Landgericht Hannover
Urt. v. 27.07.2023, Az.: 13 O 87/23

Kein Anspruch auf Rückzahlung aus einem Guthabenkauf in Form eines Dienstleistungskontingents

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
27.07.2023
Aktenzeichen
13 O 87/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 56985
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2023:0727.13O87.23.00

Fundstelle

  • MMR 2024, 362-363

In dem Rechtsstreit
XXXX
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigte:
XXX
gegen
XXX - Beklagte -
XXX
hat das Landgericht Hannover - 13. Zivilkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht XXX als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung vom 07.07.2023 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Und beschlossen:

  1. 4.

    Der Streitwert wird auf 7.461,30 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rückzahlung eines Geldbetrages.

Die Klägerin betreibt eine Praxis für Kiefernorthopädie und Zahnheilkunde. Sie hatte von der XXX für ihr Praxismanagement IT-Hard- und Software und Kontingente für Dienstleistungsstunden bezogen. Sie bat mit E-Mail vom 20.05.2019 unter Bezugnahme auf ein vorheriges Angebot ("über 200 Std. zu 115 €") um ein entsprechend neues Angebot. Die XXX bot darauf mit E-Mail vom 04.06.2019 "auf Basis der langen und guten Zusammenarbeit [an] ... ein letztes Mal ein Kontingent über 200 Stunden zu 120,00 Euro zu verkaufen." Die Klägerin nahm das Angebot am gleichen Tag an (Anlage B2, Bl. 45 d.A.; darauf wird wegen des Inhalts der vorgenannten E-Mails verwiesen). Die XXX übersandte ihr daraufhin die Auftragsbestätigung vom 05.06.2019 (Anlage K1, Bl. 5 d.A.; darauf wird wegen des Inhalts verwiesen) über 200 Stunden Dienstleistungskontingent zum Preis von 24.000,00 € netto. In dieser hieß es unter "Beschreibung":

"Leistungsübersicht:

  • Helpdeskservice

  • Consulting/Workshop

  • Installationen

Leistungserbringung

  • vor Ort

  • per Remotezugriff

  • telefonisch

  • Montag bis Freitag von 8:00 bis 17:00 Uhr

Die Abrechnung erfolgt gem. Tätigkeitsnachweis.

Die Berechnung der Dienstleistungspauschale erfolgt nach Auftragserteilung.

Sollte das Kontingent beim letzten Tätigkeitsnachweis nicht ausreichen, wird über ..."

Die Klägerin zahlte der Beklagten aufgrund der vorgenannten Vereinbarung am 12.06.2019 einen Betrag in Höhe von 28.560,00 € (netto: 24.000,00 €). Die XXX wurde auf die Beklagte mit Wirkung vom 01.07.2019 verschmolzen. Ende Sommer 2020 stellte die Klägerin ihre Hard- und Software in Zusammenarbeit mit einem anderen IT-Dienstleister um. Ab diesem Zeitpunkt nahm sie die Dienste der Beklagten nicht mehr in Anspruch, hatte aber 52,25 Stunden des mit Schreiben vom 05.06.2019 bestätigten Kontingents noch nicht aufgebraucht. Mit Schreiben vom 01.10.2020 teilte sie der Beklagten den Wechsel der IT-Betreuung mit (Anlage K4, Bl. 8 d.A.; darauf wird wegen des Inhalts verwiesen). Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.11.2021 verlangte sie von der Beklagten diese zu erstatten, ihr mithin einen Betrag in Höhe von (52,25 Stunden x 120,00 €/Stunden, zzgl. Umsatzsteuer, mithin) 7.461,30 € zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 7.461,30 € nebst 9 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 7.461,30 € aus Vertrag (nachfolgend zu 1.) oder aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Mod. 1 BGB (nachfolgend zu 2.). Sie kann deswegen auch nicht Verzugszinsen verlangen (nachfolgend zu 3.).

Im Einzelnen:

1. Die Klägerin kann aus dem zwischen den Parteien geschlossenen und am 05.06.2019 bestätigten Vertrag nicht die Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 7.461,30 € verlangen.

a. Die Klägerin und die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der XXX (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) sind durch die Vereinbarung vom 04./05.06.2019 miteinander verbunden. Ob es sich dabei um einen Kaufvertrag i.S.v. §§ 433, 459 BGB oder einen Vertrag sui generes handelt, kann letztlich dahinstehen.

aa. Gegenstand des Vertrages ist der Erwerb eines Guthabens von 200 Stunden für die von der Beklagten auf Abruf der Klägerin zu erbringenden Dienstleistungen, die im Schreiben vom 05.06.2019 skizziert sind und danach noch der Erteilung eines Auftrags bedürfen ("Die Berechnung der Dienstleistungspauschale erfolgt nach Auftragserteilung"). Der BGH hatte für den - aus Sicht der Kammer vergleichbaren Fall - den Erwerb eines Guthabens für noch zu führende Telefonate von Telefonzellen aus im Form von Telefonkarten die rechtliche Einordnung des als solchen bezeichneten Kartenvertrages offengelassen (BGH, Urteil vom 12.06.2001 - XI ZR 274/00 -, BGHZ 148, 74-84, Rn. 10); das OLG Nürnberg (Urteil vom 08.04.2003 - 3 U 3262/02 -, Rn. 22, juris) spricht von einem Telefonkartenvertrag, nach dem der Verpflichtete dem Vertragspartner die Führung von Telefongesprächen im Rahmen des jeweiligen Guthabens zu ermöglichen hat). Berechtigungskarten und Gutscheine verschaffen dem jeweiligen Inhaber die Möglichkeit, eine bestimmte Ware oder Leistung zu verlangen (BGH, a.a.O., Rn. 29). Soweit dort - wie regelmäßig bei Gutscheinen - ein verbrieftes Recht als vorvertraglicher Anspruch auf Abschluss eines späteren Hauptvertrages zu vorbestimmten Konditionen (vgl. LG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 27.08.2013 - 16 S 702/12 -, Rn. 20, juris, m.w.N.; zumeist in Form eines sogenannten kleinen Inhaberpapiers i.S.v. §§ 807, 793 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. OLG Rostock, Urteil vom 25.09.2019 - 2 U 22/18 -, Rn. 77, juris, m.w.N.; LG Oldenburg, a.a.O., Rn. 20; andere gebräuchliche Bezeichnungen sind - so Alfes/Eulenburg in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 807 BGB (Stand: 01.02.2020), Rn. 1 - "unvollkommenes Inhaberpapier", "Inhaberzeichen", "Inhabermarke", "Inhaberverpflichtungsschein") ausgestellt wird, muss ein solches Recht nicht verbrieft sein. So ist es hier: berechtigt aus dem Vertrag war nicht der jeweilige Inhaber des verbrieften Rechts, sondern die Klägerin.

bb. Auch der BFH hat sich mit dem Erwerb von Guthaben - indes natürlich unter finanz- und steuerrechtlichen Erwägungen - befasst, z.B. in dem Fall, dass Guthabenkarten oder auch nur Gutscheincodes zum Aufladen von Nutzerkonten vertrieben wurden und dem Erwerber die Aufladung seines Nutzerkontos mit einem näher bestimmten Nennwert und dann den Erwerb von digitalen Inhalten zu den in einem Store angeführten Preisen ermöglichten (vgl. BFH, Beschluss vom 16.08.2022 - XI S 4/21 (AdV) -, BFHE 276, 456, BStBl II 2023, 419, Rn. 2). Der BFH hat weiter unter Hinweis auf § 3 Abs. 13 Satz 1 UStG, wonach ein Gutschein ein Instrument ist, bei dem die Verpflichtung besteht, es als vollständige oder teilweise Gegenleistung für eine Lieferung oder sonstige Leistung anzunehmen und der Liefergegenstand oder die sonstige Leistung oder die Identität des leistenden Unternehmers entweder auf dem Instrument selbst oder in damit zusammenhängenden Unterlagen, einschließlich der Bedingungen für die Nutzung dieses Instruments, angegeben sind (BFH, a.a.O., Rn. 24), darauf hingewiesen, dass eine Guthabenkarte eine Dienstleistung darstellen, wie eine Ware gehandelt werden kann (vgl. BFH, a.a.O., Rn. 40).

cc. Im Ergebnis hat der Erwerb eines Guthabens hier in Form eines Dienstleistungskontingents danach eigenständige vertragliche Bedeutung und ist nicht - wie die Klägerin meint - als Vorauszahlung im Rahmen eines Software-Pflegevertrages zu qualifizieren. Ein solches Dauerschuldverhältnis mit einem regelmäßig zu erbringenden und bestimmten Leistungsumfang haben die Parteien gerade nicht geschlossen. Im Gegenteil konnte die Klägerin ohne zeitliche Bindung Leistungen der Beklagten auf der Grundlage jeweils zu treffender Vereinbarungen zu den vorbestimmten Konditionen abnehmen, die Beklagte musste (und konnte) nicht ohne solche (wie im Rahmen der Vereinbarung eines laufenden Softwarepflegevertrages) ohne solche tätig werden und ihre Dienstleistungen erbringen. Jede Dienstleistung der Beklagten setzte die Erteilung eines Auftrags voraus (So das Schreiben vom 05.06.2019: "Die Berechnung der Dienstleistungspauschale erfolgt nach Auftragserteilung").

dd. Soweit die Klägerin (unter Bezugnahme auf Palandt § 453 BGB, Rn. 3 und § 399, Rn. 4) meint, es könne sich bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag nicht um einen Rechtskauf handeln, so lässt sich die Frage der Übertragbarkeit und die der Abtretbarkeit nicht gleichsetzen. Ansprüche sind übertragbar (vgl. Grüneberg-Weidenkaff, BGB, 83. Aufl., § 453 Rn. 3), mithin auch der auf Abschluss eines späteren Hauptvertrages. Ob Forderungen auch abtretbar sind, beurteilt sich dagegen nach anderen Maßstäben und kann beispielsweise durch eine schlichte Vereinbarung ausgeschlossen werden, § 399 BGB.

ee. Auch handelt es sich nicht (wie im Fall OLG Koblenz, Urteil vom 27.06.2019 - 1 U 1405/18 -, juris) um die Vereinbarung von Vorschüssen, weil die Klägerin der Beklagten noch keinen Auftrag erteilt, die Parteien also keinen Vertrag geschlossen und damit auch nicht vereinbart haben, dass auf eine danach für die (schon bestimmte) Leistung zu erbringende Gegenleistung Vorschüsse gezahlt werden. So ist auch der Telefonkartenvertrag jedenfalls kein Darlehen im Rechtssinne (BGH, a.a.O., Rn. 21).

b. Eine ausdrückliche Vereinbarung zur Erstattung der Vergütung für nicht von der Klägerin abgerufene Teile des Dienstleistungskontingents haben die Parteien nicht getroffen.

c. Indes besteht auch keine durch eine Auslegung zu schließende Regelungslücke, die der Klägerin einen Rückzahlungsanspruch geben könnte.

aa. Die Parteien haben eine Vereinbarung getroffen, bei der - wie aus den E-Mails zur Vertragsanbahnung ersichtlich - die Klägerin durch den Erwerb eines größeren Kontingents günstigere Konditionen erhalten hat. Die Beklagte konnte die Klägerin dadurch an sich binden und erhielt quasi eine Vorfinanzierung (indes kein Darlehen, s.o.). Bei derartigen Guthaben (und Gutscheinen) übernimmt der Kunde das Verwendungsrisiko; wenn er die Leistung (teilweise) nicht in Anspruch nimmt, dann hat er keinen Anspruch auf (teilweise) Erstattung des dafür vereinbarten Betrages. Alles andere würde das Risiko einseitig auf die Beklagte verlagern, weil sie trotz Gewährung der Konditionen für einen bestimmten Gesamtumfang jederzeit - auch nach Inanspruchnahme von (ggf. nur marginalen) Teilleistungen - sich mit einem Rückforderungsverlangen im Übrigen konfrontiert sehen könnte.

bb. Das Bestätigungsschreiben vom 05.06.2019 macht zudem deutlich, dass die Parteien die Möglichkeit einer Abweichung vom Kontingent durchaus gesehen, aber nur für einen speziellen Fall eine Regelung für notwendig erachtet haben. Danach sind nur Mehrstunden zu vergüten und die Klägerin wäre dafür in den Genuss der Höhe der Vergütung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gekommen.

cc. Ob sich etwas andere ergeben würde, wenn die Leistung aus einem von der Beklagten zu vertretenden Grund nicht mehr erbracht würde, kann dahinstehen, weil es hier die Klägerin ist, die die Leistung der Beklagte nicht mehr in Anspruch nehmen möchte.

dd. Soweit die Klägerin meint, gekündigt zu haben, ist ein Kündigungsrecht unter keinem Gesichtspunkt ersichtlich und dürfte eine solche Kündigung auch nicht mit dem Schreiben vom 01.10.2020 erklärt worden sein. Es handelt sich bei der Vereinbarung der Parteien nicht um ein Dauerschuldverhältnis i.S.v. § 314 BGB und ein wichtiger Grund wäre auch nicht erkennbar; vielmehr realisiert sich schlicht die von den Parteien vorausgesetzte Risikoverteilung, wenn die Klägerin der Beklagten ein größeres Kontingent abnimmt, als sie es ex post dann benötigt.

d. Die Klägerin hat nach alledem keinen vertraglichen Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 7.461,30 € gegen die Beklagte.

2. Die Klägerin kann ihre Forderung auch nicht auf § 812 Abs. 1 Satz 1 Mod. 1 BGB stützen. Die Vereinbarung vom 04./05.06.2019 stellt für die Beklagte den Rechtsgrund dar, die Zahlung der Klägerin behalten zu dürfen.

3. Die Klägerin kann von der Beklagten auch keine Verzugszinsen verlangen. Diese teilen als Nebenforderung das Schicksal der Hauptforderung; hat die Klägerin keinen Anspruch auf den Betrag in Höhe von 7.461,30 €, so befindet sich die Beklagte mit der Zahlung nicht in Verzug und kann die Klägerin deswegen keine Verzugszinsen beanspruchen.

II.

Die - lediglich Rechtsausführungen enthaltenden - Schriftsätze vom 11.07. und 18.07.2023 sind nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangen und geben keinen Anlass, diese gem. § 156 ZPO wiederzueröffnen.

III.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 3 ZPO, § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG.