Landgericht Hannover
Urt. v. 14.07.2025, Az.: 46 KLs 10/25

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
14.07.2025
Aktenzeichen
46 KLs 10/25
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2025, 20325
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2025:0714.46KLS10.25.00

Tenor:

  1. I.

    Der Angeklagte N.R. wird wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von

    4 Jahren und 2 Monaten

    verurteilt.

  2. II.

    Der Angeklagte G.R. wird wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von

    3 Jahren und 6 Monaten

    verurteilt.

  3. III.

    Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)

I.

Die Angeklagten sind Brüder und wuchsen in schwierigen Verhältnissen auf. Ihr Vater verstarb früh an einer Überdosis Kokain. Ihre Mutter war alkoholkrank und mit den Aufgaben der elterlichen Sorge überfordert, weshalb beide mehrfach in Pflegefamilien waren.

G.R. musste sich schon früh um seine jüngeren Geschwister kümmern und Verantwortung übernehmen. Als er ausgezogen war, kam sein 7 Jahre jüngerer Bruder N. häufig zu ihm, weil ihre Mutter nicht mit ihm zurechtkam.

Das Amtsgericht Celle übertrug schließlich G.R. die Vormundschaft für seinen damals etwa 16 Jahre alten Bruder N.

G.R. absolvierte nach dem Hauptschulabschluss seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr und anschließend eine Ausbildung zum Notfallsanitäter. Bis März 2025 arbeitete er als ... in Hannover. Seit den Durchsuchungsmaßnahmen anlässlich dieses Verfahrens ist er von der Arbeit freigestellt und einigte sich mit seinem Arbeitgeber auf die Aufhebung seines Arbeitsvertrages zum 30.06.2025. Der bislang unbestrafte Angeklagte G.R. hat einen Jagdschein und besitzt legal Schusswaffen.

Er wurde aufgrund des Haftbefehls der Kammer vom 05.06.2025 am 10.06.2025 festgenommen und befindet sich seitdem in der JVA Hannover in Untersuchungshaft.

N.R. machte nach dem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker. Er konsumierte in der Vergangenheit häufig Betäubungsmittel und zwar insbesondere Marihuana und Kodein sowie gelegentlich Kokain.

Im vorliegenden Verfahren wurde der Angeklagte am 16.01.2025 festgenommen und befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgericht Hannover vom 13.01.2025 (Az. 270 Gs 4/25) seitdem in Untersuchungshaft in der JVA Hannover.

Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten vom 06.06.2025 enthält 3 Eintragungen.

Am 26.06.2019 verurteilte ihn das Amtsgericht Lüneburg wegen Erlangens nicht gerechtfertigter Steuervorteile zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 €.

Das Amtsgericht Celle verurteilte ihn am 18.05.2020 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in 3 Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Waffenbesitz (Butterflymesser) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 20 €.

Am 08.03.2022 verurteilte ihn das Amtsgericht Celle wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 3 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer Schusswaffe (tschechische Maschinenpistole Zastava) und mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 11 Monaten. Der Strafrest wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Celle vom 24.02.2023 zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit endet am 04.06.2026.

II.

Aufgrund seines regelmäßigen Konsums von Cannabis, Kodein und Kokain hatte der Angeklagte N.R. bei seinen Lieferanten Schulden, weshalb er sich ihnen gegenüber bereit erklärte, illegale Betäubungsmittel zu bunkern.

Daher lagerte er Anfang Oktober 2024 in der Wohnung des F.P.in Hannover für die hinter ihm stehende unbekannt gebliebene Gruppierung im größeren Umfang Drogen.

Am 08.10.2024 kamen diese Betäubungsmittel auf nicht näher feststellbare Weise bei F.P. abhanden, weshalb die hinter ihm stehende Gruppierung eine Entschädigung in Höhe von 30.000 € von N.R. verlangte.

N.R. bekam große Angst, weil ihm in einer vergleichbaren Situation schon mal eine Schusswaffe an den Kopf gehalten worden war. Sein Bruder G.R., der ihn seinerzeit finanziell ausgelöst hatte, konnte ihm dieses Mal nicht wieder mit Geld aushelfen. N.R. versuchte daher, das Geld von F.P. zu erhalten. Hierfür setzte er ihn mithilfe seines Bruders G.R. unter Druck, indem sie zu dritt in einen Wald bei Celle fuhren und G.R. dem F.P. mit einer Schreckschusspistole vor die Füße schoss.

F.P. war jedoch trotz Anstrengungen nicht in der Lage, den Betrag aufzubringen. Er schlug daher vor, die Hälfte vom Zeugen H. zu holen. Der Zeuge H. hatte mit dem Verschwinden der Betäubungsmittel tatsächlich nichts zu tun und war von F.P. genannt worden, weil er an dem Abend des Verlustes der Betäubungsmittel mit F.P. im Steintorviertel feiern gewesen war.

N.R. beschloss daher, vom Zeugen H. 15.000 € als hälftigen Schadensersatz für den Verlust der Betäubungsmittel zu verlangen. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, sollte sein Bruder ihm helfen und eine Drohkulisse aufbauen.

Am 05.11.2024 gegen 19:30 Uhr suchte der Angeklagte N.R. gemeinsam mit dem F.P. den H. in dessen ehemaliger Wohnung in der H-Straße 21 in Hannover auf und forderte von diesem die Zahlung von 15.000 € als hälftigen Schadensersatz.

Im Verlauf des Gesprächs ließ der Angeklagte N.R. entsprechend dem zuvor gemeinsam gefassten Tatplan den gesondert zum Tatort gefahrenen Angeklagten G.R. in die Wohnung ein. Der Angeklagte G.R. war maskiert und trug einen Rucksack bei sich. Hieraus holte er - ebenfalls dem gemeinsamen Tatplan entsprechend - vor dem Zeugen H. ein großes Messer, eine Kneifzange und eine Schusswaffe sowie zwei abgetrennte Rehköpfe heraus. Der Angeklagte G.R. entlud und lud die Waffe mit unscharfen Pufferpatronen, schwenkte mit dieser durch den Raum und richtete sie dabei auch auf den H. Weiter stocherte und schnitt er demonstrativ mit dem Messer in einem Rehkopf herum, während der Angeklagte N.R. dem Zeugen H. vorwarf, Mitschuld am Verlust der Betäubungsmittel im Wert von 30.000 € zu tragen, weshalb er jetzt für die Hälfte aufkommen und diese bezahlen müsse.

Der Zeuge H. nahm die Drohungen sehr ernst und bekam große Angst. Er begab sich daher mit dem Angeklagten N.R. zu einem Geldautomaten der Sparkasse Hannover und hob dort um 20:56 Uhr 1.000 € von seinem Konto ab, die er dem Angeklagten N.R. übergab. Wegen der restlichen 14.000 € wollte er einen Kredit aufnehmen, wozu es aber letztlich nicht kam, weil er sich seinem Vater gegenüber offenbarte und sie gemeinsam zur Polizei gingen.

Die Angeklagten wussten und wollten, dass der Zeuge H. die Drohung ernst nimmt und ihnen deshalb Geld gibt, auf das sie keinen Anspruch hatten. Der Angeklagte N.R. beging die Tat aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit.

III.

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den glaubhaften geständigen Einlassungen der Angeklagten, die durch die weitere Beweisaufnahme bestätigt worden sind.

IV.

Nach den getroffenen Feststellungen haben sich die Angeklagten jeweils als Mittäter einer besonders schweren räuberischen Erpressung gem. §§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 2a, 253 Abs. 1, 255 strafbar gemacht.

V.

1.

Bei der Strafzumessung ist die Kammer bei beiden Angeklagten von einem minder schweren Fall gem. § 250 Abs. 3 StGB ausgegangen.

Hiergegen spricht zwar bei beiden Angeklagten, dass der Zeuge H. durch die Tat immer noch in seiner Lebensführung beeinträchtigt ist. Zudem ist beim Angeklagten N.R. zu berücksichtigen, dass er vorbestraft ist und die Tat während einer laufenden Reststrafenbewährung begangen hat.

Gleichwohl hat die Kammer die Bejahung eines minder schweren Falles angesichts der frühzeitigen, umfassenden und von erkennbarer Reue getragenen Geständnisse als gerechtfertigt angesehen. Zudem war zugunsten des Angeklagten G.R. einzustellen, dass er bislang unbestraft ist und die Tat nicht aus Gewinnstreben, sondern nur aus Angst um die Gesundheit und das Leben seines Bruders begangen hat. Hinsichtlich des Angeklagten N.R. war positiv zu berücksichtigen, dass er mit der Tat keinen Gewinn machen wollte, sondern keinen anderen Ausweg sah, um seine Schulden gegenüber brutalen Drogenlieferanten zu begleichen. Zudem hat er dem Zeugen H. nicht nur die 1.000 € zurückgezahlt, sondern darüber hinaus noch ein Schmerzensgeld von 1.000 € geleistet.

2.

Die Kammer hat sodann die Frage erwogen, ob der Strafzumessung trotz der Annahme eines minder schweren Falles gem. § 250 Abs. 3 StGB gleichwohl aufgrund einer Sperrwirkung der Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB zugrunde zu legen war.

Nach der Rechtsprechung des BGH werden mit dem Rechtsinstitut der Sperrwirkung des im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängten Delikts wertungswidrige Ergebnisse korrigiert, die durch gesetzliche Inkohärenzen bzw. Unstimmigkeiten bei der Strafrahmenbestimmung entstehen können. Droht das Gesetz etwa für die Verwirklichung einer tatbestandsmäßigen Qualifikation in einem minder schweren Fall eine geringere Mindeststrafe als für den Grundtatbestand an, dann kann diese "wenig geglückte Harmonie der Strafrahmen" bei der Strafzumessung zu einer Besserstellung desjenigen Täters führen, der neben dem milderen Gesetz noch ein schwereres Gesetz (mit niedrigerer Mindest- oder Höchststrafe) verletzt. Das Rechtsinstitut der Sperrwirkung behebt diesen Wertungswiderspruch, indem bei der Strafrahmenwahl der Strafrahmen des verdrängten Tatbestandes denjenigen des spezielleren und damit nach den Regeln der Gesetzeskonkurrenz (Spezialität) vorrangigen Tatbestandes sperrt. Es verhindert dadurch, dass der Täter aus dem von ihm verwirklichten erhöhten Unrecht Vorteile zieht, und trägt der Bestimmung der Strafe Rechnung, gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2024 - 6 StR 502/23 -, Rn. 14 - 15, juris m.w.N.). Höchstrichterlich anerkannt sind derartige Sperrwirkungen im Betäubungsmittelrecht sowie bei Vergewaltigungen (vgl. BGH, aaO, Rn. 16f., 21); für § 250 StGB gibt es soweit ersichtlich bislang keine Entscheidungen.

Die Kammer hat eine solche Sperrwirkung aufgrund der Gesetzesentstehung verneint. Nach altem Recht hatte § 250 Abs. 1 StGB a.F. einen Regelstrafrahmen von mindestens 5 Jahren Freiheitsstrafe und § 250 Abs. 2 StGB a.F. einen Ausnahmestrafrahmen für minder schwere Fälle von 1 Jahr bis 5 Jahren. Da die Rechtspraxis den Tatbestand des § 250 StGB a.F. als unzuträglich weit und die Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren insbesondere bei der Verwendung von Scheinwaffen als überhöht ansah, glich sie dies auf der Rechtsfolgenseite im Wege der Strafzumessung aus, indem sie für 75 - 80% der Fälle den Strafrahmen des minder schweren Falles gem. § 250 Abs. 2 StGB a.F. zur Anwendung brachte. Diese Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses sowie Wertungswidersprüche im Verhältnis zu anderen Strafandrohungen wollte der Gesetzgeber mit der Neufassung von § 250 StGB beenden, indem er das bisher für sämtliche Tathandlungen einheitliche Mindestmaß von Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren durch unterschiedliche, nach dem Unrechtsgehalt der einzelnen Tathandlungen abgestufte Mindestfreiheitsstrafen ersetzt. Das bisherige Höchstmaß (Freiheitsstrafe bis zu fünfzehn Jahren) sollte dagegen für alle Tathandlungen beibehalten und der Strafrahmen für minder schwere Fälle einheitlich auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren angehoben (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 44) werden.

Mit der Herabsetzung des Mindeststrafmaßes für die Tatbestandsvarianten des § 250 Abs. 1 StGB von 5 auf 3 Jahre wollte der Gesetzgeber höhere Strafen bewirken, indem er der Rechtsprechung insbesondere bei Scheinwaffen eine rechtliche Grundlage für eine regelhaft geringere Bestrafung zur Verfügung stellt und so den Ausweg über den minder schweren Fall unnötig macht (vgl. BT-Drucks. ebd.; HK-GS/Gunnar Duttge, 5. Aufl. 2022, StGB § 250 Rn. 2, beck-online; TK StGB/Bosch, StGB, 31. Aufl. 2025, § 250 Rn.2; Kreß, NJW 1998, 633/642f.). Da nach altem Recht für alle Qualifikationstatbestände des § 250 StGB a.F. eine Mindeststrafe von 1 Jahr für minder schwere Fälle galt und die Neuregelung insoweit nur eine Herabsetzung des Regelmindeststrafmaßes für bestimmte Qualifikationstatbestände eingeführt hat, liegt kein korrekturbedürftiger Wertungswiderspruch vor, der § 250 Abs. 1 StGB eine Sperrwirkung gegenüber einem minder schweren Fall gem. §§ 250 Abs. 2, 3 StGB verleiht.

3.

Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat die Kammer die unter Ziffer V.1. genannten, für und gegen die Angeklagten sprechenden Umstände, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, erneut einer Gesamtabwägung unterzogen.

Hierbei hat sie zugunsten des Angeklagten N.R. gewertet, dass er sich frühzeitig umfassend geständig eingelassen, glaubhafte Reue gezeigt und dem Zeugen H. eine für seine finanziellen Möglichkeiten hohe Entschädigung geleistet hat. Darüber hinaus hat die Kammer zu seinen Gunsten berücksichtigt, dass er betäubungsmittelabhängig ist und bei der Tat unter dem Druck stand, die Schulden bei seinen Drogenlieferanten begleichen zu müssen.

Strafschärfend hat sich ausgewirkt, dass die Tathandlungen heftig waren und in der Wohnung des Zeugen H. erfolgten, dass der Zeuge H. aufgrund der Tat umgezogen ist und auch jetzt noch erheblich psychisch beeinträchtigt ist. Besonders nachteilig ist zudem, dass der Angeklagte N.R. vorbestraft ist und die Tat während einer laufenden Bewährung begangen hat.

Bei Abwägung aller Umstände hat die Kammer eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 2 Monaten als tat- und schuldangemessen angesehen.

Zugunsten des Angeklagten G.R. hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, dass er bislang unbestraft ist, sich frühzeitig umfassend geständig eingelassen hat, glaubhafte Reue gezeigt hat und dass er nicht eigennützig, sondern aus Sorge um seinen Bruder gehandelt hat.

Demgegenüber war strafschärfend in die Abwägung einzustellen, dass seine Tathandlungen brutal waren, ihm gefielen und in der eigenen Wohnung des Zeugen H. erfolgten. Darüber hinaus hat der Zeuge aufgrund der Tat nicht nur seine Wohnung gewechselt, sondern ist auch jetzt noch erheblich psychisch beeinträchtigt. Bei Abwägung aller Umstände hat die Kammer eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.

Hätte die Kammer aufgrund der Annahme einer Sperrwirkung den Strafrahmen des § 250 Abs. 1 StGB zur Anwendung gebracht, hätte sie für den Angeklagten N.R. eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 2 Monaten und für den Angeklagten G.R. eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten verhängt.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.