Amtsgericht Delmenhorst
Urt. v. 15.02.2023, Az.: 48 C 8533/22 (XV)

Abgeltung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten mit der Zahlung bei Zahlungserinnerung nach einem Vergleich in einem sog. Abgasverfahren

Bibliographie

Gericht
AG Delmenhorst
Datum
15.02.2023
Aktenzeichen
48 C 8533/22 (XV)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 11061
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGDELMH:2023:0215.48C8533.22.00

Amtlicher Leitsatz

Wird in einem Vergleich in einem sog. Abgasverfahren vereinbart, dass mit der Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in einer bestimmten Höhe "sämtliche außergerichtliche Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der vorliegenden Angelegenheit" abgegolten sind, stellt eine nach Ablauf der vereinbarten Zahlungsfrist erfolgte anwaltliche Zahlungserinnerung keine andere Angegelenheit gemäß § 15 Abs. 2 RVG dar.

In dem Rechtsstreit
Klägerin
gegen
Beklagte
hat das Amtsgericht Delmenhorst auf die mündliche Verhandlung vom 11.01.2023 für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe vom 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch.

Die Klägerin hatte von der Beklagten einen vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Pkw erworben. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens haben die Parteien im Sommer 2018 einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen, in welchem die Details der Rückabwicklung des Kaufvertrages vereinbart worden sind. Das Gerichtsverfahren ist sodann mit der Rücknahme der Berufung durch die Klägerin abgeschlossen worden.

In Ziffer 4.1 des Vergleichs ist vereinbart, dass die Beklagte die Klägerin zur Abgeltung vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten eine 2,0 und eine 1,3 Geschäftsgebühr zahlt. Damit sollten "sämtliche außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der vorliegenden Angelegenheit" abgegolten sein. In Ziffer 4.2 hat sich die Beklagte auch zur Zahlung der durch das gerichtliche Verfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten verpflichtet. Gemäß Ziffer 4.4 soll die Zahlung der in Ziffern 4.1-4.3 vereinbarten Verfahrenskosten innerhalb von zwei Wochen nach Eingang der Abrechnung erfolgen. Auf die am 18.06.2018 und 06.07.2018 unterschriebene Vergleichsvereinbarung (K1, Bl. 46) wird Bezug genommen.

Am 17.10.2018 haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin entsprechend der Vergleichsvereinbarung Rechtsanwaltskosten hin Höhe von 14.690,43 € in Rechnung gestellt. Die Rechnung ist per E-Mail übersandt worden. Mit einem ebenfalls per E-Mail übersandten Schriftsatz vom 21.11.2018 haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Beklagte an die Zahlung erinnert. Dafür haben sie der Klägerin am 21.12.2020 vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr zu einem Streitwert von 14.690,43 € zuzüglich Post und Telekommunikationspauschale sowie Umsatzsteuer, insgesamt 1.029,35 € in Rechnung gestellt.

Die Klägerin behauptet, die Überwachung der in außergerichtlichen Vergleichen begründeten Zahlungsverpflichtungen habe erhebliche Ressourcen gebunden. Sie ist der Auffassung, dass sich die Beklagte mit der Zahlung der Verfahrenskosten zum Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung vom 21.11.2018 in Verzug befand. Die Zahlungsaufforderung habe der Durchsetzung der Ansprüche aus dem Vergleich gedient und sei eine andere Angelegenheit im Sinne von § 15 RVG.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, sie von den durch die Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten wegen Verzuges der Erstattung der sich aus dem Vergleich vom 06.07.2018 ergebenden Kostenerstattungspflicht entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten seit dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2020 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass auch das Mahnschreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 21.11.2018 mit Zahlung der im Vergleich vereinbarten Rechtsanwaltsgebühren für die außergerichtliche Tätigkeit abgegolten sei. Im Übrigen handle es sich bei den Ansprüchen aus dem Vergleich und den Ansprüchen aus dem gerichtlichen Verfahren um dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG, weshalb eine gesonderte Berechnung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht möglich sei. Der streitgegenständlichen Forderung läge derselbe - modifizierte - Streitgegenstand wie dem im Juli 2018 geschlossenen Vergleich zu Grunde. Unabhängig davon sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin ihre Prozessbevollmächtigten mit der Zahlungsaufforderung vom 21.11.2018 beauftragt habe.

Überdies sei die Abgeltungsfunktion bezogen auf die dem Vergleich zu Grunde liegende Angelegenheit erst mit der Zahlung der vereinbarten Verfahrenskosten eingetreten, weshalb sie auch die vorherige Zahlungsaufforderung erfasse.

Im Übrigen sei eine Geschäftsgebühr von 1,3 nicht gerechtfertigt, vielmehr sei es der Klägerin zumutbar gewesen, zunächst eine eigenständige, keine kostenauslösende Zahlungsaufforderung vorzunehmen. Unabhängig davon sei aufgrund der einfachen Anwaltstätigkeit lediglich eine Gebühr von 0,5 gerechtfertigt.

Zudem erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung. Sie ist der Ansicht, die durch den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides vom 29.12.2021eingetretene Verjährungshemmung sei sechs Monate nach dem am 11.01.2022 erfolgten Widerspruch, mithin am 11.07.2022, und damit vor Eingang der mit Schriftsatz vom 20.09.2022 erfolgten Anspruchsbegründung beendet gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, entstanden durch die Zahlungsaufforderung vom 21.11.2018, in Höhe von 1.029,35 € gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB oder aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt.

Soweit der Klägerin durch die anwaltliche Zahlungsaufforderung vom 21.11.2018 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten entstanden sein sollten, sind diese durch die unstreitig am 04.12.2018 erfolgte Zahlung der in Ziffer 4.1 der Vergleichsvereinbarung vereinbarten 2,0 und 1,3 Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale und Umsatzsteuer abgegolten.

In der von den Parteien am 18.06. bzw. 07.07.2018 unterzeichneten Vergleichsvereinbarung heißt es ausdrücklich: "Damit sind sämtliche außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Zusammenhang mit der vorliegenden Angelegenheit abgegolten." Dies ist als eine umfassende Erledigungsklausel zu verstehen. Schon das Adjektiv "sämtlich" spricht dafür, den Umfang der von dieser Erledigungsklausel erfassten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten weit auszulegen. Eine zusätzliche Erweiterung erfolgt durch die Formulierung: "im Zusammenhang mit der vorliegenden Angelegenheit" - es geht also nicht nur um die in der vorliegenden Angelegenheit bereits entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, sondern auch um diejenigen, die einen Zusammenhang zu der mit der Vergleichsvereinbarung erledigten Angelegenheit haben.

Sofern daher durch die Zahlungsaufforderung vom 21.11.2018 außergerichtliche Anwaltskosten entstanden sind, handelt es sich um "außergerichtliche Rechtsanwaltskoten im Zusammenhang mit der vorliegenden Angelegenheit". Zu berücksichtigen ist, dass bei einer umfassenden Vergleichsvereinbarung, wie sie die Parteien geschlossen haben, keineswegs ungewöhnlich ist, dass im Rahmen der Durchführung des Vergleichs eine anwaltliche Begleitung erfolgt und an die im Vergleich vereinbarte Leistung erinnert werden muss. Dies gilt insbesondere bei der Abwicklung der hohen Anzahl der im Zusammenhang mit dem sog. Abgasskandal erfolgten Vergleiche, die teilweise aufgrund der hohen Belastung der Akteure nur schleppend erfolgen konnte. Bereits zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses erschien es daher durchaus möglich, dass eine Zahlungserinnerung notwendig werden würde. Ein Zusammenhang zu der im Vergleich geregelten Angelegenheit ist daher gegeben. Daher ist die Vergleichsvereinbarung der Parteien so auszulegen, dass die per E-Mail erfolgte Zahlungsaufforderung vom 21.11.2018 mit der Zahlung der in Ziffer 4.1 vereinbarten Rechtsanwaltskosten, die immerhin eine 1,3 und eine 2,0 - Gebühr umfassten, abgegolten sein sollten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.