Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.12.2024, Az.: 8 SLa 322/24
Unklare und ausfüllungsbedürftige Regelung betreffend tarifliche Lohnerhöhungen gegenüber sog. Altbeschäftigten; Gestaltungsermessen der Tarifparteien bzgl. der Vornahme einer Anpassung einer tariflichen Regelung für die Zukunft
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 18.12.2024
- Aktenzeichen
- 8 SLa 322/24
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2024, 32507
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2024:1218.8SLa322.24.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 19.03.2024 - AZ: 2 Ca 341/23
Rechtsgrundlage
- Art. 3 Abs. 1 GG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine Regelung, dass die unter einen Haustarifvertrag nebst Anwendungvereinbarung fallenden sog. Altbeschäftigten tarifliche Lohnerhöhungen in dem Volumen erhalten sollen wie die unter den Verbandstarifvertrag fallenden Arbeitnehmer, ist unklar und ausfüllungsbedürftig. Sie kann sowohl in dem Sinne verstanden werden, dass dieselbe prozentuale Erhöhung auch bei den Löhnen der Altbeschäftigten vorzunehmen ist, als auch im Sinne einer gleichmäßigen Weitergabe eines einheitlichen Festbetrages bzw. eines einheitlichen festen Erhöhungsbetrages.
- 2.
Es liegt im Gestaltungsermessen der Tarifparteien, eine Anpassung einer tariflichen Regelung für die Zukunft vorzunehmen.
- 3.
Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgrundrecht liegt im zu beurteilenden Einzelfall nicht vor, da tatsächliche Gemeinsamkeiten der zu ordnenden Lebensverhältnisse der "Alt-" und "Neu-" Beschäftigten, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise von den Tarifparteien hätten beachtet werden und sie von der geschehenen tariflichen Regelung hätten absehen lassen müssen, nicht ersichtlich sind.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 19.03.2024 - 2 Ca 341/23 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um tarifliche Lohnansprüche.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die für die Beklagte jeweils geltenden Tarifverträge Anwendung. Dabei handelte es sich ursprünglich um einen Haustarifvertrag. Zum Jahreswechsel 2016/2017 wurde ein Verbandstarifvertrag zwischen dem A. e.V. und der Gewerkschaft ver.di abgeschlossen. Zur Überleitung der Beschäftigten der Beklagten schlossen die Beklagte, vertreten durch den A. e.V., und die Gewerkschaft ver.di eine Anwendungsvereinbarung vom 17. Januar 2017. Hiernach galten für Arbeitnehmer mit einem bestimmten Eintrittsdatum die bisherigen Entgeltgruppen des Haustarifvertrages fort. Die klagende Partei fällt unstreitig unter die Anwendungsvereinbarung.
§ 7 Satz 3 der Anwendungsvereinbarung zum Manteltarifvertrag lautet auszugsweise:
"Arbeitnehmer, die vor dem 01.01.2017 in das Unternehmen eingetreten sind, erhalten die Tariferhöhungen in dem Volumen wie die, die nach dem 01.01.2017 eingetreten sind, einschließlich Anpassung der Treuegelder laut Anwendungsvereinbarung Nr. 14."
Wegen des weiteren Inhalts der Anwendungsvereinbarung wird auf Anlage K3 d.A. 1. Instanz Bezug genommen.
In ihrem Verbandstarifvertrag vom 9. März 2023 (Anlage K1 d.A. 1. Instanz) vereinbarten der A. e.V. und ver.di eine Tabellenerhöhung für die Eingangsstufe der Eckentgeltgruppe um einheitliche Festbeträge von 2,30 Euro pro Stunde ab dem 1. April 2023 und von weiteren 0,80 Euro pro Stunde ab dem 1. April 2024. Dies entspricht einer Steigerung von 16 % bzw. - auf den im Jahr 2023 erhöhten Lohn berechnet - von weiteren 4,8 %. Des Weiteren legten die Tarifvertragsparteien eine Erhöhung der Anfangsstufe der Entgeltgruppe 1 ab dem 1. April 2023 auf 12,50 Euro pro Stunde (um 2,11 Euro höher) sowie für die restlichen Entgeltgruppen Steigerungen von 16 % für 2023 und von weiteren 4,8 % - auf den im Jahr 2023 erhöhten Lohn berechnet - für 2024 fest.
In seiner E-Mail vom 15.03.2023 teilte der für den A. e.V. handelnde Dr. G. gegenüber dem für die ver.di handelnden Gewerkschaftssekretär Herrn D. auszugsweise mit:
"Sehr geehrter Herr D.,
das Ergebnis der Vergütungstarifverhandlungen für die Gruppe V. Niedersachsen bestätigen wir wie folgt:
1. Zum 01.04.2023 wird die Anfangsstufe der Entgeltgruppe 4 um 2,30 Euro angehoben. Die Anfangsstufe der Entgeltgruppe 1 erhält den Wert 12,50. Alle anderen Werte der Entgelttabelle werden um 16,0 % angehoben.
[...]
5. Die Vergütungen von "Altbeschäftigten" werden zum 01.04.2023 um einen Festbetrag von 2,30 Euro und zum 01.04.2024 um einen Festbetrag von 0,80 Euro erhöht.
[...]"
Herr D. bestätigte dies wiederum Herrn Dr. G. mit E-Mail vom selben Tag. Wegen des weiteren Inhalts der E-Mail-Nachrichten wird auf die Anlage B 10 d.A. 1. Instanz Bezug genommen.
Die Beklagte rechnete gegenüber der klagenden Partei ab April 2023 die Tariflohnerhöhung mit weiteren 2,30 Euro brutto pro Stunde zusätzlich zum bisherigen Stundenlohn ab.
Datierend vom 20. Mai 2023 schloss die Beklagte mit der ver.di ferner einen Ergänzungshaustarifvertrag ab, in dem es zur Anwendungsvereinbarung auszugsweise heißt:
"Für die Beschäftigten der K. mbH B. (), die in Tabellen für vor dem 1. Januar 2017 in das Unternehmen eingetretene Beschäftigte eingruppiert sind, werden die Entgelte wie folgt angehoben:
a. Zum 1. April 2023 werden die Stundenentgelte in Erfüllung von § 7 Abs. 3 der Anwendungsvereinbarung vom 17. Januar 2017 um einen einheitlichen Festbetrag von 2,30 Euro angehoben.
b. Zum 1. April 2024 werden die Stundenentgelte in Erfüllung von § 7 Abs. 3 der Anwendungsvereinbarung vom 17. Januar 2017 um einen einheitlichen Festbetrag von 0,80 Euro angehoben."
Wegen des weiteren Inhalts des Ergänzungshaustarifvertrags vom 20. Mai 2023 wird auf die Anlage K 4 d.A. 1. Instanz Bezug genommen.
Die klagende Partei hat vor dem Arbeitsgericht ihre Auffassung vorgebracht, die Tariflohnerhöhungen seien seitens der Beklagten auch gegenüber den "Altarbeitnehmern" in prozentualer Entsprechung zur Tariflohnerhöhung, nicht aber durch einen Pauschalbetrag umzusetzen. Die entsprechenden Differenzen für die Monate April 2023 bis Januar 2024 seien an die Klagpartei auszukehren. Die Regelungen des Ergänzungshaustarifvertrags, die eine pauschale Erhöhung vorsähen, seien unwirksam. Sie stünden in Widerspruch zu den Regelungen der Anwendungsvereinbarung zum Manteltarifvertrag. Die Regelung leide zudem unter einem Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot; es handele sich dabei um einen Fall echter Rückwirkung. Zudem verstoße sie gegen den Gleichheitssatz, denn sie differenziere zwischen Beschäftigtengruppen ohne sachlich einleuchtenden Grund. In der Vergangenheit sei die Tariferhöhung gerade regelmäßig an die Altbeschäftigten weitergegeben worden. Im Ergebnis stehe der Klagpartei daher ebenfalls eine Erhöhung um 16 % zu.
Die Klagpartei hat erstinstanzlich beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klagpartei 406,40 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klagpartei weitere 406,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich ihre Auffassung vorgetragen, sie habe im Einklang mit den - wirksamen - tariflichen Regelungen gehandelt. Bei den Tarifverhandlungen sei zu berücksichtigen, dass diese unter dem Eindruck eines erheblichen Inflationsgeschehens gestanden hätten. Vor dem Hintergrund des erzielten Abschlusses von insgesamt 20,8 % Lohnsteigerung habe man befürchtet, dass sich bei einer prozentual-relativen Weitergabe an die Altbeschäftigten die ohnehin bestehende Gehaltsschere teils erheblich vergrößern würde. Dies hätte auch erhebliche Sprengkraft für den Betriebsfrieden mit sich gebracht, weshalb man sich zur Schaffung von Ausgewogenheit im Betrieb betreffend die sog. "Altbeschäftigten" für eine Umsetzung mit einem einheitlichen Festbetrag entschieden habe. Der Abschluss des Tarifvertrags sei von vornherein auf eine unterschiedliche Erhöhung für Alt- und Neubeschäftigte gerichtet gewesen. Das Ergebnis der Verhandlungen sei bekannt gewesen. Einen Automatismus, nach dem die Entgelterhöhung stets in voller prozentualer Höhe weiterzugeben sei, sehe die Anwendungsvereinbarung zum Manteltarifvertrag zudem schon nicht vor.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die dort gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen, die Protokolle der Sitzungen und das Urteil 1. Instanz Bezug genommen.
Mit Urteil vom 19.03.2024, der Klagpartei zugestellt am 04.04.2024, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Tarifvertragsparteien hätten die pauschale Erhöhung um 2,30 Euro brutto ab April 2023 bzw. um 0,80 Euro brutto ab April 2024 wirksam ausgestaltet. Die Ergänzungsvereinbarung vom 20. Mai 2023 zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Beklagten sei nicht aus sich heraus oder in der Regelungssystematik mit der Anwendungsvereinbarung vom 17. Januar 2017 widersprüchlich. Die Regelungen zur Pauschalzahlung nach der Ergänzungsvereinbarung vom 20. Mai 2023 seien so zu verstehen, dass sie den Begriff des "Volumens" einer Tariferhöhung, das - speziell zum Verbandsentgelttarifvertrag - nach der Anwendungsvereinbarung vom 17. Januar 2017 an die Altbeschäftigten weiterzugeben sei, durch Festlegung eines konkreten Betrags über sämtliche Entgeltgruppen hinweg anlässlich der Tarifrunde 2023 ausfüllten. Die Tarifvertragsparteien hätten mit den tarifvertraglichen Regelungen auch den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht verletzt. Tarifvertragliche Regelungen trügen den immanenten Vorbehalt ihrer nachträglichen Abänderung durch Tarifvertrag in sich. Es handele sich vorliegend um einen Fall unechter Rückwirkung, da die maßgeblichen Kreise bereits im März 2023 - und damit vor Fälligkeit des Vergütungsanspruchs des Klägers in den streitgegenständlichen Zeiträumen - Kenntnis von den Entwicklungen der Tarifrunde 2023 besessen hätten. Die Tarifvertragsparteien hätten zudem mit den Bestimmungen im Ergänzungshaustarifvertrag ein besonderes Regelungsregime für die Umsetzung der Tariflohnerhöhungen mit Blick auf ihre konkrete Höhe für Altbeschäftigte geschaffen. Soweit in dieser pauschalen Erhöhung über sämtliche Entgeltgruppen eine Abweichung in der Umsetzung der Erhöhung gegenüber den Neubeschäftigten (dort grundsätzlich prozentual orientiert an der vorherigen Stundenvereinbarung) gelegen habe, habe diese den Tarifparteien freigestanden und sich innerhalb der Grenzen des Art. 3 Abs. 1 GG bewegt. Zu einem Anspruch aus betrieblicher Übung habe die Klagpartei nicht substantiiert vorgetragen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die klagende Partei mit ihrer am 03.05.2024 bei Gericht eingegangenen Berufung, die nach antragsgemäßer Fristverlängerung auf den 04.07.2024 mit einem am 03.07.2024 bei dem erkennenden Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Die Klagpartei vertieft ihre erstinstanzlich vorgetragene Rechtsauffassung, die Tarifnorm sei derart zu verstehen, dass das Volumen der Tariferhöhung von Alt- wie Neubeschäftigte gleich hoch sein müsse. Es handele sich bei der Regelung der Tarifvertragsparteien um einen Fall echter Rückwirkung; der Kläger sei hierdurch unmittelbar in seinen Grundrechten verletzt. Auch liege im Vorgehen der Beklagten ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz. Dies alles habe das Arbeitsgericht rechtsfehlerhaft verkannt.
Die klagende Partei beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und nach dem erstinstanzlich gestellten Zahlungsantrag zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Eine Perplexität der tariflichen Norm liege ebenso wenig vor wie eine echte Rückwirkung. Der Tarifabschluss regele künftige Anhebungen der Löhne und Gehälter, nicht aber eine rückwirkende Absenkung. Damit handele es sich um einen neuen Sachverhalt, nicht um einen rückwirkenden Eingriff. Auch verstießen die Tarifvertragsparteien nicht gegen den Gleichheitssatz. Es sei nicht ungewöhnlich, dass Tarifvertragsparteien Beschäftigte in unteren Lohngruppen überproportional an den ausgehandelten Entgelterhöhungen beteiligten. Hierzu bedienten sich die Tarifforderungen bzw. Tarifabschlüsse häufig einer sog. sozialen Komponente. Hierfür werde für Beschäftigte in unteren Lohngruppen eine stärkere Anhebung der Entgelte, zum Beispiel in Form eines Mindest- oder Sockelbetrages, gefordert bzw. abgeschlossen. im Vergleich der Entgeltgruppen erhielten untere Lohngruppen durch einen Mindest- oder Sockelbetrag gegenüber den höheren Entgeltgruppen einen größeren Zuwachs als bei einer prozentualen Erhöhung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen vor dem erkennenden Gericht gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Kammerverhandlung vom 18.12.2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I.
Die Berufung ist zulässig, sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Der klagenden Partei steht ein tariflicher Anspruch auf die geltend gemachte Zahlung nicht zu. Ihr Lohn ist nicht über die seitens der Beklagten berücksichtigten Festbeträge hinaus zu erhöhen. Ein Anspruch auf eine Steigerung des bis dahin gezahlten Stundenlohnes ab dem 01.04.2023 um 16 % und auf eine weitere Steigerung des bis dahin gezahlten Stundenlohnes ab dem 01.04.2024 um 4,8 % besteht nicht.
1.
Das erkennende Gericht verweist zunächst auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils, verweist auf diese und macht sie sich zu Eigen. Die nachfolgenden Ausführungen sind lediglich ergänzend veranlasst.
2.
Die klagende Partei verkennt, dass sich die von ihr begehrte Rechtsfolge einer prozentualen Erhöhung bereits nicht aus § 7 Satz 3 der Anwendungsvereinbarung zum Manteltarifvertrag herleiten lässt.
Die Regelung, dass die sog. Altbeschäftigten die tariflichen Erhöhungen "in dem Volumen" erhalten sollen wie die nach dem 01.01.2017 eingetretenen - und somit vollständig unter die Regelungen des Verbandstarifvertrages fallenden - Arbeitnehmer, ist unklar und ausfüllungsbedürftig. Sie kann durchaus - etwa bei einer Lohnerhöhung für alle nach dem 01.01.2017 eingetretenen Arbeitnehmer um einen einheitlichen Prozentsatz - so verstanden werden, dass dieselbe prozentuale Erhöhung auch bei den Löhnen der Altbeschäftigten vorzunehmen ist. Andererseits kann sie auch im Sinne der gleichmäßigen Weitergabe eines einheitlichen Festbetrages bzw. eines einheitlichen festen Erhöhungsbetrages verstanden werden, was vor allem dann naheliegt, wenn für alle Entgeltgruppen des Verbandstarifvertrages die gleiche Einmalzahlung oder eine Lohnerhöhung um den gleichen absoluten Betrag geregelt wird. Nicht eindeutig auf die Altbeschäftigten übertragbar werden die Regelungen des Verbandstarifvertrages spätestens dann, wenn die Entgeltgruppen unterschiedlich behandelt werden, also etwa je nach Entgeltgruppe unterschiedlich hohe Einmal-, feste oder prozentuale Erhöhungsbeträge vereinbart werden. Die klagende Partei behauptet nicht, dass die bisherigen Entgeltgruppen der Altbeschäftigten nach dem Haustarifvertrag den Entgeltgruppen des Verbandstarifvertrages jeweils einzeln zugeordnet wären, oder dass eine solche Zuordnung nach bestimmten offensichtlichen Kriterien eindeutig möglich sei. Um ermitteln zu können, auf welche Altbeschäftigten die Regelungen welcher Entgeltgruppe des Verbandstarifvertrages zu übertragen sind, hätte folglich zunächst eine Zuordnung stattzufinden. Darüber hinaus kann die Regelung auch noch ganz andersartig verstanden werden, etwa dergestalt, dass das Gesamtvolumen der Tariferhöhungen bei den "Neubeschäftigten" zu ermitteln und sodann - je nach Verständnis entweder in gleicher Höhe oder im Sinne eines Pro-Kopf-Durchschnitts - auch den "Altbeschäftigten" zu zahlen sei.
Vorliegend haben die Tarifparteien sich entschlossen, im Verbandstarifvertrag für die Entgeltgruppen teils absolute (Entgeltgruppe 1 und Eckentgeltgruppe) und teils prozentuale Beträge (restliche Entgeltgruppen) vorzusehen. Während die absolute Steigerung bei der Eckentgeltgruppe, in einen Prozentwert umgerechnet, den prozentualen Steigerungen der restlichen Entgeltgruppen entsprach, war dies bei der Entgeltgruppe 1 nicht der Fall; bezüglich dieser ergab sich eine deutlich höhere prozentuale Steigerung. Die Entgeltgruppen des Verbandstarifvertrages erhielten folglich Tariferhöhungen in unterschiedlicher prozentualer Höhe. § 7 Satz 3 der Anwendungsvereinbarung kann - selbst wenn man die Norm im Sinne einer Verpflichtung zur Weitergabe der Erhöhung an die Altbeschäftigten in gleicher prozentualer Höhe verstünde, was nach dem oben Ausgeführten nicht das einzig mögliche Verständnis darstellt - auf derartige Konstellationen nicht ohne weitere gestaltende bzw. zuordnende Regelungen der Tarifvertragsparteien angewendet werden.
Die sog. "Altbeschäftigten" und somit auch die klagende Partei besaßen damit auf der Grundlage des Abschlusses des Verbandstarifvertrages vom 9.3.2023 noch keine Ansprüche auf eine Lohnerhöhung ab dem 01.04.2023 bzw. ab dem 01.04.2024, denn aus § 7 Satz 3 der Anwendungsvereinbarung ließ sich eine hinreichend klare Regelung, wie das Tarifergebnis auf die Altbeschäftigten zu übertragen sei, insbesondere in diesem Falle nicht entnehmen. Es bedurfte dazu vielmehr erst einer ergänzenden tariflichen Normsetzung zwischen der Beklagten und der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft.
Da klägerische Ansprüche nicht bereits zum 01.04.2023 entstanden waren, vermochte der Abschluss des Ergänzungshaustarifvertrages vom 20.05.2023, wie die Klagpartei verkennt, auch keine echte Rückwirkung zu entfalten. Die klägerischen Ansprüche auf eine Tariflohnerhöhung entstanden vielmehr erst im Wege dieses Tarifvertragsabschlusses und zum Zeitpunkt seines Abschlusses.
3.
Selbstständig tragend stützt sich das erkennende Gericht darauf, dass der klagenden Partei selbst dann, wenn man die Auffassung verträte, aus § 7 Satz 3 der Anwendungsvereinbarung ergebe sich, dass der Lohn der klagenden Partei zum 01.04.2023 um 16 % und zum 01.04.2024 um weitere 4,8 % zu erhöhen sei, ein derartiger Anspruch nicht zustünde.
a)
Die Tarifvertragsparteien sind nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden, wenn sie tarifliche Normen setzen (st. Rspr. des BAG, etwa BAG 15. Juni 2021 - 9 AZR 413/19 - Rn. 33; 24. Februar 2021 - 10 AZR 108/19 - Rn. 26; 9. Dezember 2020 - 10 AZR 334/20 - Rn. 26, BAGE 173, 205; 19. November 2020 - 6 AZR 449/19 - Rn. 21; 2. September 2020 - 5 AZR 168/19 - Rn. 21). Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Vergütungen und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen (BVerfG 11. Juli 2017 - 1 BvR 1571/15 ua. - Rn. 146, BVerfGE 146, 71). Mit der Normsetzung auf Grundlage der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie üben die Tarifvertragsparteien daher keine delegierte Staatsgewalt aus. Sie nehmen vielmehr privatautonom ihre Grundrechte wahr, wobei ihre Normsetzung durch den in § 4 Abs. 1 TVG enthaltenen staatlichen Geltungsbefehl tariflicher Rechtsnormen getragen wird. Mit der kollektiv ausgeübten privatautonomen Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge ist eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien nicht zu vereinbaren. Sie führte zu einer umfassenden Überprüfung tarifvertraglicher Regelungen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit und damit zu einer "Tarifzensur" durch die Arbeitsgerichte (BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 19, BAGE 169, 163; 3. Juli 2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 17).
b)
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bildet aber als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichtet die Arbeitsgerichte dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Dementsprechend ist Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen (vgl. BAG 16. August 2022 - 9 AZR 490/21 - Rn. 20; 23. Februar 2021 - 3 AZR 618/19 - Rn. 39, BAGE 174, 116; 9. Dezember 2020 - 10 AZR 334/20 - Rn. 27 ff. mwN auch zur Gegenauffassung, BAGE 173, 205; 19. November 2020 - 6 AZR 449/19 - Rn. 21; 29. September 2020 - 9 AZR 364/19 - Rn. 47, BAGE 172, 313; 27. Mai 2020 - 5 AZR 258/19 - Rn. 37; 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 23 ff., BAGE 169, 163; 3. Juli 2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 18; zust. Bayreuther NZA 2019, 1684, 1686). Diese Grenze ist zu beachten, obwohl Tarifnormen nicht selten Ergebnisse tarifpolitischer Kompromisse sind ("Gesamtpaket"), und kann damit zur Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Tarifvertragsparteien führen (vgl. BAG 9. Dezember 2020 - 10 AZR 334/20 - Rn. 31 mwN, aaO; abl. Jacobs RdA 2023, 9, 15 ff.).
c)
Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags haben die Gerichte allerdings zu beachten, dass den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Sie bestimmen in diesem Rahmen nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung (BAG 29. September 2020 - 9 AZR 364/19 - Rn. 47, BAGE 172, 313; 19. Dezember 2018 - 10 AZR 231/18 - Rn. 34, BAGE 165, 1). Ihnen kommt auch eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind (BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 - Rn. 26, BAGE 169, 163; vgl. auch BT-Drs. 12/5888 zum Entwurf des ArbZG S. 20: "Ein wesentliches Ziel des Gesetzentwurfs ist es, den Tarifvertragsparteien ... im Interesse eines praxisnahen, sachgerechten und effektiven Arbeitszeitschutzes mehr Befugnisse und mehr Verantwortung als bisher zu übertragen. Die Tarifvertragsparteien kennen die in den Betrieben zu leistende Arbeit und die für die Arbeitnehmer entstehenden zeitlichen Belastungen [größere Sachnähe der Tarifvertragsparteien ...]. Sie können daher viel stärker differenzieren, ..."). Darüber hinaus verfügen die Tarifvertragsparteien über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelungen (BAG 16. Dezember 2020 - 5 AZR 143/19 (A) - Rn. 43, BAGE 173, 251). Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht (BAG 23. Februar 2021 - 3 AZR 618/19 - Rn. 40, BAGE 174, 116; 9. Dezember 2020 - 10 AZR 334/20 - Rn. 41, BAGE 173, 205; 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 - aaO; 24. Oktober 2019 - 2 AZR 158/18 - Rn. 34, BAGE 168, 238; 15. April 2015 - 4 AZR 796/13 - Rn. 32, BAGE 151, 235).
Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte (BAG 9. Dezember 2020 - 10 AZR 334/20 - Rn. 42, BAGE 173, 205). Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgrundrecht ist erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Bei der Gruppenbildung dürfen sie generalisieren und typisieren. Allerdings müssen die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen. Auf abstrakt denkbare Zwecke kommt es dabei nicht an, sondern auf solche, die den Tarifnormen im Weg der Auslegung zu entnehmen sind. Diese können sich insbesondere aus den in der Regelung selbst normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen ergeben, die die Tarifvertragsparteien unter Beachtung ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben (BAG 22. Februar 2023 - 10 AZR 332/20 - Rn. 21; 12. Oktober 2021 - 9 AZR 577/20 (B) - Rn. 34 mwN). Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Verbandstarifverträge, unternehmensbezogene Verbandstarifverträge oder Tarifverträge mit einzelnen Arbeitgebern handelt (zu allem Vorstehenden BAG, Urteil vom 23. August 2023 - 10 AZR 384/20 -, Rn. 17 - 20, juris).
d)
Die Tarifvertragsparteien, die den Ergänzungshaustarifvertrag vereinbart haben, sind dieselben Parteien, die auch bereits die Anwendungsvereinbarung zum Manteltarifvertrag abgeschlossen haben. Die Regelung, dass die sog. "Altbeschäftigten" Tariferhöhungen "in dem Volumen wie die, die nach dem 01.01.2017 eingetreten sind", erhalten, war - selbst wenn man sie in dem Sinne verstünde, dass danach die "Altbeschäftigten" die prozentualen Steigerungen von 16 % bzw. von weiteren 4,8 % wie die "restlichen Entgeltgruppen" des Verbandstarifvertrages zu erhalten gehabt hätten - nicht für alle Zeiten unabänderbar. Es liegt im Gestaltungsermessen der Tarifparteien, eine Anpassung vorzunehmen. Bei einer prozentualen Steigerung im vorbezeichneten Sinne wäre es, wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, zu einem noch größeren Auseinanderklaffen der Löhne der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen gekommen. Die Tarifparteien durften ihr Ermessen dahingehend ausüben, bei den "Altbeschäftigten" eine maßvollere Steigerung vorzunehmen. Da es sich um dasselbe Volumen im Sinne eines absolut verstandenen Betrages handelte, wie es die Eckentgeltgruppe des Verbandstarifvertrages empfing, änderten die Tarifparteien - wenn man eine Änderung nach dem oben Ausgeführten überhaupt annehmen will - die Regelung des § 7 Satz 3 der Anwendungsvereinbarung auch nur sehr maßvoll ab. Tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse der vorliegenden Gruppen von Beschäftigten, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise von den Tarifparteien hätten beachtet werden und sie von der geschehenen tariflichen Regelung hätten absehen lassen müssen, sind nicht ersichtlich. Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgrundrecht liegt somit nicht vor.
III.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 ZPO.
Die Revision war zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG). Die Rechtsfragen, wie § 7 Satz 3 der tariflichen Anwendungsvereinbarung auszulegen ist, bzw. ob die Tarifparteien ggf., legt man die Anwendungsvereinbarung so aus, dass der klagenden Partei an und für sich der geltend gemachte Anspruch zugestanden hätte, bei ihrer Abänderung gegen den Gleichheitssatz verstoßen haben, sind klärungsfähig, klärungsbedürftig, entscheidungserheblich und, nachdem ein Personenkreis von rd. 80 Beschäftigten betroffen ist, auch von grundsätzlicher Bedeutung.