Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 25.03.2025, Az.: 13 UF 101/24
Rechtmäßigkeit der Durchführung des Versorgungsausgleichs bezogen auf die gesamte Ehezeit in Ansehung einer bereits viele Jahre währenden Trennung und fehlender wirtschaftlicher Verflechtung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 25.03.2025
- Aktenzeichen
- 13 UF 101/24
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 13195
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Strausberg - 28.05.2024 - AZ: 28 F 4/24
Rechtsgrundlage
- § 27 VersAusglG
Redaktioneller Leitsatz
Ein ganzer oder teilweiser Ausschluss des Versorgungsausgleichs ist nach der Härteklausel des § 27 VersAusglG als Gerechtigkeitskorrektiv in Betracht zu ziehen, wenn die Umstände des Einzelfalls es ausnahmsweise rechtfertigen, von dem Grundgedanken der gleichmäßigen Teilhabe der Ehegatten an allen während der Ehezeit geschaffenen Vermögenswerten abzuweichen.
In der Folgesache Versorgungsausgleich
betreffend das Scheidungsverbundverfahren
- Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin -
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte
gegen
- Antragsteller und Beschwerdegegner -
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt
Weitere Beteiligte:
1)
- Versorgungsträger zu Beschwerdeführerin -
2)
- Versorgungsträger zu Beschwerdeführerin -
3)
- Versorgungsträgerin zu Beschwerdegegner -
hat das Brandenburgische Oberlandesgericht - 4. Senat für Familiensachen - durch
die Richterin am Oberlandesgericht Dr. von Bülow als Einzelrichterin
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 28.05.2024 - 28 F 4/24 - in Ziffer 2. der Entscheidungsformel abgeändert.
Ziffer 2. erhält folgende Fassung:
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts des Antragstellers bei der D. (Vers. Nr. ...9) zugunsten der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 8,8893 Entgeltpunkten (Ost) auf das vorhandene Konto ...6 bei der D., bezogen auf den 31. 12.2023, übertragen.
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der D. (Vers. Nr. ...6) zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 7,4118 Entgeltpunkten (Ost) auf das vorhandene Konto ...9 bei der D., bezogen auf den 31. 12. 2023, übertragen.
Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der V. (Vers. Nr. ...7) zugunsten des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 3,16 Versorgungspunkten, bezogen auf den 31. 12. 2023, übertragen.
Im Übrigen findet ein Versorgungsausgleich nicht statt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden unter dem Antragsteller und der Antragsgegnerin gegeneinander aufgehoben.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.518 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die beschwerdeführende Antragsgegnerin wendet sich gegen die Entscheidung über den Versorgungsausgleich anlässlich der Scheidung ihrer am 17.12.1984 geschlossenen Ehe mit dem Antragsteller, von dem sie seit dem 01.09.1995 getrennt lebt.
Die Antragsgegnerin hat geltend gemacht, dass die Durchführung des Versorgungsausgleichs bezogen auf die gesamte, 39 Jahre andauernde Ehezeit in Ansehung der bereits mehr als 28 Jahre währenden Trennung und fehlender wirtschaftlicher Verflechtung grob unbillig sei.
Auf den am 25.01.2024 zugestellten (Bl. 10 elektronische Akte des Amtsgerichts, im Folgenden: Amtsgericht) Scheidungsantrag vom 05.01.2024 hat das Amtsgericht die Ehe mit dem angefochtenen Beschluss vom 28.05.2024 (Bl. 31 Amtsgericht), auf dessen Inhalt der Senat wegen des weiteren Inhalts verweist, geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und hierbei die während der gesamten Ehezeit vom 01.12.1984 bis 31.12.2023 erwirtschafteten Anrechte der Antragsbeteiligten bei den weiteren Beteiligten zu 1) bis 3) intern geteilt.
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde vom 12.06.2024 (Bl. 41 Amtsgericht). Sie macht geltend, die Durchführung des Versorgungsausgleichs sei, bezogen auf die gesamte, 39 Jahre andauernde Ehezeit, in Ansehung der bereits mehr als 28 Jahre währenden Trennung und fehlender wirtschaftlicher Verflechtung grob unbillig. Der Versorgungsausgleich sei gemäß § 27 VersAusglG auf den Zeitraum vom Beginn der Ehe bis zum 31.12.1997 zu beschränken, um der Trennungszeit bis zur ersten Möglichkeit der Beantragung der Scheidung und der beim Antragsteller zu berücksichtigenden Kindererziehungszeiten angemessen Rechnung zu tragen (Bl. 4 elektronische Akte des OLG, im Folgenden: OLG).
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß (Bl. 4 OLG),
den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 28.05.2024 in Ziffer 2. abzuändern und die Durchführung des Versorgungsausgleichs auf den Zeitraum vom 01.12.1984 bis zum 31.12.1997 zu beschränken,
hilfsweise, den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 28.05.2004 zur Folgesache Versorgungsausgleich aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Strausberg zurückzuweisen.
Der Antragsteller stellt keinen Antrag (Bl. 28 OLG). Gegen die beantragte Beschränkung des Versorgungsausgleichs auf die Ehezeit bis zum 31.12.1997 erhebt er keine Einwände.
Der Senat hat durch Beschluss vom 25.03.2025 (Bl. 61 OLG) die Beschwerde der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen. Er entscheidet, wie angekündigt (Bl. 54 OLG), ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG, von der ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war.
II.
Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde hat Erfolg.
Die Voraussetzungen für den beantragten teilweisen Ausschluss des Versorgungsausgleichs liegen vor. Ein Ausschluss kommt - ganz oder teilweise - nach § 27 VersAusglG dann in Betracht, wenn die Umstände des Einzelfalls es ausnahmsweise rechtfertigen, von dem Grundgedanken der gleichmäßigen Teilhabe der Ehegatten an allen während der Ehezeit geschaffenen Vermögenswerten abzuweichen (BGH FamRZ 2021, 1609; 2009, 205). Der Versorgungsausgleich dient der Aufteilung von gemeinsam erwirtschaftetem Altersvorsorgevermögen der Ehegatten, welches nur wegen der in der Ehe gewählten Aufgabenverteilung einem der beiden Ehegatten rechtlich zugeordnet war (BVerfG FamRZ 2003, 1173; BGH FamRZ 2017, 26) und trägt damit dem Gedanken Rechnung, dass die Ehe infolge der auf Lebenszeit angelegten Lebensgemeinschaft schon während der Erwerbstätigkeit der Ehegatten im Keim auch eine Versorgungsgemeinschaft ist (BGH NJW 2008, 296; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 21.04.2021, 2 UF 159/20, juris; OLG Dresden, NJW-RR 2021, 582 [OLG Dresden 17.12.2020 - 18 UF 371/20]). Die Härteklausel des § 27 VersAusglG stellt dabei ein Gerechtigkeitskorrektiv dar, indem sie als Ausnahmeregelung eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Entscheidung in solchen Fällen ermöglicht, in denen die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zur "Prämierung" einer groben Verletzung der aus der ehelichen Gemeinschaft folgenden Pflichten führen oder gegen die tragenden Prinzipien des Versorgungsausgleichs verstoßen würde. Da § 27 VersAusglG eine anspruchsbegrenzende Vorschrift ist, trägt derjenige Ehegatte, der sich gegen die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs wendet, für die tatsächlichen Voraussetzungen der Vorschrift die Darlegungs- und Feststellungslast. Die so feststellbaren Umstände müssen die sichere Erwartung rechtfertigen, dass sich der uneingeschränkte Versorgungsausgleich grob unbillig zulasten des Ausgleichspflichtigen auswirken würde (Senat, Beschluss vom 22.02.2022, 13 UF 25/21, juris; OLG Brandenburg, 3. Senat für Familiensachen, Beschluss vom 24.03.2020, 15 UF 185/19, juris; OLG Saarbrücken, FamFR 2013, 228).
Hieran gemessen legt die Antragsgegnerin hinreichende Umstände für die grobe Unbilligkeit der Durchführung des Versorgungsausgleichs ab dem 01.01.1998 bis zum Ende der Ehezeit dar, mithin für eine Durchführung des Versorgungsausgleichs im Umfang der angefochtenen Entscheidung. Nach dem vom Antragsteller nicht bestrittenen Vortrag leben er und die Antragsgegnerin seit dem 01.09.1995 getrennt und sind seitdem vollständig wirtschaftlich entflochten.
Angesichts der 28 Jahre (1995 bis 2023) andauernden Trennung im Verhältnis zur Zeit des ehelichen Zusammenlebens von 39 Jahren (1984 bis 2024) steht die mehr als 2/3 der Zeit des ehelichen Zusammenlebens andauernde Trennungszeit zu jener nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis (vgl. Senat Beschluss vom 22. Februar 2022,13 UF 25/21, juris; OLG Brandenburg, 3. Senat für Familiensachen, Beschluss vom 24.03.2020, 15 UF 185/19, juris; BeckOGK/Maaß, 1.2.2025, VersAusglG § 27 Rn. 58.1). Eine sogenannte lange Trennungszeit (BGH NJW 2006, 1967) kann zwar nicht allein, jedoch bei Vorliegen einer vollständigen wirtschaftlichen Verselbständigung der Ehegatten ab der Trennung und unter Berücksichtigung ihrer weiteren wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse im Wege einer Gesamtabwägung die Beschränkung des Versorgungsausgleichs auf den Zeitraum des ehelichen Zusammenlebens rechtfertigen (BGH NJW 2006, 1967 [BGH 29.03.2006 - XII ZB 2/02]; Senat, Beschluss vom 22. Februar 2022 - 13 UF 25/21 -, Rn. 49, juris; OLG Dresden, NJW-RR 2021, 582 [OLG Dresden 17.12.2020 - 18 UF 371/20]; OLG Brandenburg, Beschluss vom 24.03.2020, 15 UF 185/19, juris; OLG Koblenz, BeckRS 2015, 11715; BeckOGK/Maaß a. a. O. VersAusglG § 27 Rn. 60), sodass es nicht darauf ankommt, ob die Antragsgegnerin durch Stellung eines früheren Scheidungsantrags die Trennungszeit hätte verkürzen können. In Fällen wie diesen ist der Versorgungsausgleich regelmäßig auf den Zeitpunkt zu beschränken, an dem ein Scheidungsantrag nach der Trennung erstmals hätte gestellt werden können, mithin nach Ablauf des Trennungsjahres (Senat, Beschluss vom 22. Februar 2022 - 13 UF 25/21 -, Rn. 49, juris; BeckOGK/Maaß a. a. O. VersAusglG § 27 Rn. 62).
Nach den vom Senat im Beschwerdeverfahren eingeholten Auskünften der Versorgungsträger, die von den Beteiligten nicht beanstandet worden sind, haben die Beteiligten unter Außerachtlassung des Zeitraums vom 01.01.1998 bis zum Ehezeitende am 31.12.2023 folgende Anrechte erworben:
Der Antragsteller hat bei der weiteren Beteiligten zu 3) ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 17,7786 Entgeltpunkten (Ost) erlangt. Der Versorgungsträger hat gem. § 5 Abs. 3 VersAusglG vorgeschlagen, den Ausgleichswert mit 8,8893 Entgeltpunkten (Ost) zu bestimmen. Der korrespondierende Kapitalwert nach § 47 VersAusglG beträgt 69.388,53 €. Das neu ausgedrückte Anrecht des Antragstellers ist im Wege der internen Teilung gemäß § 10 VersAusglG auszugleichen, indem zu Lasten des Anrechts des Antragstellers ein Anrecht in Höhe von 8,8893 Entgeltpunkten (Ost) übertragen wird. Ein Absehen vom Ausgleich gemäß § 18 VersAusglG kommt nicht in Betracht.
Die Antragsgegnerin hat bei der weiteren Beteiligten zu 1) ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 14,8236 Entgeltpunkten (Ost) erlangt. Der Versorgungsträger hat gem. § 5 Abs. 3 VersAusglG vorgeschlagen, den Ausgleichswert mit 7,4118 Entgeltpunkten (Ost) zu bestimmen. Der korrespondierende Kapitalwert nach § 47 VersAusglG beträgt 57.855,39 Euro. Das neu ausgedrückte Anrecht der Antragsgegnerin ist im Wege der internen Teilung gemäß § 10 VersAusglG auszugleichen, indem zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 7,4118 Entgeltpunkten (Ost) übertragen wird. Ein Absehen vom Ausgleich gemäß § 18 VersAusglG kommt nicht in Betracht.
Bei der weiteren Beteiligten zu 2) hat die Antragsgegnerin ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 34,9004 Entgeltpunkten (Ost) erlangt. Der Versorgungsträger hat gem. § 5 Abs. 3 VersAusglG vorgeschlagen, den Ausgleichswert mit 17,4502 Entgeltpunkten (Ost) zu bestimmen. Der korrespondierende Kapitalwert nach § 47 VersAusglG beträgt 127.681,03 Euro. Das neu ausgedrückte Anrecht der Antragsgegnerin ist im Wege der internen Teilung gemäß § 10 VersAusglG auszugleichen, indem zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 17,4502 Entgeltpunkten (Ost) übertragen wird. Ein Absehen vom Ausgleich gemäß § 18 VersAusglG kommt nicht in Betracht.
Bei der weiteren Beteiligten zu 2) hat die Antragsgegnerin ein Anrecht aus einer Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes mit einem Ehezeitanteil von 3,37 Versorgungspunkten erlangt. Der Versorgungsträger hat gem. § 5 Abs. 3 VersAusglG vorgeschlagen, den Ausgleichswert mit 3,16 Versorgungspunkten zu bestimmen. Der korrespondierende Kapitalwert nach § 47 VersAusglG beträgt 812,39 €. Das neu ausgedrückte Anrecht der Antragsgegnerin ist im Wege der internen Teilung gemäß § 10 VersAusglG auszugleichen, indem zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin ein Anrecht in Höhe von 3,16 Versorgungspunkten übertragen wird. Ein Absehen vom Ausgleich gemäß § 18 VersAusglG kommt nicht in Betracht.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 150 Abs. 1 FamFG, die Wertfestsetzung beruht auf §§ 55 Abs. 2, 50 Abs. 1 FamGKG. Beschwerdegegenständlich waren vier Anrechte. Der Senat hat bei der Wertfestsetzung das vom Antragsteller mit Antragsschriftsatz vom 05.01.2024 mitgeteilte monatliche Einkommen in Höhe von 2.226 € und das von der Antragsgegnerin im Rahmen der Beschwerdebegründung mitgeteilte Monatseinkommen in Höhe von 2.372 € zugrunde gelegt.
Anlass für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht nicht, § 70 Abs. 2 FamFG.