Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.11.2024, Az.: 8 Sa 686/23
Anspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf zutreffende Bemessung der Vergütung; Rechtmäßigkeit einer Herabgruppierung durch den Arbeitgeber
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 13.11.2024
- Aktenzeichen
- 8 Sa 686/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 29762
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2024:1113.8Sa686.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 19.09.2023 - AZ: 2 Ca 130/23
Rechtsgrundlagen
- § 611a BGB
- § 134 BGB
- § 37 BetrVG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der Vergütungsanspruch eines freigestellten Betriebsratsmitglieds kann sich sowohl aus § 37 Abs. 4 BetrVG (Vergleichsgruppe) als auch aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG (hypothetische Sonderkarriere) ergeben. In beiden Fällen trägt das Betriebsratsmitglied grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der anspruchsbegründenden Tatsachen.
- 2.
Entschließt sich der Arbeitgeber, das Betriebsratsmitglied zukünftig geringer bzw. nach einer niedrigeren Entgeltgruppe als bisher zu vergüten, hängt die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast davon ab, ob das Betriebsratsmitglied ein schutzwürdiges Vertrauen entwickeln konnte, zu Recht nach der bisherigen Entgeltgruppe vergütet zu werden.
- 3.
Wirken Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied bei der Festlegung einer unangemessen hohen Vergütung kollusiv zusammen, führen sie also in gegenseitigem Einvernehmen wissentlich eine ungerechtfertigte Begünstigung des Betriebsratsmitgliedes herbei, kann sich ein schützenswertes Vertrauen des Betriebsratsmitgliedes nicht entwickeln. Gleiches gilt, wenn es sich dem Betriebsratsmitglied geradezu aufdrängen muss, dass die ihm seitens des Arbeitgebers zugebilligte Entgeltgruppe weder über eine Vergleichsgruppenbildung noch im Hinblick auf eine hypothetische Sonderkarriere gerechtfertigt werden kann und es somit sachwidrig begünstigt.
- 4.
In allen anderen Fällen entwickelt das Betriebsratsmitglied ein schützenswertes Vertrauen darauf, dass seine Eingruppierung in rechtmäßiger Weise erfolgt ist und auch zukünftig Bestand haben wird. Weiterer Voraussetzungen, etwa des arbeitgeberseitigen Nachweises, wie die Vergleichsgruppenbildung im Einzelnen erfolgt ist, oder einer Dokumentation, welche genaue hypothetische Sonderkarriere der Eingruppierung zugrunde gelegt wurde, bedarf es dazu nicht.
- 5.
Ein Betriebsratsmitglied, das darauf vertrauen darf, dass seine Eingruppierung zutrifft, hat keinen Anlass dazu, Unterlagen anzulegen, die dazu geeignet sind, die Rechtmäßigkeit der Eingruppierung zu dokumentieren. Diesem Umstand ist durch eine weitgehende, wenn auch nicht vollständige, Umkehr der Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen.
- 6.
Beruft sich der Arbeitgeber darauf, dass sich die von ihm in der Vergangenheit an das Betriebsratsmitglied gezahlte Vergütung nicht aufgrund einer Vergleichsgruppenbildung rechtfertigen lasse, so hat er substantiiert dazu vorzutragen, nach welchen Kriterien eine Vergleichsgruppenbildung seines Erachtens richtigerweise vorzunehmen ist, welche Arbeitnehmer mit welchen rechtlich relevanten Daten der Vergleichsgruppe angehören und wie sich deren berufliche Entwicklung gestaltet hat. Hat der Arbeitgeber eine solche nachvollziehbare und den Erfordernissen des § 37 Abs. 4 BetrVG genügende Vergleichsgruppenbildung substantiiert ins Verfahren eingeführt, obliegt es dem Betriebsratsmitglied, hiergegen seinerseits substantiierte Einwendungen zu erheben, die geeignet sind, erhebliche Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Vergleichsgruppenbildung zu wecken. Alternativ steht es dem Betriebsratsmitglied offen, eine eigene Vergleichsgruppe zu bilden und hierzu ins Einzelne gehende Darlegungen zu tätigen, aus denen sich eine Rechtfertigung der bisher gezahlten Vergütung ableiten lässt.
- 7.
Hat der Arbeitgeber im Wege einer den obigen Anforderungen genügenden Vergleichsgruppenbildung seine abweichende Eingruppierung hinreichend begründet, kann er sich im Hinblick auf eine hypothetische Sonderkarriere des Betriebsratsmitgliedes grundsätzlich zunächst auf einfaches Bestreiten beschränken. Es ist dann zunächst Aufgabe des Betriebsratsmitgliedes, bei dem Arbeitgeber eingerichtete Stellen zu benennen, für die es qualifiziert zu sein glaubt. Weiter hat das Betriebsratsmitglied auch zu seinen Qualifikationen und Fähigkeiten vorzutragen, die es für die betreffenden Stellen aus seiner Sicht geeignet erscheinen lassen. Im Anschluss hieran obliegt es dem Arbeitgeber, Gegenvortrag zu leisten und substantiiert darzulegen und ggf. auch zu beweisen, dass die behauptete hypothetische Sonderkarriere nicht stattgefunden hätte. Dazu kann er entweder nachweisen, dass das Betriebsratsmitglied für die von ihm genannten Stellen nicht hinreichend qualifiziert ist, oder umfassend darlegen, dass Stellen der vom Betriebsratsmitglied benannten Art im gegenständlichen Zeitraum bei ihm nicht zu besetzen waren.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 19.09.2023 - 2 Ca 130/23 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten auch zweitinstanzlich weiter um die zutreffende Bemessung der Vergütung des Beklagten, der bei der Klägerin freigestelltes Betriebsratsmitglied ist.
Der am 00.00.0000 geborene Beklagte ist seit dem 7. Oktober 0000 bei der Klägerin, einem Unternehmen der Automobilindustrie, tätig und seit dem 4. Mai 2006 freigestelltes Betriebsratsmitglied des bei der Klägerin gebildeten Betriebsrates im Betrieb in .... Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die zwischen der Klägerin und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt geschlossenen Tarifverträge Anwendung.
Der Beklagte ist ausgebildeter Schlosser. Vor Übernahme seines Betriebsratsamtes war er zuletzt als Maschinen- und Anlagenüberwacher im Arbeitssystem ... tätig. Vergütet war er zu diesem Zeitpunkt nach der Entgeltstufe 11 des bei der Klägerin geltenden tariflichen Vergütungssystems.
Im Dezember 2007 erfolgte eine Höhergruppierung des Beklagten in die Entgeltstufe 12, im Juli 2009 in die Entgeltstufe 13 und schließlich im Mai 2011 in die Entgeltstufe 14. Die Klägerin informierte den Beklagten hierüber mit Schreiben vom 30. Oktober 2007, 22. Juni 2009 bzw. 13. Mai 2011 unter Bezugnahme auf die Gehaltsentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung (Anlagenkonvolut B11, Bl. 432 ff. der Akte 1. Instanz).
Bei der Klägerin fanden und finden unternehmensinterne Regelungen zu Betriebsratsvergütung Anwendung, eine Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 08/20 ("GBV-Vergütung") und eine dazugehörige interne Durchführungsanweisung ("DA-Vergütung").
Anlässlich der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen am 10. Januar 2023, nach der der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllt sein kann, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot, § 78 Satz 2 BetrVG, einem Betriebsratsmitglied ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt (Az. 6 StR 133/22), begann die Klägerin, ihr System der Betriebsratsvergütung zu überprüfen.
Im Rahmen der Prüfung der Vergütung des Beklagten ermittelte die Klägerin zunächst eine Vergleichsgruppe von insgesamt 10 Arbeitnehmern, die über eine Ausbildung mit handwerklichem Bezug verfügten und deren Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit sich in einem Korridor von +/-zehn Jahren bewegten. Die beiden bereits in Rente eingetretenen Arbeitnehmer entfernte die Klägerin aus der Gruppe, ebenfalls die älteste der verbleibenden Vergleichspersonen, um eine ungerade Anzahl an Vergleichspersonen zu erzielen. Dies hat die Klägerin damit begründet, dass für die von ihr vorzunehmende Medianbildung eine ungerade Anzahl an Vergleichspersonen erforderlich sei. Von den danach verbleibenden sieben Arbeitnehmern, von denen sich einer in Altersteilzeit befand, waren vier in der Entgeltstufe 12, einer in der Entgeltstufe 17 sowie zwei in der Entgeltstufe 11 eingruppiert. Nach Berechnung der Klägerin ergab sich sodann ein in der Entgeltstufe 12 liegender Median.
Mit per E-Mail übersandtem Schreiben vom 30. Januar 2023 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, die Auszahlung seines Gehalts werde ab Januar 2023 unter dem Vorbehalt der rückwirkenden Anpassung anhand der gebildeten Vergleichsgruppe erfolgen, zudem fordere sie in den Grenzen der tariflichen Ausschlussfrist die überzahlte Vergütung zurück (vgl. Anlage K 3, Bl. 78 f. d.A. 1. Instanz).
Der Beklagte reagierte hierauf mit Schreiben vom 7. Februar 2023, in welchem er die klägerische Anpassung bzw. Rückforderung zurückwies.
Mit Schreiben vom 27. Februar 2023 (Anlage K6, Bl. 86 ff. der Akte 1. Instanz) teilte die Klägerin dem Beklagten mit, er sei entsprechend dem Ergebnis der Vergleichsgruppenbildung nach der Entgeltstufe 12 zu vergüten, und bot dem Beklagten den Abschluss einer Sondervereinbarung an, die eine Stundung der Rückforderung vorsah. Diese lehnte der Beklagte ab.
Ab dem Monat Februar 2023 zahlte die Klägerin dem Beklagten eine um 579,50 Euro brutto gekürzte Vergütung aus, wobei sie hypothetisch für die Vergütung der Mehrarbeit einen Betrag von 8,6 Stunden im Februar 2023 ansetzte. Schichtvergütung erhielt der Beklagte nicht.
Von der Vergütung für den Monat Mai 2023 behielt die Klägerin einen nach ihrer Auffassung überzahlten Betrag i.H.v. 1.118,98 Euro netto ein.
Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht die gerichtliche Feststellung begehrt, dass der Beklagte nach der Entgeltstufe 12 zu vergüten ist. Sie hat ihre Auffassung vorgetragen, sie habe die Vergütung des Beklagten herabsetzen müssen - dies vor dem Hintergrund von Unklarheiten, welche Umstände im Rahmen der Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder Berücksichtigung finden dürfen -, um Strafbarkeitsrisiken der Personalverantwortlichen zu vermeiden. Bei einer rein vergleichsgruppenbezogenen Betrachtung müsse der Beklagte nach der Entgeltstufe 12 vergütet werden. Für überzahlte Vergütung stehe ihr ein bereicherungsrechtlicher Anspruch gegen den Beklagten zu.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
festzustellen, dass der Beklagte zutreffend in Entgeltgruppe 12 eingruppiert ist und entsprechend der Entgeltgruppe zu vergüten ist.
Der Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
die Klage abzuweisen;
widerklagend,
- 1.
die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten für den Monat Mai 1.118,98 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2023 zu zahlen,
- 2.
festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, den Beklagten seit dem 1. Februar 2023 nach Entgeltstufe (ES) 14 der Anlage 1 zum Entgelttarifvertrag zwischen der Volkswagen AG und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vom 5. März 2018 in der Fassung vom 1. Mai 2021, ab dem 1. Juni 2023 in der Fassung vom 23. November 2022 (Anlage 1 zum Verhandlungsergebnis), zu vergüten und die Bruttonachzahlungsbeträge gem. § 22.2 Abs. 2 MTV für die Beschäftigten der Volkswagen AG (Anlage B 2) ab dem jeweils auf den letzten Arbeitstag des Abrechnungsmonats folgenden Tag mit 5%-Punkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Der Beklagte hat erstinstanzlich seine Auffassung vorgebracht, ihm stehe weiterhin eine Vergütung nach der Entgeltstufe 14 zu. Er hat die Vergleichsgruppe als zu klein und zudem als intransparent beanstandet, da die Klägerin ihm die Namen der Vergleichsgruppenmitglieder nicht offengelegt habe.
Ein Rückforderungsanspruch sei vorliegend zudem nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen, jedenfalls habe die Klägerin die tarifvertragliche Ausschlussfrist nicht gewahrt. Nach der Kürzung sei ferner die Schichtvergütung und Vergütung von Mehrarbeit unzutreffend erfolgt; eine Pauschalierung sei insoweit nicht möglich, die individuellen Umstände des Beklagten müssten Berücksichtigung finden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf die dort zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19. September 2023 die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin trage im vorliegenden Fall die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot gem. § 78 Satz 2 BetrVG; dieser habe sie nicht genügt. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergebe sich schon keine ordnungsgemäß zusammengesetzte Vergleichsgruppe, um eine Betrachtung der Vergütungsentwicklung innerhalb dieser Gruppe vornehmen zu können. Soweit die Klägerin aus der Gruppe der Vergleichspersonen die älteste Person herausgenommen habe, die grundsätzlich aber nach ihren eigenen Maßstäben Teil der Vergleichsgruppe wäre, sei jedenfalls aus diesem Grund die sich ergebende Vergleichsgruppe nicht mehr ordnungsgemäß zusammengesetzt, um einen Schluss auf die Vergütungsentwicklung des Beklagten zu erlauben. Es erscheine nicht nachvollziehbar, weshalb die Berechnung des Medians eine ungerade Anzahl an Personen voraussetze. Auch der Ausschluss der konkreten Person erscheine nicht nachvollziehbar und werde auch von der Klägerin nicht näher plausibilisiert. Der Ausschluss orientiert am Alter erscheine dabei auch vor dem Hintergrund der sich aus den §§ 7, 1 AGG ergebenden Wertungen nicht unproblematisch.
Gegen das ihr am 16. Oktober 2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25. Oktober 2023 Berufung eingelegt und diese nach gerichtlich gewährter Fristverlängerung am 18. Januar 2024 begründet.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Sie vertritt die Auffassung, das erstinstanzliche Urteil sei in Bezug auf die Frage, wer für die zutreffende Entgeltstufe die Beweislast trage, rechtsfehlerhaft. Der Beklagte müsse darlegen und beweisen, dass er nach der Entgeltstufe 14 zu vergüten sei.
Die Klägerin meint weiter, die bei der seinerzeit vorgenommenen Höhergruppierung des Beklagten gebildeten Vergleichsgruppen seien nicht mit den Vorgaben des § 37 Abs. 4 BetrVG vereinbar gewesen. Dies habe sie korrigieren können und müssen. Im erstinstanzlichen Verfahren habe sie, wie das Arbeitsgericht rechtsfehlerhaft verkannt habe, eine den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügende Vergleichsgruppe gebildet.
In Erfüllung des gerichtlichen Auflagenbeschlusses vom 12.06.2024 hat die Klägerin eine Auswertung bezüglich aller 637 Maschinen- und Anlagenüberwacher am Standort ... sowie der darunter fallenden 28 Maschinen- und Anlagenüberwacher, die über eine Ausbildung als Schlosser verfügen, vorgenommen (Bl. 746 d.A., Anlagen K 24, K 25). Die Klägerin verweist darauf, dass in beiden Fällen der Median in der Entgeltstufe 11 lag.
Hinsichtlich einer hypothetischen Karriere bringt die Klägerin erneut ihre Rechtsauffassung vor, der Beklagte müsse das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen durch ausreichende Hilfstatsachen darlegen und beweisen. Die vom Beklagten ins Feld geführte Stelle im ... verfange nicht, da es zum Zeitpunkt des Angebotes durch Herrn ... an einer freien Stelle gerade gefehlt habe. Mit Blick auf die sonstigen Aufgaben im Betriebsratsamt, die der Beklagte durch Verweis auf die Stellungnahme eines anderen Betriebsratsmitglieds zu belegen versuche, namentlich in der Fachgruppe Integration bzw. der Arbeitsgruppe "Runder Tisch", der einjährigen Tätigkeit als stellvertretender Ausschusssprecher des Personalausschusses und im Ausschuss VW Group Services, sei eine Berücksichtigung dieser Erfahrungen aus dem Betriebsratsamt nach dem Zweiten Gesetz zur Änderung des BetrVG ebenfalls fraglich, zumal es sich ebenfalls um keine "formalen Qualifikationen" handele. Zudem führe der Beklagte zwar schlagwortartig aus, er sei tief involviert in Personalthemen, Vergütungsfragen, Integration, Beschäftigungsförderung und Teilhabe sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz, stelle aber keinerlei Bezug zu einer konkreten freien Stelle her, auf der diese Erfahrungen zum Tragen kommen könnten. Das sei aber nach dem neuen Gesetz zur Änderung des BetrVG erforderlich, das verlange, dass die Erfahrungen außerhalb des Betriebsratsamtes für eine konkrete freie Stelle karriere- und vergütungsrelevant sind.
Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 19.09.2023, Az. 2 Ca 130/23, abzuändern und festzustellen, dass der Beklagte zutreffend in Entgeltgruppe 12 eingruppiert ist und entsprechend zu vergüten ist,
- 2.
die Widerklage abzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts als zutreffend und führt aus, die von der Klägerin gebildete Vergleichsgruppe sei weiterhin fehlerhaft. Zwar habe die Klägerin nun mit Schriftsatz vom 01.10.2024 eine de-anonymisierte Liste von 637 Maschinen- und Anlagenüberwachern vorgelegt, der Beklagte habe jedoch keine eigene Kenntnis von der Vollständigkeit oder ordnungsgemäßen Ermittlung des Personenkreises und müsse daher mit Nichtwissen bestreiten, dass es sich hierbei um ausschließlich um Personen handele, die mit ihm im Amtsübernahmezeitpunkt vergleichbar waren. So sei bereits unklar, welche konkreten Tätigkeiten jeweils ausgeübt worden seien. Verschiedene Arbeitssysteme seien mit unterschiedlichen Tätigkeitsbeispielen hinterlegt. Die konkrete Tätigkeit des Beklagten an kubischen Bauteilen sei von der Klägerin nicht hinreichend erfasst worden. Darüber hinaus sei auch die persönliche Qualifikation und Leistungsfähigkeit bei der Vergleichsgruppenbildung zu berücksichtigen. Ob die Qualifikationen des ausgewählten Personenkreises mit der des Beklagten, eines Bauschlossers mit Facharbeiterbrief, vergleichbar seien, sei unklar. Nach der Durchführungsanweisung zur Gesamtbetriebsvereinbarung Betriebsratsvergütung sei bezüglich der persönlichen Leistungsfähigkeit ein Punktewert zu ermitteln. Die vom Beklagten selbst benannten Personen hätten sich allesamt auf höhere Entgeltstufen entwickelt.
Im Hinblick sowohl auf die Vergleichsgruppenbildung als auch auf eine hypothetische Karriereentwicklung trägt der Beklagte vor, er habe sich schon vor seiner Zeit als Betriebsrat (2006) durch folgende Seminare weitergebildet:
Wirtschafts- und Sozialstaatspolitik (23.11.-05.12.1997)
Entgelt- und Leistungspolitik bei Volkswagen (22.02.-26.02.1999)
Akademiekurs-Gesellschaft im Umbruch (19.02.-30.03.2001)
Referentenweiterbildung VKL/BR (08.10.-12.10.2001)
Qualifizierung Wahlvorstand (11.12.2001)
Qualifikationsreihe VKL (18.04.-21.04.2004)
Qualifizierung für VK-Leitungsmitglieder (30.08.-01.09.2004)
Entgelt- und Leistungspolitik-Tarifverträge VW (09.01.-21.01.2005)
Referentenweiterbildung A0 (29.05.01.06.2005)
Referentenweiterbildung (27.06.-01.07.2005)
Referentenweiterbildung (14.08.-26.08.2005)
Der Beklagte trägt weiter vor, auch während seiner Zeit im Amt habe er sich stets weiterentwickelt und entsprechend fortgebildet. Er habe folgende Seminare besucht:
BR Kompakt Mitbestimmung und Betriebsratshandeln (04.02.-09.02.2007)
Mobbing und Psychoterror am Arbeitsplatz erkennen und verhindern, Teil 1 (27.02.-29.02.2008)
Gute Arbeit-Konfliktmanagement gegen Mobbing (11.03.-13.03.2009)
Unternehmenskultur und die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (08.06.-09.06.2009)
BR1-Interessenvertretung im Betrieb (08.05.-13.05.2011)
Europäische Wirtschaftskompetenz (11.11.-15.11.2013)
Mitbestimmung und Betriebsratshandeln (04.09.-09.09.2016)
Referentenweiterbildung (16.10.-21.10.2016)
BR Kompakt Personelle Maßnahmen und Betriebsratshandeln (04.12.-09.12.2016)
Mediation-Ausbildung zum betrieblichen Mediator Modul1 (07.05.-12.05.2017)
Mediation-Ausbildung zum betrieblichen Mediator Modul2 (02.07.-07.07.2017)
Arbeitszeit-Gestaltungsmöglichkeiten des Betriebsrats (20.08.-25.08.2017)
Mediation-Ausbildung zum betrieblichen Mediator Modul3 (03.09.-08.09.2017)
Mediation-Ausbildung zum betrieblichen Mediator Modul4 (19.11.-24.11.2017)
Mediation-Ausbildung zum betrieblichen Mediator (04.02.-08.02.2018)
Abschlussprüfung Zertifizierung
Konfliktklärung durch Doppeln (08.02.-09.02.2018)
Modul1-mein Beratungsprofil als Betriebsrat (21.08.-24.08.2018)
Modul2-Systemtheorie und die eigene Organisation verstehen (23.09.-28.09.2018)
Modul3-Beratungsgrundlagen und Beratungssettings (13.11.-16.11.2018)
Modul4-Systemische Beteiligungs- und Beratungsprojekte im eigenen Betrieb (11.12.-14.12.2018)
Follow UP-Systemische Prozessberatungsausbildung/Zertifizierung (13.01.-15.01.2019)
Systemische Prozessberaterausbildung Prüfungsmodul (07.03.-09.03.2019)
Qualifizierungsreihe für neue Betriebsräte (03.02.-07.02.2020)
Der Beklagte macht geltend, ihm sei von Herrn ... eine Stelle "Technischer Sachbearbeiter (Personalverschiebungen für Aus- und Anlaufkostenstellen, vergleichbar Transformationsprozesse)" mit einer Vergütung von ES 13 - ES 19 angeboten worden. Er, der Beklagte, sei der bestgeeignete Kandidat gewesen. Weitere Personen mit den Erfahrungswerten des Beklagten hätten nicht zur Verfügung gestanden. Herr ... habe angegeben, dass keiner seiner "etlichen Sachbearbeiter" das Wissen und die Erfahrung des Beklagten mit "Personalverschiebungen" besessen habe. Die Aufgaben seien auch unstreitig vorhanden gewesen und nach Ablehnung durch den Beklagten von einem Unterabteilungsleiter übernommen worden. Aus den Angaben des Herrn ... gehe hervor, dass es an ihm gelegen habe, die Wichtigkeit der Stelle einzuordnen, und dass er die Zuständigkeit besessen habe, im Rahmen des Transformationsprozesses der Auflösung und Integration des Produktcenters 4 in das Produktcenter 3 Stellen zu schaffen. Im Tätigkeitsbeispiel TB 611 (Sachbearbeiter) sei die Vergütung in ungeraden Entgeltstufen vorgesehen. Nach der dargestellten Tarifautomatik werde man nach spätestens zwei Jahren in die nächsthöhere gerade Stufe umgruppiert. Hätte der Beklagte die Stelle mit der hierfür vorgesehenen Mindestvergütung ES 13 erhalten, hätte er sich nach zwei Jahren in ES 14 entwickelt. Es habe auch noch weitere Stellenangebote gegeben. Der Beklagte hätte sich im Falle einer Bewerbung im Jahr 2021 zudem zum "Mitarbeiter Personalmanagement (m/w/d) ... ..." entwickelt. Er übe die dort vorgesehenen Tätigkeiten bereits spiegelbildlich in seiner Funktion als Betriebsrat aus und hätte sich insofern auf Basis seiner Erfahrungswerte gegenüber anderen Kandidaten durchgesetzt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in zweiter Instanz wird auf die dort zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und die Protokolle der Kammerverhandlungen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Der Beklagte ist gem. § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB durchgängig nach der Entgeltstufe 14 des einschlägigen Tarifvertrages zu vergüten. Dementsprechend ist auch der widerklagend geltend gemachte Zahlungsanspruch des Beklagten für den Monat Mai 2023 begründet.
I.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II.
Der Feststellungsantrag der Klägerin, der Beklagte sei zutreffend in die Entgeltstufe 12 einzugruppieren und entsprechend zu vergüten, ist unbegründet. Die Klägerin hat zwar hinreichende Umstände dafür vorgetragen, dass die Vergütung des Beklagten sich anhand einer zutreffend vorgenommenen Vergleichsgruppenbildung gem. § 37 Abs. 4 BetrVG (allenfalls) nach der Entgeltstufe 12 zu richten vermag. Allerdings hat die Klägerin keine ausreichenden Darlegungen getätigt, die dazu führen, dass das Gericht es mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als ausgeschlossen ansehen kann, dass der Beklagte eine Eingruppierung nach Entgeltstufe 14 im Wege einer hypothetischen Sonderkarriere erreicht hätte.
1.
Der Vergütungsanspruch eines Betriebsratsmitglieds kann sich sowohl aus § 37 Abs. 4 BetrVG (Vergleichsgruppe) als auch aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG (hypothetische Sonderkarriere) ergeben (vgl. BAG, Urt. v. 17.08.2005 - 7 AZR 528/04). In beiden Fällen trägt das Betriebsratsmitglied grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der anspruchsbegründenden Tatsachen (vgl. BAG, Urt. v. 20.01.2021 - 7 AZR 52/20 - Rn. 24 m.w.N.).
Nach Auffassung der 1. und der 5. Kammer des LAG Niedersachsen kann die Darlegungs- und Beweislast allerdings in entsprechender Anwendung der Rechtsgrundsätze, die bei einer korrigierenden Rückgruppierung zur Anwendung kommen (zuletzt BAG, Urt. v. 16. August 2023 - 4 AZR 339/22), auf den Arbeitgeber übergehen, wenn er den Betriebsrat nach einer niedrigeren als der bisher als zutreffend angenommenen Entgeltstufe vergüten will (vgl. LAG Nds., Urt. v. 01.07.2024 - 1 Sa 636/23; Urt. v. 27.06.2024 - 5 Sa 663/23). Dieser Ansicht schließt sich die 8. Kammer in Teilen an. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist bei dieser höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage folgende Prüfung vorzunehmen:
a)
Die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast setzt zunächst voraus, dass der Arbeitgeber mit dem Betriebsratsmitglied die Eingruppierung in eine bestimmte Entgeltgruppe vereinbart oder dem Betriebsratsmitglied eine dahingehende einseitige Zusage gemacht hat. Ausreichend kann es insoweit auch sein, dass der Arbeitgeber dem Betriebsratsmitglied tatsächlich ein Entgelt in bestimmter Höhe zahlt, falls sich für einen objektiven Dritten in der Rolle des Betriebsratsmitgliedes daraus die Schlussfolgerung ergibt, einer damit korrespondierenden Entgeltgruppe zugeordnet zu sein.
b)
Eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich bei dem Betriebsratsmitglied ein schutzwürdiges Vertrauen entwickeln konnte, zu Recht nach der betreffenden Entgeltgruppe vergütet zu werden. Wirken etwa Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied bei der Festlegung einer unangemessen hohen Vergütung kollusiv zusammen, führen beide also in gegenseitigem Einvernehmen wissentlich eine ungerechtfertigte Begünstigung des Betriebsratsmitgliedes herbei, beispielsweise um das Betriebsratsmitglied für eine dem Arbeitgeber günstige Amtsführung zu belohnen, kann sich ein schützenswertes Vertrauen des Betriebsratsmitgliedes nicht entwickeln. Gleiches gilt, wenn es sich dem Betriebsratsmitglied geradezu aufdrängen muss, dass die ihm seitens des Arbeitgebers zugebilligte Entgeltgruppe weder über eine Vergleichsgruppenbildung noch im Hinblick auf eine hypothetische Sonderkarriere gerechtfertigt werden kann und es somit sachwidrig begünstigt. Konnte das Betriebsratsmitglied ein schutzwürdiges Vertrauen nicht entwickeln, erscheint es auch nicht angemessen, zu seinen Gunsten von den grundsätzlichen Regeln zur Darlegungs- und Beweislast abzuweichen.
c)
Liegt weder ein kollusives Zusammenwirken von Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied noch eine offenkundig unangemessene Eingruppierung bzw. Vergütungshöhe vor, so entwickelt sich beim Betriebsratsmitglied ein in der Regel rechtlich schützenswertes Vertrauen darauf, dass seine Eingruppierung in rechtmäßiger Weise erfolgt ist und auch zukünftig Bestand haben wird. Weiterer Voraussetzungen, etwa des arbeitgeberseitigen Nachweises, wie die Vergleichsgruppenbildung im Einzelnen erfolgt ist, oder einer Dokumentation, welche genaue hypothetische Sonderkarriere der Eingruppierung zugrunde gelegt wurde, bedarf es dazu nach der Auffassung des erkennenden Gerichts nicht.
d)
Ein Betriebsratsmitglied, das darauf vertraut und nach den vorstehend aufgeführten Maßstäben auch darauf vertrauen darf, dass seine Eingruppierung zutrifft, hat keinen Anlass dazu, Unterlagen anzulegen, die dazu geeignet sind, die Rechtmäßigkeit der Eingruppierung zu dokumentieren. Insbesondere wird es sich nicht veranlasst sehen, Belege über offene Stellen, für die es in Frage gekommen wäre, zu sammeln oder sich gar auf solche Stellen zu bewerben. Diesen Umständen ist zur Überzeugung des erkennenden Gerichts durch eine weitgehende - wenn auch nicht vollständige - Umkehr der Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen.
aa)
Beruft sich der Arbeitgeber darauf, dass sich die von ihm in der Vergangenheit an das Betriebsratsmitglied gezahlte Vergütung nicht aufgrund einer Vergleichsgruppenbildung rechtfertigen lasse - bzw., dass eine seinerzeit vorgenommene Vergleichsgruppenbildung sachlich unzutreffend erfolgt sei -, so hat er substantiiert dazu vorzutragen, nach welchen Kriterien eine Vergleichsgruppenbildung seines Erachtens vorzunehmen ist, welche Arbeitnehmer mit welchen rechtlich relevanten Daten der Vergleichsgruppe angehören und wie sich deren berufliche Entwicklung gestaltet hat. Rechtsirrig wendet die Klägerin in diesem Zusammenhang ein, die Offenlegung dieser Daten sei aufgrund der Vorgaben der DSGVO bedenklich oder sogar unzulässig. Es muss dem Betriebsratsmitglied ermöglicht werden, die arbeitgeberseitige Ermittlung der Vergleichsgruppe auch tatsächlich nachvollziehen zu können. Die Vergleichsgruppe muss - wenn im Betrieb bzw. Unternehmen genügend vergleichbare Arbeitnehmer tätig sind - groß genug sein, um auf ihrer Grundlage eine statistisch fundierte Aussage treffen zu können. Hat der Arbeitgeber eine solche nachvollziehbare und den Erfordernissen des § 37 Abs. 4 BetrVG genügende Vergleichsgruppenbildung substantiiert ins Verfahren eingeführt, obliegt es dem Betriebsratsmitglied, hiergegen seinerseits substantiierte Einwendungen zu erheben, die geeignet sind, erhebliche Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Vergleichsgruppenbildung zu wecken. Alternativ steht es dem Betriebsratsmitglied offen, eine eigene Vergleichsgruppe zu bilden und hierzu ins Einzelne gehende Darlegungen zu tätigen, aus denen sich eine Rechtfertigung der bisher gezahlten Vergütung ableiten lässt.
bb)
§ 37 Abs. 4 BetrVG ist keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers. Die Vorschrift soll nur die Durchsetzung des Benachteiligungsverbots durch einfach nachzuweisende Anspruchsvoraussetzungen erleichtern. Daneben kann sich ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung aus § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen (BAG, Urt. v. 4. November 2015 - 7 AZR 972/13 - Rn. 30 m.w.N.).
Hat der Arbeitgeber im Wege einer den obigen Anforderungen genügenden Vergleichsgruppenbildung seine abweichende Eingruppierung hinreichend begründet, kann er sich im Hinblick auf eine hypothetische Sonderkarriere des Betriebsratsmitgliedes grundsätzlich zunächst auf einfaches Bestreiten beschränken. Es ist dann zunächst Aufgabe des Betriebsratsmitgliedes, bei dem Arbeitgeber eingerichtete Stellen zu benennen, für die es qualifiziert zu sein glaubt. Weiter hat das Betriebsratsmitglied auch zu seinen - von Anfang an bestehenden oder während der Betriebsratstätigkeit erworbenen - Qualifikationen und Fähigkeiten vorzutragen, die es für die betreffende(n) Stelle(n) aus seiner Sicht geeignet erscheinen lassen. Hingegen wird man von ihm für gewöhnlich nicht verlangen können, Vortrag dazu zu halten, welche dieser Stellen zu welchem Zeitpunkt frei gewesen ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - es sich um einen Betrieb mit zahlreichen Arbeitnehmern handelt und das Betriebsratsmitglied schon seit langer Zeit nach der nunmehr streitig gewordenen Entgeltgruppe vergütet wird. Hat das Betriebsratsmitglied seiner Darlegungslast genügt, so obliegt es dem Arbeitgeber, Gegenvortrag zu leisten und substantiiert darzulegen und ggf. auch zu beweisen, dass die behauptete hypothetische Sonderkarriere nicht stattgefunden hätte. Dazu kann der Arbeitgeber entweder nachweisen, dass das Betriebsratsmitglied für die von ihm genannte(n) Stelle(n) nicht hinreichend qualifiziert ist, wofür aber der Verweis auf formal in Stellenanzeigen verlangte Qualifikationen nicht ausreicht, sondern eine umfassende Darstellung der tatsächlichen Einstellungspraxis erforderlich ist. Stattdessen kann er - falls dies der Wahrheit entspricht - auch darlegen, dass Stellen der vom Betriebsratsmitglied benannten Art im gegenständlichen Zeitraum bei ihm nicht zu besetzen waren. Gab es im gegenständlichen Zeitraum bei ihm freie Stellen, hat er hierzu eine vollständige Darstellung zu tätigen und jeweils ins Einzelne gehend zu erläutern, weshalb eine Bewerbung des Betriebsratsmitgliedes nach seiner Auffassung ohne Erfolg geblieben wäre.
2.
Die Voraussetzungen dafür, dass sich bei dem Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtmäßigkeit einer Eingruppierung und Vergütung nach Entgeltstufe 14 entwickeln konnte, lagen hier vor. Die Klägerin hatte dem Beklagten jeweils eine schriftliche Mitteilung zukommen lassen. Zwar enthielt die Mitteilung an den Beklagten über seine zukünftige Vergütung gem. Entgeltstufe 14 vom 13. Mai 2011 lediglich eine pauschale Bezugnahme auf die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer. Erläuterungen, etwa zur Vorgehensweise des Arbeitgebers bei der Feststellung der Vergleichsgruppe oder eine Auflistung der vergleichbaren Arbeitnehmer waren der Mitteilung nicht beigefügt. Solcher Erläuterungen bedurfte es nach der hier vertretenen Ansicht aber auch nicht, um ein schutzwürdiges Vertrauen des Beklagten entstehen zu lassen. Hinzu kommt, dass die Richtigkeitsgewähr des Informationsschreibens aus Sicht des Beklagten durch den Umstand erhöht war, dass die Entgelterhöhung durch die Kommission Betriebsratsvergütung und damit durch ein Fachgremium beschlossen worden war. Für den Beklagten bestanden insofern keine Anhaltspunkte für einen Verstoß dieser Vergütungsentscheidung gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot. Er durfte vielmehr insbesondere auf die Richtigkeit der Entscheidung der Kommission Betriebsratsvergütung vertrauen.
Ein damaliges kollusives Zusammenwirken in Begünstigungsabsicht wird von keiner der Parteien behauptet. Eine Entwicklung der Vergütung zur Entgeltstufe 14 erscheint vorliegend auch nicht offenkundig unangemessen.
Die Klägerin ist somit nach den oben dargestellten Grundsätzen im Ergebnis dafür darlegungs- und beweisbelastet, dass die Entscheidung über die Zahlung einer Vergütung nach Entgeltstufe 14 gegen das Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG verstößt und damit gem. § 134 BGB nichtig ist.
a)
Die Klägerin hat substantiiert dargelegt, dass sich anhand einer Vergleichsgruppenbildung gerade kein Anspruch des Beklagten auf Vergütung nach der Entgeltstufe 14, sondern vielmehr - allenfalls - ein solcher auf Vergütung nach der Entgeltstufe 12 ergibt.
Gem. § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Vergleichbar im Sinne der Vorschrift sind solche Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme des Betriebsrates ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie der Amtsträger und dafür in gleicher Weise wie dieser fachlich und persönlich qualifiziert waren. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der Vergleichsgruppe ist dabei der Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamtes (BAG, Urt. v. 18. Januar 2017 - 7 AZR 205/15). Eine Entwicklung ist dann betriebsüblich, wenn die Mehrheit der vergleichbaren Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht eine solche Entwicklung vorgenommen hat (BAG, Urt. v. 18. Januar 2017 - 7 AZR 205/15). Besteht aufgrund deutlicher individueller Unterschiede keine Mehrheit im Hinblick auf die berufliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer, so kann der Arbeitgeber eine solche Entwicklung auch durch die Bildung eines Durchschnittswertes oder eines Median feststellen (vgl. BAG, Urt. v. 19. Januar 2005 - 7 AZR 208/04; Richardi in: Richardi/Thüsing, BetrVG, 17. Auflage 2022, § 37 Rn. 78a).
Daran gemessen hat die Klägerin in der Berufungsinstanz auf gerichtlichen Hinweis substantiiert dargelegt, dass sich das Entgelt der Mehrheit der vergleichbaren Arbeitnehmer nicht über die Entgeltstufe 11 hinaus entwickelt hat.
So hat die Klägerin unter Einreichung einer umfangreichen Auswertung vorgetragen, im Betrieb in ... seien 637 mit dem Beklagten vergleichbare Arbeitnehmer als Maschinen- und Anlagenüberwacher tätig. Der Median der Vergütung liege hier in der Entgeltstufe 11. Auch wenn man die Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer auf diejenigen Personen beschränke, die wie der Beklagte eine Ausbildung zum Schlosser absolviert hätten, läge der Median in der Entgeltstufe 11. Lediglich bei einer auf die Organisationseinheit PSF-3/33 beschränkten Betrachtung liege der Median bei der Entgeltstufe 12.
Diesem Vortrag ist der Beklagte nicht erheblich entgegengetreten. Es ist der Klägerin entgegen des Vortrags des Beklagten hier nicht zuzumuten, konkrete Unterschiede oder Gemeinsamkeiten im Hinblick auf die durchgeführte Tätigkeit aufzuzeigen. Auch ist die persönliche Leistungsfähigkeit bei der Betrachtung anhand der Vergleichsgruppe gerade außer Acht zu lassen. Die vom Beklagten geforderten Einzelheiten widersprechen gerade dem Zweck einer Vergleichsgruppenbetrachtung, die vor allem der Festlegung einer Betriebsratsvergütung in der Praxis dient und gerade nicht zur Berücksichtigung individueller Unterschiede zwischen grundsätzlich vergleichbaren Arbeitnehmern bestimmt ist. Damit sind auch die vom Beklagten behaupteten Fortbildungen für die Bildung einer Vergleichsgruppe nicht von Bedeutung. Auch hat der Beklagte nicht vorgetragen, wie anhand der von der Klägerin aufgelisteten Arbeitnehmer eine Vergleichsgruppe zu bilden wäre, aus der sich eine Vergütung der Mehrheit vergleichbarer Arbeitnehmer gemäß Entgeltstufe 14 ergibt. Dies wäre ihm auch möglich und auch zumutbar gewesen.
Dahinstehen kann, ob die Vergleichsgruppenbildung hier betriebs- oder auf die Organisationseinheit des Beklagten bezogen durchzuführen war. Eine Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer nach der Entgeltstufe 14 ergibt sich in beiden Varianten nicht.
b)
Ein Anspruch des Beklagten auf Vergütung nach Entgeltstufe 14 ergibt sich indes aus § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB.
Der Beklagte hat in hinreichendem Umfang tatsächliche Anhaltspunkte für eine hypothetische Sonderkarriere vorgetragen. Die sodann nach den oben dargelegten abgestuften Grundsätzen darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat nicht durchgreifend dargelegt, dass eine solche hypothetische Sonderkarriere des Beklagten nicht stattgefunden hätte.
Der Beklagte hat umfangreich zu seinen vor und während der Betriebsratstätigkeit erworbenen zusätzlichen Qualifikationen vorgetragen. Insbesondere hat er substantiiert vorgetragen und durch Vorlage entsprechender Urkunden auch hinreichend belegt, dass er zum betrieblichen Mediator und zum systemischen Prozessberater ausgebildet worden ist. Weiter folgt aus der langjährigen Betriebsratstätigkeit ergänzend auch eine erhebliche praktische Erfahrung in Fragen der personellen und sozialen Mitbestimmung. Der Beklagte hat sich darauf berufen, aufgrund seiner Qualifikationen als Mitarbeiter im Personalmanagement für die Klägerin tätig werden zu können, sei es als Integrationsexperte, sei es im Rahmen der Planung von "Personalverschiebungen". Der Beklagte hat auch hinlänglich nachvollziehbar dazu vorgetragen, dass diese Stellen nach Entgeltstufe 14 vergütet waren bzw. dass er im Laufe des Betrachtungszeitraumes auf einer dieser Stellen eine Vergütung nach Entgeltstufe 14 erreicht hätte.
Vor dem Hintergrund dieses substantiierten Vortrages hätte es der Klägerin oblegen, ihrerseits substantiierten Gegenvortrag zu leisten. Dies hat sie nicht in dem erforderlichen Maße getan. Es reicht, wie die Klägerin verkennt, nicht aus, lediglich zu den beiden vom Beklagten konkret genannten Stellen Position zu beziehen und sich ansonsten nicht weiter zur Sache einzulassen. Angesichts der zahlreichen bei der Klägerin - auch und gerade im Personalmanagement - vorhandenen Stellen und des langen Betrachtungszeitraumes - der Beklagte wird seit 2011 nach Entgeltstufe 14 vergütet - hätte die Klägerin umfassend zu den in diesem Zeitraum bei ihr besetzten Stellen der vom Beklagten genannten Art vortragen müssen. Sie hätte dazu die Besetzungsvorgänge nach Zahl, Art und Zeitpunkt im Einzelnen offenlegen müssen, die verlangten und vom letztlich erfolgreichen Bewerber mitgebrachten Qualifikationen darstellen müssen und jeweils darlegen müssen, weshalb der Beklagte die notwendigen Kenntnisse nicht mitbringt oder sich gegen den erfolgreichen Bewerber nicht durchgesetzt hätte.
Da die Klägerin ihrer Darlegungslast nicht genügt hat, kann sie die begehrte Feststellung nicht mit Erfolg erreichen.
3.
Da der Beklagte durchgängig von der Klägerin nach Entgeltstufe 14 zu vergüten ist, besitzt er gegen die Klägerin auch den widerklagend geltend gemachten Zahlungsanspruch i.H.v. 1.118,98 Euro für den Monat Mai 2023 aus § 78 S. 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB sowie den widerklagend geltend gemachten Feststellungsanspruch.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Kosten waren der in der Berufungsinstanz vollumfänglich unterlegenen Klägerin aufzuerlegen.
Die Entscheidung über die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. In Fällen, in denen der Arbeitgeber den Betriebsrat nach einer niedrigeren als der bisher als zutreffend angenommenen Entgeltstufe vergüten will, kommt insbesondere der vorliegend entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und -fähigen Frage nach der Darlegungs- und Beweislast grundsätzliche Bedeutung zu.