Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.08.2024, Az.: 5 K 40/22

Billigkeitserlass; Billigkeitsfestsetzung; Direktanspruch; Ermessensreduzierung auf Null; Gelöscht; Lieferant; Reemtsma-Anspruch; Umsatzsteuer; Verjährung; Vermögenslosigkeit; Direktanspruch in der Umsatzsteuer bei verjährtem Rückforderungsanspruch und nach Löschung des Leistenden wegen Vermögenslosigkeit

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
15.08.2024
Aktenzeichen
5 K 40/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 28068
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE::2024:0815.5K40.22.00

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - AZ: XI R 27/24

Fundstelle

  • StX 2025, 53-54

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Empfänger von Lieferungen hat gegen den Fiskus einen Anspruch auf Erstattung (Direktanspruch) der zu Unrecht in Rechnung gestellten und abgeführten Umsatzsteuer, wenn die liefernde GmbH zwischenzeitlich wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden ist.

  2. 2.

    Ein solcher Direktanspruch besteht auch dann, wenn der Anspruch des Leistungsempfängers gegen den Leistenden aufgrund einer zivilrechtlichen Verjährung dieses Anspruchs nicht mehr durchgesetzt werden könnte. Der Fiskus kann sich nicht (akzessorisch) auf die Einrede der Verjährung berufen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um das Bestehen eines sogenannten Direktanspruchs.

Der Kläger bezog in den Streitjahren 2014 und 2016 für seinen Sanitär- und Heizungsbaubetrieb auf der Grundlage von Nettopreisvereinbarungen Bauleistungen - wie beispielsweise Fliesen- und Estricharbeiten - von der F GmbH (F). Die in den Rechnungen als Umsatzsteuer ausgewiesenen Beträge in Höhe von jeweils 19 Prozent der Netto-Rechnungssumme zahlte der Kläger an die F und zog sie als Vorsteuern im Rahmen seiner Umsatzsteuererklärungen ab. Die F führte die vereinnahmte Umsatzsteuer ihrerseits an die Finanzbehörde ab, worüber zwischen den Beteiligten mittlerweile kein Streit mehr besteht. In der Folgezeit wurde die F mit Eintragung in das Handelsregister vom 9. Januar 2019 wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gemäß § 394 Abs. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) gelöscht.

In der Zeit vom 25. November bis 10. Dezember 2019 fand bei dem Kläger eine steuerliche Außenprüfung statt. Die Prüferin kam darin zu der Auffassung, es habe sich bei den von der F bezogenen Leistungen um Bauleistungen im Sinne von § 13b Abs. 2 Nr. 4 S. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) gehandelt, für die der Kläger die Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 5 S. 2 UStG schulde. Die abgezogenen Vorsteuern seien für das Jahr 2014 um 4.648,61 Euro und für das Jahr 2016 um 1.225,50 Euro rückgängig zu machen, weil es sich insoweit bei den von der F in Rechnung gestellten Beträgen nicht um die gesetzlich geschuldete Steuer im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG gehandelt habe. Daneben sei die vom Kläger geschuldete Umsatzsteuer auf Grundlage der in den Rechnungen ausgewiesenen Brutto-Beträge zu erhöhen und ihm der Vorsteuerabzug in gleicher Höhe nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG zu gewähren.

Bereits während der laufenden Außenprüfung beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. August 2019 (V R 50/16, BFHE 266, 395) und des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15. März 2007 (C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH/Ministero delle Finanze, HFR 2007, 515), die Steuer um die gekürzten Vorsteuerbeträge gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO) niedriger festzusetzen.

Der Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, die erwähnten Urteile fänden vorliegend keine Anwendung. Anders als in den entschiedenen Fällen seien hier steuerbare und steuerpflichtige Leistungen ausgeführt worden. Er schloss sich den Feststellungen der Außenprüferin an und erließ mit Bescheiden vom 27. Mai 2020 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre.

Im nachfolgenden Einspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die Steuerfestsetzung sei unbillig. Im Sinne der genannten Rechtsprechung sei ein Direktanspruch zu gewähren. Unter Zugrundelegung der Feststellungen der Außenprüfung wäre es der F möglich gewesen, die gestellten Rechnungen zu korrigieren und die abgeführte Umsatzsteuer zurückzufordern. Diese Beträge hätte der Kläger dann seinerseits von der F zurückverlangen können. Aufgrund der Löschung der F sei weder eine Rechnungskorrektur noch eine Erstattung der zu Unrecht geleisteten Umsatzsteuerbeträge an den Kläger möglich. Der Beklagte bereichere sich in unbilliger Weise, indem er die abgeführte Umsatzsteuer einbehalte und den Vorsteuerabzug versage.

Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. Voraussetzung für den begehrten Direktanspruch sei unter anderem, dass die Leistungserbringerin die ausgewiesene Umsatzsteuer tatsächlich abgeführt habe und die Durchsetzung des Erstattungsanspruchs des Klägers gegen die Leistungserbringerin unmöglich oder übermäßig erschwert sei. Beides sei vorliegend nicht hinreichend dargelegt.

Mit der dagegen erhobenen Klage legte der Kläger ein Schreiben des früheren Geschäftsführers der F vom 18. März 2022 vor, in dem dieser bestätigte, die Umsatzsteuer in den Jahren 2014, 2015 und 2016 angemeldet und vollständig gezahlt zu haben. Ferner sei die F inzwischen aufgelöst. Ein weiterer Nachweis, dass die Umsatzsteuer abgeführt worden sei, sei ihm, dem Kläger, nicht möglich. Aus der Auflösung der Leistungserbringerin ergebe sich, dass der Kläger keine Erstattung der an sie gezahlten Umsatzsteuer erreichen könne.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 12. Mai 2020 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2022 zu verpflichten, die Umsatzsteuer für das Jahr 2014 um 4.648,61 Euro auf 20.492,73 Euro und die Umsatzsteuer für das Jahr 2016 um 1.225,50 Euro auf 18.851,05 Euro niedriger festzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er könne von Amts wegen nicht ermitteln, ob die Rechnungsausstellerin die Umsatzsteuer tatsächlich angemeldet und abgeführt habe. Ferner werde die Einrede der Verjährung erhoben. Der Direktanspruch sei akzessorisch zu dem im Jahr 2020 (Zeitpunkt der ersten Antragstellung) bereits verjährten Erstattungsanspruch des Klägers gegen den Rechnungsaussteller.

Dem entgegnet der Kläger, er könne für ein fremdes Unternehmen keine Steuerunterlagen vorlegen. Es obliege dem Beklagten, die Auskünfte betreffend die durch die F abgeführte Umsatzsteuer einzuholen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

I. Der Ablehnungsbescheid vom 12. Mai 2020 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 23. Februar 2022 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf niedrigere Festsetzung der Umsatzsteuer aus Billigkeitsgründen in den Streitjahren 2014 und 2016 in Höhe der Vorsteuerkürzungen aus den Eingangsrechnungen der F.

1. Gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Unbilligkeit kann sich aus sachlichen und/oder persönlichen Gründen ergeben.

Bei der Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO handelt es sich um einen eigenständigen Verwaltungsakt, der in einem vom Steuerfestsetzungsverfahren unabhängigen Verfahren ergeht (vgl. Koenig/Gercke, AO, 5. Aufl. 2024, § 163 Rn. 37 m. w. N.). Im Verhältnis zum Steuerbescheid ist die Billigkeitsentscheidung nach § 163 AO ein bindender Grundlagenbescheid i. S. d. § 171 Abs. 10 AO. Wird eine Billigkeitsmaßnahme nach Erlass des Steuerbescheids zugelassen oder geändert, muss der Steuerbescheid als Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO entsprechend angepasst werden (Koenig/Gercke, a. a. O., § 163 Rn. 38 m. w. N.).

Das Finanzgericht überprüft die ablehnende Billigkeitsentscheidung der Finanzbehörde als Ermessensentscheidung ausschließlich im Rahmen des § 102 FGO auf Ermessensfehler (vgl. dazu Koenig/Gercke, AO, 5. Aufl. 2024, § 163 Rn. 56). Liegt ausnahmsweise eine Ermessensreduzierung auf Null vor, kann das Gericht die Finanzbehörde antragsgemäß verpflichten, den erstrebten Verwaltungsakt zu erlassen (Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 102 Rn. 21).

2. Persönliche Billigkeitsgründe können sich aus den wirtschaftlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen ergeben, dessen Existenz das Steuerrecht nicht vernichten darf; hat er keine Möglichkeit, die Steuer ohne Gefährdung seines Lebensunterhalts aufzubringen, muss dem unbeschadet der Verwirklichung des Steuertatbestandes Rechnung getragen werden (Klein/Rüsken, AO, 17. Aufl. 2023, § 163 Rn. 41 m.w.N.). Solche Billigkeitsgründe sind von dem Kläger nicht dargetan worden und dem Gericht auch nicht anderweitig zur Kenntnis gelangt.

3. Die sachliche Billigkeitsprüfung verlangt eine Gesamtbetrachtung aller Normen, die für die Entstehung des Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind. Dabei ist nicht nur die einzelne Rechtsvorschrift an allgemeinen Rechtsgrundsätzen und verfassungsrechtlichen Wertungen zu messen, sondern eine Gesamtbeurteilung aller Normen vorzunehmen, deren Zusammenwirken für das steuerliche Ergebnis im konkreten Fall maßgeblich ist (BFH-Urteil vom 26.10.1994, X R 104/92, BStBl II 1995, 297).

a) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es grundsätzlich mit den unionsrechtlichen Grundsätzen der Neutralität und der Effektivität vereinbar, wenn im Falle zu Unrecht als Mehrwertsteuer gezahlter Beträge nur der Rechnungsaussteller einen Anspruch gegen die Steuerbehörden auf Erstattung und der Leistungsempfänger eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung der nicht geschuldeten Leistung gegen den Rechnungsaussteller hat. Für den Fall, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert werde, müssten die Mitgliedsstaaten jedoch zur Wahrung des Grundsatzes der Effektivität die erforderlichen Mittel vorsehen, die es dem Leistungsempfänger ermöglichten, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen (EuGH-Urteil vom 15.03.2007, C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH/Ministero delle Finanze, HFR 2007, 515).

An diesem sog. Direktanspruch hat der EuGH in der Folgezeit in mehreren weiteren Entscheidungen festgehalten. Mit Urteil vom 20. Oktober 2011 (C-94/10, Danfoss und Sauer-Danfoss, HFR 2011, 1393) hat er in einem Verfahren wegen der Erstattung von Mineralölsteuer klargestellt, dass es auch insoweit mit dem Unionsrecht vereinbar ist und keine ungerechtfertigte Bereicherung des Leistenden darstellt, wenn die nationale Rechtsordnung den Erstattungsanspruch wegen zu Unrecht abgeführter Steuer auch dann dem Leistenden zuweist, wenn dieser zwar die Steuer auf den Leistungsempfänger abgewälzt hat, aber nach dem nationalen Recht diesem gegenüber zur Erstattung verpflichtet ist. In diesem Fall liege keine ungerechtfertigte Bereicherung des Leistenden durch die Erstattung vor. Anders verhalte es sich lediglich, wenn insbesondere im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Leistenden die Durchsetzung dieses dem Leistungsempfänger zustehenden Anspruchs unmöglich oder übermäßig erschwert sei. Mit Urteilen vom 26. April 2017 (C-564/15, Tibor Farkas, HFR 2017, 552) und vom 11. April 2019 (C-691/17, PORR Epitesi Kft., HFR 2019, 545) hat der EuGH in Verfahren mit Umkehrung der Steuerschuldnerschaft (Reverse-Charge-Verfahren) an der vorstehend wiedergegebenen Rechtsprechung festgehalten, aber darauf hingewiesen, dass zwischen dem Anspruch des Leistungsempfängers auf Vorsteuerabzug und dem anders gearteten Anspruch des Leistungsempfängers gegen den Fiskus auf Erstattung der vom Leistenden nach Insolvenz nicht an den Leistungsempfänger zurückgezahlten Umsatzsteuer zu unterscheiden sei.

Zuletzt hat der EuGH seine Rechtsprechung dahingehend konkretisiert, dass die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystemrichtlinie -MwStSystRL-) sowie der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen seien, dass sie verlangen, dass dem Empfänger von Lieferungen von Gegenständen ein Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer, die er an seine Lieferer gezahlt hat und die diese an die Staatskasse abgeführt haben, einschließlich der damit zusammenhängenden Zinsen, unmittelbar gegen die Steuerbehörde zusteht, wenn er zum einen, ohne dass ihm Betrug, Missbrauch oder Fahrlässigkeit vorgeworfen werden können, diese Erstattung aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen Verjährung nicht mehr von diesen Lieferern fordern kann und zum anderen formal die Möglichkeit besteht, dass diese Lieferer, nachdem sie die ursprünglich an den Empfänger dieser Lieferungen gerichteten Rechnungen berichtigt haben, im Nachhinein von der Steuerbehörde die Erstattung des zu viel gezahlten Betrags verlangen. Wird die von der Steuerbehörde zu Unrecht erhobene Mehrwertsteuer nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet, ist der Schaden, der dadurch entstanden ist, dass der Betrag, der dieser zu Unrecht erhobenen Mehrwertsteuer entspricht, nicht verfügbar ist, durch die Zahlung von Verzugszinsen auszugleichen (EuGH-Urteil vom 07.09.2023, C-453/22, Michael Schütte/FA Brilon, HFR 2023, 1037).

b) Nach der Rechtsprechung des BFH bieten die Billigkeitsregelungen der §§ 163 und 227 AO eine hinreichende Möglichkeit, trotz Nichtvorliegens der materiell-umsatzsteuerrechtlichen Voraussetzungen den Vorsteuerabzug - jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis - geltend zu machen. So könne ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsweg zu gewähren sein, wenn der Gesetzeswortlaut die Entstehung eines Anspruchs auf Vorsteuerabzug an Voraussetzungen knüpft, deren Erfüllung im Einzelfall vom leistungsempfangenden Unternehmer unter Beachtung der Wertungen des Gesetzgebers nicht verlangt werden kann. Der Verweis auf eine solche Billigkeitsentscheidung genüge den hier dargestellten Anforderungen des EuGH zum Ausgleich der Belastung des Leistungsempfängers (BFH-Urteil vom 30.06.2015, VII R 30/14, BFHE 250, 34 m. w. N.).

c) Auch die Finanzverwaltung erkennt das Institut des Direktanspruchs inzwischen an und stellt in einem BMF-Schreiben vom 12. April 2022 (BStBl I 2022, 652), auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, verschiedene Kriterien auf, über die im Rahmen eines Billigkeitsverfahrens nach den §§ 163, 227 AO zu entscheiden sei.

d) Im Streitfall sind die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen für das Vorliegen eines Direktanspruchs erfüllt.

Der Kläger hat als Empfänger von tatsächlich erbrachten Bauleistungen die - wegen § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG - durch die leistende F zu Unrecht in Rechnung gestellte Umsatzsteuer an die F gezahlt und diese wiederum hat die Umsatzsteuer an den Fiskus abgeführt. Die F wurde zwischenzeitlich wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gemäß § 394 Abs. 1 FamFG gelöscht und ist damit gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 7 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) aufgelöst. Eine zivilrechtliche Rückforderung der wegen der Nettopreisabrede zwischen dem Kläger und der F nicht geschuldeten Umsatzsteuerbeträge erscheint zwar wegen der durch § 66 Abs. 5 GmbHG eingeräumten Möglichkeit einer Nachtragsliquidation nicht gänzlich unmöglich, aber jedenfalls durch die hierdurch entstehenden zusätzlichen Kosten und besonderen Voraussetzungen übermäßig erschwert im Sinne der EuGH-Rechtsprechung. Denn nach dieser Rechtsprechung gebietet es der Grundsatz der Effektivität insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Leistenden (dort Abgabepflichtigen), dass der Abnehmer seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann (EuGH-Urteil vom 20.10.2011, C-94/10, Danfoss und Sauer-Danfoss, HFR 2011, 1393). Im Fall der Löschung wegen Vermögenslosigkeit streitet der Grundsatz der Effektivität daher erst Recht für die Einräumung eines Direktanspruchs.

Hinzu kommt, dass die F sich ihrerseits auf die Einrede der Verjährung berufen könnte. Die Rückzahlungsansprüche waren nach § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) Ende des Jahres 2017 respektive Ende des Jahres 2019 verjährt. Für den Beginn der Verjährung war insofern nicht maßgeblich, dass der Kläger erst im Rahmen der Außenprüfung von der Rechtsauffassung des Beklagten Kenntnis erlangte, sondern dass ihm die anspruchsbegründenden Umstände bereits im Zeitpunkt der Zahlungen in den Streitjahren 2014 und 2016 bekannt waren (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

Diese Erschwernisse beruhten auch nicht auf Betrug, Missbrauch oder Fahrlässigkeit des Klägers. Von der Fehlbeurteilung der Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG und seinem daraus resultierenden Rückforderungsanspruch hat der Kläger erst im Dezember 2019 Kenntnis erlangt, nachdem die F bereits gelöscht war und die genannten Erschwernisse bereits bestanden bzw. hinsichtlich der im Jahr 2016 entstandenen Rückzahlungsansprüche teilweise (Verjährung) kurz darauf eintraten. Bei der Fehlbeurteilung des Steuerschuldners in Bauträgerfällen handelt es sich nach der Rechtsprechung des BFH zudem um einen entschuldbaren Irrtum (BFH-Beschluss vom 11.05.2020, V B 76/18, BFH/NV 2020, 1047), so dass auch diese Fehlbeurteilung für sich genommen den Direktanspruch nicht ausschließt.

Der Beklagte kann sich ferner seinerseits nicht mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung berufen, etwa, weil der Direktanspruch gegenüber dem Fiskus ist in der Weise akzessorisch zu dem Anspruch des Klägers gegen die F wäre, dass ein Direktanspruch gegenüber dem Fiskus ausscheidet, wenn der Anspruch des Leistungsempfängers gegen den Leistenden aufgrund einer zivilrechtlichen Verjährung dieses Anspruchs nicht mehr durchgesetzt werden kann. Denn nach der dargestellten Rechtsprechung des EuGH (EuGH-Urteil vom 07.09.2023, C-453/22, Michael Schütte/FA Brilon, HFR 2023, 1037) entsteht der Direktanspruch u. a. erst dann, wenn der Anspruch gegen den Leistenden aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen Verjährung nicht mehr durchgesetzt werden kann. Es wäre widersprüchlich, könnte sich die Finanzverwaltung erfolgreich (akzessorisch) auf die Einrede der Verjährung berufen, wenn diese Verjährung den Direktanspruch gegen die Finanzverwaltung erst zum Entstehen bringt.

4. Im Streitfall liegt auch eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Erfordern nämlich - wie vorliegend - gemeinschaftsrechtliche Regelungen eine Billigkeitsmaßnahme ist das in § 163 AO eingeräumte Ermessen des Finanzamts auf Null reduziert (BFH-Urteil vom 30.04.2009, V R 15/07, BFHE 225, 254).

II. Soweit der EuGH in der dargestellten Rechtsprechung den Direktanspruch auch auf die Erstattung der "damit zusammenhängenden Zinsen" und auf die Verzugszinsen, die sich aus der verspäteten Erstattung durch die Steuerbehörde ergeben, erstreckt, bedurfte es hierüber vorliegend keiner Entscheidung. Denn der Kläger hat einerseits insoweit keinen Antrag gestellt, andererseits ergeben sich die vom EuGH benannten Zinsen im Fall der geänderten Festsetzung nach § 163 AO aus dem Gesetz. Die gegen den Kläger etwaig festgesetzten Nachzahlungszinsen sind nach § 233a Abs. 5 AO zu ändern, wenn die Steuerfestsetzung - wie hier - geändert wird. Gleichzeitig werden sich aus der Änderung Erstattungszinsen ergeben, sofern der Kläger die in Folge der gekürzten Vorsteuerbeträge erhöhte Steuer bereits entrichtet hat.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

IV. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO zuzulassen.