Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.11.2024, Az.: 11 SLa 232/24

Klage gegen ein arbeitgebendes Personaldienstleistungsunternehmen auf Zahlung eines tarifvertraglichen Mitgliedervorteils für Gewerkschaftsmitglieder; Abgrenzung zwischen einem eigenständigen Anspruch und einem erhöhten Urlaubsgeld

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
05.11.2024
Aktenzeichen
11 SLa 232/24
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 29763
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2024:1105.11SLa232.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Wilhelmshaven - 31.01.2024 - AZ: 2 Ca 307/23
ArbG Wilhelmshaven - 22.02.2024 - AZ: 2 Ca 307/23

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei dem in § 15.2 MTV Zeitarbeit (BAP/DGB) hinsichtlich des Urlaubsgeldes vorgesehenen "Mitgliedervorteil" für Gewerkschaftsmitglieder handelt es sich nicht um einen eigenständigen Anspruch, sondern um ein erhöhtes Urlaubsgeld.

  2. 2.

    Vereinbaren die Parteien im Arbeitsvertrag die Berechnung des Urlaubsgeldes nach den im Entleiherbetrieb geltenden Tarifverträgen unter Verrechnung des nach § 15.2 MTV Zeitarbeit geschuldeten Urlaubsgeldes, ist dies nach § 4 Abs. 3 TVG zulässig, wenn das nach dem Entleihertarifvertrag zu zahlende Urlaubsgeld höher ist als dasjenige nach § 15.2 MTV Zeitarbeit einschließlich des Mitgliedervorteils. Ein Anspruch auf Zahlung des "Mitgliedervorteils" besteht dann nicht.

Tenor:

  1. 1.

    Die Berufung des Klägers gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 22.02.2024 - 2 Ca 307/23 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Zahlung eines tarifvertraglichen Mitgliedervorteils für Gewerkschaftsmitglieder.

Die Beklagte ist ein Personaldienstleitungsunternehmen, welches Kundenunternehmen ihre Mitarbeiter im Rahmen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes verleiht. Der Kläger stand vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 bei der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis als Mechaniker. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag Zeitarbeit vom 00.00.0000 in der Fassung vom 21. Juni 2022 (im Folgenden: MTV Zeitarbeit) Anwendung, der zwischen dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e.V (BAP) und den DGB-Gewerkschaften geschlossen wurde. Die Beklagte ist Mitglied des tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverbandes und der Kläger seit dem 01. Juni 2022 Mitglied der Gewerkschaft I..

Der Tarifvertrag enthält in § 15 folgende Regelung:

"§ 15

Jahressonderzahlungen

§ 15.1 Nach dem sechsten Monat des ununterbrochenen Bestehens des Beschäftigungsverhältnisses hat der Mitarbeiter Anspruch auf Jahressonderzahlungen in Form von zusätzlichem Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Die Auszahlung des Urlaubsgeldes erfolgt mit der Abrechnung für den Monat Juni eines jeden Jahres, die Auszahlung des Weihnachtsgeldes erfolgt mit der Abrechnung für den Monat November eines jeden Jahres.

Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhöht sich mit zunehmender Dauer der Betriebszugehörigkeit, berechnet auf die Stichtage 30. Juni und 30. November.

§ 15.2 Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld beträgt, abhängig von der Dauer des ununterbrochenen Bestehens des Arbeitsverhältnisses, im Kalenderjahr 2020

nach dem sechsten Monat jeweils 150 Euro brutto
im dritten und vierten Jahrjeweils 200 Euro brutto
ab dem fünften Jahrjeweils 300 Euro brutto

Ab dem Kalenderjahr 2021 bestimmt sich die Höhe des Urlaubs- und Weihnachtsgelds entsprechend der nachfolgenden Tabelle:

Kalenderjahr
Betriebszugehörigkeit202120222023
nach dem sechsten Monatjeweils 150 € bruttojeweils 180 € bruttojeweils 200 € brutto
im zweiten und dritten Jahrjeweils 200 € bruttojeweils 250 € bruttojeweils 300 € brutto
ab dem vierten Jahrjeweils 225 € bruttojeweils 325 € bruttojeweils 400 € brutto

Auf Antrag des Arbeitnehmers erhöht sich ab dem Jahr 2021 das Urlaubs- und Weihnachtsgeld unter Einbeziehung eines Mitgliedervorteils, abhängig von der Dauer des ununterbrochenen Bestehens des Arbeitsverhältnisses, nach der folgenden Tabelle, wenn der Arbeitnehmer Mitglied einer der tarifschließenden DGB-Gewerkschaften ist und dem Arbeitgeber jeweils zu den Stichtagen gemäß 30. Juni und 30. November seine seit mindestens 12 Monaten bestehende Gewerkschaftsmitgliedschaft mittels einer Mitgliederbescheinigung nachweist.

Kalenderjahr
Betriebszugehörigkeit202120222023
nach dem sechsten Monatjeweils 50 € bruttojeweils 70 € bruttojeweils 100 € brutto
im zweiten und dritten Jahrjeweils 100 € bruttojeweils 120 € bruttojeweils 200 € brutto
ab dem vierten Jahrjeweils 150 € bruttojeweils 200 € bruttojeweils 350 € brutto

...."

Hierzu schlossen u.a. die vertragschließenden Tarifparteien unter dem 18. Dezember 2020 eine "Verfahrensvereinbarung zum Anspruch auf einen Mitgliedervorteil nach (...) § 15.2 MTV BAP/DGB vom 18.12.2019." Diese regelt das Verfahren zum Nachweis der Gewerkschaftsmitgliedschaft. Sie lautet auszugsweise wie folgt:

"1.

Die Tarifvertragsparteien haben mit dem Verhandlungsergebnis vom 18. Dezember 2019 einen Anspruch auf eine Mitgliedervorteilsregelung (Mitgliedervorteil) vereinbart. Mit dieser Verfahrensvereinbarung sollen für Arbeitgeber und Beschäftigte die rechtssichere und einheitliche Antragsstellung, Abwicklung und Erfüllung des Anspruchs ermöglicht werden.

2.

Nach den Manteltarifverträgen (MTV) erhöht sich ab dem Jahr 2021 auf Antrag des Arbeitnehmers das Urlaubs- und Weihnachtsgeld um einen Mitgliedervorteil, wenn der Arbeitnehmer seit mindestens 12 Monaten Mitglied einer der tarifschließenden DGB-Gewerkschaften ist. Diese Anspruchsvoraussetzung ist dem Arbeitgeber jeweils zu den Stichtagen 30. Juni und 30. November mittels einer Mitgliedsbescheinigung nachzuweisen..."

Der Kläger wurde ab dem 00.00.0000 an die Firma P. GmbH, die seit dem 00.00.0000 unter dem Namen A. GmbH firmiert, überlassen und an deren Standort in N. eingesetzt. Zum 00.00.0000 übernahm die A. GmbH durch Rechtsnachfolge u.a. diesen Standort und der Kläger wurde dort weiterhin bis zum 00.00.0000 unverändert eingesetzt. Neben dem Arbeitsvertrag - wegen dessen Inhalt wird auf die Anlage K 1 (Bl. 6ff d.A. I. Instanz) verwiesen - schlossen die Parteien eine "Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag für den Einsatz beim Kunden P. GmbH" (im Folgenden: Zusatzvereinbarung). In deren Punkt I. sind die Leistungen der Arbeitgeberin für den Einsatz bei A. am Standort N. nach Eintritt der einsatzbezogenen Vergütung geregelt. Eine Unterschreitung der nach dem MTV Zeitarbeit geschuldeten Vergütung durch die einsatzbezogene Vergütung wurde ausgeschlossen. Die einsatzbezogene Vergütung richte sich auf Wunsch des Kunden nach dem Konzerntarifvertrag Leiharbeit-Werkverträge zwischen A. und der I. vom 00.00.0000 in seiner jeweils gültigen Fassung. Dort wiederum ist unter B II u.a. geregelt, dass die Urlaubsdauer und die zusätzliche Urlaubsvergütung sich nach dem für den jeweiligen Standort geltenden Tarifvertrag unter Zugrundelegung der Einsatzdauer richten. In der Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag der Parteien ist unter Nr. I. 3.c. u.a. Folgendes festgehalten:

"Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld wird gemäß des o.g. Konzerntarifvertrages anhand des am jeweiligen Airbusstandort gültigen Tarifvertrages, derzeit § 10 des Manteltarifvertrages zwischen Airbus und der IG Metall vom 30.03.2017, errechnet...

Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass das Urlaubsgeld wie folgt ausbezahlt wird: Randstad wird mit der Entgeltabrechnung des Monats Mai die Höhe des Urlaubsgeldes auf Basis der letzten 3 abgerechneten Monate, längstens jedoch ab Eintritt in die einsatzbezogene Vergütung berechnen. 50 % des errechneten Betrages wird R. als Abschlag an den Arbeitnehmer mit der Entgeltabrechnung Mai ausbezahlen. Im Dezember des Jahres berechnet R. anhand einer Rückbetrachtung taggenau den Gesamtjahresanspruch auf Urlaubsgeld. Der sich daraus ergebende Betrag wird abzüglich des bereits im Mai gezahlten Betrags mit der Entgeltabrechnung Dezember ausbezahlt....

Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gemäß Branchentarifvertrag Zeitarbeit BAP-DGB wird verrechnet und kommt nicht gesondert zur Auszahlung."

Wegen der weiteren Einzelheiten der Zusatzvereinbarung wird auf die Anlage K 2, (Bl. 12ff d.A. I. Instanz). Bezug genommen.

Der im Streitzeitraum an dem Airbusstandort in N. gültige Tarifvertrag ist der zwischen dem Arbeitgeberverband Nordmetall Verband der Metall- und Elektroindustrie e.V. und der IG Metall geschlossene Manteltarifvertrag für das Tarifgebiet Nordwestliches Niedersachen (NW) (im Folgenden MTV NW). Nach dessen § 10 Nr. 10.3.1. wird für den Erholungsurlaub für jeden Urlaubstag eine zusätzliche Urlaubsvergütung in Höhe von 50% der für den Urlaubstag nach den Regelungen des Tarifvertrags für den Urlaubstag ermittelten Vergütung gezahlt. Danach errechnete die Beklagte für den Kläger für 2023 ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 1.897,70 Euro brutto und zahlte dieses aus. Mit Schreiben vom 00.00.0000 (Anlage K 3, Bl. 20 d.A. I. Instanz) machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Zahlung weiteren Urlaubsgeldes nach § 10 des MTV NW sowie die Zahlung eines Mitgliederbonus iHv. 200,- Euro nach § 15.2 MTV Zeitarbeit geltend.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe neben dem zusätzlichen Urlaubsgeld nach § 10 des MTV NW auch der Mitgliederbonus nach § 15.2 MTV Zeitarbeit zu. Dieser habe Vorrang vor einzelvertraglichen Vereinbarungen und sehe keine Anrechnungen von Sonderzahlungen vor. Es handele sich bei dem Mitgliederbonus um eine eigenständige Leistung, die nicht gegenüber vermeintlich günstigeren Regelungen zum Urlaubsgeld, wie sie in einer Vielzahl von Einsatzbetrieben bestünden, zurücktrete. Andernfalls wäre der praktische Anwendungsbereich der Regelung gering. Eine Verrechnung des Mitgliederbonus mit der Jahressonderzahlung sei deshalb nicht möglich. Allein der Umstand, dass der Mitgliederbonus in formeller Hinsicht zB. hinsichtlich der Fälligkeit dem Urlaubs- und Weihnachtsgeld folge, ändere nichts an der materiell eigenständigen Rechtsnatur des Anspruchs. Für die eigenständige Natur des Anspruchs spreche auch, dass dieser an weitere Anspruchsvoraussetzungen, nämlich den Nachweis der Gewerkschaftszugehörigkeit anknüpfe.

Über den zunächst mit der Klage auch geltend gemachten Anspruch auf Zahlung eines nach § 10 MTV NW berechneten weiteren zusätzlichen Urlaubsgeldes haben die Parteien im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht einen Teilvergleich dahingehend geschlossen, dass die Beklagte auf diese Forderung weitere 259,- Euro brutto zahlt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, 200,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 15.07.2023 an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat gemeint, die Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag über das nach § 10 MTV NW zu zahlende zusätzliche Urlaubsgeld habe als günstigere Abmachung Vorrang vor der Regelung in § 15.2 MTV Zeitarbeit. Aus dessen Wortlaut folge, dass der Mitgliedervorteil nicht gesondert und unabhängig von dem Urlaubsgeld gezahlt werden solle. Sofern der Kläger meine, nach § 15.2 MTV Zeitarbeit solle er als Gewerkschaftsmitglied einen unantastbaren Vorsprung gegenüber Nichtmitgliedern habe, würde es sich bei einer derartigen Regelung um einen unwirksame sog. Spannensicherungsklausel handeln.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und in seinem am 22.02.2024 verkündeten und dem Kläger am 26.02.2024 zugestellten Urteil zur Begründung ausgeführt, es handele sich bei dem Mitgliederbonus nicht um eine eigenständige Leistung, sondern um ein zusätzliches Urlaubsgeld. Das nach der einzelvertraglichen Vereinbarung nach dem am jeweiligen Standort gültigen Tarifvertrag zu berechnende Urlaubsgeld sei allerdings höher und diese Regelung deshalb günstiger.

Mit der vom Arbeitsgericht zugelassenen, beim Landesarbeitsgericht am 25.03.2024 eingegangenen und von dem Kläger nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27.05.2024 am 27.05.2024 begründeten Berufung verfolgt der Kläger den Anspruch auf Zahlung eines Mitgliedervorteils weiter.

Er ergänzt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und ist der Auffassung, auch aus der vom Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigten Verfahrensvereinbarung, welche er mit der Berufungsbegründung als Teil der Anlage K 11 (Bl. 124ff d.A.) überreicht, ergebe sich der materiell-rechtlich eigenständige, vom Urlaubsgeld unabhängige Charakter des Mitgliedervorteils. Dort sei die Rede von einem Anspruch auf eine Mitgliedervorteilsregelung (Mitgliedervorteil) und es seien auch in der Verfahrensvereinbarung keine Ausführungen zu einem Zurücktreten gegenüber etwaigen, vermeintlich günstigeren Regelungen enthalten. Eine mit der Verfahrensvereinbarung bezweckte rechtssichere Abwicklung des Anspruchs werde zudem verhindert, wenn jeder Antrag einer Günstigkeitskontrolle unterworfen werden müsse.

Der Kläger beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgericht Wilhelmshaven vom 31.01.2024, Az.: 2 Ca 307/23, wird abgeändert und die Beklagte wird verurteilt 200,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 15.07.2023 an den Kläger zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die vom Kläger für die von ihm vertretene Auslegung herangezogene Verfahrensvereinbarung könne als reine Verfahrens- und Ordnungsvorschrift nicht zur Bestimmung der Rechtsnatur des Anspruchs herangezogen werden. Der MTV Zeitarbeit diene zudem nur zur Herbeiführung einer Ausnahme nach § 8 Abs. 2 AÜG von dem Gleichstellungsgrundsatz nach § 8 Abs. 1 AÜG. Mit der Zusatzvereinbarung hätten die Parteien die Anwendung des Gleichstellungsgrundsatzes nach § 8 Abs. 1 AÜG und die Anwendung des MTV NW herbeigeführt. Daher schieden Ansprüche nach dem MTV Zeitarbeit schlechthin aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die von den Parteien in erster wie zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die gemäß § 64 Abs. 2 a) ArbGG statthafte Berufung ist zulässig. Insbesondere ist es unschädlich, dass der Kläger anstelle des Verkündungsdatums das Datum der mündlichen Verhandlung zur Bezeichnung des von ihm angefochtenen Urteils (§ 519 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) angegeben hat. Neben der Angabe des Aktenzeichens war das Urteil der Berufungsschrift als Anlage beigefügt, so dass über dessen Identität für das Gericht wie auch die Beklagte keinerlei Zweifel entstehen konnten.

B.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung weiterer 200,- Euro gemäß § 15.2 MTV Zeitarbeit. Diese Regelung galt zwar grundsätzlich im Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 4 Abs. 1 TVG kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit aufgrund ihrer Mitgliedschaft in den diesen Tarifvertrag schließenden Verbänden. Sie wurde aber durch die nach § 4 Abs. 3 TVG zulässige individualvertraglich vereinbarte, für den Kläger günstigere Regelung zur Berechnung des zusätzlichen Urlaubsgeldes nach dem im Einsatzbetrieb geltenden MTV NW verdrängt.

I.

Anders als die Beklagte meint steht dem Anspruch allerdings nicht schlechthin entgegen, dass der MTV Zeitarbeit lediglich dazu dienen solle, gemäß § 8 Abs. 2 AÜG von dem in § 8 Abs. 1 AÜG geregelten Gleichstellungsgrundsatz abzuweichen, der dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung einen Anspruch auf im wesentlichen gleiche Arbeitsbedingungen wie für vergleichbare Arbeitnehmer im Entleiherbetrieb gewährt. Denn § 8 Abs. 1 AÜG regelt nur ein Schlechterstellungsverbot. Eine höhere Vergütung als sie sich aus dem Gleichstellungsgrundsatz ergibt, ist immer zulässig (Schüren in: Schüren/Hamann, AÜG, 6. Aufl., § 8 Rn. 16). Dies gilt unabhängig davon, ob sie im Arbeitsvertrag zugesagt ist oder sich aus einem aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit geltenden Tarifvertrag ergibt.

II.

Die Parteien haben in der von ihnen geschlossenen Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag jedoch eine von § 15.2 MTV Zeitarbeit abweichende Vereinbarung zur Berechnung des Urlaubsgeldes getroffen.

Die Zusatzvereinbarung regelte ihrem Wortlaut nach den Einsatz beim Kunden P. GmbH. Ab dem 01. Juli 2022 wurde der Einsatzbetrieb des Klägers nicht mehr von dieser in der Zusatzvereinbarung ausdrücklich genannten Gesellschaft geführt, sondern im Wege der Rechtsnachfolge auf eine andere Gesellschaft, die A. GmbH übertragen. Die Auslegung der Zusatzvereinbarung ergibt jedoch, dass die dort von der Beklagten zugesagte einsatzbezogene Vergütung auch nach dieser Rechtsnachfolge weiter gelten sollte. Nach ihrem Wortlaut regelte die Zusatzvereinbarung die Leistungen für den Einsatz bei A. am Standort N.. Am tatsächlichen Einsatz des Klägers an diesem Standort hatte sich durch die Rechtsnachfolge auf Seiten der Entleiherin nichts geändert. Die Zusatzvereinbarung diente ersichtlich dazu, dem Anspruch des Klägers nach § 8 Abs. 1 AÜG Rechnung zu tragen. Dieser hängt dem Grunde nach nicht davon ab, zu welchem Unternehmen der Einsatzbetrieb des Klägers gehört. Dass sich durch die Rechtsnachfolge die im Entleiherbetrieb angewendeten Tarifverträge geändert hätten oder der Wunsch des Kunden zur Gewährung der einsatzbezogenen Vergütung nach den in der Zusatzvereinbarung näher beschriebenen Maßgaben entfallen wäre, hat keine der Parteien behauptet. Schließlich spricht auch die tatsächliche Durchführung des Einsatzes für diese Auslegung. Nach dem Vortrag der Beklagten, dem der Kläger nicht widersprochen hat, fand die Zusatzvereinbarung auch für den Einsatz des Klägers bei der A. GmbH Anwendung.

Nach dem Inhalt der Vereinbarung sollte sich für die Dauer des Einsatzes bei A, in N. u.a. das Urlaubsgeld allein nach dem am jeweiligen Airbusstandort gültigen Tarifvertrag richten, soweit dadurch nicht der Anspruch auf Urlaubsgeld nach dem MTV Zeitarbeit unterschritten würde. Das haben die Parteien mit der Regelung, dass das Urlaubsgeld gemäß Branchentarifvertrag Zeitarbeit verrechnet wird und nicht gesondert zur Auszahlung kommt eindeutig zum Ausdruck gebracht.

III.

Diese von § 15.2 MTV Zeitarbeit abweichende Regelung des Urlaubsgeldanspruchs umfasst auch den "Mitgliedervorteil" und ist auch insoweit nach § 4 Abs. 3 TVG zulässig. Denn bei dem "Mitgliedervorteil" handelt es sich nicht um einen eigenständigen Anspruch, sondern dem Grunde nach um Urlaubsgeld. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags.

1.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt. Außerdem sind Tarifnormen, soweit sie dies zulassen, grundsätzlich so auszulegen, dass sie nicht im Widerspruch zu höherrangigem Recht stehen und damit Bestand haben (BAG 16. November 2022 - 10 AZR 210/19 -, Rn. 13 mwN).

2.

Die nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Auslegung ergibt, dass es sich auch bei dem Anspruch auf den "Mitgliedervorteil" um einen Anspruch auf Urlaubsgeld handelt.

a) Bereits der Wortlaut der Tarifnorm spricht für diese Auslegung. Denn danach "erhöht" sich das Urlaubs- und Weihnachtsgeld unter Einbeziehung eines Mitgliedervorteils. Erhöht werden kann nach allgemeinem Wortverständnis - dieses ist maßgeblich, wenn nicht sichere Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung gegeben sind (vgl. (BAG 24. Januar 2024 - 4 AZR 114/23 -, Rn. 34) - nur etwas, das bereits in einer bestimmten, geringeren Höhe vorhanden ist.

Auch soweit die Erhöhung "unter Einbeziehung eines Mitgliedervorteils" erfolgt, bietet dies keinen sicheren Anhaltspunkt für ein abweichendes Verständnis der Tarifvertragsparteien. Denn "einbeziehen" bedeutet etwa "einschließen" oder "dazu rechnen". Das gebietet nicht, von einer eigenständigen Leistung auszugehen. Eine eigenständige Leistung "Mitgliedervorteil" hätte es nicht erfordert, diese Leistung in eine andere Leistung (Urlaubsgeld) einzuschließen, sondern umgekehrt vielmehr eine eigenständige Regelung nahe gelegt.

b) Systematische Überlegungen sprechen ebenfalls gegen einen eigenständigen Leistungszweck. Denn der Regelungsstandort des Mitgliedervorteils in § 15.2 MTV Zeitarbeit spricht dafür, dass es sich bei dem dort in einer eigenen Tabelle geregelten Mitgliedervorteil lediglich um einen Berechnungsfaktor der in dieser Norm geregelten Sonderzahlungen (Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld) handelt. Die Anspruchsvoraussetzungen und Auszahlungstermine für diese Sonderzahlungen dem Grunde nach sind in § 15.1 einheitlich sowohl für Gewerkschaftsmitglieder wie für Nichtmitglieder geregelt. In § 15.2 folgt sodann eine Regelung zur Höhe des an Gewerkschaftsmitglieder wie Nichtmitglieder gestaffelt nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu zahlenden Urlaubs- und Weihnachtsgeldes. Im selben, die Höhe der Sonderzahlungen betreffenden Absatz der Norm folgt die Regelung zur Erhöhung dieser Leistungen für Gewerkschaftsmitglieder. Diese Regelungstechnik zeigt, dass der Mitgliedervorteil, den die Tarifvertragsparteien den Gewerkschaftsmitgliedern zuteilwerden lassen wollten, in einem erhöhten Urlaubs- und Weihnachtsgeld und eben nicht in einer hiervon unabhängigen Leistung besteht.

c) Der Sinn und Zweck der Tarifnorm scheint zwar zunächst für den Kläger und die von ihm vertretene Auslegung zu streiten. Denn es ging den Tarifvertragsparteien wie die von ihnen gewählte Bezeichnung "Mitgliedervorteil" zeigt, darum, dass Gewerkschaftsmitglieder ein höheres Urlaubsgeld erhalten, als Nichtmitglieder. Bezugspunkt der Erhöhung bleibt aber das nach §15 MTV Zeitarbeit geschuldete Urlaubsgeld. Zweck des Mitgliedervorteils ist die Erhöhung dieser Sonderzahlung und nicht eine generelle Erhöhung des nach anderen Tarifverträgen oder aufgrund individualvertraglicher Zusage zu zahlenden Urlaubs- oder Weihnachtsgeldes um die in § 15.2 genannten Beträge.

d) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der im Berufungsverfahren vorgelegten Verfahrensvereinbarung. Auch dort ist unter Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Vorschriften die Rede von einer Erhöhung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes um einen Mitgliedervorteil. Abgesehen davon, dass es sich bei dieser Verfahrensvereinbarung um Regelungen außerhalb des Tarifvertrags selbst handelt, wiederholen die Parteien der Verfahrensvereinbarung dort die bereits im Tarifvertrag gewählte, eindeutige Formulierung des erhöhten Urlaubs- und Weihnachtsgeldes. Das deutet gerade nicht auf einen nach der Vorstellung der Parteien der Verfahrensvereinbarung eigenständigen Anspruch mit eigenständigem Leistungszweck hin. Auch nach ihrem Verständnis besteht der Mitgliedervorteil in einem erhöhten Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

e) Danach ist auch die Regelung des Mitgliedervorteils in § 15.2 MTV Zeitarbeit dem Regelungskomplex Urlaub/Urlaubsgeld zuzuordnen.

3.

Die tarifvertragliche Regelung zum Urlaubsgeld ist jedoch gemäß § 4 Abs. 3 TVG in zulässiger Weise durch die Regelung in der arbeitsvertraglichen Zusatzvereinbarung abbedungen. Danach berechnet sich das Urlaubsgeld nach den Regelungen des am jeweiligen Airbusstandort gültigen Tarifvertrags. Diese vertraglich vereinbarte Berechnung ist günstiger, denn danach hat der Kläger unstreitig ein höheres Urlaubsgeld erhalten, als es ihm nach § 15 MTV Zeitarbeit unter Berücksichtigung des Mitgliedervorteils zustünde.

a) Eine Kollision zwischen den kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit für das Arbeitsverhältnis normativ geltenden Tarifregelungen sowie den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen ist nach dem Günstigkeitsprinzip (§ 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG) zu lösen. Hiernach treten unmittelbar und zwingend geltende Tarifbestimmungen hinter einzelvertragliche Vereinbarungen mit für den Arbeitnehmer günstigeren Bedingungen zurück. Ob ein Arbeitsvertrag abweichende günstigere Regelungen gegenüber dem Tarifvertrag enthält, ergibt sich aus einem Vergleich zwischen der tarifvertraglichen und der arbeitsvertraglichen Regelung. Bei diesem sog. Günstigkeitsvergleich sind die durch Auslegung zu ermittelnden Teilkomplexe der unterschiedlichen Regelungen gegenüberzustellen, die in einem inneren Zusammenhang stehen, sog. Sachgruppenvergleich (BAG 25. Januar 2023 - 4 AZR 180/22 -, Rn. 21).

Dieser Vergleichsmaßstab des Sachgruppenvergleichs gilt auch für einen zwischen dem Anspruch des Leiharbeitnehmers nach § 8 Abs. 1 AÜG auf im wesentlichen gleiche Arbeitsbedingungen und den ihm nach dem Arbeitsvertrag oder auf tarifvertraglicher Grundlage zugesagten Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts (vgl. Schüren in: Schüren/Hamann, AÜG, 6. Aufl., § 8 Rn. 66ff; Thüsing AÜG/Kock/Greiner, 4. Aufl., § 8 Rn. 12)

b) Danach sind hier die tarifvertraglichen Regelungen über Urlaub und Urlaubsgeld (§§ 11, 15 MTV Zeitarbeit) mit den in der Zusatzvereinbarung hierzu getroffenen Regelungen zu vergleichen, da diese jeweils in einem inneren Zusammenhang stehen. Letztere sind günstiger, denn nach der Zusatzvereinbarung hatte der Kläger nach dem Eintritt in die einsatzbezogene Vergütung zuletzt Anspruch auf 30 Tage Urlaub im Jahr (Ziff. 5 der Zusatzvereinbarung), wohingegen der tarifvertragliche Urlaubsanspruch gemäß § 11.2 MTV Zeitarbeit im zweiten Jahr der ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit 25 Tage betrug. Das Urlaubsgeld einschließlich des Mitgliedervorteils nach § 15.2 MTV Zeitarbeit betrug im zweiten Jahr insgesamt 500,- Euro. Das nach der Zusatzvereinbarung entsprechend den Regelungen des MTV NW zu berechnende Urlaubsgeld in Höhe von 50 % der Urlaubsvergütung (vgl. § 10.3 MTV NW) betrug für den Kläger mindestens 1.897,70 Euro.

c) Soweit der Kläger darauf hinweist, weder § 15.2 noch die hierzu getroffene Verfahrensvereinbarung sähen eine Anrechnung oder ein Zurücktreten des Mitgliedervorteils gegenüber vermeintlich günstigeren Regelungen wie sie in der Mehrzahl von Einsatzbetrieben bestünden vor, steht das einer Verdrängung des in § 15.2 geregelten Urlaubsgeldes durch die günstigere Zusage in der Zusatzvereinbarung nicht entgegen. Die Möglichkeit einer Anrechnung von oder eines Zurücktretens hinter günstigeren Regelungen folgt bereits aus dem Gesetz (§ 4 Abs. 3 TVG) und musste daher nicht im Sinne einer Öffnungsklausel in den Tarifvertrag aufgenommen werden.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.