Abschnitt 2 BtMG§31aARdErl - Hinweise zur Anwendung der § 31a BtMG, § 35a KCanG und § 26a MedCanG durch die Staatsanwaltschaften
Bibliographie
- Titel
- Anwendung des § 31a Abs. 1 BtMG, des § 35a Abs. 1 KCanG und des § 26a Abs. 1 MedCanG sowie Bearbeitung von Ermittlungsverfahren in Strafsachen gegen Betäubungsmittel- und Cannabiskonsumentinnen und Betäubungsmittel- und Cannabiskonsumenten
- Redaktionelle Abkürzung
- BtMG§31aARdErl,NI
- Normtyp
- Verwaltungsvorschrift
- Normgeber
- Niedersachsen
- Gliederungs-Nr.
- 33210
2.1 Geringe Mengen zum Eigenverbrauch
2.1.1 Bezieht sich die Tat auf den Umgang mit Amphetamin in einer Menge bis 3 g oder von bis zu fünf Tabletten Ecstasy (bis zu insgesamt 1,8 g) ausschließlich zum Eigenverbrauch und verursacht die Tat keine Fremdgefährdung, so kann die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 31a BtMG einstellen.
Bezieht sich die Tat auf die nach § 34 KCanG und § 25 MedCanG ohne Mengenuntergrenze strafbaren Tatvarianten der Selbstschädigung durch Cannabis (Herstellung, Ein-, Aus- und Durchfuhr, Sich-Verschaffen sowie Extrahieren) und verursacht die Tat keine Fremdgefährdung, so kann die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 35a KCanG oder § 26a MedCanG einstellen, wenn die tatgegenständliche Menge nicht mehr als 6 g beträgt.
Bezieht sich die Tat auf den zeitgleichen Umgang mit mehreren Betäubungsmittelarten und/oder Cannabis, wobei die Einzelmengen jeweils unterhalb der in den Absätzen 1 und 2 festgelegten Mengen liegen, ist eine Einstellung gemäß § 31a BtMG, § 35a KCanG und § 26a MedCanG regelmäßig nicht angezeigt.
2.1.2 Die in Nummer 2.1.1 Absätze 1 und 2 dargelegten Einstellungskriterien gelten nicht, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Umgang mit Betäubungsmitteln und/oder Cannabis einem anderen Zweck als dem gelegentlichen Eigenkonsum, insbesondere dem Handeltreiben dient.
2.1.3 In Verfahren, die den Besitz, den Erwerb, den Anbau oder die Entgegennahme von Cannabis zum Gegenstand haben und deshalb eine Strafbarkeit der Tathandlungen erst mit Überschreiten der gesetzlich festgelegten Menge eintritt, kommt eine Anwendung von § 35a Abs. 1 KCanG und § 26a Abs. 1 MedCanG nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dies ist der Fall, wenn besondere Umstände die Schuld des Täters als gering erscheinen lassen und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Die Staatsanwaltschaft entscheidet über das Absehen von der Verfolgung nach den Umständen des Einzelfalles.
2.1.4 In Verfahren, die den Umgang mit anderen als den in Nummer 2.1.1 genannten unerlaubten Betäubungsmitteln (Heroin, Kokain usw.) betreffen, kommt eine Anwendung von § 31a BtMG nur in Ausnahmefällen in Betracht. Die Staatsanwaltschaft entscheidet über das Absehen von der Verfolgung nach den Umständen des Einzelfalles.
2.2 Geringe Schuld
Die Annahme geringer Schuld i. S. von § 31a Abs. 1 BtMG, § 35a Abs. 1 KCanG und § 26a Abs. 1 MedCanG stellt eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage einer Gesamtbewertung aller die Tat und die Täterpersönlichkeit betreffenden Einzelumstände dar.
Der Anwendung von § 31a Abs. 1 BtMG, § 35a Abs. 1 KCanG und § 26a Abs. 1 MedCanG steht grundsätzlich nicht entgegen, dass die beschuldigte Person bereits mehrfach wegen Straftaten gegen das BtMG, das KCanG, das MedCanG oder aus anderen Gründen verurteilt worden ist, Ermittlungsverfahren nach diesen Vorschriften eingestellt worden sind oder die Tat während einer laufenden Bewährungszeit begangen wurde. Dies gilt insbesondere, wenn eine Betäubungsmittelabhängigkeit der beschuldigten Person vorliegt oder nicht auszuschließen ist.
2.3 Öffentliches Interesse an der Strafverfolgung
2.3.1 Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht in Anlehnung an die in Nummer 86 der RiStBV (Bezugs-AV zu a) niedergelegten Grundsätze in der Regel, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis der von der Tat Betroffenen hinaus gestört ist und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist.
2.3.2 Sind Gegenstand der Tat Betäubungsmittel, besteht ein öffentliches Interesse insbesondere, wenn
2.3.2.1
Betäubungsmittel in einer Weise gebraucht werden, die eine Verführungswirkung auf nicht abhängige Kinder, Jugendliche und Heranwachsende hat,
2.3.2.2
Betäubungsmittel in der Öffentlichkeit ostentativ, vor besonders schutzbedürftigen Personen (z. B. Kindern oder Jugendlichen) sowie vor oder in Einrichtungen und Anlagen, die regelmäßig von diesen Personen genutzt oder aufgesucht werden (insbesondere Kindertagesstätten, Kindergärten, Spielplätze, Schulen, Jugendheime, Jugendwohnungen oder Bahnhöfe) erworben oder konsumiert werden,
2.3.2.3
die Handlung durch Personen begangen wurde, welche in diesen Einrichtungen tätig oder mit dem Vollzug des BtMG beauftragt sind,
2.3.2.4
die Tat nachteilige Auswirkungen auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs befürchten lässt oder
2.3.2.5
die Tat in Justiz- oder Maßregelvollzugsanstalten oder Kasernen begangen wird.
2.3.3 Ist Gegenstand der Tat Cannabis, besteht ein öffentliches Interesse insbesondere, wenn
2.3.3.1
Cannabis in einer Weise gebraucht wird, die eine Verführungswirkung auf nicht abhängige Kinder, Jugendliche und Heranwachsende hat,
2.3.3.2
die Handlung durch Personen begangen wurde, welche in Einrichtungen und Anlagen, die regelmäßig von besonders schutzbedürftigen Personen (z. B. Kindern oder Jugendlichen) genutzt oder aufgesucht werden (insbesondere Kindertagesstätten, Kindergärten, Spielplätze, Schulen, Jugendheime, Jugendwohnungen oder Bahnhöfe) tätig oder mit dem Vollzug des KCanG und MedCanG beauftragt sind,
2.3.3.2
die Tat nachteilige Auswirkungen auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs befürchten lässt,
2.3.3.3
die Tat in Justiz- oder Maßregelvollzugsanstalten begangen wird oder
2.3.3.4
die Tat gegen die Schutzzwecke der in §§ 5, 10, 36 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c, Nrn. 2, 4 und 6 KCanG geregelten Ordnungswidrigkeitstatbestände verstößt.
2.4 Zeitgleiche Verwirklichung von Ordnungswidrigkeiten gemäß § 36 KCanG und § 27 MedCanG
Gemäß § 21 Abs. 2 OWiG kann eine Handlung, die gleichzeitig eine Straftat und eine Ordnungswidrigkeit betrifft, als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, wenn eine Strafe nicht verhängt wird.
Im Falle eines Absehens von der Strafverfolgung gemäß § 35a KCanG und § 26a MedCanG kann eine zugleich verwirklichte Ordnungswidrigkeit gemäß § 36 KCanG und § 27 MedCanG von der Verfahrenseinstellung explizit ausgenommen und das Verfahren an die zuständige Verwaltungsbehörde abgegeben werden.
2.5 Jugendliche und heranwachsende Beschuldigte
Die Diversionsregelungen in den §§ 45 und 47 JGG stehen der Möglichkeit einer Einstellung des Strafverfahrens nach § 31a BtMG, § 35a KCanG und § 26a MedCanG nicht entgegen. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob eine Einstellung bereits nach diesen Vorschriften möglich ist. Dabei berücksichtigt sie, dass eine solche Verfahrensweise mögliche Stigmatisierungseffekte durch die Eintragung der Verfahrenseinstellung im Erziehungsregister vermeidet. Sie berücksichtigt im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und Gleichbehandlung auch, dass bei Erwachsenen eine entsprechende Registrierung nicht erfolgt.
2.6 Absehen von der Verfolgung bei Geringfügigkeit gemäß § 153 StPO
Eine Eröffnung der Anwendungsbereiche der § 35a KCanG und § 26a MedCanG steht einer Einstellung nach § 153 StPO im Einzelfall nicht entgegen. Nummer 2.4 ist auch im Hinblick auf eine Einstellung nach § 153 StPO zu beachten.
Außer Kraft am 1. Januar 2031 durch Nummer 4 Satz 1 des RdErl. vom 29. November 2024 (Nds. MBl. 2024 Nr. 592, Nds. Rpfl. 2025 S. 17)