Amtsgericht Stade
Beschl. v. 03.12.2024, Az.: 34 Gs 141 Js 43258/17 (3330/24)

Offenkundigkeit der Vorraussetzungen für eine Herausgabeentscheidung hinsichtlich sichergestellten Bargelds

Bibliographie

Gericht
AG Stade
Datum
03.12.2024
Aktenzeichen
34 Gs 141 Js 43258/17 (3330/24)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 31760
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine Herausgabeentscheidung nach § 111n Abs. 1 bis Abs. 3 StPO kommt nur in Betracht, wenn ihre Voraussetzungen offenkundig sind im Sinne des § 111n Abs. 4 StPO.

  2. 2.

    Die Frage der Offenkundigkeit ist anhand aller im Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Beweismittel zu beurteilen, wobei jedoch der nötige Grad an Sicherheit für die Annahme, auf deren Grundlage eine Entscheidung nach § 111n StPO getroffen wird, hoch anzusetzen ist.

In dem Ermittlungsverfahren
gegen
O.D.
Verteidiger:
RA U.B.
V.S.
Verteidiger:
RA S.M.
Verteidiger:
RA T.N.
wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern u. a.
hat das Amtsgericht - Strafabteilung - Stade durch die Richterin am Amtsgericht K. am 03.12.2024 beschlossen:

Tenor:

Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Antragsteller A. und Ol.D. vom 18.09.2024 wird die Herausgabeanordnung der Staatsanwaltschaft Stade vom 23.08.2024 aufgehoben. Der Antrag auf Herausgabe des sichergestellten Bargeldbetrages von 130.000,00 Euro an die Antragsteller A. und Ol.D. sowie auf Herausgabe der Schlüssel zu dem Schließfach mit der Nummer XXX der VB.B-C. werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Antragsteller A. und Ol.D., die Eltern des Verurteilten O.D., begehren mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 18.09.2024 die Aufhebung der durch die Staatsanwaltschaft Stade getroffenen Herausgabeanordnung an den Insolvenzverwalter der O.D. B.GmbH, Herrn M.K., vom 23.08.2024 in Bezug auf das aufgefundene und nach Aufhebung der Pfändung verbliebene Bargeld in Höhe von 126.785,00 Euro sowie die Herausgabe des am 12.04.2018 in dem Schließfach mit der Nummer XXX der VB.B-C. sichergestellten Betrages in Höhe von 130.000,00 Euro sowie der zu diesem Schließfach gehörigen Schlüssel.

In Bezug auf die Herausgabeanordnung der Staatsanwaltschaft Stade vom 23.08.2024 hat der Antrag auf gerichtliche Entscheidung Erfolg und führt zu der begehrten Aufhebung. Im Übrigen waren die Anträge jedoch zurückzuweisen.

II.

In dem zugrundeliegenden Verfahren hat die Staatsanwaltschaft Stade ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen den Verurteilten O.D., den Sohn der Antragsteller, sowie weitere Personen wegen u. a. des Verdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens geführt. Das Verfahren ist mittlerweile seit dem 30.04.2024 bzw. 01.05.2024 durch Urteil des Landgerichts Stade vom 20.03.2023 rechtskräftig abgeschlossen. Im Laufe des Ermittlungsverfahrens fanden mehrere Durchsuchungen statt, wobei am 11.04.2018 in der Wohnung des Verurteilten ein Vertrag für das Schließfach mit der Nummer XXX der VB.B-C. aufgefunden worden war. Der Vertrag vom 24.02.2017 lautete auf den hiesigen Antragsteller. Die beiden Schlüssel für das Schließfach wurden in der Wohnung der Antragsteller aufgefunden. Auf Grundlage des Beschlusses des Amtsgerichts Stade vom 11.04.2018 (34 Gs 176/18) wurde das Schließfach bei der VB.B-C. mit der Nummer XXX am 12.04.2018 durchsucht. In dem Schließfach konnte eine schwarze Damenhandtasche aufgefunden werden, in der sich Bargeld in einer Summe von 130.000,00 Euro, verpackt in elf Pakete, von eins bis zwölf nummeriert - wobei die Nummer drei fehlte - befand. Auch konnten zwei Zettel mit einer Aufstellung der Beträge aufgefunden werden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Auffindesituation wird insbesondere auf den Bildbericht zum Vermerk des Hauptzollamtes vom 18.04.2018 (Bl. 17 ff. SH 8 zum VAM-Vorgang) Bezug genommen. Für den Zugang zum Schließfach wurde neben dem Schlüssel auch eine elektronische Zugangskarte benötigt. Für die Antragsteller wurde jeweils eine Karte ausgestellt. Ausweislich der Zugangsdaten für den Zeitraum 24.02.2017 bis 28.02.2018 wurde für den Zugang mehrheitlich die Zugangskarte der Antragstellerin genutzt. Wer konkret das Schließfach aufgesucht hat, lässt sich mangels vorhandener Videoüberwachung nicht feststellen.

Die Staatsanwaltschaft Stade hat die sichergestellten 130.000,00 Euro nach § 111b StPO beschlagnahmt und zusätzlich in Vollziehung des Vermögensarrests betreffend die O.D. B.GmbH des Amtsgerichts Stade vom 01.08.2018 (34 Gs 281/18) gepfändet (Bl. 1 ff. d. SH 16 zum VAM-Vorgang).

Mit Beschluss des Landgerichts Stade vom 05.12.2023, Bl. 41 ff. d. A. Bd. 22, hat das Gericht die Anordnungen des Amtsgerichts Stade vom 14.08.2018 (176/18) dahingehend abgeändert, dass die beschlagnahmte Bargeldsumme aus 3.215,00 Euro beschränkt und die Anordnungen im Übrigen aufrecht erhalten bleiben.

Mit Schriftsatz vom 17.08.2023, Bl. 113 d. A. Bd. 21, beantragte RA.Sch. die Einziehung der arrestierten 130.000,00 Euro und Herausgabe an den Insolvenzverwalter.

Unter anderem mit Schriftsatz vom 07.05.2024 beantragten die Antragsteller die Herausgabe des Geldes und der Schlüssel aus und zu dem Schließfach, Bl. 84 d. A. Bd. 22.

Mit Verfügung vom 23.08.2024, Bl. 27 d. A. Bd. 23, entschied die Staatsanwaltschaft Stade, dass der im Schließfach aufgefundene und nach Aufhebung der Pfändung verbliebene Bargeldbetrag in Höhe von 126.785,00 Euro an den Insolvenzverwalter der O.D. B.GmbH, Herrn M.K., gemäß § 111n Abs. 3 StPO herausgegeben werden soll. Es handele sich nach dem Ergebnis der Ermittlungen bei dem sichergestellten Bargeld aus dem Schließfach um solche Beträge, die Anna und O.D. dort hineingelegt hätten. Das Bargeld könne nur von dem Geschäftskonto der O.D. B.GmbH abgehoben worden sein, da kein anderes Konto überhaupt entsprechende Barabhebungen ausweise. Auch ergebe sich dies aus den im Schließfach aufgefundenen Zetteln sowie den Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Antragsteller mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Bl. 35 ff. d. A. Bd. 23). Sie begründen ihr Herausgabegesuch in Bezug auf die 130.000,00 Euro Bargeld und die Schlüssel zum Schließfach damit, dass beides in ihrem Eigentum stehe. Der Insolvenzverwalter gehe zudem bereits zivilrechtlich vor dem Landgericht Stade (Az.: 6 O 159/23) gegen den Verurteilten O.D. vor und fordere dort den hier gegenständlichen Betrag. Im Rahmen des Urteils des Landgerichts Stade seien in der Strafsache keinerlei Feststellungen getroffen worden, wie sie die Staatsanwaltschaft nunmehr zugrunde lege. Ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang zwischen den Geldabhebungen und Einlagerungen könne nicht dargelegt werden.

III.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und führt zur Aufhebung der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung über die Herausgabe vom 23.08.2024.

Nach § 111n Abs. 1 StPO wird eine Sache, die nach § 94 StPO beschlagnahmt oder auf andere Weise sichergestellt oder nach § 111c Abs. 1 StPO beschlagnahmt worden ist, an den letzten Gewahrsamsinhaber herausgegeben, wenn sie für die Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird. Die Herausgabe an einen Dritten - wie hier den Insolvenzverwalter - kommt unter den Voraussetzungen des § 111n Abs. 3 StPO in Betracht, wenn dem Herausgabeanspruch des letzten Gewahrsamsinhabers im Sinne des § 111n Abs. 1 StPO, ein Anspruch eines Dritten entgegensteht und dieser bekannt ist. Zu beachten ist bei der Herausgabeentscheidung nach § 111n Abs. 1 bis Abs. 3 StPO jedoch, dass eine solche stets nur erfolgt, wenn ihre Voraussetzungen offenkundig sind (§ 111n Abs. 4 StPO). Ist dies zweifelhaft, ist ein auf § 111n StPO gestütztes Herausgabeverlangen als unbegründet zurückzuweisen (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 30.08.2022 - 5 Ws 231/22, NZI 2022, 914).

So liegt der Fall auch hier:

Denn die Offenkundigkeit setzt in Sinne einer Offensichtlichkeit voraus, dass der Berechtigte aufgrund der Aktenlage feststeht oder er seine Berechtigung nachweist - zB durch einen zivilrechtlichen Titel (BT-Drs. 18/9525, 83). Die Frage der Offenkundigkeit ist dabei anhand aller im Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Beweismittel zu beurteilen, wobei jedoch der nötige Grad an Sicherheit für die Annahme, auf deren Grundlage eine Entscheidung nach § 111n StPO getroffen wird, hoch anzusetzen ist (vgl. LG Rostock, Beschluss vom 09.04.2018 - 12 Qs 32/18, BeckRS 2018, 5785).

Es ist gerade nicht offenkundig, wer zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Bargeldes aus dem Schließfach mit der Nummer XXX der VB.B-C. der Gewahrsamsinhaber gewesen ist. Anhand des Akteninhalts, insbesondere unter Berücksichtigung der Ergebnisse und Erkenntnisse aus den Durchsuchungen vom 11. und 12.04.2018 und der Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung, kommen sowohl die Antragsteller, als auch der Verurteilte O.D., als Geschäftsführer der O.D. B.GmbH, - mit der Folge, dass ein Herausgabeanspruch des Insolvenzverwalters bestünde -, als letzte Gewahrsamsinhaber in Betracht. Allein anhand der Aktenlage lässt sich insoweit aber keine eindeutige Feststellung treffen. Auf der einen Seite kommen die Antragsteller als letzte Gewahrsamsinhaber in Betracht, da das Schließfach auf den Namen des Antragstellers angemietet wurde und die beiden Schlüssel zu dem Schließfach auch in ihrer Wohnung aufgefunden werden konnten. Auf der anderen Seite ergeben sich aus der Telekommunikationsüberwachung im Zusammenhang mit den Zetteln aus dem Schließfach und dem Umstand, dass der Vertrag hierfür gerade bei dem Verurteilten gefunden wurde, aber auch deutliche Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte O.D. und seine Ehefrau, A.D., auf das Schließfach zugegriffen haben. Insoweit liegt auch in Anbetracht der eingeholten Kontoübersichten zu den Geschäftskonten, als auch Konten der Antragsteller, nahe, dass es sich bei den im Schließfach eingelagerten Geldern um solche der O.D. B.GmbH gehandelt hat. In Anbetracht dieser sich gegenüberstehenden Anhaltspunkte kann jedoch nicht davon die Rede sein, dass die Stellung als Gewahrsamsinhaber der Antragsteller oder des Insolvenzverwalters offenkundig wäre.

Die staatsanwaltschaftliche Herausgabeanordnung vom 23.08.2024 war daher aufzuheben.

Das Herausgabeverlangen der Antragsteller war aus denselben Gründen zurückzuweisen.

Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass sowohl die Antragsteller, als auch der Insolvenzverwalter dazu angehalten sein dürften ihre Berechtigung zivilrechtlich geltend zu machen.