Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.11.2024, Az.: 15 SLa 269/24

Ergänzende Vertragsauslegung des Entsendungsvertrages hinsichtlich Rückzahlung einer Steuererstattung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
11.11.2024
Aktenzeichen
15 SLa 269/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 29583
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:1111.15SLa269.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hameln - 21.02.2024 - AZ: 3 Ca 296/23

Redaktioneller Leitsatz

1. Der Arbeitnehmer hat gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Zahlung der vom französischen Finanzamt erstatteten Einkommensteuer aus einer ergänzenden Vertragsauslegung des Entsendungsvertrags. 2. Die ergänzende Vertragsauslegung setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 21.02.2024 - 3 Ca 296/23 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche.

Der Beklagte war bei der Klägerin aufgrund eines Dienstvertrages vom 09.01.2014 ab dem 01.02.2014 beschäftigt. Unter dem 21.01.2014 schlossen die Parteien, die Beklagte noch firmierend unter Ihrem damaligen Namen "H. GmbH", einen Entsendungsvertrag, nach dem der Beklagte als "Directeur Industriel" zu der Firma D. nach Frankreich entsandt wurde. Der Entsendungsvertrag lautete auszugsweise:

"7. Steuern

7.1

Besteht eine Steuerpflicht in Deutschland, wird H. die Lohnsteuer unmittelbar an das Finanzamt abführen

7.2

Besteht keine Steuerpflicht in Deutschland, beantragt H. eine entsprechende Freistellungsbescheinigung vom Betriebsstättenfinanzamt und zieht dem Mitarbeiter in der Entgeltberechnung zum Auslandseinsatz vom deutschen Jahresbruttoentgelt eine hypothetische deutsche Steuer sowie einen hypothetischen deutschen Solidaritätszuschlag auf Basis des jeweils gültigen deutschen Steuertarifs ab und ermittelt so die Nettoentgeltsumme.

7.3

Die auf diese Bezüge entfallenden ausländischen Steuern in Frankreich übernimmt H. Diese Verpflichtung gilt nur dann, wenn der Mitarbeiter seine Steuerangelegenheiten mit Hilfe eines von H. zu stellenden Steuerberaters abwickeln lässt. Entsprechende Belege sind vom Mitarbeiter aufzubewahren und dem Steuerberater rechtzeitig vorzulegen. Der Mitarbeiter stellt dem Human Resources Management eine Bestätigung zur Verfügung, dass entsprechende Steuern auf das Arbeitsentgelt abgeführt wurden.

7.4

Ausländische Steuern, die durch H.-fremde Einnahmen (z.B. aus Zinseinnahmen) entstehen, werden nicht durch H. getragen. Deutsche Steuern, die auf H.-fremde Einnahmen entstehen (z.B. aus Vermietung und Verpachtung, Zinseinnahmen), werden ebenfalls nicht durch H. getragen.

7.5

Sollten die Nebenleistungen dieses Vertrages bzw. darauf beruhende Zahlungen von H. im Einsatzland steuerpflichtiges Einkommen des Mitarbeiters darstellen, so trägt H. die darauf entfallenden Steuerbeträge.

7.6

Der Mitarbeiter verpflichtet sich dazu beizutragen, die von H. zu tragende Steuerbelastung so gering wie möglich zu halten.

7.7

Aufgrund des Fortbestehen eines Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland unterliegt der Mitarbeiter aufgrund des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens mit seinen Einkünften für die Tätigkeit aus nichtselbständiger Arbeit für die Tätigkeit in Frankreich, nicht der deutschen Besteuerung. Dementsprechend unterliegen die Bezüge des Mitarbeiters gem. Ziffer 3 der Einkommenssteuerpflicht in Frankreich. H. wird nach den in Deutschland geltenden Bestimmungen Antrag auf Lohnsteuerfreistellung stellen, sobald der Mitarbeiter seine Tätigkeit in Frankreich aufgenommen hat.

Wird der Wohnsitz in Deutschland aufgegeben, so erklärt dies der Mitarbeiter schriftlich gegenüber dem Humen Recources Management mit einer Wohnsitzerklärung.

7.8

Einkünfte des Ehegatten betreffen nicht die Nettolohnvereinbarung des Mitarbeiters. Daher stehen etwaige Steuereffekte (positiv oder negativ) dem Mitarbeiter zu. Der von H. zu stellende Steuerberater wird die steueroptimierte Veranlagungsart des Ehepaares C. von Jahr zu Jahr überprüfen und anwenden.

(...)

22. Rechts- und Gerichtsstandvereinbarungen

Ergänzungen und Abänderungen dieses Zusatzvertrages einschließlich dieser Bestimmung bedürfen der Schriftform, es sei denn, diese wurden nachweislich zwischen den Parteien ausgehandelt. Auf das Vertragsverhältnis findet das materielle Prozessrecht der Bundesrepublik Deutschland, mit Ausnahme des Internationalen Privatrechts, Anwendung. Gerichtsstand ist Hamburg.

Sollte eine Bestimmung dieses Zusatzvertrages nicht rechtswirksam sein, so berührt das nicht die Gültigkeit der übrigen Vertragsbestimmungen. Die unwirksame Bestimmung wird durch eine Regelung gesetzt, die in ihrem wirtschaftlichen Gehalt der beanstandeten Regelung entspricht."

Wegen des weiteren Wortlauts des Entsendevertrages nebst Anlagen wird auf Bl. 16-18 der erstinstanzlichen Akte Bezug genommen.

Mit Zusatzvereinbarung vom 29. Januar 2015 (Bl. 65-68 dA.) vereinbarten die Parteien unter anderem die Zahlung einer variablen Vergütung für den Beklagten rückwirkend ab dem 01.01.2015.

Mit Vertrag vom 06.08.2018 (Bl. 19 und 20 der erstinstanzlichen Akte) verlängerten die Parteien die Entsendung des Klägers bis zum 30.04.2019. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund Aufhebungsvereinbarung vom 23.04.2019, wegen deren Wortlaut auf Bl. 21-23 der erstinstanzlichen Akte Bezug genommen wird.

Ab dem Steuerjahr 2018 stellte der französische Fiskus die Besteuerung von Arbeitseinkommen von der nachgelagerten Besteuerung im Folgejahr auf den monatlichen Abzug von Steuern um. Zur Vermeidung einer doppelten Steuerlast für die Arbeitnehmer im Jahr 2019 bestand die Möglichkeit, bei Abgabe der Lohnsteuererklärung 2018 bis zum 16.05.2019, die Lohnsteuer für 2018 insgesamt zu erlassen.

Der Beklagte gab die Steuererklärung für das Jahr 2018 nicht fristgerecht ab. Mit Bescheid vom 29.10.2020 setzte das französische Finanzamt eine Steuerschuld in Höhe von 57.979,00 EUR Lohnsteuer, 23.192,00 EUR Strafzuschlag und 1.391,00 EUR Verzugszinsen fest. Zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und weiteren Strafzahlungen zahlte die Klägerin den festgesetzten Steuerbetrag in Höhe von 82.562,00 EUR. Nach Einspruch gegen die Steuerfestsetzung für 2018 hob das französische Finanzamt im März 2023 den Steuerbescheid auf. Die von der Klägerin gezahlte Steuer inkl. Strafzuschlag und Zinsen in Höhe von 82.562,00 EUR erstattete es dem Beklagten.

Mit Schreiben vom 30.05.2023 und 29.06.2023 forderte die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung auf den 14.07.2023 zur Zahlung des erstatteten Betrages auf. Mit Schriftsatz vom 22.08.2023, bei dem Arbeitsgericht Hameln eingegangen am 22.08.2023 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

Sie hat die Ansicht vertreten, der Beklagte sei verpflichtet, ihr die an das französische Finanzamt abgeführte Steuer für 2018 zu erstatten.

Die Klägerin hat beantragt,

der Beklagte wird verurteilt, 82.562,00 EUR brutto nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.07.2023 an die Klägerin zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, da im Entsendevertrag geregelt sei, dass etwaige Steuereffekte allein ihm zustehen sollten habe ihm die erfolgte Steuerrückerstattung zugestanden. Die Änderung der Steuerrechtslage im Jahr 2018 habe dazu geführt, dass sein Einkommen keiner Einkommenssteuer unterlag und dieser positive Steuereffekt stehe nicht der Klägerin, sondern ausschließlich ihm zu. Die Parteien hätten eine Nettolohnvereinbarung getroffen. Bei einer solchen Vereinbarung müsse es dem Arbeitnehmer zugutekommen, wenn durch Änderung einer Rechtslage keine Steuern abzuführen seien. Im Übrigen seien eventuelle Ansprüche der Klägerin nach der Erledigungsklausel in Ziffer 12 der Aufhebungsvereinbarung ausgeschlossen.

Mit Urteil vom 21.02.2024 hat das Arbeitsgericht Hameln der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte schulde der Klägerin die Zahlung aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 611 a BGB sowie §§ 812 ff. BGB. Der Beklagte habe die Zahlung letztlich ohne Rechtsgrund erhalten und es sei kein Grund gegeben, weshalb er diesen Betrag behalten sollte. Von der Ausgleichsklausel in Ziffer 12 der Aufhebungsvereinbarung sei der Anspruch nicht erfasst.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 138-141 der erstinstanzlichen Akte), wegen der rechtlichen Würdigung durch das Arbeitsgericht auf die Entscheidungsgründe (Bl. 141-145 der erstinstanzlichen Akte) Bezug genommen.

Gegen das ihm am 12.03.2024 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 12.04.2024, bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen am 12.04.2024, teilweise Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 13.06.2024 mit Schriftsatz vom 13.06.2024, bei dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen am 13.06.2024, begründet.

Der Beklagte wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er ist der Ansicht, er sei nicht verpflichtet, die vom französischen Finanzamt erstattete Lohnsteuer in Höhe von 57.979,00 EUR an die Klägerin zu zahlen.

Der Anspruch der Klägerin sei bereits nach dem eindeutigen Wortlaut der Ziffer 12 des Aufhebungsvertrages ausgeschlossen. Ausgleichsklauseln seien im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen und diese erfasse auch den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung sei die steuerliche Handhabung für das Jahr 2018 bereits bekannt gewesen und die Einkommenssteuerschuld für das Jahr 2018 bereits entstanden. Insofern hätte die Klägerin einen eventuellen Rückzahlungsanspruch aus der Erledigungsklausel ausschließen müssen.

Die Steuerfreiheit für das Jahr 2018 sei ein positiver Steuereffekt, der nach Ziffer 7.8 des Entsendevertrages ihm zugestanden habe. Die Nettolohnabsprache der Parteien sei nicht so zu verstehen, dass sich der Nettolohn nicht erhöhen sollte, wenn die Steuern sinken oder sich reduziert, wenn die Steuern steigen. Die Voraussetzungen einer ungerechtfertigten Bereicherung lägen nicht vor.

Die Steuerrückzahlung beinhalte auch Steuern, die auf Bonuszahlungen für 2017 und 2018 entfielen. Diese hätten dem Beklagten brutto zugestanden.

Von der Bonuszahlung für 2018 in Höhe von 33.150,00 EUR und 19.989,00 EUR brutto habe die Klägerin unter Abzug eines fiktiven Steuersatzes 24.461,39 EUR und 14.843,98 EUR ausgezahlt und die fiktive Steuer einbehalten und im Jahr 2019 abgeführt. Dieser Betrag sei kein Teil der streitgegenständlichen Rückerstattung. Mit den Beträgen in Höhe von 8.688,61 EUR und 5.145,02 EUR erkläre er hilfsweise die Aufrechnung.

Der Zahlungsanspruch verstoße auch gegen den unionsrechtlich verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz sowie gegen die EU-Entsenderichtlinie.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise abzuändern, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin mehr als 24.583,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.07.2023 zu zahlen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil als richtig und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze vom 13.06.2024, 27.06.2024, 01.08.2024, 30.09.2024 und 04.11.2024 sowie die Sitzungsniederschrift vom 11.11.2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).

Der Beklagte hat insbesondere einen zulässigen Berufungsantrag gestellt. Mit der Berufung verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klagabweisung im Hinblick auf den Antrag, ihn zur Zahlung der erstatteten Lohnsteuer in Höhe von 57.979,00 EUR zu verurteilen weiter. Dies ergibt die Auslegung des Klageantrages. Dieser geht zwar nur dahin, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern, soweit der Beklagte zu einer höheren Zahlung als 24.583,00 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist. Aus der Begründung ergibt sich aber mit hinreichender Deutlichkeit, dass der Beklagte die Abweisung der weitergehenden Klage begehrt.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht in voller Höhe stattgegeben, da sie zulässig und begründet ist. Die Klägerin kann von dem Beklagten auch die Zahlung des ihm vom französischen Finanzamt für das Jahr 2018 erstatteten Steuerbetrages in Höhe von 57.979,00 EUR aus §§ 611a Abs. 1, 241 Abs. 1, 2 BGB verlangen. Dies ergibt die ergänzende Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen Entsendungsvertrages.

1.

Für das Verfahren sind die deutschen Gerichte nach Art. 4 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (Brüssel Ia-VO) zuständig, da der Beklagte seinen Wohnsitz jetzt in Deutschland hat; vgl. BAG, 7.9.2022, 5 AZR 128/22, Juris Rn. 20.

2.

Auf das Vertragsverhältnis der Parteien ist, jedenfalls im Hinblick auf den hier geltend gemachten Zahlungsanspruch der Klägerin gemäß Art. 3 Abs. 1. Satz 1 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (im Folgenden ROM I-VO) deutsches Recht anwendbar.

a.

Das anzuwendende Recht bestimmt sich nach der Rom I-VO. Diese findet ausweislich Art. 28 Rom I-VO auf Verträge Anwendung, die nach dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurden; vgl. hierzu BAG; 7.9.2022. 5 AZR 128/22, Juris Rn. 28.

b.

Die Parteien haben in Ziffer 22 Abs. 1 des Entsendungsvertrages eine wirksame Rechtswahl im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. Art. 8 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO getroffen indem sie die Anwendbarkeit des Rechts der Bundesrepublik Deutschland vereinbart haben.

c.

Die Rechtswahl ist insoweit nicht nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO ausgeschlossen.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 1 Rom I-VO unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Dabei wechselt der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, nach Art. 8 Abs. 2 Satz 2 Rom I-VO nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet. Im Erwägungsgrund 36 Satz 1 der Rom I-VO hat der Unionsgesetzgeber ausgeführt, dass die Erbringung der Arbeitsleistung in einem anderen Staat als vorübergehend gelten solle, wenn von dem Arbeitnehmer erwartet werde, dass er nach seinem Arbeitseinsatz im Ausland seine Arbeit im Herkunftsstaat wieder aufnehme. Eine zeitliche Höchstgrenze ist dafür nicht vorgesehen; vgl. BAG, 7.9.2022, 5 AZR 128/22, Juris Rn. 30.

Allerdings ist zweifelhaft, ob der Beklagte vorliegend seine Arbeitsleistung für die Klägerin nur vorübergehend in Frankreich ausüben sollte. Der Beklagte ist vor seiner Tätigkeit im Rahmen des Entsendungsvertrages, soweit ersichtlich, nicht für die Klägerin auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland tätig geworden und auch nicht nach Beendigung seiner Tätigkeit in Frankreich dorthin gewechselt, da das Arbeitsverhältnis zeitgleich beendet worden ist.

Das kann aber offenbleiben, da jedenfalls die Voraussetzungen für das Eingreifen abweichender Bestimmungen des französischen Rechts nicht vorliegen.

Einer freien Rechtswahl hat der Verordnungsgeber durch Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO Grenzen gesetzt. Die Parteien des Arbeitsvertrags verfügen nicht über die Rechtsmacht, durch die Wahl eines bestimmten Rechts zwingende Arbeitnehmerschutzbestimmungen des objektiven Rechtsstatuts zu umgehen oder zu beschneiden. In einem solchen Fall korrigiert das in Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO normierte Arbeitskollisionsrecht das gewählte Vertragsstatut durch die Heranziehung des objektiven Vertragsstatuts, wenn und soweit dieses für den Arbeitnehmer günstiger ist. Der in Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO normierte Schutzmechanismus greift unter zwei Voraussetzungen ein: Zum einen muss es sich um zwingendes Recht handeln. Zum anderen erfordert Art. 8 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO eine Norm, die dem Schutz des Arbeitnehmers zu dienen bestimmt ist; vgl. BAG, 23.1.2024, 9 AZR 115/23, Juris Rn. 30 m. w. N..

Das Eingreifen einer Norm des französischen Rechts, die diese Voraussetzungen erfüllt, ist nicht ersichtlich.

3.

Der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zahlung der diesem vom französischen Finanzamt erstatteten Einkommenssteuer ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung des Entsendungsvertrages.

a.

Die ergänzende Vertragsauslegung setzt zwingend eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus, die grundsätzlich von Anfang an bestanden haben muss oder im Laufe des Vertragsverhältnisses entstanden sein kann. Jedoch scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus, wenn die Regelungslücke durch Heranziehung des dispositiven Gesetzesrechts sachgerecht geschlossen werden kann. Nur wenn feststeht, dass die Parteien nach ihrem mutmaßlichen Willen die gesetzliche Regelung nicht wollten und ohne die Vervollständigung der Abreden eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist, kommt eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. Für diese ist maßgeblich, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten; vgl. BAG, 18.10.2023, 5 AZR 22/23, Juris Rn. 24 m. w. N..

b.

Die nach diesen Grundsätzen erforderlichen Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung liegen vor.

(1)

Der Entsendungsvertrag ist im Hinblick auf die Frage, ob der Beklagte verpflichtet ist, Steuererstattungen durch das französische Finanzamt an die Klägerin weiterzuleiten, planwidrig lückenhaft.

Die Parteien haben über diese Frage keine ausdrückliche Regelung getroffen. Dies war bei Abschluss des Vertrages auch nicht notwendig. Wegen der nachgelagerten Besteuerung der Einkünfte des Beklagten in Frankreich, war es nicht abzusehen, dass es zu Steuererstattungen kommen könnte. Die Parteien konnten vielmehr davon ausgehen, dass die Steuer erst nach Festsetzung durch das französische Finanzamt gezahlt werde, so dass sich eine Überzahlung nicht ergeben konnte. Die Notwendigkeit einer Regelung, wie mit erstatteten Steuerbeträgen umzugehen sei, ergab sich erst durch die Umstellung der Besteuerung durch den französischen Staat ab dem Steuerjahr 2019.

(2)

Die Regelungslücke lässt sich nicht durch die Heranziehung des dispositiven Gesetzesrechts schließen. Insbesondere kommt eine Regelung über das Bereicherungsrecht nicht in Betracht.

Der Klägerin steht kein Anspruch gegen den Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt BGB zu. Der Beklagte ist nicht durch eine Leistung der Beklagten ungerechtfertigt bereichert.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist unter einer Leistung im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens zu verstehen. Für die Bestimmung der Leistungsverhältnisse, in denen die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung vorzunehmen ist, verbietet sich bei Vorgängen, an denen mehr als zwei Personen beteiligt sind, jede schematische Lösung. Vielmehr sind in erster Linie die Besonderheiten des einzelnen Falles für die sachgerechte bereicherungsrechtliche Abwicklung zu beachten. Entscheidend ist, welchen Zweck die Beteiligten nach ihrem zum Ausdruck gekommenen Willen verfolgt haben. Danach richtet sich auch die einer Zuwendung gegebene Zweckbestimmung, die wiederum für das Leistungsverhältnis maßgebend ist, innerhalb dessen der bereicherungsrechtliche Ausgleich zu suchen ist. Das Erfordernis der Zweckgerichtetheit drückt hierbei aus, dass die Leistung in Bezug auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis in der Regel zur Erfüllung einer (nicht notwendig eigenen) Verbindlichkeit erfolgt; vgl. BGH, 12.10.2006, III ZR 299/05, Juris Rn. 23 m. w. N..

Durch die Zahlung der Klägerin an das französische Finanzamt hat der Beklagte zwar zunächst die Befreiung von seiner zu diesem Zeitpunkt bestehenden Steuerschuld erlangt. Diese Steuerschuld ist allerdings durch die Änderung des Steuerbescheides für das Jahr 2018 erloschen, so dass auch die durch den Beklagten erlangte Befreiung weggefallen ist. Die Bereicherung des Beklagten ist durch die Erstattung des gezahlten Betrages an ihn, also durch Leistung des französischen Finanzamtes eingetreten. Diese Bereicherung ist nicht rechtsgrundlos erfolgt, da dem Beklagten als Steuerschuldner der Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt zugestanden hat.

(3)

Bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben hätten die Parteien als redliche Vertragsparteien vereinbart, dass der Beklagte verpflichtet ist, den vom Finanzamt erstatteten Betrag an die Klägerin zu zahlen.

(a)

Die Parteien haben in Ziffer 7 des Entsendungsvertrages wirksam ein sogenanntes Hypotax Verfahren vereinbart und damit für die Zeit der Entsendung die Vergütung geregelt.

Derartige Steuerausgleichsverfahren stellen Nettolohnvereinbarungen besonderer Art dar: Der Arbeitnehmer soll die Nettovergütung erhalten, die er bei hypothetischer Geltung des deutschen Steuerrechts beziehen würde. Da ein bestimmter Nettobetrag mit Blick auf variable Vergütungsbestandteile und mögliche Veränderungen der steuerlichen Anknüpfungstatsachen und Regelungen nicht im Vorhinein und für die gesamte Dauer eines mehrjährigen Auslandseinsatzes festgelegt werden kann, wird der Berechnungsweg vertraglich festgeschrieben; vgl. BAG, 7.9.2022, 5 AZR 128/22, Juris Rn. 50.

Dies ergibt sich aus der Regelung in Ziffer 7.2 des Entsendungsvertrages. Danach wird vom deutsche Jahresbruttoentgelt eine hypothetische deutsche Steuer sowie ein hypothetischer deutscher Solidaritätszuschlag auf Basis des jeweils gültigen deutschen Steuertarifs abgezogen und so die Nettoentgeltsumme ermittelt. Die hierauf anfallenden ausländischen Steuern trägt nach Ziffer 7.3 des Entsendungsvertrages die Klägerin. Daraus folgt, dass es für die Höhe des Nettoentgelts des Beklagten auf die steuerrechtlichen Voraussetzungen in Frankreich nicht ankommen sollte. Das Nettoentgelt berechnet sich ausschließlich nach den deutschen steuerrechtlichen Vorschriften. In dieser Weise haben die Parteien das Arbeitsverhältnis während der Zeit der Entsendung durchgängig abgewickelt. Der Beklagte hat nicht bestritten, dass die Klägerin ihm jeweils das sich aus seinem fiktiven Bruttoentgelt nach deutschem Steuerrecht ergebende Nettoentgelt gezahlt und die in Frankreich anfallenden Steuern getragen hat.

Dies gilt auch für die gezahlten variablen Vergütungen, denn der Beklagte ist dem dahingehenden Vortrag der Klägerin nicht entgegengetreten. Soweit der Beklagte vorgetragen hat, die gezahlten variablen Vergütungen für 2017 und 2018 hätten ihm in Höhe des Bruttobetrages zugestanden, gibt es hierfür keinen Anhaltspunkt. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus der Zusatzvereinbarung zum Entsendungsvertrag vom 21.1.2014. Auch insoweit haben die Parteien vereinbart, dass die Vergütung im Hypotax-Verfahren gezahlt wird. Dies ergibt sich aus Ziffer 2.3. Absatz 10 der Zusatzvereinbarung, denn danach sollte die Auszahlung der variablen Vergütung nach Abzug der hypothetischen Steuer erfolgen.

(b)

Die Regelungen in Ziffer 7 des Entsendungsvertrages sind nicht aus AGB-rechtlichen Gründen unwirksam; vgl. zur Einbeziehung einer solchen Regelung in den Vertrag und zur eingeschränkten Kontrolle BAG, 7.9.2022, 5 AZR 128/22, Juris Rn. 40 - 53.

Die Regelung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot unwirksam.

Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine zur Unwirksamkeit der Klausel führende unangemessene Benachteiligung daraus ergeben, dass die Klausel nicht klar und verständlich ist. Abzustellen ist hierbei nicht auf den flüchtigen Betrachter, sondern auf den aufmerksamen und sorgfältigen Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr. Maßgebend sind die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Dem Vertragspartner kann dabei nicht jedes eigene Nachdenken erspart bleiben. Hiervon ausgehend müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Eine Klausel hat im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners so eindeutig und so verständlich wie möglich darzustellen. Das Transparenzgebot darf den Verwender allerdings nicht überfordern. Die Anforderungen an die mögliche Konkretisierung hängen auch von der Komplexität des Sachverhalts unter den spezifischen Gegebenheiten des Regelungsgegenstands ab. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Klausel führt deshalb nicht automatisch zu deren Intransparenz. Das Transparenzgebot soll letztlich der Gefahr vorbeugen, dass der Vertragspartner von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Dabei gebietet es das Transparenzgebot nicht, die aus dem Gesetz oder der Rechtsnatur eines Vertrags folgenden Rechte der Vertragsparteien ausdrücklich oder vollständig zu regeln oder den Vertragspartner darüber zu belehren. Etwaige Missverständnisse muss der Verwender sich in dieser Hinsicht vielmehr nur dann zurechnen lassen, wenn er die Gefahr von Fehlvorstellungen bei seinen Kunden durch eine unklare oder mehrdeutige Klauselformulierung oder -gestaltung selbst hervorgerufen oder verstärkt hat; vgl. BAG, a.a.O. Juris Rn. 55.

Gemessen hieran sind die Regelungen zur Besteuerung klar und verständlich. Das Verfahren zur Ermittlung des Nettolohnes ist deutlich und nachvollziehbar beschrieben und das Ziel und das Ergebnis des Verfahrens sind klar ersichtlich. Im Übrigen wendet der Beklagte eine Intransparenz der Regelung auch nicht ein.

(c)

Aus der Vereinbarung im Entsendungsvertrag ergibt sich, dass nach dem Willen der Parteien Änderungen des französischen Steuerrechts ausschließlich für die Klägerin von Bedeutung sein sollten. Die Klägerin hat sich in Ziffer 7.3. des Entsendevertrages verpflichtet, die auf die Bezüge des Beklagten anfallenden ausländischen Steuern zu übernehmen. Daraus folgt, dass im Innenverhältnis der Beklagte von der in Frankreich bestehenden Steuerpflicht insoweit freizuhalten war. Die Verpflichtung der Klägerin bestand unabhängig von der Höhe der tatsächlich in Frankreich anfallenden Steuer. Daraus folgt aber, dass für den Beklagten Änderungen der Steuerpflicht in Frankreich ohne Auswirkungen bleiben müssen. Weder kann die Klägerin bei einer Steuererhöhung die Übernahme der Steuern verweigern, noch kann der Beklagte bei einer Steuersenkung die Erhöhung seines Nettogehaltes verlangen, da sich die Berechnung seines Nettogehaltes ausschließlich nach deutschem Steuerrecht richtet.

Damit korrespondiert notwendig die Verpflichtung des Beklagten, Erstattungen, die er von dem französischen Finanzamt nur deshalb erlangt, weil er im Außenverhältnis Steuerschuldner ist, an die Klägerin weiterzuleiten. Da die Höhe der französischen Steuer für den Nettovergütungsanspruch des Beklagten letztlich keine Bedeutung hat, ist kein Grund ersichtlich, aus dem er berechtigt sein soll, den Erstattungsbetrag im Innenverhältnis zu behalten.

(d)

Etwas anderes ergibt sich nicht aus Ziffer 7.8. der Entsendungsvereinbarung.

Bei dem Erlass der Steuer für das Jahr 2018 im Rahmen des année blanche handelt es sich nicht um einen positiven Steuereffekt, der dem Beklagten zusteht. Die Regelung in Ziffer 7.8 der Entsendungsvereinbarung betrifft nur Steuereffekte, die sich aus der Berücksichtigung von Einkünften des Ehegatten des Beklagten ergeben. Dies ergibt sie Auslegung des Vertrages.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Ziffer 7.8 des Entsendungsvertrages um eine allgemeine Geschäftsbedingung oder, weil der Beklagte selbst vorträgt, die Ziffer sei auf sein Betreiben hin in den Vertrag aufgenommen worden um eine Individualvereinbarung handelt. Sowohl nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen als auch nach den Grundsätzen, die für die Auslegung von Individualvereinbarungen gelten führt die Auslegung zu dem genannten Ergebnis.

Ziffer 7.8 Satz 1 der Entsendungsvereinbarung trennt die Behandlung von Einkünften des Ehegatten von der Nettolohnvereinbarung des Beklagten, indem er regelt, dass sie die Vereinbarung nicht betreffen. Ziffer 7.8 Satz 2 der Entsendungsvereinbarung bezieht sich auf Satz 1. Dies ergibt sich aus der Verknüpfung durch das Wort "daher" am Satzanfang. Schließlich regelt Satz 3 die Prüfung der steueroptimierten Veranlagungsart der Ehegatten. Da sich Satz 1 und Satz 3 der Ziffer 7.8 des Entsendungsvertrages mit der Berücksichtigung der Einkünfte des Ehegatten befassen, muss davon ausgegangen werden, dass sich auch Satz 2 hierauf bezieht.

Darüber hinaus kann die Regelung der Ziffer 7.8 des Entsendungsvertrages nur Effekte betreffen, die sich auf das deutsche Steuerrecht beziehen. Wie oben gezeigt, richtet sich die Berechnung des Nettovergütungsanspruchs des Beklagten ausschließlich nach deutschem Steuerrecht. Änderungen der in Frankreich anfallenden Steuer betreffen den Vergütungsanspruch nicht. Dem entspricht auch die Handhabung der Parteien während der Entsendung des Beklagten. Unstreitig hat die Klägerin nach der Geburt eines Kindes des Klägers während der Zeit der Entsendung seinen Nettovergütungsanspruch durch die Berücksichtigung des (deutschen) Kinderfreibetrages angepasst.

Der Wegfall der Steuerpflicht für das Jahr 2018 ist kein Steuereffekt im Sinne der Ziffer 7.8 des Entsendungsvertrages, da er in keinem Zusammenhang mit Einkünften des Ehegatten oder einer Veränderung des deutschen Steuerrechts steht.

(e)

Der Zahlungsanspruch verstößt auch weder gegen den unionsrechtlich verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (EU-Entsenderichtlinie).

(aa)

Auf den Entsendungsvertrag ist die EU-Entsenderichtlinie gemäß Art. 1 Abs. 3b EntsendeRL in der Fassung vom 16.12.1996 anzuwenden, da der Vertrag vor Inkrafttreten der Änderungen durch die Richtlinie (EU) 2018/957 abgeschlossen und durchgeführt wurde. Auf die vom Beklagten angeführten Erwägungsgründe kommt es daher für diesen Rechtsstreit nicht an.

Die vereinbarte hypothetische Versteuerung der Bruttovergütung des Beklagten nach deutschem Recht verstößt nicht gegen eine der in Artikel 3 Abs. 1 EntsendeRL garantierten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die dem Beklagten gezahlte Vergütung in Frankreich geltenden Mindestlohnsätze unterschritten hat.

Auf die Frage, welche Rechtsfolge ein Verstoß gegen die EntsendeRL hätte, braucht daher nicht eingegangen zu werden.

(bb)

Die Rückzahlungsverpflichtung verstößt auch nicht gegen den unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Der Beklagte wird durch die Rückzahlungsverpflichtung nicht gegenüber französischen Arbeitnehmern wegen seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert. Die Tatsache, dass die französischen Arbeitnehmer anders als der Beklagte ihre Bruttovergütung für das Jahr 2018 ohne Abzug von Steuern behalten durften, liegt nicht in der Staatsangehörigkeit begründet, sondern darin, dass der Beklagte mit der Klägerin eine Nettolohnvereinbarung basierend auf deutschem Steuerrecht geschlossen hat, die die Vergütungsberechnung unabhängig vom französischen Steuerrecht regelt.

c.

Der Zahlungsanspruch ist nicht teilweise durch die von dem Beklagten hilfsweise erklärte Aufrechnung erloschen.

Dem Beklagten stehen keine aufrechenbaren Gegenansprüche gegen die Klägerin wegen der Versteuerung der Bonuszahlungen für das Jahr 2018 zu. Er hat nicht darlegen können, dass die Klägerin die Bonuszahlungen für 2018 nicht in der zutreffenden Höhe geleistet hat. Wie oben gezeigt, erfolgte die Auszahlung des Bonus auch nach dem Hypotax-Verfahren. Danach hatte die Klägerin die auf die Bonuszahlungen entfallende hypothetische deutsche Steuer zu ermitteln und den sich nach Abzug dieser Steuer ergebenden Nettobetrag an den Beklagten auszuzahlen. Dass sie hierbei die Steuer unrichtig ermittelt und abgezogen hat, ergibt sich aus dem Vortrag des Beklagten nicht. Darauf, dass für das Jahr 2018 in Frankreich keine Steuer zu zahlen war kommt es zum einen nicht an, weil der Nettovergütungsanspruch des Beklagten von der französischen Steuer unabhängig war und zum anderen weil die Beträge im Jahr 2019 ausgezahlt wurden und zu versteuern waren.

d.

Der Anspruch der Klägerin ist schließlich nicht nach Ziffer 12 der Aufhebungsvereinbarung von 23.4.2019 ausgeschlossen.

Der Rückzahlungsanspruch der Klägerin wird von der Ausgleichsklausel des Aufhebungsvertrages nicht erfasst.

Allerdings kann es sich bei der Ausgleichsklausel um ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis handeln.

Welche Rechtsqualität und welchen Umfang eine Ausgleichsklausel hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Als rechtstechnische Mittel für den Willen der Parteien, ihre Rechtsbeziehungen abschließend zu bereinigen, kommen insbesondere der Erlassvertrag, das konstitutive und das deklaratorische Schuldanerkenntnis in Betracht. Ein Erlassvertrag ist anzunehmen, wenn die Parteien vom Bestehen einer bestimmten Schuld ausgehen, diese aber übereinstimmend nicht mehr erfüllt werden soll. Ein konstitutives negatives Schuldanerkenntnis liegt vor, wenn der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, alle oder eine bestimmte Gruppe von bekannten oder unbekannten Ansprüchen zum Erlöschen zu bringen. Ein deklaratorisches negatives Schuldanerkenntnis ist anzunehmen, wenn die Parteien nur die von ihnen angenommene Rechtslage eindeutig dokumentieren und damit fixieren wollen; vgl. BAG, 28.10.2021, 8 AZR 371/20, Juris Rn. 32.

Unabhängig davon, ob die Klausel nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen oder nach den Grundsätzen, die für die Auslegung von Individualvereinbarungen gelten auszulegen ist, kann sie darauf hindeuten, dass die Parteien mit ihr das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche ausgleichen wollten, unabhängig davon, ob sie an diese dachten oder nicht. Die Klausel erfasst aber auch dann den hier streitigen Anspruch nicht. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Parteien die Ausgleichswirkung der Klausel erst nach Erfüllung der Vereinbarung eintreten lassen wollten. Es war ihnen bewusst, dass noch Leistungen im Zuge des Arbeitsverhältnisses auszutauschen waren. Hierzu gehörte auch die Versteuerung der Vergütung für das Jahr 2018, die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung unstreitig noch nicht erfolgt war. Wäre dieser Anspruch von der Ausgleichsklausel umfasst, wäre die Klägerin nicht mehr verpflichtet gewesen, die Steuerschuld des Beklagten für das Jahr 2018 in Frankreich zu tragen. Ein dahingehender Wille kann den Parteien nicht unterstellt werden und sie haben ihn auch nicht gehabt. Dies zeigt die Durchführung der Steuererklärung für 2018, die unstreitig nach den Regeln der Entsendevereinbarung auch unter Mitwirkung des Beklagten erfolgt ist und die Übernahme der zunächst festgesetzten Steuer für 2018 durch die Klägerin. War aber dieser Anspruch von der Ausgleichsklausel nicht umfasst, kann auch ein sich aus der Abwicklung des Anspruchs ergebender Rückzahlungsanspruch nicht erfasst sein.

III.

Auch das weitere Vorbringen des Beklagten, auf das in diesem Urteil nicht mehr besonders eingegangen wird, weil die Entscheidungsgründe gemäß § 313 Abs. 3 ZPO lediglich eine kurze Zusammenfassung der fragenden Erwägungen enthalten sollen, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis.