Anordnung einer Sonderprüfung
pp.
hat das Oberlandesgericht Celle - 9. Zivilsenat - durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... am 27. November 2024 beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Landgerichts Hannover vom 23. Juni 2017 (Bl. 340 ff. Bd. II d.A.) wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldnerinnen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf die Gebührenstufe bis € 500.000 festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen begehren im Nachgang zu der Zurückweisung ihrer Anträge in der Hauptversammlung der Antragsgegnerin vom 22. Juni 2016 die Bestellung eines aktienrechtlichen Sonderprüfers gem. § 142 Abs. 1 AktG im Zusammenhang mit der "Diesel-Affäre".
Die Antragsgegnerin ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in ..., deren Unternehmensgegenstand u.a. die Herstellung und der Vertrieb von Fahrzeugen ist. Die jeweils durch die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz vertretenen Antragstellerinnen sind drei Fonds amerikanischen Rechts. Hintergrund der Sonderprüfungsanträge ist die Verwendung einer Software in von der Antragsgegnerin hergestellten und vertriebenen Diesel-Pkw, die erkannte, wann Fahrzeuge sich im Prüfzyklus befanden, und die nur für diesen Fall dazu führte, dass die vorgegebenen Abgasgrenzwerte eingehalten wurden ("defeat device").
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 23. Juni 2017 (Bl. 340 ff. Bd. II d.A.), auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Anträge wegen vermeintlicher Unverhältnismäßigkeit mit Blick auf (damals) laufende, durch die Antragsgegnerin selbst in Auftrag gegebene Untersuchungen sowie staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und die vermeintliche Zweifelhaftigkeit weiteren zu erwartenden Erkenntnisgewinns zurückgewiesen.
Mit Beschluss vom 8. November 2017 (Bl. 512 ff. Bd. III d.A.) hat der Senat den angefochtenen Beschluss auf die Beschwerde der Antragstellerinnen vom 27. Juli 2017 abgeändert und die aktienrechtliche Sonderprüfung angeordnet sowie zum Sonderprüfer den Wirtschaftsprüfer/Steuerberater R. R., D., bestellt, da nicht (mehr) davon ausgegangen werden könne, dass aufgrund der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren die Annahme gerechtfertigt sei, dass durch eine Sonderprüfung kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten sei. Insbesondere hat der Senat dabei auch die Zulässigkeit, u.a. die Antragsberechtigung, aber auch die Beteiligtenfähigkeit i.S.d. § 8 FamFG der Antragstellerinnen mit Blick auf einen auf den konkreten Sachverhalt zugeschnittenen Beteiligtenbegriff bejaht, der sowohl zum Zwecke der Gewährung von Minderheitenschutz als auch des Justizgewährungsanspruchs weit zu fassen sei. Eine gegen den Beschluss gerichtete Gegenvorstellung und Gehörsrüge der Antragstellerinnen hat der Senat mit Beschluss vom 23. November 2017 (Bl. 567 ff. Bd. III d.A.) zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die genannten Senatsbeschlüsse vom 8. November und 23. November 2017.
Auf die Verfassungsbeschwerde der Antragsgegnerin hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 21. September 2022 zu Aktenzeichen 1 BvR 2754/17 (Bl. 3 ff. Bd. V d.A.) gem. §§ 93c Abs. 2, 95 Abs. 2 BVerfGG die vorgenannten Senatsbeschlüsse wegen Verletzung der Antragsgegnerin in Art. 103 Abs. 1 GG aufgehoben und die Sache an das OLG zurückverwiesen. Die Beteiligtenfähigkeit könne nur gegeben sein, wenn den Antragstellerinnen ein Recht zustehen könne, sie also Zuordnungssubjekte eines Rechtssatzes seien, wobei insoweit U.S.amerikanisches Recht maßgebend sei, zu dem der Tatrichter von Amts wegen Ermittlungen anzustellen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des BVerfG vom 21. September 2022 verwiesen (1 BvR 2754/17).
Mit Beweisbeschluss vom 7. August 2023 (Bl. 131 ff. Bd. V d.A.), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, hat der Senat nach entsprechenden Hinweisen an die Parteien und Einräumung der Gelegenheit zur Stellungnahme vom 30. November 2022 (Bl. 8 Bd. V d.A.) beschlossen, Beweis über die Frage der Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerinnen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben und das ...-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht .. um die Benennung einer oder eines Sachverständigen zu ersuchen, und schließlich mit Beschluss vom 10. Januar 2024 das ...-Institut zum Sachverständigen für die Beantwortung der Beweisfrage benannt (Bl. 208 Bd. VI d.A.).
Nach Eingang des Gutachtens vom 26. Juni 2024 (lose in Aktendeckel Bd. VI der Akten), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, und Stellungnahmen durch die Parteien mit Schriftsätzen vom 30. September 2024 (Bl. 32 ff. d.eA. OLG) und vom 1. Oktober 2024 (Bl. 590 f. sowie Bl. 595 ff. d.eA. OLG) hat der Senat die Parteien mit Beschluss vom 11. Oktober 2024 (Bl. 635 ff. d.eA. OLG) darauf hingewiesen, dass und warum eine Zurückweisung der Beschwerde in Betracht komme (und die Gründe dafür skizziert). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Hinweisbeschluss vom 11. Oktober 2024 verwiesen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerinnen bleibt ohne Erfolg.
1.
Die Anträge der Antragstellerinnen zu 1 und 3 sind bereits mangels Aktienbesitzes (inzwischen) unzulässig. Ihre Beschwerde kann damit unter keinem Aspekt Erfolg haben.
Der Senat hält an seiner mit Beschluss vom 7. August 2023 (Bl. 130 ff. Bd. V d.A.) mitgeteilten und mit Hinweisbeschluss vom 11. Oktober 2024 (Bl. 635 ff. d.eA. OLG) bestätigten Auffassung fest, dass der Antrag der Antragstellerin zu 3 wegen des mit Schriftsatz der Antragstellervertreter vom 30. Mai 2023 (Bl. 72 ff. Bd. V d.A.) mitgeteilten - jedenfalls zwischenzeitlichen - Verlustes der Aktionärsstellung im Laufe des Verfahrens unzulässig geworden ist.
Der Senat geht nunmehr zudem von der zwischenzeitlich eingetretenen Unzulässigkeit auch des Antrags der Antragstellerin zu 1 aus, nachdem lediglich noch für die Antragstellerin zu 2 (durch Anlage AA 7 zum Schriftsatz der Antragstellervertreter vom 1. Oktober 2024; Bl. 622 f. d.eA. OLG) ein Aktienbesitz nachgewiesen ist. Hieraus zieht der Senat mangels anderweitigen Vortrags der Antragstellerin zu 1 den Schluss, dass sie ebenfalls nicht mehr Aktionärin der Antragsgegnerin ist; auf diesen Gesichtspunkt ist die Antragstellerin zu 1 vor dieser Entscheidung mit Hinweisbeschluss vom 11. Oktober 2024 (Bl. 635 ff. d.eA. OLG) seitens des Senats hingewiesen worden.
2.
Die Beschwerde der Antragstellerinnen zu 1 bis 3 ist zudem unbegründet, weil ihr jeweiliger Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers von Anfang an unzulässig gewesen ist, nachdem sie zu keinem Zeitpunkt im Verfahren beteiligtenfähig gewesen sind.
a)
Unter Zugrundelegung des Gutachtenergebnisses des eingeholten Gutachtens des ...-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht ... vom 26. Juni 2024 hätte eine Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerinnen, bei denen es sich um Gestaltungen US-amerikanischen Rechts handelt, mithin die Fähigkeit, im Rahmen des § 142 Abs. 2 AktG aus den erworbenen Aktien auch das sich hieraus für Aktionäre grundsätzlich ergebende Recht auf Einsetzung eines Sonderprüfers wahrzunehmen, anders als z.B. bei inländischen Aktionären nur bestanden, wenn die Antragstellerinnen mit dem Verfahren einen ihnen unmittelbar entstandenen Schaden geltend gemacht hätten und ein in dieser Weise verfolgter Schadensausgleich allein ihrem Vermögen zugutekommen würde.
Gemessen an diesem Maßstab ist die Beteiligtenfähigkeit der Antragstellerinnen im vorliegenden Verfahren schon mit Blick auf die Funktionen der Sonderprüfung i.S.d. §§ 142 ff. AktG von Anfang an zu verneinen gewesen. Selbst als Vorstufe für die Geltendmachung etwaiger Ersatzansprüche gegen Organmitglieder vermag die Sonderprüfung nur dazu zu dienen, die Durchsetzung etwaiger Haftungsansprüche der Gesellschaft zu ermöglichen, die sich ihrerseits - wenn überhaupt - nurmittelbar als Kompensation von Schäden einzelner Aktionäre wie der Antragstellerinnen darstellen könnte.
b)
Abgesehen davon - dies als eigenständige Erwägung - ist die Bestellung eines Sonderprüfers zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht mehr verhältnismäßig.
Eine etwa anzuordnende Sonderprüfung könnte der Durchsetzung von Haftungsansprüchen der Antragsgegnerin gegen ihre seinerzeitigen Organe nicht (mehr) dienen, nachdem sie mit für den "Dieselskandal" mutmaßlich verantwortlichen Organmitgliedern sowie mit den ...-Versicherungen weitreichende sog. Haftungsvergleiche geschlossen und zugleich auf die Durchsetzung etwaiger Ansprüche gegen zum damaligen Zeitpunkt amtierende und ehemalige Organmitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat verzichtet hat. Die hierzu erforderlichen im Jahr 2021 gefassten Hauptversammlungsbeschlüsse in der Antragsgegnerin sind nach Auffassung des Senats wirksam und unanfechtbar, was jedenfalls in den Tatsacheninstanzen der hiergegen angestrengten Beschlussmängelklagen bereits bestätigt worden ist (vgl. Senatsurteil zu Az. 9 U 93/22 vom 29. November 2023, Anlage AG 63, Bl. 279 ff. Bd. VI d.A., und nachgehend BGH II ZR 154/23 - noch nicht entschieden).
Bei der von den Antragstellerinnen darüber hinaus angeführten (verbleibenden) Zielsetzung etwaiger personeller Konsequenzen oder einer Präventivwirkung innerhalb der Organe der Antragsgegnerin handelt es sich dagegen allenfalls um untergeordnete mittelbare Nebenzwecke der Sonderprüfung, deren alleinige Verfolgung grundsätzlich nicht vom Rechtsschutzbedürfnis des Aktionärs gedeckt ist (vgl. MüKoAktG/Arnold, 5. Aufl. 2022, AktG § 142 Rn. 7). Ein Rechtsschutzbedürfnis für die ausschließliche Verfolgung einer Verbesserung der Compliance-Strukturen (in persönlicher oder organisatorischer Hinsicht) für die Zukunft lässt sich allein aus der wirtschaftlichen Beteiligung des Aktionärs, mithin aus dem in seinem Anteilseigentum verkörperten Vermögensinteresse an der Gesellschaft (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1982 - II ZR 174/80 -, BGHZ 83, 122-144, Rn. 27) nach dem Dafürhalten des Senats nicht herleiten.
Diese Erwägungen gelten für die Antragstellerinnen im Vergleich zu uneingeschränkt rechtsfähigen Aktionären in besonderem Maße, nachdem ihre Beteiligtenfähigkeit im vorliegenden Verfahren nach den Ausführungen des Gutachtens überhaupt nur aufgrund der Funktion des Sonderprüfungsverfahrens als vorbereitendes Instrument einer Haftungsdurchsetzung in Betracht gekommen wäre.
3.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens gem. § 84 FamFG als Gesamtschuldnerinnen.
4.
Den Gegenstandswert hat der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht (Bl. 340 ff. Bd. II d.A.) sowie mit dem (aufgehobenen) Beschluss vom 8. November 2017 (Bl. 512 ff. Bd. III d.A.) festgesetzt (§ 67 Abs. 1 und 3 GNotKG).