Landgericht Oldenburg
Urt. v. 14.06.2024, Az.: 5 Ks 1204 Js 10507/23 (6/23)

Strafbarkeit wegen (Anstiftung zum) versuchten Mordes in Tateinheit mit (Anstiftung zur) gefährlicher Körperverletzung

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
14.06.2024
Aktenzeichen
5 Ks 1204 Js 10507/23 (6/23)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2024, 31428
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In der Strafsache
gegen
1. XXXX XXXXX,
XXXXXXX XX XXXXXXXXXX XX XXXXXX,
XXXXXXXX XXXXXXXXX XXXXXX XX XXXXX XXXXXXXXXXX
X XXX XXXXXXXXXXXXX XXXXXXX XXXXXXXXXX XXXX XXX, XXXX XXXXXXX
XXXXX XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX XXXXXXX
Verteidiger:
Rechtsanwalt XXXX XXXXXXX XXXXXXXXXXXX XXXXX XXXXX XXXXXXXXXXX
2. XXXXX XXXXXX,
XXXXXXX XX XXXXXXXXXX XX XXXXXX,
XXXXXXXX XXXXXXXXXXXXX XX XXXXX XXXXXXXXXX,
XX XXX XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX XXXXXX XXXXXXXXXX X XXXX XXXXXX
XXXXXXXXXX XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX XXXXXXX
Verteidiger:
Rechtsanwalt XXXXX XXXX XXXXXXXXXXXXX X XXXXX XXXXXXXXX
Verteidiger:
Rechtsanwalt XXXXXXX XXXXX XXXXXXXXXXXXXX XX XXXXX XXXXXXXXXXX
wegen versuchten Mordes u.a.
hat das Landgericht Oldenburg - Schwurgericht - in der öffentlichen Sitzung vom 14.06.2024, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Landgericht XXXXXXXXXXX
als Vorsitzender
Richterin am Landgericht XXXXXX
Richter am Landgericht XXXXXXX
als beisitzende Richter/in
Frau XXX XXXXXXX
Frau XXXX XXXXXXXXXX
als Schöffinnen
Herr XXXXXXXX XXXXXXXXXXXXXX
als Ergänzungsschöffe
Staatsanwalt XXXXXXX
als Beamter der Staatsanwaltschaft
Rechtsanwalt XXXX XXXXXXX
Rechtsanwalt XXXXXXX XXXXX
als Verteidiger
Rechtsanwältin XXXXXXX XXXXXXXX
Rechtsanwalt XXX XXXXX XXXXXX
als Nebenklagevertreter/in
Justizangestellte XXXXXXX
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Angeklagte XXXXX ist des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig.

Er wird zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt.

Der Angeklagte XXXXXX ist der Anstiftung zum versuchten Mord in Tateinheit mit Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung schuldig.

Er wird zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt.

Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.

Gründe

A.

I. Persönliche Verhältnisse XXXX XXXXX

Der Angeklagte XXXXX ist ledig und kinderlos. Er ist in XXXXXX geboren und aufgewachsen. Er hat die Schule mit einem Hauptschulabschluss verlassen. Anschließend hat er eine Ausbildung zum Gießereimechaniker abgeschlossen und zunächst auch in diesem Beruf gearbeitet. Nach seinem Umzug nach XXXXXXXXXXX im Jahr 2014 war er über eine Zeitarbeitsfirma bei einer Spedition in XXXXXX beschäftigt. Später war er, ebenfalls über eine Zeitarbeitsfirma, als Lagerarbeiter bei XXXXXX tätig. Zuletzt arbeitete er bei der Fa. XXX XXXXXXXXXXX XXXX in XXXXXXXXXXX. Nachdem sein Vertrag nicht verlängert wurde, bezog er bis zu seiner Festnahme ALG II.

Weitere Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen hat der Angeklagte XXXXX nicht gemacht.

Der Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 27.07.2023 weist für den Angeklagten XXXXX folgende Eintragungen auf:

Das Amtsgericht Siegen verurteilte ihn am 17.12.1996 wegen gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls und erteilte eine richterliche Weisung.

Das Amtsgericht Siegen verurteilte ihn am 22.08.2001 wegen zweifachen gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall und verhängte einen Freizeit-Jugendarrest sowie eine Geldauflage. Wegen Nichterfüllung der Auflage ordnete das Gericht später einen Ungehorsamsarrest von 10 Tagen an.

Das Amtsgericht Siegen verurteilte ihn am 01.02.2002 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten. Die zunächst erteilte Bewährung wurde später widerrufen. Die Reststrafe wurde am 02.11.2006 erlassen.

Das Amtsgericht Siegen verurteilte ihn im Strafbefehlswege am 24.02.2003 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 €, am 28.02.2003 wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10 €, am 25.03.2003 wegen Betruges zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 € und am 31.03.2003 wegen Diebstahls, Urkundenfälschung und Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten unter Verhängung einer Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bis zum 07.01.2004. Durch Beschluss vom 22.07.2003 bildete das Amtsgericht Siegen aus den vier vorgenannten Entscheidungen eine nachträgliche Gesamtstrafe von 5 Monaten Freiheitsstrafe. Ferner wurde die Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis bis zum 07.01.2004 aufrechterhalten. Der Strafrest wurde nach Teilvollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und mit Wirkung vom 02.11.2006 erlassen.

Am 05.05.2010 verurteilte ihn das Amtsgericht Siegen wegen gemeinschaftlicher Hehlerei zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 30 €.

Am 10.06.2013 verurteilte ihn das Amtsgericht Waldbröl wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 25 €.

Am 30.09.2019 verurteilte ihn das Amtsgericht Delmenhorst wegen Vortäuschens einer Straftat zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen je 10 €.

II. Persönliche Verhältnisse XXXXX XXXXXX

Der Angeklagte XXXXXX ist in der Türkei geboren; die Familie des Angeklagten entstammt dem türkisch-kurdischen Kulturkreis. Seit dem vierten Lebensjahr lebt er in Deutschland; er hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Angeklagte ist der jüngste von insgesamt fünf in Deutschland lebenden Geschwistern; zu weiteren Geschwistern in der Türkei hat er keinen Kontakt. Seine Eltern sind geschieden. Er ist im Haushalt der Mutter aufgewachsen. Nach der Ankunft in Deutschland lebte die Familie zunächst in XXXXXX, dann in XXXXXXXXXXX. Seit etwa 1997/98 bis zu seiner Inhaftierung wohnte der Angeklagte in XXXXXXXXXXX.

Der Angeklagte hat den Kindergarten und die Hauptschule besucht. Er hat einen Hauptschulabschluss erlangt, aber keine berufliche Ausbildung durchlaufen. Zwischen Zeiten der Arbeitslosigkeit und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ging der Angeklagte unterschiedlichen Erwerbstätigkeiten nach. So arbeitete er zunächst in der Lagerlogistik, später als Fräser, dann bei dem Unternehmen XXXXX XXXXX. Ein Versuch, nach einem schweren Autounfall mit längerer Arbeitsunfähigkeit wieder zu arbeiten, scheiterte wegen anhaltender gesundheitlicher Einschränkungen. Zwischenzeitlich war der Angeklagte ca. 3 bis 4 Monaten bei XXX tätig, dann wieder arbeitslos. Vor seiner Inhaftierung plante er unterstützt durch einen Bekannten eine Selbständigkeit im Bereich Entkernung/Entrümpelung.

Der Angeklagte war von 2006 bis 2023 mit der Nebenklägerin XXXXXX XXXXXX verheiratet. Sie haben drei gemeinsame Kinder, die Söhne XXXXX (geb. 2010) und XXXXX (geb. 2012) und die Tochter XXXXXX (geb. 2014). Die Nebenklägerin ist bis zu ihrer Heirat in der Türkei aufgewachsen, wo ihre Familie bis heute lebt. Die Ehe kam durch Vermittlung der Familien zustande. Die Mütter des Angeklagten und der Nebenklägerin sind Cousinen. Nach ihrer standesamtlichen Heirat in der Türkei lebten die Eheleute zunächst bei der Familie des Angeklagten XXXXXX in der XXXXXXXXXXXXX XX in XXXXXXXXXXX. Nach einem innerfamiliären Streit zogen sie im April/Mai 2014 in eine eigene Wohnung am XXXXXXXXX XXXX XX. Anfang 2020 erwarb die Nebenklägerin ein Haus in der XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX XX, wo die Familie fortan lebte. Im Oktober 2021 trennten sich die Eheleute. Die Nebenklägerin blieb mit ihren Kindern in der XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX wohnen. Der Angeklagte zog zunächst zu seinem besten Freund, dem Mitangeklagten XXXXX, später zurück in die XXXXXXXXXXXXX XX, wo auch seine Mutter und seine Schwester mit Familie leben. Dort lebte er bis zu seiner Festnahme.

Die Ehe wurde am 27.01.2023, genau zwei Wochen vor der Tat, durch das Amtsgericht Delmenhorst geschieden.

Bereits im Februar 2022 hatte der Angeklagte nach islamischem Ritus die Scheidung von der Nebenklägerin erklärt. Ebenfalls Anfang 2022 lernte der Angeklagte vermittelt durch seine Mutter seine neue Verlobte kennen, die bis heute in der Türkei lebt. Familienangehörige der Verlobten erhoben zunächst Einwände gegen die Beziehung. Die Verlobung wurde letztlich im Sommer 2023 in Abwesenheit geschlossen, nachdem der Angeklagte in Deutschland bereits inhaftiert war.

Der Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 27.07.2023 weist für den Angeklagten XXXXXX keine Eintragung auf.

III. Haftdaten

Die beiden Angeklagten wurden am 10.02.2023 vorläufig festgenommen, jedoch zunächst am Folgetag wieder freigelassen. Sodann wurden sie am 09.03.2023 erneut vorläufig festgenommen und befinden sich seit diesem Tage aufgrund der Haftbefehle des Amtsgericht Oldenburg vom 09.03.2023 (Az. 28 Gs 1013/23 und 28 Gs 1012/23) in Untersuchungshaft. Die Kammer hat mit Beschluss vom 19.07.2023 sowie am Tag der Urteilsverkündung die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

B.

Aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung steht folgender Sachverhalt zur Überzeugung der Kammer fest:

I. Vorgeschichte/Tatmotiv

1. Die Ehe des Angeklagten XXXXX XXXXXX und der Nebenklägerin XXXXXX XXXXXX verlief konflikthaft und war geprägt von verbaler und körperlicher Gewalt des Angeklagten gegenüber seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern. Aus Eifersucht kontrollierte der Angeklagte die Onlinekontakte seiner Ehefrau. Die Vermutung, dass sie außereheliche Beziehungen hegte, führte wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen, bei der der Angeklagte die Nebenklägerin herabwürdigend beleidigte. Auch gegenüber seinem ältesten Sohn XXXXX sprach er schlecht über seine Frau und behauptete, sie gehe fremd.

2. Ausschlaggebend für die Trennung im Oktober 2021 war der von dem Angeklagten XXXXXX erneut erhobene Verdacht einer außerehelichen Beziehung. Nach einem heftigen Wutausbruch verließ er am Abend des 21.10.2021 die Familienwohnung. Noch in der gleichen Nacht nahm er die Beziehungen zu seiner Mutter- und Schwesterfamilie wieder auf; mit seinen Angehörigen waren der Angeklagte XXXXXX und die Nebenklägerin seit 2014 heftig zerstritten, was seinerzeit zum Auszug der Eheleute aus dem Haushalt der (Schwieger-)Mutter und einem Kontaktabbruch geführt hatte. Die Nebenklägerin, die die Unterstellungen und die Gewalt des Angeklagten jahrelang ertragen hatte und ihm die Wiederaufnahme des Kontakts zu seiner Familie übelnahm, verwehrte ihm, als er drei Tage später in der ehelichen Wohnung erschien, den Zutritt und erklärte, dass sie sich nun trennen werde. Der Angeklagte kam zunächst vorübergehend bei dem Mitangeklagten XXXXX unter.

3. Der Angeklagte XXXXXX hatte nach der Trennung zunächst wunschgemäß Umgang mit den gemeinsamen Kindern. Die Nebenklägerin missbilligte aber die Kontakte ihrer Kinder zu weiteren Familienangehörigen der Familie XXXXXX, insbesondere nachdem der Angeklagte wieder in den Haushalt seiner Mutter eingezogen war. Daher schränkte sie den Umgang zunehmend ein. Der Angeklagte XXXXXX schaltete daher das Jugendamt ein. Ab Sommer 2022 durfte er seine Kinder regelmäßig in Begleitung eines Sozialpädagogen, des Zeugen XXXXXXX, sehen. Die begleiteten Umgangstermine fanden etwa 14-tägig für zwei bis drei Stunden im Büro des Zeugen XXXXXXX statt, der auch die Eltern in Einzel- und Zweiergesprächen beriet. Um ein Aufeinandertreffen der hochstrittigen Elternteile zu vermeiden, erfolgte die Übergabe der Kinder zuletzt kontaktlos. Die Nebenklägerin setzte die Kinder vor dem Büro in der XXXXXXXXXXXX XX ab und diese betraten eigenständig das Gebäude, wo ihr Vater mit dem Zeugen XXXXXXX auf sie wartete.

4. Der Angeklagte XXXXXX wollte es nicht akzeptieren, dass seine Ehefrau entschieden hatte, ein eigenständiges Leben ohne ihn zu führen. Nach der Trennung versuchte er fortgesetzt, die Nebenklägerin umzustimmen. Dabei versicherte er einerseits seine große Liebe zu ihr, zugleich beleidigte er sie und unterstellte ihr Beziehungen zu anderen Männern. Wiederholt drohte er, sie zu töten, falls sie an der Trennung festhalte. Die Konflikte führten auch zu Polizeieinsätzen und wechselseitigen Strafanzeigen. Eine Beruhigung der Situation trat bis zuletzt nicht ein.

5. Die Todesdrohungen des Angeklagten waren ernst gemeint. Die mögliche Tötung der Nebenklägerin war - bereits zu einem unbekannten Zeitpunkt nach der Trennung im Oktober 2021 bis Sommer 2022 - Gegenstand eines Gesprächs zwischen dem Angeklagten und seiner Mutter XXXXXXX XXXXXX, die ihn fragte, ob er bereits jemanden gefunden habe, der XXXXXX töte. Bei dem Gespräch war sein Sohn XXXXX anwesend. Der Angeklagte sagte zu seiner Mutter, sie solle nicht vor dem Kind reden. Dann schickte er XXXXX zum Spielen, um das Gespräch mit seiner Mutter fortzusetzen.

6. Auch gegenüber seinem Sohn XXXXX selbst deutete der Angeklagte die geplante Tat anlässlich eines Umgangstermins - zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen Sommer 2022 und dem 10.02.2023 - an, indem er sagte, er werde etwas Schlimmes tun und sein Sohn solle ihm deshalb nicht böse sein.

7. Am 17.10.2022 erwirkte die Nebenklägerin eine gerichtliche Gewaltschutzanordnung mit Kontakt- und Näherungsverbot gegen den Angeklagten XXXXXX. Hintergrund war, dass der Angeklagte die Nebenklägerin und die Kinder am 13.09.2022 auf dem Weg zum Kramermarkt XXXXXXXXXXX abgepasst hatte und mit dem PKW gezielt auf die Nebenklägerin zugefahren war. Zudem hatte er sie am 09.09.2022 anlässlich eines Umgangstermins erneut mit den Worten "Ich fick' dich" bedroht. Die Anordnung wurde nach mündlicher Verhandlung am 18.11.2022 bestätigt.

Am 26.10.2022 reichte die Nebenklägerin beim Amtsgericht Delmenhorst den Antrag auf Scheidung ein.

II. Tatentschluss, Anstiftung und Tatplanung

1. Spätestens durch das Gewaltschutzverfahren und den Scheidungsantrag seiner Noch-Ehefrau wurde dem Angeklagten XXXXXX klar, dass er ihren Trennungsentschluss nicht mehr würde ändern können und sie endgültig nicht zu ihm zurückkehren würde. Als Reaktion auf ihre Entscheidung stand für ihn fest, dass er die Nebenklägerin töten (lassen) werde. Ob er aus persönlicher Kränkung handelte oder gemäß den kulturell geprägten Ehrvorstellungen seiner kurdisch-stämmigen Herkunftsfamilie die Familienehre wiederherstellen wollte oder welche anderen Beweggründe er hatte, ließ sich im Rahmen der Hauptverhandlung nicht klären.

2. Zur Umsetzung seines Vorhabens kontaktierte der Angeklagte XXXXXX im November 2022 den Zeugen XXXXXXX aus XXXXXXXXXXX, der ein Verwandter sowohl des Angeklagten XXXXXX, als auch der Nebenklägerin ist. Gegenüber dem Zeugen äußerte er seine Wut über die Nebenklägerin. Er fragte, ob dieser jemanden kenne, der sich bereit erklären würde, die Nebenklägerin zu töten. Ferner fragte er, ob der Zeuge ihm eine Waffe besorgen könne. Der Zeuge XXXXXXX lehnte beide Ansinnen ab.

Von dem Telefonat berichtete der Zeuge XXXXXXX zeitnah der Nebenklägerin, die die Information aber nicht ernstnahm. Vielmehr vertraute sie darauf, dass ihr Ex-Mann, der unverändert seine Liebe zu ihr bekundete, zu einer solchen Tat nicht fähig sein würde. Die Nebenklägerin ihrerseits erzählte ihrer Nachbarin, der Zeugin XXXXXX, von dem Telefonat und der Äußerung ihres Ex-Mannes gegenüber dem Zeugen XXXXXXX.

3. Der Angeklagte XXXXXX berichtete auch seinem besten Freund, dem Angeklagten XXXX XXXXX, von seinem Vorhaben, die Nebenklägerin töten zu wollen und bat diesen, die Tat für ihn auszuführen. Der Angeklagte XXXX XXXXX erklärte sich schließlich aus freundschaftlicher Verbundenheit, möglicherweise auch in Aussicht einer finanziellen Gegenleistung, dazu bereit, die Tat auszuführen.

Die Angeklagten vereinbarten, dass der Angeklagte XXXX XXXXX die regelmäßig stattfindenden Umgangstermine des Angeklagten XXXXXX mit seinen drei Kindern nutzen sollte, um die Nebenklägerin beim Bringen der Kinder zu erschießen.

Anfang 2023 fielen wiederholt Umgangstermine aus. Zu einem unbekannten Zeitpunkt davor oder danach kamen die Angeklagten überein, dass der Angeklagte XXXXX die Nebenklägerin anlässlich des Umgangstermins am 10.02.2023 - genau zwei Wochen nach der Scheidung der Eheleute XXXXXX - töten solle.

4. Ebenfalls Anfang 2023, etwa fünf Wochen vor der Tat, fragte der Angeklagte XXXXXX einen älteren Bekannten, den Zeugen XXXXXXX, ob dieser ihm einen Rechtsanwalt nennen könne. Auf Rückfrage konkretisierte er, er meine einen Strafverteidiger. Gefragt nach dem Grund antwortete er lachend, vielleicht werde er XXXXXX erschießen (wörtlich: "abknallen"). Der Zeuge kontaktierte daraufhin die Mutter des Angeklagten und empfahl dieser, ihren Sohn doch einmal in den Urlaub in die Türkei zu schicken, damit dieser sich gedanklich von der Trennung erhole. Auch der Nebenklägerin berichtete der Zeuge XXXXXXX nur wenige Tage vor der Tat von dem Gespräch; sie nahm die Äußerung aber nicht ernst.

5. Der Angeklagte XXXXX suchte mit seinem Smartphone im Internet zwischen dem 16.01.2023 und dem 23.01.2023 wiederholt nach Schusswaffen sowie entsprechenden Erwerbsmöglichkeiten. Hierbei suchte er ab dem 20.01.2023 auch gezielt nach Munition mit dem Kaliber 9 mm, wie sie später bei der Tat Verwendung fand. Am 23.01.2023 gab er die Suchbegriffe "9mm kaufen" und "9mm fiyat" (türkisch für kaufen) ein.

III. Tatgeschehen

1. Am Tattag, dem 10.02.2023, um 14:25 Uhr rief der Angeklagte XXXXXX den Angeklagten XXXXX an; beide telefonierten 28 Sekunden lang miteinander. Kurze Zeit später verließ der Angeklagte XXXXX seine Wohnung. Um 15:34 Uhr, 15:35 Uhr sowie 15:37 Uhr versuchte er dreimal den Angeklagten XXXXXX anzurufen; eine Verbindung kam jeweils nicht zustande. Bei dem Anwahlversuch um 15:37 Uhr handelt es sich zugleich um die letzte aktive Nutzung seines Mobiltelefons vor der Tat.

2. Entsprechend dem gemeinsam gefassten Tatplan begab sich der Angeklagte XXXXX XXXXXX kurz vor 16 Uhr des 10.02.2023 in das Büro des Zeugen XXXXXXX in der XXXXXXXXXXXX XX in XXXXXXXXXXX. Er gab vor, wie üblich auf seine Kinder zu warten. Tatsächlich verschaffte er sich auf diese Weise ein Alibi für die Tat und gewährleistete gleichzeitig, unmittelbar nach der Tat vor Ort zu sein. Auf den Zeugen XXXXXXX, der in der Situation routinemäßig die Stimmung seines Klienten abfragte, wirkte der Angeklagte auffallend unruhig und angespannt. Der Zeuge XXXXXXX nahm dies zum Anlass, den Angeklagten auf seine Stimmung anzusprechen. Die Nachfrage des Zeugen, ob seine Stimmung auf das schwere Erdbeben in der Türkei zurückzuführen sei und ob davon auch Bekannte bzw. Familienangehörige betroffen seien, bejahte der Angeklagte.

3. Kurz vor 16 Uhr erreichte auch der Angeklagte XXXXX auf einem Fahrrad den späteren Tatort. Dabei wurde er zufällig von einer Videokamera gefilmt, die die Polizei zur Überwachung des Hauseingangs XXXXXXXXXXXX X installiert hatte. Um 15:59 Uhr durchfuhr er erstmals den videoüberwachten Bereich. Aus Richtung XXXXXXXXXXXXXX kommend muss er dabei zuvor den späteren Tatort passiert haben. Einige Häuser weiter, mutmaßlich an der Einmündung XXXXXXXXXXXXXX, wendete er und fuhr um 16:00 Uhr zurück in Richtung des späteren Tatorts in der XXXXXXXXXXXX XX. Seine untere Gesichtshälfte war zu diesem Zeitpunkt bis unter die Augen mit einer Maskierung - dunkle Maske, Tuch oder Schal - bedeckt und er trug eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, so dass er auf dem Video nicht identifizierbar ist.

4. Als die Nebenklägerin um 16:02 Uhr mit dem schwarzen PKW BMW mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXX XX in der XXXXXXXXXX eintraf, wurde der wartende Angeklagte XXXX von dem im Fahrzeug sitzenden 12-jährigen XXXXX XXXXXX gesehen und erkannt. Der Angeklagte XXXXX stand zu diesem Zeitpunkt an einer Hecke vor der Auffahrt zum Hause XXXXXXXXXXXX XX. Er schaute auf sein Handy und blickte hoch als das Fahrzeug der Nebenklägerin herannahte. Die Maskierung hatte er heruntergezogen, so dass sein Gesicht vollständig zu erkennen war. XXXXX nahm an, der ihm bekannte Freund seines Vaters habe diesen zum Büro des Zeugen XXXXXXX gebracht.

5. Die Nebenklägerin, die den Angeklagten XXXXX nicht bemerkt hatte, hielt den PKW wenige Meter hinter dem Büro am gegenüberliegenden rechten Straßenrand und ließ ihre Kinder aus dem Wagen steigen, um sie - wie üblich - eigenständig das Büro des Zeugen XXXXXXX betreten zu lassen, wo der begleitete Umgang mit ihrem Vater stattfinden sollte. Während die beiden jüngeren Kinder XXXXX und XXXXXX bereits die Straße kreuzten, verabschiedete sich XXXXX als Letzter von seiner Mutter.

6. Als XXXXX gerade ebenfalls die Straße überquerte, näherte sich der Angeklagte XXXXX mit dem Fahrrad quer über Gehweg und Straße fahrend. Er hatte sich zwischenzeitlich wieder maskiert, indem er Tuch, Maske oder Schal über die untere Gesichtshälfte gezogen hatte, so dass nur noch seine Augen unbedeckt waren. Im Vorbeifahren kam es zu einem Blickkontakt mit XXXXX, der auch in dieser Situation den maskierten Radfahrer als XXXX XXXXX erkannte.

7. Auf Höhe des Fahrzeugs holte der Angeklagte XXXXX eine Waffe hervor, klopfte damit an die Fensterscheibe der Fahrertür und schoss im nächsten Moment in Tötungsabsicht durch das Autofenster in Richtung des Kopfes der Nebenklägerin. Die Nebenklägerin hatte gerade mit vorgebeugtem Oberkörper im Fußraum des Beifahrersitzes herumgekramt und sich infolge des Klopfens an der Scheibe überrascht umgewandt, in der Annahme eines ihrer Kinder sei zurückgekehrt. Den Angreifer hatte sie nicht herannahen sehen und war arg- und infolgedessen wehrlos, was der Angeklagte ausnutzte. Der Schuss traf die Nebenklägerin im Gesicht. Sie erlitt eine stark blutende Wunde im Bereich der rechten Wange und sackte mit dem Kopf nach vorn auf die Hupe, die daraufhin ertönte. Das nunmehr führerlose Fahrzeug rollte quer über die Straße und kam an einem Straßenpoller auf Höhe der XXXXXXXXXXXX XX zum Stehen.

8. Die Zeugin XXXXXXXXX, die gerade aus Richtung XXXXXXXXXXXXXX kommend die XXXXXXXXXXXX entlangging, hörte einen Knall und sah das Fahrzeug der Nebenklägerin quer über die Straße gegen den Poller rollen. Sie wurde erst durch die schreienden Kinder darauf aufmerksam, dass ein Fahrradfahrer etwas mit dem aus ihrer Sicht vermeintlichen Verkehrsunfall zu tun hatte. Sie drehte sich um und sah - ebenso wie XXXXX XXXXXX -, wie der Fahrradfahrer am Ende der XXXXXXXXXXXX links in die XXXXXXXXXXXXXXX abbog.

9. Der Angeklagte XXXXX stand zur Tatzeit unter dem Einfluss von Cannabinoiden, ohne dass dies seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigte.

IV. Nachtatverhalten des Angeklagten XXXXXX

1. XXXXX stürzte zu seiner stark blutenden Mutter, die bei Bewusstsein war, und versuchte, ihr zu helfen.

Veranlasst durch die lauten Geräusche traf unmittelbar danach der Zeuge XXXXXXX mit dem Angeklagten XXXXXX am Tatort ein. Der Zeuge XXXXXXX ging zu diesem Zeitpunkt von einem Verkehrsunfall aus und alarmierte daher zeitgleich mit seinem Eintreffen bereits per Mobiltelefon Polizei und Rettungskräfte. Weitere zufällig Anwesende, insbesondere der Zeuge XXXX XXXXXXX, leisteten Erste Hilfe.

Der Angeklagte XXXXX XXXXXX versuchte, seine panischen und schreienden Kinder von ihrer sichtlich schwer verletzten Mutter wegzuziehen, was diese jedoch nicht zuließen. Die Nebenklägerin wies den Angeklagten zurück und schrie sinngemäß in seine Richtung: "Du bist schuld! Du hast mir das Gesicht kaputtgemacht!" Der Angeklagte XXXXXX flüsterte sinngemäß in ihre Richtung: "Ich werde dich auch so akzeptieren. Entweder du stirbst oder du kehrst zu mir zurück. Aber nicht meinetwegen, sondern wegen der Kinder". Der Zeuge XXXXXXX musste den Angeklagten XXXXXX mehrfach wegdrücken, weil er sich bei den Erste-Hilfe-Maßnahmen von ihm behindert fühlte. Der Bitte seines Sohnes XXXXX, einen Rettungswagen anzufordern, kam der Angeklagte XXXXXX nach, indem er mit dem Mobiltelefon hantierte. Ob er dabei ernsthaft versuchte, den Notruf zu wählen oder dies nur vorgab - wie sein Sohn meinte - blieb ungeklärt. Die in sein Mobiltelefon eingetippten Nummern waren sämtlich Abwandlungen von 110 bzw. 112.

2. Der erste Notruf ging um 16:04 Uhr ein. Um 16:09 Uhr trafen erste Polizeikräfte am Tatort ein. Auch ein Rettungswagen war kurze Zeit später vor Ort. Während sein Kollege den Tatort absicherte, befragte POK XXXXXXXX zur Sachverhaltsermittlung die anwesenden Personen. Die Kinder der Nebenklägerin wurden im Büro des Herrn XXXXXXX durch ein Kriseninterventionsteam betreut. Die Nebenklägerin wurde notärztlich versorgt und anschließend in das Klinikum XXXXXXXXXXX verbracht, wo sie notfallmedizinisch behandelt wurde.

Befragt zu etwaigen Hinweisen berichtete der Angeklagte XXXXXX vor Ort gegenüber dem Zeugen POK XXXXXXXX von kriminellen Machenschaften im Zusammenhang mit dem Kauf des Hauses der Nebenklägerin in der XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX. Seine Ex-Frau sei dabei von Mitgliedern der Hells Angels unterstützt worden, wofür diese nun 30.000 oder 40.000 Euro verlangten. Deshalb habe er immer wieder Drohanrufe erhalten und sich letztlich auch getrennt. Sie habe ihm in der Folge den Umgang mit den Kindern verwehrt und ihn bei den Kindern schlechtgemacht. Ferner äußerte er, seine Ex-Frau habe einen neuen Freund aus XXXXXX, der kriminell sei und etwas mit Drogen zu tun habe. Auf den Polizeibeamten machte der Angeklagte den Eindruck, dass er seine Äußerungen mit Bedacht formulierte und tatrelevantes Wissen zurückhielt.

V. Nachtatverhalten des Angeklagten XXXXX

1. Der Angeklagte XXXX XXXXX war sich nach dem von ihm ausgeführten Schuss sicher, alles Erforderliche für die Tötung der Nebenklägerin getan zu haben. Er flüchtete mit seinem Fahrrad in Richtung XXXXXXXXXXXXXX und von dort in Richtung seiner Wohnanschrift im ca. 2 km südlich gelegenen Stadtteil XXXXXXXXXX. Nach einem kurzen Abstecher in seine Wohnung in der XXXXXXXXX XXXXXX XX ging er - mutmaßlich zu Fuß und mit seinem Hund - in den Nettomarkt im XXXXXXXXXX X, wo er auch sonst regelmäßig einkaufte. Um sich wie geplant ein Alibi zu verschaffen und entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nahm er um 16:30 Uhr an der Kasse den Kassenbon mit aufgedruckter Uhrzeit mit. Auf das Vorhandensein des Kassenbons wies er nach seiner vorläufigen Festnahme am Abend des gleichen Tages wiederholt hin.

Bei einem Folgeeinkauf am darauffolgenden Montag, dem 13.02.2023 sprach er die Kassiererin XXXXX explizit auf das Alibi an und bedankte sich sinngemäß dafür. Als Hintergrund für die zurückliegende Festnahme und die angelastete Tat erzählte er von der Trennung seines Freundes von einer Frau. Er habe seinen Freund nach der Trennung aufgenommen und deshalb sei die Frau sauer auf ihn. Die Frau habe Probleme mit Drogendealern und nach seiner Einschätzung komme jemand aus diesem Bereich als Täter in Frage.

2. Sein Mobiltelefon aktivierte der Angeklagte XXXXX erst wieder gegen 17:07 Uhr des Tattages. Unmittelbar danach suchte er gegen 17:11 Uhr - erstmals in der gesamten Internethistorie des Gerätes - nach dem Suchbegriff "nachrichten" bzw. "nachrichten XXXXXXXXXXX". In der Folge besuchte er gegen 17:12 Uhr eine Internetseite mit folgender Schlagzeile "Schüsse in XXXXXX XXXXXXXX: 22-jähriger am Kopf getroffen".

Nach dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen ging die erste Pressemeldung über die Tat erst um 17:42 Uhr online. Da auf dem Smartphone des Angeklagten zwischen 15:37 Uhr und 17:11 Uhr nachweislich keine Nachrichten oder Anrufe eingegangen waren, deutet dieser Suchverlauf auf Tatwissen des Angeklagten XXXXX hin.

VI. Tatfolgen

1. Die Nebenklägerin erlitt eine Durchschusswunde im Bereich der rechten Wange. Bereits durch den Aufprall der Kugel an der Fensterscheibe hatten sich Mantel und Kern des Geschosses voneinander gelöst. Der Kern trat neben dem rechten Nasenloch in die Wange der Nebenklägerin ein und im Bereich ihres rechten Ohrläppchens wieder aus und verursachte blutende Fleischwunden. Der Mantel verursachte eine klaffende schnittartige Hautverletzung neben dem rechten Mundwinkel. Ferner erlitt die Nebenklägerin einen zweifachen gering dislozierten Bruch der Kieferhöhle; ein Zahn wurde beschädigt. Glassplitter der Fensterscheibe führten zu zahlreichen kleinen Verletzungen im Gesicht und im Mund der Nebenklägerin; Glassplitter traten auch in die Binde- und Hornhaut der Augen der Nebenklägerin ein.

Die Nebenklägerin wurde vom 10.02.2023 bis zum 16.02.2023 im Klinikum XXXXXXXXXXX stationär behandelt. Die Schusswunden wurden operativ versorgt. Ihre Speicheldrüse war verletzt, so dass die Wunde ca. einen Monat lang alle zwei Tage ärztlicherseits drainagiert werden musste. Zweimal wurden ihr operativ weitere Glassplitter aus dem Augen entfernt.

Wegen der Gesichtsnarben befindet sich die Nebenklägerin bis heute in chirurgisch-kosmetischer Behandlung. Sie leidet weiterhin unter einer Temperaturempfindlichkeit des Gesichts, das bei Kälte und Hitze anschwillt. Ihr Ohr ist berührungsempfindlich, so dass sie nicht darauf schlafen kann. Die Mundöffnung ist beeinträchtigt.

Nach der Tat war die Nebenklägerin drei Monate lang auf die Einnahme von Beruhigungs- und Schlafmitteln angewiesen. Bis heute leidet sie unter Schlafstörungen. Sie befindet sich in psychotherapeutischer Behandlung; Gespräche finden wöchentlich statt.

2. Akute Lebensgefahr bestand nicht; der Schuss war aber potentiell lebensgefährlich. Angesichts der Nähe zum Opfer, des dynamischen Tatgeschehens sowie der erwartbaren erheblichen Verletzungsfolgen ist es letztendlich nur einem äußerst glücklichen Zufall zu verdanken, dass die Nebenklägerin den von ihrem Ex-Mann initiierten Anschlag überlebt hat. Für die Angeklagten war dies weder vorhersehbar, noch steuerbar.

3. Die drei Kinder, die den Mordanschlag auf ihre Mutter miterleben mussten, zeigten nach der Tat Symptome einer posttraumatischen Belastung (kahle Stelle am Hinterkopf XXXXXX, Wimpern ausreißen und Bettnässen bei XXXXXX). Sie wurden zeitweise psychologisch betreut, lehnten aber in der Folgezeit eine weitere psychologische Behandlung ab. Sie sind nach wie vor verängstigt und insbesondere der älteste Sohn XXXXX ist überbesorgt um das Befinden seiner Mutter.

VII. Weitere Ermittlungen

1. Noch am Tattag und erneut am nächsten Morgen äußerte der Zeuge XXXXX XXXXXX gegenüber Polizeibeamten, dass er XXXX XXXXX als den Täter erkannt habe. Ebenfalls taggleich äußerte er, dass er sich sicher sei, dass sein Vater den Mordanschlag in Auftrag gegeben habe.

Aufgrund der Angaben des Zeugen XXXXX XXXXXX und der Hinweise auf eine mögliche Beziehungstat wurden die beiden Angeklagten am Abend des Tattages vorläufig festgenommen, jedoch zunächst am Folgetag wieder freigelassen.

2. Der Angeklagte XXXXX gab im Rahmen seiner ersten Festnahme vom 10.02.2023 mehrfach gegenüber den Beamten POK XXXXXXX und POK XXXXXX an, dass er mit der Tat nicht in Verbindung stehen könne, da er zur Tatzeit einkaufen gewesen sei. Diesbezüglich verwies er wiederholt und explizit darauf, dass er über einen Kassenbeleg verfüge.

Im Rahmen der Durchsuchung am 10.02.2023 konnte in der Wohnung des Angeklagten XXXXX ein Kassenbeleg des Netto-Marktes im XXXXXXXXXX X, ausgestellt am 10.02.2023 um 16:30 Uhr, aufgefunden werden. Ausweislich des Kassenbons kaufte er neun unterschiedliche Artikel, darunter Zutaten für Chili con carne, zum Gesamtpreis von 10,92 € ein.

Die als Zeugin befragte Kassiererin XXXXXX hat ausgesagt, sie sei dem Angeklagten kurz vor dem Kassiervorgang bereits im hinteren Ladenbereich begegnet, als sie nach einer Pause auf dem Weg zur Kasse gewesen sei. Ausweislich des verlesenen Kassenjournals der Kasse datiert der letzte Bon vor ihrer Pause auf 16:00 Uhr, der erste Bon nach ihrer Pause auf 16:25 Uhr.

Der Zeuge KHK XXXXXXX hat zur Überprüfung des Alibis eine Weg-Zeit-Berechnung vorgenommen. Er benötigte für die Fahrradstrecke vom Tatort zur Wohnanschrift des Angeklagten in der XXXXXXXXX XXXXXX XX und für den Fußweg von dort zur Netto-Filiale im XXXXXXXXXX X insgesamt 13:30 Minuten. Demnach stand dem Angeklagten - unter Berücksichtigung eines Aufenthalts in der Wohnung von 3 Minuten zum Abholen seines Hundes und für einen etwaigen Kleidungswechsel - eine Zeitspanne von 10:30 Minuten für den Einkauf zur Verfügung.

Eine Alibifunktion kommt dem Kassenbon mithin nicht zu.

3. Am Nachmittag des 16.02.2023 wurden am Tatort Personenspürhunde, sog. Mantrailer, eingesetzt. Den eingesetzten Spürhunden wurde eine Geruchskopie des von dem Angeklagten XXXXX bei der Festnahme getragenen T-Shirts vorgehalten.

Der Diensthund "XXXXX" war in der Lage, eine Spur aufzunehmen und ihr vom Tatort bis in die Nähe der Wohnanschrift des Angeklagten XXXXX in der XXXXXXXXX XXXXXX zu folgen. Der Einsatz des zweiten Diensthundes "XXXXX" erfolgte zwecks Negativabgrenzung unter Verwendung des gleichen Spurenmaterials auf Höhe der XXXXXXXXXXXX X und damit in einer Entfernung von ca. 150 Metern in entgegengesetzter Fahrtrichtung zum Tatort; das Tier war in diesem Bereich nicht in der Lage, einer Geruchsspur richtungsweisend zu folgen.

Die Ergebnisse der Trails lassen den Schluss zu, dass der Angeklagte XXXXX sich am Tatort aufgehalten und von dort in Richtung seiner Wohnanschrift bewegt hat.

4. Der Verbleib der Tatwaffe ließ sich nicht ermitteln, ebenso wenig deren Herkunft. Die am Tatort sichergestellten Geschossbestandteile gehören zu einer Patrone mit dem Kaliber 9 mm der Firma XXXXXXXXXXXXXX X.X. Brauchbare daktyloskopische oder DNA-Spuren ließen sich hierauf nicht feststellen. Das zur Tatzeit genutzte Fahrrad wurde nicht aufgefunden, ebensowenig die Täterkleidung.

5. Die polizeilichen Ermittlungen und die Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung ergaben keine Anhaltspunkte, aus denen sich ein Tatmotiv oder eine Täterschaft Dritter ableiten ließe.

6. Während eines Transportaufenthalts in der JVA Oldenburg, in der zu diesem Zeitpunkt der Mitangeklagte XXXXX inhaftiert war, wandte sich der Angeklagte XXXXXX im Zeitraum vom 17.10. bis zum 20.10.2023 an den Mithäftling XXXXXXX und bat diesen eine handschriftlichen Nachricht abzuschreiben, was dieser auch tat. Den Inhalt der Nachricht gab der Zeuge XXXXXXX bei der Polizei am 30.10.2023 schriftlich wie folgt wieder: "Sag einfach Du hast jemanden gesehen der da war. Und Das Du auf dein Handy geschaut hast. Deshalb warst du da. Deshalb war ich nicht da. Weil ich dir geschrieben hab."

C.

Die Feststellungen der Kammer beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

I. Persönliche Verhältnisse

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten (A.) beruhen auf ihren Angaben in der Hauptverhandlung. Die Feststellungen zur Beziehung des Angeklagten XXXXXX und der Nebenklägerin beruhen, was die biographischen Daten anbelangt, ergänzend auf deren Angaben.

II. Einlassungen der Angeklagten

Die Angeklagten haben die Tat bestritten und sich am vorletzten der insgesamt 27 Verhandlungstage wie folgt eingelassen:

1. Der Angeklagte XXXXX hat sich zum Ablauf des Tattages dahingehend eingelassen, er sei am Tattag am Vormittag ab 8:45/9:00 Uhr ca. eine bis eineinhalb Stunden mit dem Hund spazieren gegangen. Danach sei er zu Hause gewesen. Gegen 14:45/15:00 Uhr sei er wie üblich zur Mittagsrunde mit dem Hund aufgebrochen und im direkten Anschluss um 15 oder 16 Uhr bei Netto einkaufen gewesen. Er habe nicht auf die Uhr geschaut, dafür auch keinen Grund gehabt. Er habe sich sicher 20 Minuten bei Netto aufgehalten. Spätestens um 17:00 Uhr sei er zu Hause gewesen. Er habe Chili con carne gekocht; dafür habe er zuvor auch eingekauft. Dann habe er gegessen. Gegen 18 oder 19 Uhr sei er ohne den Hund losgegangen. Er habe zur Filiale der LzO am XXXXXXXXX XXXX gewollt. Auf dem Weg sei er verhaftet worden.

Befragt dazu, wo er am Tattag mit seinem Hund spazieren gewesen sei, gab der Angeklagte an, er könne sich daran nicht mehr genau erinnern. Er gehe überall in den XXXXXXXXXXXX spazieren. Auch am Tattag sei er da langgelaufen. Der Angeklagte zeigte sodann auf einer Google Maps-Übersicht eine Route von der XXXXXXXXX XXXXXX quer durch die Wohnanlagen Richtung XXXXXXXXXXXX und dann XXXXXXXXX XXXXXX und in die dort gelegenen Grünflächen. Die gezeigte Route führte weiter Richtung XXXXXXXXXXXX. Von dort, so zeigte der Angeklagte, gehe er meist die XXXXXXXXXXX entlang und weiter hinten durch den Gang "mit der Holzbrücke" (gemeint Verbindungsweg nördlich der XXXXXXXXXXX über den XXXXXXXXXXXX). Auch am Tattag sei er da entlanggelaufen. Die weitere Route beschrieb er durch die XXXXXXXXXX zurück in die XXXXXXXXXXXX mündend und von dort erneut durch die Parkanlagen und die Wohnanlagen abkürzend in Richtung der XXXXXXXXXXX. Für den Weg von dort zu Netto - so der Angeklagte - nutze er immer, so auch am Tattag, den Weg "XXXX XXX XXXXXX" bei der Hundeschule und am Kindergarten vorbei. Er zeigte den Weg XXXXXXXXXXX, XX XXXXXX, XXXXXXXXXXXXXX, XXXXXXXXXX. Die vom Angeklagten gezeigte Route erreichte dabei in nördlicher Richtung weder die XXXXXXXXXXX der XXXXXXX XXXXX, noch den Tatort XXXXXXXXXXXX, sondern bewegte sich durchgehend südlicher. Der nördlichste Punkt befindet sich am XXXXXXXXXXXX, gut 800 Meter vom Tatort entfernt.

Zu seinem Einkauf bei Netto gab der Angeklagte XXXXX auf gezielte Nachfrage der Verteidigung an, er habe sich dort länger, mindestens 20 Minuten aufgehalten. Er habe zunächst etwas anderes kaufen wollen, was er nicht gefunden habe bzw. das ausverkauft gewesen sei. Er habe sich dann umentschieden. Es habe eine riesengroße Schlange vor der Kasse gegeben, bis er dran gewesen sei. Die Kassiererin habe er vorher schon um 16:10 Uhr hinten im Laden getroffen und gegrüßt. Auf Vorhalt, dass die Kassiererin XXXXXX erst um 16:25 Uhr zur Kasse zurückgekehrt sei, gab an, seiner Meinung nach habe sie sich schon um 16:10 Uhr angemeldet. Er habe sie auf ihrem Weg zur Kasse gesehen und gegrüßt. Er habe keinen Stress gehabt. Er wisse nicht, wieviel Uhr es gewesen sei. Auf weitere gezielte Frage der Verteidigung gab er an, er habe zuvor seinen Hund in der Nähe der Warenannahme befestigt, dann zunächst noch einen Einkaufswagen geholt. Er habe durch den ganzen Laden gemusst und alle Artikel aus unterschiedlichen Regalen geholt. Die Zigaretten habe er an der Kasse von der Kassiererin bekommen. Sie habe dazu einen Schrank öffnen müssen. Vor der Kasse habe er anstehen müssen, weil viel los gewesen sei. Es sei ein Freitag gewesen. Die ältere Dame vor ihm habe ihr ganzes Portemonnaie ausgekippt und Geld gezählt. Das habe gedauert. Vor der Dame habe die Kassiererin bereits eine und zwischen ihm und der Dame noch zwei weitere Personen abkassiert. Nach dem Einkauf habe er alles in den Rucksack gepackt. Er habe den Wagen weggebracht, dann habe er den Hund losgemacht und ihm das Leckerli geben. Anschließend habe er den Fußweg nach Hause angetreten.

Befragt, ob er den Polizeibeamten von seinem Tagesablauf berichtet habe, gab er an, diese hätten ihn gefragt, wo er um 16:00 Uhr gewesen sei. Er habe gesagt, er wisse es nicht. Er habe mitgeteilt, dass er um 15/16:00 Uhr bei Netto einkaufen gewesen sei. Auf den Bon habe er hingewiesen. Er habe gewusst, dass der Bon sich in seinem Rucksack befand. Befragt, warum er den Bon bei Netto mitgenommen habe, gab der Angeklagte an, er habe nicht danach gefragt; die Kassiererin habe den Bon hingeschmissen, er habe ihn einfach eingepackt. Er nehme ihn eigentlich nie mit. Er habe auch an diesem Tag nicht darauf geachtet, ob er ihn mitgenommen habe. Beim Auspacken zu Hause habe er den Bon zufällig gesehen und im Rucksack liegen gelassen.

Befragt zu seinem Verhältnis zu dem Mitangeklagten gab er an, er sei mit diesem seit sieben Jahren sehr gut befreundet. Der Angeklagte XXXXXX sei wie sein kleiner Bruder. Man habe drei bis viermal täglich telefoniert, mindestens einmal täglich hätten sie sich getroffen. Wenn der Angeklagte XXXXXX Hilfe gebraucht habe, sei er immer für ihn dagewesen. Er kenne dessen ganze Familiengeschichte der letzten Jahre; die diesbezüglichen Angaben des Angeklagten XXXXXX seien zutreffend. Nach der Trennung habe er ihn bei sich aufgenommen. Von den Streitigkeiten mit der Nebenklägerin und der Umgangsregelung habe er gewusst. Der Mitangeklagte habe ihm auch ab und zu von den Umgangsterminen berichtet. Am Tattag habe der Mitangeklagte ihn zwischen 14:00 und 15:00 Uhr angerufen. Er, der Angeklagte XXXXX, sei noch zu Hause gewesen, habe aber gerade losgewollt. Der Angeklagte XXXXXX habe fröhlich gewirkt, weil er die Kinder sehen durfte. Anlässlich der Umgangstermine habe er öfters gemeinsam mit den Kindern mit dem Angeklagten XXXXX videotelefoniert. So habe der Angeklagte XXXXXX es auch an diesem Tag vorgeschlagen. Er, der Angeklagte XXXXX, habe ihm geraten, doch lieber das Handy abzuschalten und sich auf die Kinder zu konzentrieren. Danach habe er, der Angeklagte XXXXX, den Mitangeklagten nicht mehr angerufen und dies auch nicht mehr versucht. Auf Vorhalt, dass Anrufversuche auf dem Mobiltelefon des Angeklagten XXXXXX festgestellt worden seien, blieb er dabei, dass er den Angeklagten XXXXXX nicht mehr angerufen habe.

Die Frage, ob er bei Google einmal nach Waffen geschaut und den Begriff "kaufen" eingegeben habe, verneinte der Angeklagte XXXXX. Er habe aber nach Waffen geschaut. Er interessiere sich für Waffen aller Art und schaue dazu Videos YouTube an. Er habe niemals danach geschaut, eine Waffe zu kaufen; er habe die finanziellen Möglichkeiten gar nicht. Er habe auch kein Waffenschein, ohne den man eine Waffe gar nicht kaufen dürfe. Befragt, für welche Waffen er sich interessiere, gab er an, ihn interessiere generell alles, was auf dem Markt sei, was das Militär benutze. Das sei immer schon so. Er interessiere sich nicht für eine besondere Art, sondern für alles, was es Neues gebe, Kurzwaffen, Langwaffen, Bögen, alles. Auf Vorhalt, dass die Auswertung seines Mobiltelefons etwas anderes ergeben habe, wies der Angeklagte dies zurück. Die Polizei habe nur in Google geschaut und nicht den ganzen Browser überprüft. Er habe auch beispielsweise bei YouTube nach Waffen geschaut. Sein YouTube -Verlauf sei voll davon. Darauf habe der Verteidiger den ermittelnden Polizeibeamten XXXXXXXX extra hingewiesen. Dieser habe aber gesagt, dort sei nichts drin. Auf Vorhalt, dass die YouTube-Recherchen die Suchverläufe in Google nicht erklären, erläuterte der Angeklagte, dass er auf YouTube beispielsweise Erklärungsvideos neuer Modelle anschaue. Solche Waffentests schaue er auf Türkisch und auf Deutsch. Er interessiere sich für Panzer, Flugzeuge, Kampfflugzeuge, neue Raketen, auch Magazine aller Art. Auf Vorhalt, dass die Auswertung Suchverläufe zum Kaliber 9 mm und zu Kurzwaffen ergeben habe, verwies er erneut darauf, dass die Polizei ja nur den Google-, aber nicht die YouTube-Verlauf ausgewertet habe. Wenn er YouTube-Videos geschaut habe, sei er auf Google gewechselt, um sich weitergehende Informationen zu beschaffen. Den Fragen des Verteidigers des Mitangeklagten schloss sich ein intensives Fachgespräch an, in dem der Verteidiger dem Angeklagten zahlreiche waffenspezifische Fragen stellte, die dieser ebenfalls ausführlich und detailreich beantwortete. Es ging dabei um unterschiedliche Waffenmodelle, deren Eigenarten und Besonderheiten.

Die Frage, ob er sich für Nachrichten interessiere, bejahte der Angeklagte. Er schaue sie teilweise im Fernsehen, teilweise anderswo. Auf Vorhalt, er habe den Suchbegriff "Nachrichten in XXXXXXXXXXX" verfolgt, gab er an, die Nachricht sei auf seinem Handy im Newsfeed angezeigt worden; man bekomme die Nachrichten unaufgefordert angezeigt, könne dort scrollen, nach rechts und links schieben. Er habe die Nachricht mit dem Kopfschuss in XXXXXX gesehen. Es sei ein 22jähriger Mann in XXXXXXXX erschossen worden. Die Nachricht habe ihn interessiert, sei aber hinter einer Bezahlschranke gewesen. Deshalb habe er aktiv in der Googlesuche danach gesucht.

Befragt dazu, wann er zuletzt in der XXXXXXXXXXXX gewesen sei, gab der Angeklagte zunächst an, dies nicht zu wissen. Er wisse, dass er einmal dagewesen sei, aber nicht wann. Ab und zu sei das vorgekommen. Er habe kein Auto und keinen Führerschein und mache alles zu Fuß. Am Tattag sei er in der XXXXXXXXXXXX nicht gewesen, nur in der XXXXXXXXXXX und nirgendwo anders. Auf gezielte Frage der Verteidigung, ob er nach der Untersuchungshaft dort gewesen sei, gab er später an, dass er glaube, dort langgelaufen zu sein. Er sei bei der Polizei raus, beim Gericht vorbei, dann durch die XXXXXXXXXXX gegangen. Ja, er sei nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft in der XXXXXXXXXXXX gewesen. Er habe wissen wollen, was da losgewesen sei. Er habe nicht verstehen können, wie ein Mensch einem anderen das antun könne. Er sei da einfach vorbeigegangen, eigentlich sei das nicht sein Rückweg. Er sei da vorbeigegangen, um mal zu gucken, was da passiert sei. Er sei in die Straße reingelaufen und an gleicher Stelle wieder raus. Auf weitere gezielte Frage der Verteidigung gab der Angeklagte an, ihm falle nun ein, dass er nach seiner Entlassung aus der U-Haft doch durch die komplette Straße gegangen sei. Die Polizei habe ihm alle Kleidung abgenommen und in einer Art Maleranzug entlassen. Damit habe er nicht durch die ganze Stadt laufen wollen; deshalb sei er durch die XXXXXXXXXXXX gegangen. Er sei durch die XXXXXXXXXXXX gegangen und dann rüber in die XXXXXXXXXXXX rein, die sei etwas abgelegen. Er habe nur Boxershorts und diesen "Maleranzug" getragen und sei auch barfuß gewesen. Er habe sich geschämt.

2. Nachdem der Angeklagte XXXXX sich zur Sache eingelassen hatte, hat auch der Angeklagte XXXXXX wie folgt Angaben zur Sache gemacht:

Er sei am Tattag verspätet beim Büro des Herrn XXXXXXX angekommen, weil er sich mit einem Bekannten verquatscht habe. Bei seiner Ankunft sei er traurig und ein bisschen mitgenommen gewesen, aber nicht wegen "der Sache". Herr XXXXXXX habe ihn gefragt, was los sei. Er habe geantwortet, dass er ein bisschen bedrückt sei wegen des Erdbebens in der Türkei. Es seien viele Verwandte gestorben, auch junge Leute, viele hätten Haus und Wohnung verloren.

15 Minuten später habe es dann den Knall gegeben. Er sei rausgerannt, habe die Nebenklägerin gesehen, sie sei verletzt gewesen, er sei sofort hin. Es habe ihn schockiert, alles sei eine Herausforderung für ihn gewesen. Der Augenblick sei "echt nicht schön" gewesen. Er habe mehrfach versucht, Polizei und Krankenwagen zu verständigen, aber das sei nicht gegangen. Sein Handy sei im Flugmodus gewesen oder irgendwas. Er habe es mehrfach versucht, die Nummern gedrückt, sei durcheinander gewesen, durch den Wind. Es seien 5 bis 6 Leute vor Ort gewesen, alle hätten gleichzeitig das Handy rausgeholt und den Krankenwagen gerufen. Dann sei er zu ihr zum Auto, habe versucht, sie zu beruhigen, ihr zu helfen. Sie habe noch im Auto gesessen. Er habe die Tür aufgemacht und gesagt, sie solle sich beruhigen. Sie habe ihn angeschrien: "Du warst das." Er habe gefragt: "Wie kommst du darauf? Was ist los mit dir? Ich helfe dir!". Sie habe geschrien: "Du steckst dahinter. Ich weiß das." Herr XXXXXXX habe ihn dann zur Seite gezogen und gesagt, das sei besser für sie. Er sei aber an der Seite stehen geblieben, bis der Krankenwagen gekommen sei.

Auf Bitte des Gerichts, den Tagesablauf zu schildern, hat er berichtet, er sei gegen acht oder neun Uhr wach geworden, habe gefrühstückt und sich fertiggemacht. Auf dem Weg zur Haustür, um zu dem Treffen mit den Kindern zu fahren, habe er noch zwei Telefonate mit seinem Bekannten XXX geführt, mit dem er sich später habe treffen und etwas unternehmen wollen. Er habe das anstehende Treffen mit den Kindern erwähnt und ein bisschen gequatscht. Sie hätten sich für später verabredet, um auch XXXX abzuholen. Sie hätten sich jedes Wochenende getroffen, fast täglich sogar, immer zu dritt. Danach habe er XXXX angerufen. Auch ihm habe er von dem Termin mit den Kindern erzählt und dass er danach was unternehmen wolle. Er habe auch vorgeschlagen, dass er mit den Kindern und XXXX ein Videotelefonat führen könne. Dazu sei es dann halt nicht mehr gekommen.

Befragt zu Anrufversuchen XXXX XXXXXX vor der Tat hat der Angeklagte angegeben, sein Handy sei im Flugmodus gewesen, er wisse nicht warum. Er habe mehrere Anrufe bekommen. Er wisse nicht von wem, jedenfalls nicht von XXXX XXXXX. Er wisse gar nicht, seit wann das Handy auf Flugmodus gewesen sei. Um halb 1 oder 2 habe er es noch benutzt für die Gespräche mit XXX und XXXX. Manchmal im Auto höre er über das Handy Musik; vielleicht habe er da aus Versehen den Flugmodus aktiviert. Im Büro des Herrn XXXXXXX habe er mehrere Telefonanrufe bekommen. Möglicherweise habe er das Handy da erst auf Flugmodus gestellt, jedenfalls sei es irgendwann im Flugmodus gewesen. Als er den Rettungswagen und die Polizei habe alarmieren wollen, sei das nicht gegangen.

Befragt, wie er auf die Tat aufmerksam geworden sei, hat der Angeklagte angegeben, er und XXXXXXX hätten Schüsse gehört. Er sei dann sofort nach draußen gerannt, habe aber zunächst nichts gesehen. Dann habe er jemanden abhauen sehen. Die Person sei komplett schwarz gekleidet gewesen. Die Kinder seien schon auf der Straße gewesen und zu ihm gerannt und hätten gesagt, dass Mama angeschossen sei.

Befragt zu dem Telefonat mit seinem Cousin XXXXXX XXXXXXX hat der Angeklagte angegeben, sie seien Familie. Herr XXXXXXX sei kein Mensch, der sich einschüchtern lasse. Er habe im Milieu mit Drogen und Zuhälterei zu tun. Ab und zu habe man miteinander telefoniert. Er erinnere nicht, wer wen angerufen habe. Es sei jedenfalls im November gewesen, nach seinem, des Angeklagten, Geburtstag. Herr XXXXXXX habe ihn gebeten, ob er in die Türkei kommen würde. Es sei um eine große Marihuanaplantage dort gegangen. Er, der Angeklagte, habe dies natürlich abgelehnt. Schließlich habe er die Treffen mit den Kindern nicht verpassen wollen und er habe auch keine hohe Strafe in der Türkei riskieren wollen. Darum sei es in dem Telefonat gegangen. "Das mit XXXXXX" habe er nicht erwähnt, "sowas" würde er auch nie. Er, XXXXXXX habe gefragt, ob sie, der Angeklagte und die Nebenklägerin, nicht an einem Tisch sitzen und reden könnten. Er sei damit einverstanden gewesen, aber dazu sei es nie gekommen. Es habe kein Gespräch gegeben, dass er jemanden suche oder ihr schaden wolle oder ähnliches.

Befragt zu dem Gespräch mit dem Zeugen XXXXXXX hat er berichtet, er sei dort wegen seiner geplanten Selbständigkeit gewesen. Er habe seiner Verlobten etwas bieten wollen; deshalb habe er das Gewerbe geplant. Man habe eine gute Stunde geredet und Anträge wegen der Gewerbeanmeldung zusammengestellt, weil er davon keine Ahnung habe. Dann habe er XXXXXXX angesprochen wegen eines Scheidungsanwalts. Herr XXXXXXX habe gefragt, warum, wieso denn. Er, der Angeklagte, habe das gewollt, weil ihm doch was zustehe. Dann hätten sie allgemein über Scheidungsanwälte geredet, weil Herr XXXXXXX auch geschieden sei. Dann habe er einen Anruf bekommen und losgemusst. Auf Nachfrage, warum Herr XXXXXXX dies anders schildere, gab der Angeklagte an, dass es "dieses Gespräch" nicht gegeben habe. Er verstehe nicht, warum Herr XXXXXXX das erwähne. Vielleicht habe er es falsch wahrgenommen. Es habe "das mit töten/erschießen" nicht gegeben. Darüber sei nie gesprochen worden. Er habe nur nach einem Anwalt wegen der Scheidung gefragt. Das sei seine Frage gewesen, dann sei er sofort rausgegangen.

Befragt zu dem Geschehen mit dem Zeugen XXXXXXX in der JVA hat sich der Angeklagte wie folgt erklärt: Das sei vor knapp zwei Monaten gewesen. Es habe eine große Verhandlung angestanden mit XXXXXXXXXXXXX Jungs. XXXXXXX hab für ihn einen Brief abschreiben sollen, dass deren Verteidiger sich mal austauschen. Der eine von denen habe in XXXXXXXXX, der andere in Vechta eingesessen. Er habe deshalb XXXXXXX gebeten, dass er das schreibt, weil seine Schrift nicht lesbar sei. Auf Nachfrage, was er mit dem dortigen Verfahren zu tun habe, antwortete der Angeklagte, er habe Bescheid geben sollen, dass die Verteidiger Gespräche führen sollen.

Dass festgestellte Tatmotiv hat der Angeklagte in Abrede gestellt. Häusliche Gewalt hat er verneint, lediglich eingeräumt, zu Beginn der Ehe einmal die Nebenklägerin und auch XXXXX einmal geschlagen zu haben. Es habe im Zusammenleben mit der Nebenklägerin "schon Gründe gegeben, sowas zu machen". Die Nebenklägerin habe sich oft "quergestellt". Aber er hätte "das" auch vorher machen können und habe es nicht getan. Dabei verwies er auf seinen freiwilligen Auszug, auf die von ihm akzeptierte Scheidung, seine zuvor erklärte Trennung nach islamischem Ritus, die wiederum die Nebenklägerin nicht akzeptiert habe. Er sei froh, dass die Nebenklägerin nicht gestorben sei, schon wegen der Kinder. Er wünsche keinem Kind, dass es ohne Vater oder Mutter aufwachse.

III. Objektives Tatgeschehen

Die Einlassungen der Angeklagten zur Sache sind, soweit sie im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen stehen, durch die Beweisaufnahme widerlegt. Ihre Feststellungen stützt die Kammer insoweit auf folgende Beweiswürdigung:

1. Die örtlichen Gegebenheiten am Tatort hat die Kammer anhand der Inaugenscheinnahme von Google Maps wie folgt festgestellt: Die XXXXXXXXXXXX verbindet die XXXXXXXXXXXX mit der XXXXXXXXXXXXXX und ist als Einbahnstraße nur in Richtung XXXXXXXXXXXXXX befahrbar. Die Hausnummern sind in Fahrtrichtung linksseitig fortlaufend durchnummeriert (Nr. 1-13); die gegenüberliegende Straßenseite ist fortlaufend entgegen der Fahrtrichtung nummeriert (Nr. 1834). Die Endposition des Fahrzeugs der Nebenklägerin liegt in Fahrtrichtung links auf Höhe der XXXXXXXXXXXX XXXXX; schräg gegenüber befindet sich rechter Hand die Hausnummer 24, vor der die Nebenklägerin zum Aussteigen der Kinder hielt. Zwei Häuser vor der Hausnummer 10, zwischen den Hausnummern 7 und 8, mündet linksseitig die XXXXXXXXXXXXXX in die XXXXXXXXXXXX.

2. Die zum Kerngeschehen getroffenen Feststellungen (maskierter Fahrradfahrer schießt auf im Fahrzeug sitzende Nebenklägerin, siehe dazu B.III.7) stützt die Kammer auf folgende Beweiswürdigung:

a. Die Abgabe des Schusses durch einen maskierten Fahrradfahrer hat der 13-jährige Zeuge XXXXX XXXXXX in der Hauptverhandlung glaubhaft wie festgestellt geschildert. Nachdem die Kinder gerade ausgestiegen seien, habe sich ein maskierter Fahrradfahrer dem Fahrzeug genähert, eine Pistole hervorgeholt, mit dieser kurz an die Scheibe geklopft und dann auf seine Mutter geschossen. Anschließend sei er auf dem Fahrrad in Richtung XXXXXXXXXXXXXX geflüchtet und am Ende der XXXXXXXXXXXX links abgebogen. Das Fahrzeug sei über die Straße und gegen einen Poller gerollt, wobei es den flüchtenden Fahrradfahrer touchiert habe, zumindest aber dieser habe ausweichen müssen.

b. Die Nebenklägerin XXXXXX XXXXXX hat als Zeugin in der Hauptverhandlung ausgesagt, dass der Angriff für sie urplötzlich und völlig überraschend gekommen sei. Sie habe gerade nach vorne gebeugt im Fußraum des Beifahrersitzes nach etwas gesucht. Da habe sie ein Klopfen an der Scheibe gehört und gedacht, eines ihrer Kinder sei zum Auto zurückgekehrt. Als sie sich umgedreht habe, habe eine schwarz gekleidete Person vor der Scheibe gestanden. Dann sei auch schon der Schuss gefallen. Dabei hat die Nebenklägerin ihr individuelles Erleben nachvollziehbar geschildert, indem sie kundtat, zunächst nicht erfasst zu haben, was passiert war. Erst durch die Schreie ihrer Kinder und einen Blick in den mittigen Rückspiegel habe sie ihre Verletzung realisiert.

c. Einen Fahrradfahrer hat auch die Zeugin XXXXXXXXX im Nahbereich des Tatorts wahrgenommen (B.III.8); ihre polizeiliche Zeugenaussage wurde durch den Vernehmungsbeamten KHK XXXXXXX in die Hauptverhandlung eingeführt, um der betagten und erkrankten Zeugin eine Anreise zu ersparen. Die Zeugin hatte seinerzeit ausgesagt, der Fahrradfahrer sei ihr in Richtung XXXXXXXXXXXXXX fahrend entgegengekommen. Sie sei erst durch die schreienden Kinder auf ihn aufmerksam geworden. Diese hätten geschrien, der Mann habe auf ihre Mutter geschossen. Sie habe sich umgedreht und gesehen, wie der Fahrradfahrer am Ende der XXXXXXXXXXXXX links in die XXXXXXXXXXXXX abgebogen sei.

d. Die Anwesenheit eines maskierten Fahrradfahrers am Tatort wird ferner belegt durch Videoaufnahmen, die die Polizei im Zuge einer Observation in einem anderen Ermittlungsverfahren gewonnen hat. Die Kammer hat die Videoaufnahmen auszugsweise (CD "Videoaufnahme Teil 2", Hülle vor Bl. 1 SH Videoaufzeichnung) sowie Screenshots der Videoaufnahme (Bl. 2-10 SH Videoaufzeichnung) in Augenschein genommen. Die Bezeichnung der jeweiligen Videodateien entspricht dem Zeitraum der Aufnahme. Video- und Bildmaterial enthalten zudem sichtbare Zeitangaben. Auf dem Video bzw. den davon gefertigten Screenshots sieht man Straße und Gehweg vor dem Hauseingang XXXXXXXXXXXX X; die Aufnahmen sind augenscheinlich aus einem gegenüber geparkten Fahrzeug aufgenommen. Die Inaugenscheinnahme ergab Folgendes:

Um 15:53 Uhr passiert augenscheinlich der Angeklagte XXXXXX zu Fuß von links kommend den Aufnahmebereich vor der Hausnummer 8 (Video 155320_155327_2_06W.avi, Bild Bl. 4 SH Videoaufzeichnung)

Um 15:59 Uhr durchfährt ein Fahrradfahrer den Bildbereich von rechts kommend entgegengesetzt der Fahrtrichtung der Einbahnstraße. Aus Richtung XXXXXXXXXXXXXX kommend muss er dabei zuvor den späteren Tatort XXXXXXXXXXXX XX passiert haben. Die Aufnahmen zeigen einen dunkel gekleideten mutmaßlich männlichen Fahrradfahrer. Die Person ist aufgrund der Maskierung und winterlichen Bekleidung nicht ohne weiteres identifizierbar. Sie trägt eine dicke schwarze Winterjacke mit lose herabhängender Kapuze, eine lange schwarze Hose, schwarze Handschuhe und schwarze Schuhe. Die untere Gesichtshälfte einschließlich Kinn, Mund und Nase ist mit einem schwarzen Tuch bzw. einer Maske bedeckt. Auf dem Kopf trägt die Person eine Kapuze, mutmaßlich eines Hoodies/Kapuzenpullovers. Die Kapuze ist tief ins Gesicht gezogen, so dass nur ein Schlitz der Augenpartie sichtbar ist. Bei dem Fahrrad handelt es sich um ein dunkles Damenfahrrad mit silbernem Gepäckträgern, silbernen Schutzblechen und chromfarbenem Vorderlicht. (Video 155944_155949_2_06W.avi, Bild Bl. 5 SH Videoaufzeichnung)

Nachdem der Fahrradfahrer vermutlich auf Höhe der Einmündung XXXXXXXXXXXX/XXXXXXXXXXXXXX gewendet hat, fährt die augenscheinlich gleiche Person sodann gegen 16:00 Uhr nunmehr in Fahrtrichtung des Tatorts XXXXXXXXXXXX XX von links kommend durch das Bild. Gut zu sehen ist die schwarze Maskierung, welche die gesamte untere Gesichtshälfte bis knapp unter die Augen verdeckt. Der Fahrradfahrer hat die linke Hand am Lenker, die rechte Hand befindet sich auf Höhe der rechten Hüftbeuge. (Video 160004_160009_2_06W.avi, Bild Bl. 6 SH Videoaufzeichnung).

Um 16:02 Uhr durchfährt das Fahrzeug der Nebenklägerin den Aufnahmebereich ebenfalls in Fahrtrichtung von links nach rechts. (Video 160236_160241_2_06W.avi, Bild Bl. 7 SH Videoaufzeichnung)

Um 16:04 Uhr sieht man eine männliche und eine weibliche Person auf dem Gehweg zu Fuß von links nach rechts gehen. Es handelt sich augenscheinlich um die von der Kammer vernommenen Zeugen XXXXXXX und XXXXXXXX; ersterer war als Ersthelfer vor Ort tätig. (Video 160450_160455_2_06W.avi, Bild Bl. 9 SH Videoaufzeichnung)

Soweit die Kammer ihre Überzeugung im Wege des Augenscheins gewonnen hat, wird wegen der weiteren Einzelheiten hier und im Folgenden gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die bei den Akten befindlichen, in den Urteilsgründen näher bezeichneten Abbildungen Bezug genommen.

Die Kammer ist aufgrund der zeitlichen Nähe zur Tat und den vor Ort gegenüber der Polizei abgegebenen Täterbeschreibungen überzeugt, dass es sich bei dem videographierten dunkel gekleideten und maskierten Fahrradfahrer um den Schützen handelt. Ausweislich der Aussage des Zeugen KHK XXXXXXX, Ermittlungsführer der Mordkommission, wurde die Videoaufnahme im Zeitraum 13:30 bis 16:30 Uhr ausgewertet, hat aber keine weiteren tatrelevanten Ansätze ergeben. Insbesondere wurden in diesem Zeitraum keine weiteren Zweiradfahrer videographiert, die als Täter in Betracht kommen.

Das Videomaterial belegt zugleich die Aussage des Zeugen XXXXX XXXXXX sowie die polizeiliche Aussage der Zeugin XXXXXXXXX, wonach der Täter den Tatort in Richtung XXXXXXXXXXXX fahrend verließ, ohne ein weiteres Mal den observierten Bereich zu passieren.

e. Die Feststellungen zum Tathergang werden gestützt durch die objektiven Gegebenheiten bei Eintreffen der Polizei. Diese stellten sich nach Aussage des Zeugen POK XXXXXXXX, Polizeibeamter des ersten Angriffs, und des Zeugen PK XXXXX, Hauptsachbearbeiter der Mordkommission sowie des in Augenschein genommenen Bildberichts vom Tatort nebst verlesener Bildbeschriftungen (Bl. 6-13 SH Tatort) wie folgt dar:

Der Zeuge POK XXXXXXXX hat ausgesagt, bei seinem Eintreffen habe der Pkw der Nebenklägerin auf Höhe der XXXXXXXXXXXX XX linksseitig auf dem Gehweg an einem Poller gestanden. Die Nebenklägerin habe im Fahrzeug gesessen; sie habe eine blutende Wunde im Gesicht gehabt und sei von Ersthelfern versorgt worden. Durch die umstehenden Kinder sei geäußert worden, dass ein Mann mit einer Pistole auf einem Fahrrad auf ihre Mutter geschossen habe. Die Scheibe der Fahrertür habe ein kreisrundes Einschussloch aufgewiesen.

Bild 1 des Bildberichts zeigt eine Übersichtsaufnahme des Tatorts aus Blickrichtung XXXXXXXXXXXXXX. Zu sehen ist der tatbetroffene schwarze BMW in Frontansicht. Der PKW steht schräg am linken Straßenrand. Der linke Vorderreifen und Frontstoßfänger berühren einen Straßenpfosten, der mutmaßlich durch den Anstoß leicht schräg steht. Im Bildhintergrund sieht man rechtsseitig vor dem Haus Nr. 24 geparkt einen PKW Marke BMW Mini. Nach Aussage des Zeugen PK XXXXX hatte die Nebenklägerin auf Höhe des Mini vor der Haus Nr. 24 schräg gegenüber dem Hauseingang des Herrn XXXXXXX angehalten, um ihre Kinder aussteigen zu lassen. Dies belegen Glassplitter mittig auf der Fahrbahn, die ausweislich von Bild 9 (Spurentafel 2 und 3) auf Höhe des Minis festgestellt wurden. Bild 10 zeigt ebenjene Glassplitter in Nahaufnahme.

Bild 2 zeigt die Seitenscheibe der Fahrertür. Die Scheibe der Fahrertür ist vollflächig gesplittert. Fast mittig befindet sich das mutmaßliche Einschussloch.

Bild 4 zeigt die vollflächig gesplitterte Seitenscheibe der Beifahrertür ohne erkennbare Ein- oder Durchschussbeschädigung. Die Bilder 5 (Bl. 9 SH, Bildnummerierung doppelt vergeben) und 6 zeigen den Innenbereich der Beifahrertür; mittig unter dem Fenster der Beifahrerseite sieht man eine etwa 3cm x 3 cm große Materialverletzung, bei der es sich um die Aufprallstelle des Projektils handeln dürfte. Der Aufprall dürfte zum Zerbersten der Beifahrerscheibe geführt haben.

Bild 5 (Bl. 8 SH, Bildnummerierung doppelt vergeben) zeigt den Blick in den Innenraum des PKW auf der Fahrerseite. Zu sehen sind großflächige Blutanhaftungen.

Die Bilder 7, 8 (2x, Bildnummerierung doppelt vergeben) und 9 zeigen den auf dem rechten Gehweg vor dem Haus Nr. 24 geparkten Mini. Vor dem rechten vorderen Reifen des Mini befindet sich eine polizeiliche Spurenmarke (Spurentafel Nr. 1). Nach Aussage des Zeugen PK XXXXX wurde dort eine Patronenhülse gefunden. Im Fußraum der Beifahrerseite sei der Mantel der Patrone gefunden worden. Im Bereich des Heckfensters habe man den Bleikern der Patrone und den Teil eines Ohrrings der Nebenklägerin gesichert.

Die beiden Bilder 11 (2x, Bildnummerierung doppelt vergeben) zeigen die Nahaufnahme eines Lackabriebs am unteren linken Kotflügel des tatbetroffenen Fahrzeugs, mutmaßlich verursacht durch die Kollision mit dem Straßenpfosten. Die Lenkung ist nach links eingeschlagen. Starke Deformationen sind nicht ersichtlich, was sich mit den Zeugenaussagen deckt, wonach das Auto nach der Tat langsam und mit mutmaßlich geringer Aufprallenergie gegen den Poller rollte.

Die sichergestellten und fotografisch dokumentierten Patronenteile wurden im Rahmen des auszugsweise verlesenen waffentechnischen Gutachtens vom 16.03.2023 des BKA (Bl. 118 ff. SH Spuren) untersucht. Die in Augenschein genommenen Lichtbilder (Bl. 69 und 121 im SH Spuren) zeigen ein messing- bzw. goldfarbenes viereckiges Teil, ein silbernes rundliches Teil und eine zylindrische Patronenhülse. Ausweislich der verlesenen gutachterlichen Ausführungen handelt es sich um den Mantel und den Bleikern eines Teilmantelgeschosses sowie um eine Patronenhülse der Marke Sellier & Bellot, sämtlich des Kalibers 9 mm Luger. Der Geschossmantel und die Patronenhülse wiesen Spuren eines Verfeuerungsvorgangs aus einem Waffenlauf auf. Die Untersuchung ergab, dass die Munitionsteile vermutlich dem gleichen Verfeuerungsvorgang entstammen.

3. Die Feststellungen zu den Verletzungen der Nebenklägerin und deren Behandlung (B.VI.1) stützt die Kammer auf die Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Dr. XXXXXXXXX, Facharzt für Rechtsmedizin, der hierzu Angaben wie festgestellt gemacht hat. Der Sachverständige hat seinen Ausführungen den ärztlichen Bericht des Klinikums XXXXXX XXXXX vom 16.02.2023 (Bl. 41-47 SH Opfer) zugrunde gelegt. Letzterer wurde verlesen und stützt die Angaben des Sachverständigen entsprechend den Feststellungen. Die Ausführungen des Sachverständigen decken sich mit den Angaben der Nebenklägerin, die ergänzend die psychischen Folgen, fortbestehenden Beeinträchtigungen und Folgebehandlungen wie in den Feststellungen dargestellt beschrieben hat.

Den Verlauf des Schusskanals hat der Sachverständige entsprechend den Feststellungen und abweichend von dem Arztbericht anhand der Wundmorphologie erläutert. Demnach weise die epidermisfreie Randzone der Wunde am Nasenflügel auf den Eintritt des Geschosses hin; die Wunde am Ohrläppchen zeige ablappende Hautdefekte, wie sie typisch für den Austritt des Geschosses seien. Dies sei in den ärztlichen Befunden falsch dargestellt, decke sich aber mit der Schilderung der Nebenklägerin. Nach ihrer Schilderung habe sie ihren Kopf in Richtung des Fensters gedreht, weshalb es plausibel sei, dass der Geschosskern zunächst rechtsseitig nahe der Nase ein- und am entfernter gelegenen rechten Ohr ausgetreten sei. Das Verletzungsbild passe plausibel zu Art und Beschaffenheit der sichergestellten Patronenteile. Es sei davon auszugehen, dass Mantel und Geschosskern sich - entsprechend der typischen Funktionsweise eines Teilmantelgeschosses - beim Aufprall auf die Fensterscheibe voneinander gelöst hätten. Während der Bleikern die beiden runden Durchschussverletzungen verursacht habe, sei die längliche Schnittverletzung neben dem Mundwinkel durch den scharfkantig aufgepilzten Geschossmantel verursacht worden.

Die Kammer schließt sich den Ausführungen des Sachverständigen an. Sie waren logisch und nachvollziehbar und der Sachverständige ist von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen.

Die Feststellungen werden gestützt durch die in Augenschein genommene fotografische Dokumentation des Klinikums XXXXXXXXXXXX (Bl. 2-9 SH "Opfer"). Die auf acht DIN-A4 Seiten mit jeweils zwei Bildern vorgelegten Lichtbilder zeigen Folgendes: Zu sehen ist zunächst das Gesicht der medizinisch versorgten Nebenklägerin (Bl. 2 und 3). Die vier Nahaufnahmen auf Bl. 4 und Bl. 5 zeigen eine kreisrunde Verletzung in der rechten Wange auf Höhe des Naseneingangs sowie unterhalb davon eine rissförmig klaffende Wunde, die auf Höhe des Mundwinkels verläuft. Die vier Lichtbilder auf Bl. 6 und 7 zeigen eine kreisförmige Wunde unterhalb des rechten Ohrläppchens mit nach außen lappendem Hautdefekt. Die vier Lichtbilder auf Bl. 8 und 9 zeigen Nahaufnahmen der Augen der Nebenklägerin. Zu sehen sind zahlreiche punktförmige Einblutungen im Umfeld der Augen und Brauen wie von winzigen Glassplittern. Das Bild Bl. 9 oben lässt auch Einblutungen in die Bindehaut des linken Auges erkennen.

Zur Gefährlichkeit der Tathandlung (B.VI.2) hat der Sachverständige ausgeführt, dass bei der Nebenklägerin keine konkrete Lebensgefahr vorgelegen habe. Die konkrete Tatausführung sei aber potentiell lebensgefährlich gewesen. Es sei aus rechtsmedizinischer Sicht angesichts der Schussabgabe aus nächster Nähe auf den Kopf vom Zufall abhängig gewesen, ob das Gehirn oder größere Blutgefäße oder die Körperhauptschlagader verletzt würden. Insbesondere eine drohende Halsverletzung sei wegen der dort befindlichen lebensnotwendigen, großen Blutgefäße und der Gefahr einer Luftembolie durch das Einsaugen von Luft in die Blutgefäße lebensgefährlich. Für den Schützen oder einen etwaigen Auftraggeber sei die Verletzungsintensität eines Schusses in die Kopfregion weder vorhersehbar, noch steuerbar. Unter Berücksichtigung der konkreten Tatausführung erscheine der Umstand, dass die Nebenklägerin nicht tödlich verletzt worden sei, glücklich schicksalshaft.

Die Kammer schließt sich auch insoweit den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen an.

Die psychischen Folgen für die Kinder (B.VI.3) hat die Nebenklägerin wie festgestellt geschildert. Ihre Ausführungen wurden bestätigt durch die Zeugin XXXXXX, die als Nachbarin und Betreuungsperson ebenfalls unmittelbare Wahrnehmungen über den psychischen Zustand der Kinder machen konnte und die Tatfolgen wie festgestellt geschildert hat. Die Zeugenaussagen werden gestützt durch den persönlichen Eindruck, den die Kammer sich von dem Zeugen XXXXX XXXXXX gemacht hat. XXXXX wirkte zwar äußerlich gefasst, war aber durch das Erlebte erkennbar psychisch belastet, was nicht zuletzt ein spontaner Tränenausbruch beim Blick auf Lichtbilder des radfahrenden Schützen belegt.

IV. Tatnachweis gegenüber den Angeklagten

1. Identifizierung des Schützen XXXX XXXXX durch Zeugen

a. Die Kammer stützt ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten XXXX XXXXX mit Gewicht auf die Aussage des 13-jährigen Zeugen XXXXX XXXXXX, der den Angeklagten XXXXX vor Ort erkannt hat (siehe zu den diesbezüglichen Feststellungen siehe B.III.4 und B.III.6).

aa. Der Zeuge hat in der Hauptverhandlung ausgesagt, der maskierte Fahrradfahrer sei ihm nach Verlassen des Autos beim Queren der Straße begegnet. Er habe ihm in die Augen geblickt und XXXX XXXXX erkannt. XXXX sei der beste Freund seines Vaters, er sei schon häufig bei ihnen Zuhause gewesen. Zudem habe er XXXX bereits zuvor aus dem Auto heraus bei einem Gebüsch gesehen. Das Gebüsch habe sich - so demonstrierte er es anhand einer von ihm in der Hauptverhandlung gefertigten Skizze - links neben dem Haus des Herrn XXXXXXX befunden. XXXX sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht maskiert gewesen. Er habe dagestanden und auf sein Handy geschaut. Beim Herannahen des Autos habe er aufgeblickt. Dabei habe er, der Zeuge, ihn erkannt. Er habe gedacht, XXXX habe seinen Vater dort abgesetzt.

bb. Mit Blick auf das junge Alter des Zeugen und die Bedeutung der Aussage für die Schuldfrage hat die Kammer ausgehend von der sog. Null-Hypothese - die Aussage sei unwahr - kritisch geprüft, ob die Identifizierung des Täters auf einer Falscherinnerung beruht oder eine bewusste Falschaussage darstellen könnte, diese These aber im Ergebnis verworfen. Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatgerichts, wobei die Berufsrichter der Kammer - auch unter Berücksichtigung des kindlichen Alters des Zeugen - über die erforderliche Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Kriterien verfügen.

cc. Bedenken an der Aussagetüchtigkeit des Zeugen bestehen nicht. Die Kammer hat sich einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen verschafft. Der Zeuge war zu einer detailreichen und in sich schlüssigen freien Sachverhaltsschilderung in der Lage, er hat seine Schilderung auf Frage ergänzt, Erinnerungslücken und Unsicherheiten offen zu erkennen gegeben. Dies gilt zunächst für die Schilderung des unter B.III.7. festgestellten Kernsachverhalts, der wie ausgeführt durch weitere Beweismittel gestützt wird. Dies gilt aber gleichermaßen für das unter B.III.6. festgestellte erste Erkennen des unmaskierten XXXX XXXXX am Tatort. Die Angaben waren insoweit strukturgleich. Seine Schilderung war individuell und dem kindlichen Alter angemessen formuliert. Der Eindruck der Kammer, wonach der Zeuge gemessen an seinem Alter über eine gute Aussagekompetenz verfügte, steht in Einklang mit der Bewertung der vernehmenden Polizeibeamten.

dd. Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Wahrnehmungs-, Erinnerungs- oder Wiedergabekompetenz des Zeugen haben sich nicht ergeben.

Es besteht für die Kammer kein Zweifel, dass die drei Kinder das Auto zum Zeitpunkt des Angriffs bereits verlassen hatten (siehe dazu B. III.5.). XXXXX und seine Mutter, die Nebenklägerin, haben in der Hauptverhandlung übereinstimmend ausgesagt, dass alle Kinder zum Zeitpunkt des Schusses bereits ausgestiegen gewesen seien. Glaubhaft ist dies insbesondere aufgrund der lebensnahen Schilderung der Nebenklägerin, die angab, sie habe beim Klopfen an der Scheibe geglaubt, eines ihrer Kinder sei zurückgekehrt. XXXXX hat noch am Tatabend explizit seinen Eindruck geäußert, dass der Täter nur seiner Mutter etwas habe antun wollen, was er daraus schloss, dass der Täter gewartet habe, bis die Kinder ausgestiegen seien. So hat es die Vernehmungsbeamtin KHKin XXXXXX in der Hauptverhandlung geschildert. Gleiches hat XXXXX in der Hauptverhandlung wiederholt. Diese Einschätzung wäre nicht erklärlich, wenn sich die Kinder zu Zeitpunkt der Schussabgabe noch im Auto befunden hätten.

Soweit der Einsatzbericht des Beamten des ersten Angriffs, POK XXXXXXXX, nahelegt, XXXXX habe bei der Erstbefragung angegeben, die Kinder hätten sich zum Zeitpunkt der Schussabgabe noch im Auto befunden ("Sie seien aus dem Auto gestiegen und hätte (sic!) Hilfe gerufen"), hat dies die Beweisaufnahme nicht bestätigt. Auf Vorhalt gab der Polizeibeamte POK XXXXXXXX an, dass er nicht sicher sagen könne, ob sich die Kinder zum Zeitpunkt der Schussabgabe noch im Auto befunden hätten. Die Kammer geht insofern davon aus, dass der Beamte POK XXXXXXXX dieses Detail im Rahmen der ersten Spontanäußerungen falsch verstanden oder falsch notiert hat. Möglicherweise handelt es sich um eine irrige Schlussfolgerung, weil XXXXX zuvor Angaben zur Sitzposition der Kinder im Auto gemacht hatte.

Gleiches gilt, soweit die Zeugin XXXXXXXXX in ihrer polizeilichen Vernehmung ausgesagt hat, dass die Kinder erst nach dem Knall aus dem Fahrzeug ausgestiegen seien. Die Zeugin XXXXXXXXX hatte seinerzeit bei der Polizei ausgesagt, sie habe einen Knall gehört und beobachtet, wie ein Fahrzeug vor ihr quer über die Straße gegen einen Poller rollte. Die Zeugin nahm also offenkundig an, sie sei Zeugin eines Verkehrsunfalls geworden. Das dem nicht so war, bemerkte sie erst im Weiteren. Die Zeugin hatte dazu ausgesagt, sie sei erst durch die schreienden Kinder auf den Fahrradfahrer aufmerksam geworden. Die Kammer wertet es insofern als naheliegende, aber falsche Schlussfolgerung der Zeugin, dass die Kinder - die die Fahrerin des Unfallfahrzeugs als ihre Mutter bezeichneten - aus dem vermeintlich verunfallten Fahrzeug ausgestiegen seien.

Die Aussage der Zeugin XXXXXXXXX und der Inhalt des polizeilichen Vermerks sind insofern durch die glaubhaften Aussagen der tatnächsten Zeugen XXXXXX XXXXXX und XXXXX XXXXXX widerlegt.

ee. Zur Aussagegenese hat die Kammer die polizeilichen Vernehmungsbeamten POK XXXXXXXX (Angaben XXXXXX im Rahmen der Sachverhaltsermittlung beim ersten Angriff), KHK XXXXXXXX (eigeninitiative Angaben XXXXXX nach Eintreffen der Kriminalpolizei), KHKin XXXXXX (Bekundungen XXXXXX am Tattag abends auf der Polizeidienststelle), KHKin XXXXXXXXXX (Angaben XXXXXX am 11.02.2023 morgens) und PK XXXXX und PHKin XXXXXX (Zeugenvernehmung am 28.02.2023) vernommen. Demnach hat der Junge wie folgt ausgesagt:

(1) Der Zeuge POK XXXXXXXX, Polizeibeamter des ersten Angriffs, hat glaubhaft ausgesagt, XXXXX XXXXXX habe bei der Sachverhaltsermittlung zunächst lediglich den Tatablauf geschildert und eine Täterbeschreibung abgegeben. Den Täter habe XXXXX als ca. 180-185cm groß mit kurzen, braunen Haaren und südländischem Teint beschrieben. Er sei komplett schwarz gekleidet gewesen. Seine schwarze Hose sei relativ eng anliegend gewesen. Er habe zudem eine schwarze Kapuze aufgehabt. Im Gesicht habe er ein schwarzes Tuch gehabt, welches er wie ein Räuber vor sein Gesicht gezogen hatte. Er habe dunkle Augen gehabt. Mehr sei von seinem Gesicht nicht zu erkennen gewesen. Dass er den Täter erkannt habe, habe XXXXX nicht erwähnt.

(2) Der Zeuge KHK XXXXXXXX hat glaubhaft ausgesagt, die Kinder hätten gegen 16:50 Uhr des Tattages gegenüber dem Kriseninterventionsteam darum gebeten, mit der Polizei sprechen zu wollen. Sodann habe XXXXX den Verdacht geäußert, dass es sich bei dem Täter um den besten Freund seines Vaters namens XXXX handeln könne. Er habe den maskierten Täter an den Augen und der Statur erkannt. Der Täter habe eine Kapuze auf und eine Maske vor dem Gesicht gehabt, er habe ihn an seinen Augen erkannt. Er habe auch die gleiche Figur. Zur Täterbeschreibung habe er angegeben, der Schütze sei schlank gewesen, habe eine dunkle, vermutlich schwarze Jacke mit Reißverschlüssen an den Taschen getragen und eine schwarze, glatte Hose, ähnlich einer Leggings. Er sei mit einem älteren, dunklen, aber nicht schrottreifen Fahrrad gefahren.

(3) Nach Angaben der Zeugin KHKin XXXXXX wiederholte XXXXX seine Aussage gegen 18:30 Uhr des Tattages nach Ankunft und kindgerechter Belehrung in der Dienststelle der Polizei. XXXXX habe bekundet, dass es sich bei dem Schützen um XXXX XXXXX gehandelt habe. Der Mann habe seine Augen und seine Statur gehabt. XXXX sei viel mit ihrem Vater zusammen. Die Zeugin KHK'in XXXXXX hat ausgesagt, die Schilderung XXXXXX, die von den jüngeren Geschwistern verbal und nonverbal bekräftigt worden sei, sei unkommentiert entgegengenommen worden. Die Kinder hätten nach Ankunft in der Polizeidienststelle von sich aus ein großes Mitteilungsbedürfnis gehabt. Nachfragen hätten die Polizeibeamtinnen in Anbetracht der noch deutlichen emotionalen Beteiligung bewusst nicht gestellt.

Nach Bekunden der Zeugin KHKin XXXXXX habe XXXXX später erneut das Bedürfnis geäußert, den Polizeibeamtinnen etwas mitteilen zu wollen. Sodann habe er berichtet, dass er sicher sei, dass sein Vater den Schuss in Auftrag gegeben habe. Er habe dies damit begründet, dass sein Vater üblicherweise sehr besorgt über das Befinden der Mutter gewesen sei. Nach dem Schuss habe er dagegen nicht geweint und sich auch nicht um die Mutter gekümmert. Als er selbst die blutende Wunde der Mutter zugehalten habe, habe ihm sein Vater nicht geholfen, sondern nur zugeschaut und auf diese eingeredet. Wenige Wochen zuvor sei der Vater vor der Tür des Büros von Herrn XXXXXXX auf die Mutter getroffen und habe auf türkisch gedroht, dass er sie umbringen werde. Auch habe sie eine anonyme Nachricht über das Internet erhalten und sei dort sinngemäß mit den Worten "Deine Zeit wird kommen" bedroht worden. Diese Sachverhalte hat der Zeuge gleichlautend auch in der Hauptverhandlung geschildert. Als Glaubhaftigkeitskriterium wertet die Kammer dabei die kindliche Bekräftigung XXXXXX, der darauf verwies, er nehme an, dass Herr XXXXXXX die Drohung ebenfalls gehört und verstanden habe, weil dieser "viele Sprachen spreche".

(4) Nach Aussage der KHKin XXXXXXXXX habe XXX seine Aussage am nächsten Morgen (11.02.2023) - die Kinder befanden sich mittlerweile in der Obhut einer Nachbarin, der Zeugin XXXXXX - wiederholt und ergänzt. XXXXX habe angegeben, er habe XXXX erkannt, denn dieser habe zuvor - so die Vernehmungsbeamtin, ohne dass die Kammer diese Ortsangabe als bestätigt ansieht - an der Ecke, mutmaßlich Einmündung XXXXXXXXXXXXXX gestanden und auf sein Handy geschaut. Er sei da noch nicht maskiert gewesen. Deshalb habe er ihn erkannt. Er habe sich gedacht: "Was macht XXXX da?" und dann habe er sich gedacht, dass dieser bestimmt seinen Vater abgesetzt habe. Auf kritische Nachfrage der Polizeibeamtin, wie das gehen soll, wenn XXXX dort doch mit Fahrrad gestanden habe, habe XXXXX erwidert, dass er darüber nicht weiter nachgedacht habe. Er habe das für sich nur so erklärt. Die Zeugin KHKin XXXXXXXXXX hat hierzu ausgesagt, sie sei eigentlich wegen anderer Fragen an die Kinder herangetreten. XXXXX habe aber spontan und ungesteuert Angaben gemacht. Diese habe sie später auf der Polizeidienststelle in Vermerkform niedergelegt.

(5) Ausweislich der Aussage der Zeugen PHKin XXXXXX und PK XXXXX hat XXXXX auch in seiner polizeilichen Vernehmung am 28.02.2023 ausgesagt, dass er XXXX nicht nur maskiert an Augen und Statur erkannt, sondern zuvor gesehen habe, als dieser unmaskiert dagestanden habe. XXXX habe am Handy hantiert und hochgeschaut, so als habe er auf sie gewartet. Er habe angenommen, XXXX habe seinen Vater abgesetzt, weil dessen Auto in der Werkstatt gewesen sei. Als sie, die Kinder, bereits ausgestiegen seien, habe er ihn, XXXX, erneut gesehen. Er sei nun maskiert gewesen und mit dem Fahrrad die Straße entlanggefahren. Er habe ihm in die Augen gesehen und XXXX erkannt.

ff. Nach Analyse der Aussageentwicklung sind die durchgehend detailreichen Angaben XXXXXX im Kern konstant und ohne wesentliche Abweichungen.

(1) Dass XXXXX im Rahmen der Erstbefragung durch POK XXXXXXXX nicht erwähnt hat, den Täter gekannt zu haben, ist aus Sicht der Kammer dem Aussagesetting geschuldet.

Aufgrund der Aussage des Zeugen XXXXXXXX steht fest, dass bei der Erstbefragung der Angeklagte XXXXXX noch anwesend war und erst im weiteren Verlauf von den Kindern separiert wurde. Es erscheint daher wahrscheinlich, dass dies XXXXX hinderte, seinen Verdacht sofort zu äußern. XXXXX selbst konnte hierzu in der Hauptverhandlung keine Angaben mehr machen, denn er erinnerte - was in Anbetracht seines Alters und unter dem Eindruck des Tatgeschehens nachvollziehbar ist - nicht mehr konkret, wann, wie oft und welche Angaben er überhaupt zur Sache gemacht hat.

(5) Der Umstand, dass XXXXX erst am Morgen des 11.02.2023 erzählt hat, er habe XXXX bereits zuvor unmaskiert gesehen, stellt aus Sicht der Kammer keine relevante Inkonstanz dar.

Dass er XXXX als den Täter erkannt habe, hat XXXXX auch am Tatabend bereits mitgeteilt, und zwar proaktiv. Die spätere Ergänzung seiner Aussage ist aus Sicht der Kammer dem Umstand geschuldet, dass der Junge nun erstmals in vertrauter Umgebung über das Geschehen berichten konnte. Seine Angaben fügen sich plausibel in die frühere Aussage ein.

Die Kammer schließt aus, dass die ergänzende Aussage den Versuch darstellt, seine bisherigen Angaben zu untermauern. Gegen die These spricht, dass von keiner Seite Zweifel an seinen Angaben geäußert wurden. Im Gegenteil hatten seine ersten Bekundungen zur vorläufigen Festnahme der Angeklagten geführt.

Gegen eine spätere Ergänzung spricht auch die Aussage der Zeugin XXXXXX. Diese hat - erstmals in der Hauptverhandlung und ohne dass sie wusste, dass es darauf ankommen könnte - ausgesagt, XXXXX habe schon am Abend der Tat gleich beim Hereinkommen zu ihr gesagt, dass XXXX die Tat begangen habe. XXXXX hat demnach - insoweit gleichlautend mit den späteren Vernehmungen - bereits zu diesem frühen Zeitpunkt ausgesagt, XXXX habe da gestanden mit dem Handy und hochgeschaut, als sie angekommen seien. XXXXX habe beim Erzählen wütend gewirkt und gesagt, er wolle keine Sachen mehr von Papa gekauft bekommen. Die Kammer hat wegen dieser lebendigen Schilderung keine Zweifel, dass die Angaben der Zeugin zutreffen, zumal diese ergänzt hat, die Nebenklägerin habe - was sich mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme deckt - den Namen XXXX XXXXXX erst deutlich später erwähnt als ihr Sohn.

(3) Vermeintliche Inkonsistenzen in Bezug auf den Standort XXXX XXXXXX kurz vor der Tat bestehen aus Sicht der Kammer nicht.

(a) XXXXX hat hierzu in der Hauptverhandlung ausgesagt, Okan habe neben einem Gebüsch bei dem Haus des Zeugen XXXXXXX gestanden. Als in der Hauptverhandlung unterstellt wurde, XXXX habe - wie von den vernehmenden Polizeibeamten verstanden - an der Straßenecke XXXXXXXXXXXX/XXXXXXXXXXXXXX gestanden, hat der Zeuge XXXXX XXXXXX sichtlich verwirrt reagiert. Er ist dabei geblieben, dass XXXX neben dem Haus XXXXXXXXXXXX XX gestanden habe, als er ihn erstmals sah. Er habe gestanden, "da, wo die Treppen sind, wo man zum Haus kann", dort seien "die Gebüsche". Er hat diese Gebüsche in einer handgefertigten Skizze links des Hauses des Herrn XXXXXXX eingezeichnet.

(b) Seine Beschreibung ("bei dem Gebüsch neben dem Haus", "da, wo die Treppen sind, wo man zum Haus kann") und die von ihm gefertigte Skizze korrespondieren mit den örtlichen Gegebenheiten. Ausweislich der zeugenschaftlichen Bekundungen des KHK XXXXXXX und der dazu in Augenschein genommenen Videoaufnahme des Zeugen (CD Hülle, Anlage 4 zum Protokoll vom 07.11.2024, Video "C0001.MP4" ab Minute 2:40-2:47), welche dieser erläutert hat, liegt der Hauseingang der XXXXXXXXXXXX XX (weißes Haus mit Vordach linksseitig) in Richtung Straßenfront im Hochparterre und ist über eine schräg entlang der Hauswand verlaufende Treppe zugänglich. Am linken Grundstücksrand befindet sich eine Auffahrt, die zu den Treppen führt. Sie ist beidseitig von Hecken umsäumt. Ausweislich der beiden vom Zeugen überreichten und in Augenschein genommenen Lichtbilder (Anlage 3 zum Protokoll vom 07.11.2024) befinden sich ähnliche Hecken auch an weiteren Grundstücken zwischen der Einmündung XXXXXXXXXXXXXX und dem Tatort. Die Videoaufnahme hat der Zeuge KHK XXXXXXX nach eigenem Bekunden im Rahmen der Ermittlungen gefertigt. Sie zeigt eine Kamerafahrt auf der Fahrbahn der XXXXXXXXXXXX in Richtung XXXXXXXXXXXXXX aus Richtung der XXXXXXXXXXXX kommend. Dabei quert sie die links abgehende XXXXXXXXXXXXXX und führt bis zur XXXXXXXXX XX, wo sie auf den Hauseingang schwenkt.

(c) Die Standortbeschreibung XXXXXX steht zudem in Einklang mit dem videographierten Bewegungsmuster des Täters. Ausweislich des Videomaterials (siehe dazu bereits C. III. 2. d.) kreuzte der auf Höhe der XXXXXXXXXXXX X videographierte Radfahrer wenige Minuten vor der Tat das Bild zuletzt von links nach rechts in Richtung XXXXXXXXXXXX XX fahrend.

(d) Die räumliche Nähe des früheren Standorts zum Tatort erklärt auch, warum der Zeuge sich bei der Identifizierung des Fahrradfahrers so sicher war. In seiner polizeilichen Vernehmung hatte XXXXX ausgesagt, der Fahrradfahrer sei von "genau da, wo ich XXXX gesehen habe", gekommen. Eindrücklich und in spezifisch kindlicher Weise hat der Zeuge geschildert, dass er bei der Begegnung mit dem Radfahrer zunächst "Musik im Kopf gehabt" habe und ihm sodann klar geworden sei, dass es sich bei dem Radfahrer um XXXX handelte. Die vernehmenden Polizeibeamten XXXXXX und XXXXX haben ausgesagt, dass der Zeuge auf Nachfrage ausgesagt habe, er habe keine Kopfhörer getragen. Die Musik sei "immer in seinem Kopf". "Musik" wertet die Kammer - in Einklang mit der Wertung der Vernehmungsbeamten - als eine kindlich-bildliche Umschreibung für die innerpsychische Erkenntnis, dass es sich bei dem vermummten Fahrradfahrer um den wenige Sekunden zuvor wahrgenommenen XXXX XXXXX handelte. Dass insofern der Angeklagte XXXXX zufällig am Tatort gestanden haben könnte und es sich bei dem Fahrradfahrer um einen unbekannten Dritten gehandelt haben könnte, schließt die Kammer daher aus.

(e) Dass der Zeuge in früheren Vernehmungen gesagt haben soll, er habe den Angeklagten Bilen an der Ecke XXXXXXXXXXXXXX/XXXXXXXXXXXX - also noch jenseits der Hausnummer 8 - gesehen, was im Widerspruch zu dem videographierten Bewegungsmuster des Täters stünde, steht für die Kammer nicht fest.

Dies gilt zunächst für die Angaben XXXXXX am Morgen des 11.02.2023. Ausweislich eines polizeilichen Vermerks der KHKin XXXXXXXXXX soll XXXX XXXXX an der Ecke, mutmaßlich Einmündung XXXXXXXXXXXXXX gestanden haben. Die Zeugin KHKin XXXXXXXXXX konnte insoweit allerdings nicht ausschließen, dass es bei ihrem Versuch der räumlichen Orientierung zu einem Missverständnis kam, derart, dass sie von dem Wort "Ecke" irrig auf die Straßenecke schloss. Den im Wege des Vorhalts eingeführten polizeilichen Vermerk hat die Zeugin KHKin XXXXXXXXXX aus dem Gedächtnis angefertigt. Dass es sich um die Ecke XXXXXXXXX/XXXXXXXXXXXX handelte, ist insofern eine Formulierung der Polizeibeamtin.

Auch der polizeilichen Vernehmung vom 28.02.2023 lässt sich nicht explizit entnehmen, wo der Angeklagte XXXXX gestanden haben soll. Insbesondere taucht die Ecke XXXXXXXXXXXXXX/XXXXXXXXXXXX in der als Vorhalt eingeführten, wörtlich verschrifteten Vernehmung nicht auf. Worauf sich die verschrifteten Angaben des Zeugen "(links", "da", "von dort") bezogen, ließ sich auch durch die Vernehmung der Vernehmungsbeamten PHKin XXXXXX und PK XXXXX nicht eindeutig klären. Auf Frage, ob der Mann mit dem Fahrrad von links oder rechts gekommen sei - was schon wegen des unbekannten Standorts und der ebenfalls unbekannten Blickrichtung des Jungen missverständlich ist - hat XXXXX in seiner polizeilichen Vernehmung lediglich ausgesagt, der Fahrradfahrer sei von "genau da, wo ich XXXX gesehen habe", gekommen. Anders als die Zeugin PHKin XXXXXX irrig meinte, hat der ermittlungsführende Polizeibeamte KHK XXXXXXX glaubhaft ausgesagt, XXXXX habe sich geweigert, das von der Polizei gefertigte Video von den Tatörtlichkeiten anzuschauen. Dies deckt sich mit seinem Verhalten in der Hauptverhandlung, wo er ebenfalls die Inaugenscheinnahme von Bildmaterial ablehnte und dabei in Tränen ausbrach. Die Kammer hat daher begründete Zweifel, dass der junge Zeuge die örtlichen Gegebenheiten so vermitteln konnte, dass die Polizeibeamten verstanden, was er beschrieb. Dagegen sprechen bereits die zahlreichen Nachfragen.

Die vorgehaltenen Angaben in der polizeilichen Vernehmung deuten aus Sicht der Kammer mit Gewicht darauf hin, dass der Zeuge mit der von ihm erwähnten "Straße" nicht die XXXXXXXXXXXX, sondern die Auffahrt links neben dem Haus des Herrn XXXXXXX bezeichnet hat. Der Zeuge erwähnt "die Straße" im Zusammenhang mit dem Haus des Herrn XXXXXXX, dem dortigen Standort des Autos des Herrn XXXXXXX, den dort befindlichen Büschen. Selbst der vernehmende Polizeibeamten PK XXXXX fragte an dieser Stelle der Vernehmung nach, ob XXXXX die Auffahrt neben dem Haus meine, was der Zeuge bejahte. Dies deckt sich letztlich exakt mit der Beschreibung des Zeugen in der Hauptverhandlung.

gg. Gegen eine erlebnisferne Ergänzung spricht die inhaltliche Qualität der Angaben XXXXXX zur Identifizierung XXXX XXXXXX.

Der junge Zeuge hat über mehrere Vernehmungssituationen hinweg eine schlüssige, in sich widerspruchsfreie Schilderung abgegeben. Die freie Schilderung in der Hauptverhandlung wirkte lebendig und altersgerecht, weder ausgedacht, noch abgespult. Auf Frage konnte er seine Aussage spontan ergänzen und Fragen sinnhaft beantworten. Er war in der Lage, chronologisch zu springen. Hinweise auf Phantasieelemente fanden sich ebensowenig wie gesteuert wirkende oder auf das Ermittlungsergebnis abgestimmte Aussageteile. Auf Suggestions- und Belastungsangebote ging er nicht ein. Unsicherheiten und Erinnerungslücken hat er offen eingeräumt.

Der Zeuge hat seine Worte mit Gestik und Mimik untermalt. So hat er mit seinen Händen gezeigt, wie XXXX XXXXX das Handy in der Hand gehalten und dann hochgeschaut habe. Der Zeuge hat zudem innerpsychische Vorgänge geschildert, so den Gedanken, XXXX XXXXX habe seinen Vater mit dem Auto beim Büro des Zeugen XXXXXXX abgesetzt. Objektiv ist diese Schlussfolgerung des Zeugen unplausibel, wenn man einbezieht, dass der Täter mit einem Fahrrad vor Ort war. Auf kritische Nachfrage der Polizeibeamten KHKin XXXXXXXXXX (am 11.02.2023) und PK XXXXX (am 28.02.2023) blieb der Zeuge in beiden Vernehmungen bei seiner Aussage und ergänzte vermeintlich logisch, dass sein Vater zu diesem Zeitpunkt kein Auto gehabt habe, weil es in der Werkstatt gewesen sei. Letzteres erscheint nach der Einlassung des Angeklagten XXXXXX zweifelhaft, entsprach aber dem Kenntnisstand des Jungen, den auch die Zeugin XXXXXX mitteilte. Auf Vorhalt hat die vernehmende Polizeibeamtin KHKin XXXXXXXXXX eingeräumt, dass das Fahrrad nicht etwa von dem Jungen, sondern ihr als Vernehmungsbeamtin erwähnt worden sei. Auf explizite Nachfrage gab der Zeuge in der Hauptverhandlung an, er habe zu diesem Zeitpunkt das Fahrrad XXXXX noch nicht bewusst wahrgenommen. Der vermeintliche Widerspruch ist insofern Beleg für die Wahrhaftigkeit der Aussage. Bei einer unbewussten Erinnerungsergänzung wäre zu erwarten gewesen, dass er XXXX XXXXX durchgehend als Fahrradfahrer geschildert hätte.

Der Glaubhaftigkeit der Aussage steht auch nicht entgegen, dass ausweislich der Videoaufnahmen der Täter bereits vor Eintreffen der Nebenklägerin und ihrer Kinder maskiert gewesen ist. Auf den Videoaufnahmen ist zu erkennen, dass die Maskierung mittels hochgezogener Kapuze und einer bis unter die Augen hochgezogenen Maske erfolgt ist, bei der es sich auch um ein Tuch oder einen Schal gehandelt haben kann. Es mag sein, dass der Angeklagte die Maskierung vor der Tat zwischenzeitlich kurz nach unten gezogen hat, so dass XXXXX sein vollständiges Gesicht gesehen hat.

hh. Hinweise auf bewusste Falschaussagen oder unbewusste Falscherinnerungen haben sich nicht ergeben.

(1) Anhaltspunkte für eine auto- oder fremdsuggerierte Aussage liegen nicht vor.

Suggestive Einflüsse im Rahmen von Befragungen schließt die Kammer in Anbetracht der Aussagegenese aus. Der Zeuge hat bereits am Tag der Tat seinen Vater und dessen Freund als mögliche Täter bzw. Auftraggeber der Tat benannt. Er hat diese Informationen proaktiv geäußert, hierzu sogar explizit darauf bestanden, seine Wahrnehmung an die Polizei weitergeben zu wollen. Die Polizei hatte zu diesem Zeitpunkt auf eine Befragung der Kinder aus Opferschutzgründen bewusst verzichtet, so dass unbewusste Suggestionen durch die Art der Befragung ausgeschlossen sind.

Zwar hat die Nebenklägerin noch am Tatort den Angeklagten der Tat bezichtigt ("Du Schwein, Du hast mein Gesicht kaputt gemacht"), was XXXXX auch hörte. Die Kammer hat insofern kritisch geprüft, ob die Benennung des Angeklagten XXXXX als Schütze auf einer kindlichen Schlussfolgerung des Zeugen im Sinne einer Autosuggestion beruht, nachdem er in Erwägung gezogen hatte, dass sein Vater die Tat beauftragt haben könnte.

Auch dagegen spricht aber mit Gewicht die Aussagegenese und -entwicklung. Der Zeuge hat gegenüber der Polizei zuallererst nicht seien Vater, sondern dessen Freund XXXX als möglichen Täter benannt. Seine Bekundung hat er dabei auf seine Wahrnehmung am Tatort und nicht auf Schlussfolgerungen aus zurückliegenden Elternkonflikten gestützt. Erst in einem weiteren Schritt hat er seinen Verdacht auf seinen Vater erstreckt und mögliche Tathintergründe benannt.

(2) Die Kammer schließt auch aus, dass die von XXXXX erst später ergänzte Aussage, wonach er XXXX XXXXX zunächst unmaskiert wahrgenommen habe, auf einer Scheinerinnerung beruht.

Erstmals in der Hauptverhandlung hat sich aufgrund der Aussage der Zeugin XXXXXX ergeben, dass XXXXX bereits am Abend der Tat gesagt hat, dass er schon bei der Ankunft den noch unmaskierten XXXX XXXXX mit dem Handy hantierend gesehen und erkannt habe. Auch die Ergänzung erfolgte insofern proaktiv und äußerst zeitnah zur Tat.

Der Zeuge ist zu den Umständen der Identifizierung des Angeklagten XXXXX in der Hauptverhandlung erneut intensiv befragt worden. Er hat hierzu strukturgleich und detailreich ausgesagt. Deutlich wurde, dass das erste Bemerken des unmaskierten XXXX XXXXX auf der Auffahrt der XXXXXXXXXXXX XX (B.III.4) und die unmittelbar anschließende Identifizierung des maskierten Radfahrers als XXXX XXXXX (B.III.6) letztlich zeitlich und örtlich eine Einheit bilden, auch wenn der Junge beim Aussteigen seinen Fokus kurzzeitig abgewandt hatte. Eine Zäsur, die als Anzeichen für eine unbewusste Ergänzung im Sinne einer Scheinerinnerung gelten könnte, war nicht erkennbar.

(3) Hinweise auf eine motivatorische Falschaussage sind nicht ersichtlich. Die Kammer schließt insofern aus, dass der Zeuge instrumentalisiert durch den Elternkonflikt den Vater und dessen Freund zu Unrecht belastet hat. Zwar hat der Zeuge seinen Eindruck geäußert, dass es dem Vater bei den Umgangsterminen nicht um den Kontakt mit den Kindern gegangen sei, sondern darum, Informationen über die Mutter zu erlangen. Auch habe der Vater die Mutter schlechtgemacht und dies mit ihm als vermeintliches Geheimnis geteilt, das er nicht habe weitersagen sollen. Sein Verhältnis zum Vater hat er dennoch differenziert dargestellt, insbesondere auch erwähnt, dass er ursprünglich dem Vater nähergestanden habe. Dies wird auch belegt durch seine verlesenen Angaben im Sorgerechtsverfahren (Anlage 3 zum Protokoll vom 6.6.2024), wo er bekundet hat, beim Vater und der Großmutter leben zu wollen. Der Zeuge hat insofern Ambivalenzen hinsichtlich der konflikthaften Elternbeziehung transparent benannt und war um Objektivität sichtlich bemüht. Anhaltspunkte für eine bewusste Falschbelastung haben sich zusammenfasend nicht ergeben.

Gegen eine bewusste Falschaussage spricht mit Gewicht auch die Aussagegenese. Der Zeuge hat seinen Vater bereits kurz nach der Tat unter dem emotionalen Eindruck des Geschehens bezichtigt, die Tat in Auftrag gegeben zu haben. Dass er in dieser Situation spontan und ohne Bedenkzeit die Tat eines Dritten genutzt haben könnte, um zu Unrecht seinen Vater zu belasten, erscheint fernliegend. Dies gilt umso mehr, als er gegenüber der Polizei zunächst allein XXXX XXXXX als möglichen Täter benannt hat und seine diesbezügliche Angaben allein auf seine Wahrnehmung am Tatort gestützt hat.

Auch die bereits ausgeführte Qualität der Aussage spricht - insbesondere in Anbetracht des jungen Alters des Zeugen - mit Gewicht gegen eine intentionelle Falschbelastung. Die Kammer schließt aus, dass der erst 13-jährige Zeuge in der Lage gewesen wäre, eine bewusste Falschaussage über zahlreiche Vernehmungssituationen hinweg derart detailreich aufrechtzuerhalten, ohne sich in Widersprüche oder Inkonsistenzen zu verwickeln.

ii. In der Gesamtschau hat die Kammer keine Zweifel, dass der Schütze XXXX XXXXX von dem Zeugen XXXXX XXXXXX am Tatort gesehen und erkannt wurde. Besonderes Gewicht kommt dem Umstand zu, dass XXXXX den Angeklagten XXXX XXXXX nicht nur - was zweifelhaft erscheinen könnte - in maskiertem Zustand sicher erkannt haben will, sondern auch, weil er diesen unmittelbar vor der Tat in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Tatort unmaskiert wahrgenommen hatte.

b. Soweit auch die Nebenklägerin XXXXXX XXXXXX bekundet hat, den Angeklagten XXXX XXXXX erkannt zu haben, geht die Kammer von einer bewussten oder unbewussten Falscherinnerung aus. Dies folgt sowohl aus der Aussagegenese wie auch aus dem Aussageinhalt.

Der ermittlungsführende Polizeibeamte KHK XXXXXXX sowie die polizeiliche Vernehmungsbeamtin, die Zeugin POKin XXXXXX, haben übereinstimmend ausgesagt, die Nebenklägerin sei am Tatort nicht befragt worden. Auch in ihren ersten Befragungen in der Notaufnahme und am Folgetag habe sie zunächst keine Angaben zur Identität des Täters gemacht, sondern diesen lediglich beschrieben. Erstmals am 12.02.2023 habe sie von sich aus bekundet, XXXX XXXXX erkannt zu haben. Die Zeugin POKin XXXXXX hat hierzu ausgesagt, die Nebenklägerin habe bekundet, der Täter habe beim Wegfahren in ca. 100 bis 200 Metern Entfernung mit der linken Hand die Maske vom Gesicht gezogen und sei mit der Hand durch den Nacken gefahren, um Schweiß wegzuwischen. Dabei habe er sich umgedreht und sie habe XXXX XXXXX erkannt.

Bemerkenswert ist insofern, dass die Nebenklägerin noch einen Tag vorher in der Befragung lediglich eine Beschreibung des Tatablaufs und des Täters geben konnte, aber keine Angaben zur Identität des Täters gemacht hat. Erst auf Vorhalt, ob es sich um XXXX handeln könne, der von ihrem Sohn erkannt worden sei, hat die Nebenklägerin diese Möglichkeit erstmals in Betracht gezogen, ohne dies aber zunächst positiv zu bestätigen.

Ihre spätere Identifizierung des Schützen ist insofern erfolgt in dem Wissen, dass ihr Sohn den Angeklagten XXXXX als Täter identifiziert haben will. Zwar hat die Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren wie auch in der Hauptverhandlung ausgesagt, ihre Erinnerung sei in der Nacht vom 11. auf den 12. abrupt im Sinne eines plötzlichen Films wiedergekehrt, nachdem ein klackendes Geräusch der Krankenschwester dem Klopfen des Täters an der Autoscheibe geähnelt habe. Diese Schilderung lässt sich plausibel als reversible, retrograde Amnesie werten. Die Kammer kann aber nicht ausschließen, dass die wiedererlangte Erinnerung bewusst oder unbewusst durch erlebnisferne Einflüsse, nämlich das Wissen um die Angaben ihres Sohnes, überlagert wurde. Da der Mensch über eine begrenzte Fähigkeit zur Quellendiskriminierung verfügt, ist es aussagepsychologisch bekannt, dass Erlebtes, Phantasiertes und Berichtetes betreffend den gleichen Sachverhalt leicht zu einer einheitlichen (Schein-) Erinnerung integriert wird. Gegen ein reales Erleben spricht auch, dass die Nebenklägerin auch auf Nachfrage dabei blieb, der Täter sei auf einem Motorrad geflüchtet und nicht - wie festgestellt und durch objektive Beweismittel belegt - auf einem Fahrrad.

Bemerkenswert ist weiter, dass die Nebenklägerin auch in ihrem freien Bericht in der Hauptverhandlung zunächst nicht bekundet hat, den Täter erkannt zu haben. Sie schilderte lediglich, - wie schon ihrer polizeilichen Vernehmung - dass dieser beim Wegfahren mit der Hand durch den Nacken gewischt habe, als würde er Schweiß wegwischen. Erst auf expliziten Vorhalt des Vorsitzenden, ob er dabei seine Maske entfernt habe und sie XXXX erkannt habe, hat sie dies bejaht, und zwar mit den Worten: "Mein Sohn und ich, wir haben ihn doch beide erkannt."

Zu berücksichtigen ist weiter, dass kein anderer Zeuge davon berichtet hat, der Fahrradfahrer habe sich auf seiner Flucht umgedreht oder gar die Maske abgenommen. Dies gilt namentlich für XXXXX und seine Geschwister, aber auch für die Zeugin XXXXXXXXX, die dem Fahrradfahrer hinterherblickte.

Die Kammer ist daher in der Gesamtschau nicht hinreichend überzeugt, dass diese Bekundung erlebnisbezogen ist. Naheliegend erscheint vielmehr, dass die Nebenklägerin sich die Wahrnehmung ihres Sohnes bewusst oder unbewusst zu eigen gemacht hat.

2. Begebenheit in JVA

Die Aussage XXXXXX, wonach der Angeklagte XXXXX mit dem Handy beschäftigt auf die Ankunft der Nebenklägerin wartete, wird durch außerhalb der Aussage liegende objektive Umstände gestützt. Für die Erlebnisbezogenheit der Aussage XXXXXX spricht insofern der Inhalt der Nachricht, die der Angeklagte XXXXXX in der Untersuchungshaft verfasste, um sie dem Mitangeklagten XXXXX zukommen zu lassen. Die diesbezüglichen Feststellungen zur Kontaktaufnahme mit dem Zeugen XXXXX (B.VII.7) stützt die Kammer auf folgende Umstände:

Der Zeuge XXXXXXX hat ausgesagt, er sei im Zuge eines Transportaufenthalts in der JVA Oldenburg von einem Mithäftling gebeten worden, eine handschriftliche Notiz abzuschreiben. Kurz nach dem Abschreiben der Nachricht habe er erfahren, dass die Nachricht im Zusammenhang mit dem versuchten Mord durch Kopfschuss in ein Auto gestanden habe. Dies sei der Grund gewesen, sich an das Sicherheitspersonal zu wenden und den Sachverhalt zu offenbaren.

Zum Inhalt der Notiz hat der Zeuge Angaben wie festgestellt gemacht. Die Nachricht sei aus seiner Sicht an einen Mittäter gerichtet gewesen. Es sei in der Nachricht darum gegangen, dass der Empfänger vor Gericht etwas anders habe darstellen sollen. Es sei darum gegangen, dass jemand ohne Grund irgendwo gestanden habe und nur auf sein Handy geschaut habe. So habe es dargestellt werden sollen. Die Kammer hat hieran keine Zweifel, zumal der Zeuge auf Bitten der Polizei ein Gedächtnisprotokoll des Inhalts (Bl. 194 Bd. III) angefertigt hatte, das im Wege des Augenscheins und durch Verlesung eingeführt und von ihm auf Vorhalt entsprechend den Feststellungen bestätigt wurde. Demnach lautete die Nachricht sinngemäß: "Sag einfach Du hast jemanden gesehen der da war. Und Das Du auf dein Handy geschaut hast. Deshalb warst du da. Deshalb war ich nicht da. Weil ich dir geschrieben hab."

Der Zeuge XXXXXXX hat ausgesagt, er habe den Mithäftling aus der JVA Vechta gekannt. Den Angeklagten XXXXXX hat er in der Hauptverhandlung als jenen wiedererkannt, der ihm den Auftrag zum Abschreiben des Briefes gegeben habe.

Der Angeklagte XXXXXX hat den Sachverhalt nicht in Abrede gestellt, jedoch behauptet, der von dem Zeugen XXXXXXX abgeschriebene Brief habe ein anderes Strafverfahren und die dort Angeklagten betroffen. Diese Einlassung sieht die Kammer aufgrund des festgestellten Inhalts der Nachricht als widerlegt an. Der Angeklagte konnte auch nicht plausibel darlegen, aus welchem Grund er in die etwaige Kommunikation betreffend ein gänzlich fremdes Strafverfahren involviert gewesen sein sollte. Die angebliche Bitte um Kontaktaufnahme zwischen Verteidigern hätten die Betroffenen auch auf offiziellen Wegen selbst kommunizieren können.

Die Kammer ist aufgrund des Inhalts der Nachricht überzeugt, dass diese für den in der JVA Oldenburg inhaftierten Mitangeklagten XXXXX bestimmt war. Dies hat - ohne dass er den Namen oder die Identität des Mittäters kannte - selbst der in den Sachverhalt nicht involvierte und eher schlicht wirkende Zeuge XXXXXXX so verstanden. Das Abschreiben diente ersichtlich der Anonymisierung des Absenders. Inhaltlich bezog sich der Brief nach Überzeugung der Kammer auf die Anwesenheit des Angeklagten XXXXX am Tatort. Die Notiz beschreibt genau jene Situation, die XXXXX bekundet hat, nämlich, dass der am Tatort wartende Angeklagte XXXXX auf sein Handy schaute. Die Notiz zielte offenbar darauf ab, der Gegebenheit eine andere als die festgestellte Deutung zu geben und eine rein zufällige Anwesenheit am Tatort behaupten zu wollen. Dies deckt sich mit dem sonstigen Einlassungsverhalten der Angeklagten, die auch andere Ermittlungsergebnisse - nicht zuletzt den Kontakt mit dem Zeugen XXXXXXX - nicht abgestritten haben, sondern durch eigene Erklärungsansätze versucht haben umzudeuten.

Für die Kammer ist der Inhalt der Nachricht ein Indiz dafür, dass der Angeklagte XXXX XXXXX, wie von XXXXX geschildert, am Tat anwesend war und dort mit seinem Handy beschäftigt auf die Ankunft der Nebenklägerin wartete. Die Aussage XXXXXX, der mit Blick auf die Identifizierung des Schützen und damit für die Schuldfrage erhebliche Bedeutung zukommt, wird durch den Inhalt der Nachricht mit großem Gewicht gestützt.

3. Mantrailer

Die Feststellungen zur Anwesenheit des Angeklagten XXXXX am Tatort und seine anschließende Flucht in Richtung seiner Wohnanschrift in der XXXXXXXXX Straße werden gestützt durch die Ergebnisse des Einsatzes von Personenspürhunden (Mantrailer), siehe dazu die Feststellungen unter B.VII.3.

a. Ausweislich der Zeugenaussage des PK XXXXX, der den Mantrailer-Einsatz begleitet hat, hat der eingesetzte Spürhund "XXXXX" die Spur des Angeklagten XXXXX am Tatort auf Höhe der XXXXXXXXXXXXX XX aufgenommen und bis in die XXXXXXXXX Straße verfolgt. Einem in die entgegengesetzte Richtung im Bereich der vorderen XXXXXXXXXXXX eingesetzten Spürhund "XXXXX" gelang indes keine Spurenaufnahme. Der Vergleich der beiden Hundebewegungen belegt in Negativabgrenzung, dass dem erstgenannten Hund "XXXXX" die Aufnahme einer Spur bereits am Tatort gelang.

b. Die Kammer ist aufgrund des Suchverhaltens des Tieres überzeugt, dass der Hund "XXXXX" bei der Spürarbeit der spezifischen Geruchsspur des Angeklagten XXXXX gefolgt ist. Die Kammer hat die Trails der beiden Spürhunde anhand der in Augenschein genommenen Übersichten "Mantrailing" vom 16.02.2023 (Bl. 54 und 55 SH Spuren) nachvollzogen. Die Trails wurden - so der Zeuge PK XXXXX - mittels GPS-Trackern automatisiert erfasst und durch ein Computerprogramm in Kartenmaterial übertragen. Ausweislich des Kartenmaterials handelt es sich bei der festgestellten Wegstrecke des Spürhunds "XXXXX" um einen, von zahlreichen möglichen Wegen, die den Tatort XXXXXXXXXXXX mit dem Stadtteil XXXXXXXXXX und konkret der dort befindlichen XXXXXXXX Straße, in der der Angeklagte XXXX wohnt, verbinden.

Der Überzeugung der Kammer steht insofern nicht entgegen, dass der Spürhund zeitweise unbefestigte Wege gewählt hat, die der Angeklagte auf dem Fahrrad nicht genommen haben kann. Der Zeuge PK XXXXX hat ausgesagt, der Hund habe sich zunächst schnell und zielgerichtet vom Tatort entfernt. Dabei ist er zunächst - dies ergibt sich auch aus dem in Augenschein genommenen Kartenmaterial - von der XXXXXXXXXXXXXX in die XXXXXXXXXXXX gelaufen und hatte diese in südlicher Richtung verlassen. Dies deckt sich mit der Beobachtung der Zeugin XXXXXXXXX und des Zeugen XXXXX XXXXXX, die ausgesagt haben, er Schütze habe sich nach der Tat in Richtung XXXXXXXXXXXXXX entfernt und sei in diese links abgebogen.

Im weiteren Verlauf habe der Hund - so der Zeuge PK XXXXX - vermehrt Suchverhalten gezeigt und erkennbar keine exakte Einzelspur mehr verfolgt, was aber erwartbar gewesen sei, da der Angeklagte XXXXX bei Spaziergängen mit seinem Hund zahlreiche, gegebenenfalls auch frischere, Spuren gesetzt haben könne. Aus dem Kartenmaterial lässt sich ersehen, dass ein Abweichen von befestigten Wegen tatortfern in jenen Bereichen geschah, wo der Angeklagte XXXXX nach eigenen Angaben bei Spaziergängen mit seinem Hund entlanggelaufen ist. So lief der Hund im Bereich XXXXXXXXXXXX über Grünstreifen und ein Wiesengrundstück, später über einen unbefestigten Verbindungsweg zwischen XXXXXXXXXXXX und XXXXXXXXXXX und kürzte zuletzt im Stadtteil XXXXXXXXXX im Bereich von Wohnungsanlagen durch die zwischen den Häuserzeilen gelegenen Grünanlagen ab.

Die Kammer geht insofern nicht davon aus, dass es sich bei der ermittelten Mantrailer-Route um den exakten Fluchtweg des Angeklagten handelt. Die Kammer wertet den gewählten Trail vielmehr als aussagekräftigen Beleg dafür, dass der Spürhund am Tatort tatsächlich die - bei dessen Flucht gesetzte - Geruchsspur des Angeklagten aufgenommen hatte, diese zunächst bis südlich der XXXXXXXXXXXX verfolgte und die Spur dort bei Annäherung an das natürliche Lebensumfeld des Angeklagten durch neuere Spuren, namentlich solche von Spaziergängen des Angeklagten mit seinem Hund, überlagert wurde.

c. Die Einlassung des Angeklagten, er habe nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft am 11.02.2023 den Umweg über die XXXXXXXXXXXX gewählt, da er sich - nach Sicherstellung seiner Bekleidung - inadäquat gekleidet fühlte und den Innenstadtbereich meiden wollte, wertet die Kammer ebenso als Schutzbehauptung wie seine Einlassung, er habe den Tatort aufgesucht, um zu schauen, "ob da noch was liegt". Beides hat der Angeklagte erst auf ausdrückliche Frage der Verteidigung hin berichtet und dabei seine Version (er sei gar nicht dagewesen, er glaube er sei dagewesen, er sei am Tattag nach der Freilassung dagewesen, er sei in die Straße hineingelaufen und zurück, er habe die Straße vollständig durchquert) jeweils erst auf explizite Nachfrage abgeändert bzw. ergänzt. Abgesehen von diesem auffälligen Einlassungsverhalten sind die Einlassungen auch inhaltlich wenig glaubwürdig. Betrachtet man den Weg von der Polizeidienststelle zur Wohnanschrift des Angeklagten erscheint es unplausibel, dass der Angeklagte zum Schutz vor neugierigen Blicken anstelle des direkten Wegs durch die XXXXXXXXXXXX den Umweg über eine Wohnstraße für seinen Heimweg gewählt haben sollte. Auch die behauptete Nachschau am Tatort ist gerade vor dem Hintergrund unangemessener Kleidung keine entlastende Erklärung. Weshalb er als angeblich Tatunbeteiligter überhaupt ein Interesse an etwaigen Spuren der Tat gehabt haben sollte, ist nicht nachvollziehbar.

Die Kammer wertet diese Angaben als auf das Ermittlungsergebnis angepassten Versuch, die Spurenlage zu erklären. Dies gilt umso mehr, als die Verteidigung ursprünglich eingewandt hatte, der Trail sei (erst) ab der XXXXXXXXXX identisch mit dem Weg des Angeklagten nach seiner Entlassung aus der U-Haft, was den Vorsitzenden zu der Anmerkung bewog, dass dies nicht die Spurenaufnahme in der XXXXXXXXXXXX erkläre. Hätte der Angeklagte wie von ihm behauptet, am 11.02.2023 tatsächlich die komplette XXXXXXXXXXXX gequert, wäre zudem zu erwarten gewesen, dass auch der zweite Spürhund im stadtwärts gelegenen Teil der XXXXXXXXXXXX eine Spur aufgenommen hätte.

d. Der ermittelte Trail ist auch allein durch den behaupteten Spaziergang mit dem Hund nicht erklärlich. Der Angeklagte XXXXX hat seine übliche, auch für den Tattag behauptete Spazierroute anhand von Kartenmaterial erläutert. Die von ihm gezeigte Route erreichte dabei in nördlicher Richtung weder die XXXXXXXXXXX der XXXXXXX XXXXX, noch den Tatort XXXXXXXXXXXX, sondern bewegte sich durchgehend südlicher, am nördlichsten Punkt auf Höhe des XXXXXXXXXXX, gut 800 Meter vom Tatort entfernt. Der Trail deckt sich erst ab da mit der behaupteten Spazierroute des Angeklagten.

Der Trail belegt auch lediglich, dass der Angeklagte XXXXX in diesem tatortfernen Bereich mit seinem Hund spazieren gegangen ist, nicht aber wann er das tat. Da der Angeklagte nach seiner vorläufigen Festnahme am 10.02.2023 zunächst auf freiem Fuß war, kann er die Geruchsspuren in den Folgetagen bei Spaziergängen mit seinem Hund verursacht haben. Der Mantrailer-Einsatz fand erst mehrere Tage nach der Tat am 16.02.2023 statt.

4. Waffenrecherche vor der Tat

Als weiteres Indiz für die Tatbeteiligung des Angeklagten XXXXX wertet die Kammer das Internetsuchverhalten des Angeklagten XXXXX vor der Tat (B.II.5).

Der Zeuge KOK XXXXXXXX hat das Mobiltelefon des Angeklagten XXXXX ausgewertet. Er hat ausgesagt, dass der Angeklagte vor der Tat im Zeitraum vom 16.01. bis 23.01.2023 wiederholt über die Google Suche seines Mobiltelefons nach Waffen gesucht habe.

Die Kammer hat dazu die Auswerteberichte vom 20.02. und 22.02.2023 (Bl. 30-43 und Bl. 46, 47 SH Datenauswertung Bd. I) in Augenschein genommen und die Daten verlesen, der Zeuge KOK XXXXXXXX hat diese Berichte erläutert. Die in Tabellenform aufbereiteten Daten belegen Recherchen mit Waffenbezug in den frühen Morgenstunden des 16.01.2023 von 00:20 bis 00:27 Uhr, am 20.01.2023 von 14:28 Uhr bis 15:04 Uhr, erneut zwischen 16:13 und 16:39 Uhr und abends gegen 19:04 Uhr, am 22.01.2023 zwischen 16:56 und 17:18 Uhr sowie in den frühen Morgenstunden des 23.01.2023 zwischen 00:30 bis 00:43 Uhr. Die Suchverläufe beziehen sich auf Begriffe wie "guns", "Schusswaffen", "Kaliber", "Waffen", "Waffenmarkt", "Waffen gebraucht & neu", "Waffen kaufen". Zahlreiche Suchverläufe enthalten den Begriff "Pistolen". Ab dem 20.01.2023 beziehen sich Suchverläufe auch auf das Kaliber "9mm", das bei der Tat Verwendung gefunden hat. Am 23.01.2023 finden sich die Suchbegriffe "9mm kaufen" oder "9mm fiyat" (türkisch für kaufen).

Der Angeklagte XXXXX hat in seiner Einlassung nicht bestritten, die Suchrecherchen zum Thema Waffen durchgeführt zu haben. Seine Einlassung, wonach ein Tatbezug nicht bestehe, er vielmehr als Waffeninteressierter regelmäßig auf You Tube Waffenvideos schaue und gegebenenfalls ergänzende Informationen zu spezifischen Waffen über die Google-Suche einhole, wertet die Kammer als Schutzbehauptung, die widerlegt ist.

Gegen die Einlassung des Angeklagten spricht bereits, dass sich die festgestellten Suchverläufe nicht - wie von ihm behauptet - auf spezifische Waffenmodelle beziehen, erst recht nicht auf Insiderwissen, wie der Angeklagte XXXXX es im inszenierten Dialog mit dem Verteidiger des Mitangeklagten in der Hauptverhandlung präsentiert hat. Die Suchbegriffe sind allgemein gehalten, betreffen die Startseiten von Online-Waffenhändlern, beziehen sich auf allgemein auf Waffen, unterschiedliche Pistolenarten, nur sehr vereinzelt auf konkrete Markennamen oder gar -typen. Hinweise auf spezifisches Waffenwissen oder den Informationsbedarf eines waffenaffinen Nutzers lassen sich den Anfragen nicht entnehmen. Sämtliche Suchbegriffe beziehen sich zudem auf Schusswaffen. Im Widerspruch dazu steht die Behauptung des Angeklagten XXXXX, er interessiere sich auch für Armeefahrzeuge, Panzer, Bögen, Messer.

Der Zeuge KOK XXXXXXXX hat ausgesagt, dass bei automatisierter Durchsicht des Mobiltelefons eine allgemeine Waffenaffinität des Angeklagten nicht erkennbar geworden sei. Die von dem Polizeibeamten durchgeführte Datensicherung des Mobiltelefons erfolgte automatisiert mittels spezieller Software und erfasste - so hat es der Polizeibeamte ausgesagt und dies ist auch gerichtsbekannt - nicht nur die Google-Suchfunktion, sondern das gesamte Google-Konto des Angeklagten, mithin sämtliche web- und appbasierten Verläufe. Erfasst war mithin auch der YouTube-Verlauf. Der Zeuge hat ausgesagt, die gespeicherten Verläufe seien rückwirkend bis August 2021 nach entsprechenden Schlagworten abgesucht worden; dabei hätten sich keinerlei Hinweise auf eine frühere Befassung mit dem Thema Waffen ergeben. Dies wäre aber nach der Einlassung des Angeklagten zu erwarten gewesen. Zudem hat der Zeuge KHK XXXXXXXX nach eigenem Bekunden die Inhalte des Mobiltelefons auch manuell gesichtet. Hinweise auf eine Waffenaffinität des Angeklagten XXXXX hätten sich auch dabei nicht ergeben.

Das zeitlich begrenzte Interesse, der zeitliche Zusammenhang zur Tat, Suchbegriffe wie "kaufen" und "fiyat" (türkisch für kaufen) und Suchen nach dem bei der Tat verwendeten Kaliber "9 mm" deuten aus Sicht der Kammer mit Gewicht darauf hin, dass der Angeklagte XXXXX gezielt nach einer Tatwaffe suchte, um diese zu kaufen.

5. Nachrichtenrecherche nach Tat

Als weiteres Indiz für die Tatbeteiligung des Angeklagten XXXXX wertet die Kammer das Internetsuchverhalten des Angeklagten XXXXX nach der Tat (B.V.2).

Die Auswertung des Mobiltelefons durch den Zeugen KHK XXXXXXXX hat ergeben, dass der Angeklagte XXXXX sein Mobiltelefon letztmals vor der Tat um 15:37 Uhr nutzte und vergeblich versuchte, den Angeklagten XXXXXX anzurufen. Danach folgte eine auffällige Nutzungslücke, bis er sein Mobiltelefon um 17:08 Uhr erstmals wieder nutzte.

Um 17:11 Uhr wurde in die Google-Suche das Schlagwort "Nachrichten" eingegeben und Sekunden später die Suche mit den Begriffen "Nachrichten XXXXXXXXXXX" gestartet. Um 17:12 Uhr klickte der Angeklagte XXXXX auf den Link zu einem Artikel mit der Überschrift "Schüsse in XXXXXX XXXXXXXX: 22-Jähriger am Kopf getroffen".

Die Einlassung des Angeklagten, er habe die entsprechende Nachricht im Newsfeed angezeigt bekommen ist widerlegt. Die entsprechenden Suchbegriffe wurden ausweislich des automatisierten Auswerteberichts aktiv in die Google-Suchmaske eingegeben.

Soweit der Angeklagte seine Einlassung im weiteren Verlauf dahingehend angepasst hat, er habe die Nachricht zunächst im Newsfeed gesehen und sei dann aktiv in die Googlesuche gewechselt, weil der Artikel durch eine Bezahlschranke blockiert worden sei, wertet die Kammer dies als auf das Ermittlungsergebnis angepasste Schutzbehauptung, der die Kammer nicht folgt. Der Angeklagte selbst hat eine aktive Suche zunächst bestritten und erst auf explizite Nachfrage der Verteidigung seine Einlassung entsprechend angepasst. Der Zeuge KHK XXXXXXXX hat zudem ausgesagt, dass der Angeklagte XXXXX - anders als behauptet - zu keinem anderen Zeitpunkt seit August 2021 aktiv nach örtlichen Nachrichten gesucht habe. Seine anderslautende Einlassung, die ersichtlich auf das Ermittlungsergebnis angepasst war, sieht die Kammer insofern als widerlegt an.

Fest steht aus Sicht der Kammer auch, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt von der Tat in XXXXXXXXXXX noch keine Kenntnis gehabt haben kann. Der Zeuge KHK XXXXXXXX hat ausgesagt, nach seinen Recherchen sei der erste Artikel über die Tat erst um 17:42 Uhr durch das XXXXXXXXXXXXX XXXXXXXX online gestellt worden. Zwar ist nicht gänzlich auszuschließen, dass in sozialen Medien früher Informationen kursierten. Da der Angeklagte sein Mobiltelefon vor der besagten Internetrecherche aber nicht genutzt hatte, kann er auf diesem Wege nicht von der Tat erfahren haben. Auch Telefongespräche hat er in dieser Zeit nicht geführt. Dass er anderweitig von der Tat erfahren hätte, hat der Angeklagte XXXXX auch nicht behauptet.

Die Kammer wertet die Ergebnisse der Handyauswertung daher als Beleg dafür, dass der Angeklagte XXXXX mit Täterwissen aktiv nach Nachrichten von der Tat suchte. Die von ihm angeklickte Betreffzeile "Kopfschuss" trifft in prägnanter Weise auf die festgestellte Tat zu. Zwar bezog sich der Artikel auf eine andere Tat in XXXXXXXXXXXXXXX, was auch aus der Überschrift hervorging. Fest steht aber, dass der Link angezeigt wurde, nachdem der Angeklagte aktiv nach Nachrichten aus XXXXXXXXXXX gesucht hatte. Es mag daher sein, dass der Angeklagte den abweichenden räumlichen Bezug nicht sofort bemerkte.

6. Falsches Alibi: Netto-Einkauf

Ein Alibi konnte der Angeklagte XXXXX nicht vorweisen. Sein auffälliges Verhalten im Zusammenhang mit einem Netto-Kassenbon wertet die Kammer vielmehr als Beleg dafür, dass der Angeklagte sich durch den Einkauf bewusst ein falsches Alibi verschaffen wollte (B.V.1 und B.VII.2).

a. Nach den Feststellungen der Kammer nahm der Angeklagte XXXXX entgegen seiner sonstigen Gewohnheit bei einem Einkauf um 16:30 Uhr des Tattages einen Kassenbon entgegen (B.V.1) und wies auf dessen Vorhandensein bei seiner Festnahme wiederholt hin (B.VII.2). Bei seinem Einkauf am folgenden Montag nahm er explizit auf das Alibi Bezug (B.V.1). Die Kammer stützt die diesbezüglichen Feststellungen auf folgende Würdigung:

aa. Der Zeuge PK XXXXXXXX hat glaubhaft ausgesagt, dass der Angeklagte XXXXX am 10.02.2023 nach seiner Festnahme und im Rahmen der folgenden erkennungsdienstlichen Behandlung wiederholt und ungefragt angegeben habe, er könne nicht der Täter sein. Er habe nicht nur auf den Einkauf, sondern explizit auf das Vorhandensein eines Kassenbons hingewiesen. Zu diesem Zeitpunkt seien ihm Details der Tat, insbesondere die Tatzeit, noch nicht bekanntgegeben worden. Dies deckt sich mit der Einlassung des Angeklagten, der angegeben hat, er habe polizeilicherseits zunächst keinerlei Detailinformationen zum Tatvorwurf erhalten.

bb. Der Zeuge KOK XXXXX hat glaubhaft ausgesagt, der Kassenbon sei anlässlich der Durchsuchung am 10.02.2023 bei dem Angeklagten XXXXX in einem Rucksack auf einem Stuhl in der Küche sichergestellt worden. Die Kammer hat Lichtbilder des sichergestellten Kassenbons (Bl. 10 oben und 11 unten im SH Durchsuchungen sowie Anlage 6 zum Protokoll vom 26.02.2024) in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen und dessen Inhalt verlesen; die erworbenen Artikel und die abgedruckte Uhrzeit ergeben sich daraus entsprechend den getroffenen Feststellungen.

cc. Dass der Angeklagte sonst üblicherweise keinen Bon mitnahm, hat die Kassiererin XXXXXX als Zeugin glaubhaft ausgesagt. Die Zeugin hat ausgesagt, der Angeklagte sei Stammkunde und habe sonst abgewinkt, wenn sie den Kassenbon hingehalten habe. An diesem Tag habe er darauf gewartet und ihn mitgenommen. Dieses Verhalten war offenbar so ungewöhnlich, dass es der Zeugin nicht nur auffiel, sondern auch in Erinnerung blieb. Die Kammer hat keinen Anlass die Aussage der Zeugin anzuzweifeln. Dass die Mitnahme des Kassenbons nicht seiner Gewohnheit entsprach, hat auch der Angeklagte XXXXX in seiner Einlassung eingeräumt.

dd. Die Feststellungen, wonach der Angeklagte XXXXX, das Alibi bei einem Folgeeinkauf explizit erwähnte, stützt die Kammer auf die polizeiliche Aussage der Netto-Verkäuferin XXXXX. Die Kammer hat die polizeiliche Aussage der Zeugin durch Vernehmung des polizeilichen Vernehmungsbeamten KOK XXXXXXX entsprechend den Feststellungen in die Hauptverhandlung eingeführt. Demnach habe der Angeklagte XXXXX bei einem Folgeeinkauf am darauffolgenden Montag, dem 13.02.2023, gefragt, ob die Polizei dagewesen sei. Er habe berichtet, dass er festgenommen und wieder freigelassen worden sei, da er am Tattag im Netto-Markt gewesen sei. Sinngemäß habe er sich für das Alibi bedankt. Als Hintergrund für die zurückliegende Festnahme und die angelastete Tat habe er die Trennung seines Freundes von einer Frau benannt. Er habe seinen Freund nach der Trennung aufgenommen und deshalb sei die Frau sauer auf ihn. Die Frau habe Probleme mit Drogendealern und nach seiner Einschätzung komme jemand aus diesem Bereich als Täter in Frage.

Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin XXXXX, die den Angeklagten XXXXX lediglich aus ihren beruflichen Bezügen als Stammkunde kannte, bestehen nicht. Daher kam es auch nicht auf einen unmittelbaren Eindruck der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung verhinderten Zeugin an.

Dass der Angeklagte XXXXX gegenüber der Verkäuferin XXXXX die Trennung der Eheleute XXXXXX erwähnte und damit genau jene Tathintergründe nannte, die aus Sicht der Kammer das wahre Tatmotiv darstellen, stellt aus Sicht der Kammer keinen Zufall dar. Sein Hinweis auf etwaige Kontakte der Nebenklägerin zu Drogendealern deckt sich mit Tathypothesen, die der Angeklagte XXXXXX bereits am Tatort aufgestellt hatte (B.IV.2). Sie dienten dabei zur Überzeugung der Kammer als Ablenkungsmanöver; diesbezügliche Ansätze für eine etwaige Tatbeteiligung Dritter ließen sich im Rahmen der Ermittlungen nicht erhärten (dazu später unter C. IV.17).

ee. Die Einlassung des Angeklagten XXXXX, er habe den Bon zufällig mitgenommen, wertet die Kammer als Schutzbehauptung, zumal dies auch nach eigenem Bekunden nicht seinen Gewohnheiten entsprach. Seine Erklärung, er habe den Bon erst zufällig beim Auspacken der Einkäufe im Rucksack bemerkt, dort belassen und sich daran nach seiner Festnahme erinnert, erscheint lebensfremd. Wäre der Bon nicht als Alibi gedacht gewesen, wäre ihm keinerlei Bedeutung zuzumessen gewesen, weshalb eine solche Detailerinnerung nicht plausibel erscheint.

b. Die zeitliche Nähe des Einkaufs zur Tat steht den Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten XXXXX nicht entgegen. Die Kammer stützt ihre diesbezügliche Überzeugung auf die Weg-Zeit-Berechnung der Polizei (B.VII.2).

aa. Nach den Feststellungen der Kammer beging der Angeklagte XXXXX die Tat in der XXXXXXXXXXXX gegen 16:03 Uhr. Um 16:30 Uhr ließ er sich in dem Netto-Geschäft den Kassenbon aushändigen.

Die Kammer geht davon aus, dass der Angeklagte nach der Tat und vor dem Einkauf kurz seine Wohnung in der XXXXXXXXX XXXXXX XX aufsuchte, um seinen Hund abzuholen. Dies folgt aus der Aussage der Zeugin XXXXX, Angestellte im Nettomarkt, die den Hund vor dem Netto-Markt mit einem Leckerli gefüttert hatte. Ferner hat sie ausgesagt, der Angeklagte sei - wie üblich - zu Fuß unterwegs gewesen.

Dass der Angeklagte vor dem Einkauf in relevantem Umfang Kleidung wechselte, steht dagegen nicht fest. Die Zeugin XXXXXX, die den Angeklagten an der Kasse bediente, hatte an seine Kleidung keine Erinnerung. Die Zeugin XXXXX konnte bei der Polizei lediglich seine übliche Kleidung - blauer Hoodie, blaue Jeans, Turnschuhe - beschreiben; was er an diesem Tag getragen hatte, war ihr nicht erinnerlich. Bei der videographierten Täterkleidung handelt es sich abgesehen von der Maske um Alltagskleidung, so dass den Zeuginnen auch nichts auffallen musste.

Dass der Angeklagte bei seiner Festnahme am frühen Abend des Tattags andere Kleidung trug als der videographierte Radfahrer und sich an der sichergestellten Kleidung auch keine Schmauchspuren feststellen ließen, steht dem nicht entgegen. Er kann die Täterbekleidung auch nach seinem Einkauf noch gewechselt und entsorgt haben. Ein Wechsel der Jacke war zudem binnen Sekunden auch vor dem Einkauf möglich. Gleiches gilt für die Entsorgung des bei der Tat gefahrenen Fahrrads und der Tatwaffe, deren Verbleib ungeklärt ist.

bb. Die in Augenschein genommene Routenplanung von Google Maps schlägt für die Fahrradstrecke vom Tatort zur Wohnanschrift des Angeklagten XXXXX drei unterschiedliche Routen zwischen 1,9 km und 2,2 km vor, wobei für die Dauer des Wegs jeweils 9 Minuten angegeben sind. Der Fußweg von der Wohnanschrift XXXXX XXXXXX XX zum Netto-Markt in der XXXXXXXXXXXXX X ist laut Google-Maps 700 Meter lang und dauert 10 Minuten.

Die Berechnung von Google Maps basiert gerichtsbekannt im Fußgänger-/Fahrradmodus auf einer voreingestellten Durchschnittsgeschwindigkeit. Anders als die Navigation für PKW greift sie nicht auf individuelle Nutzerdaten anderer Verkehrsteilnehmer zurück. Es handelt es sich damit lediglich um Durchschnittswerte.

cc. Der Zeuge KHK XXXXXXX hat zur Überprüfung des Alibis eine individuelle Weg-Zeit-Berechnung vorgenommen. Nach seinen Angaben sei er zu diesem Zweck den von Nord nach Süd verlaufenden Weg vom Tatort XXXXXXXXXXXX XX zur Wohnanschrift des Angeklagten in der XXXXXXXXX XXXXXX XX im Stadtteil XXXXXXXXXX mit dem Fahrrad gefahren und habe sich von dort zu Fuß zu dem Netto-Geschäft in der XXXXXXXXXX X begeben. Er habe den verkehrstechnisch schnellsten Weg gewählt und sei zügig, aber moderat unter Beachtung der Verkehrsregeln gefahren. Für die Gesamtstrecke habe er 13:30 Minuten benötigt, wobei nach seinen Angaben mehr als die Hälfte der Zeit auf den Fußweg entfiel. Es ist davon auszugehen, dass der flüchtende Angeklagte sich vom Tatort zügiger entfernte als ein durchschnittlicher Fahrradfahrer, zumal er beabsichtigte, sich mit dem Einkauf ein Alibi zu verschaffen. Die Kammer hält es dabei für lebensnah, dass der ortskundige Angeklagte einen direkten Weg in Richtung des Stadtteils XXXXXXXXXX wählte. Die Wegberechnung bei Google Maps belegt, dass es insofern nicht konkret darauf ankommt, welchen der möglichen, weitgehend parallellaufenden Routen vom Tatort zur Wohnanschrift man wählt.

Dies zugrunde gelegt ist die Kammer überzeugt, dass der auf dem Kassenbon belegte Einkauf in der verbleibenden Zeit nach der Tat ohne weiteres möglich war. Bei einer Wegdauer für Rad- und Fußweg von 13:30 Minuten und einem kurzen Abstecher in die Wohnung von 3 Minuten ergibt sich eine aus Sicht der Kammer realistische Restzeit von 10:30 Minuten für den Einkauf.

c. Den Feststellungen steht auch die Aussage der Zeugin XXXXXX nicht entgegen. Die Zeugin XXXXXX hat zwar ausgesagt, dass sie dem Angeklagten bereits vor dem Kassiervorgang in Geschäft begegnet sei. Sie sei aus der Pause gekommen und schätzte diesen Zeitpunkt zunächst auf 16:10 Uhr. Die Kammer sieht diese Schätzung aber durch das verlesene Kassenjournal der von ihr genutzten Kasse als widerlegt an.

aa. Ausweislich des verlesenen Kassenjournals (Bl. 101-105 Bd. IV) datierte der letzte Bon vor der Pause auf 16:00:30 Uhr und der erste Bon mit 10 Artikeln nach der Pause auf 16:25:01 Uhr.

bb. Anhaltspunkte, dass zwischen dem Zusammentreffen mit dem Angeklagten und dem ersten Bon nach der Pause eine relevante Verzögerung eintrat, haben sich weder aus der Aussage der Zeugin, noch aus der Einlassung des Angeklagten ergeben. Übereinstimmend haben beide angegeben, die Zeugin habe ihn auf dem Weg zur Kasse gegrüßt.

cc. Ihre Zeitschätzung zum Zusammentreffen mit dem Angeklagten machte die Zeugin allein daran fest, dass ihre Chefin, die eigentlich bereits um 14 Uhr Feierabend hatte machen wollen, um 16 Uhr Feierabend gemacht habe. Danach habe sie mit dieser draußen eine Zigarette geraucht und sich unterhalten und anschließend beim Gang zur Kasse den Angeklagten im rückwärtigen Teil des Ladengeschäfts getroffen und im Vorbeigehen gegrüßt. Die Kammer geht davon aus, dass die Zeugin aus dem Beginn ihrer Pause unzutreffende Schlüsse auf deren Ende gezogen hat.

dd. Dafür, dass der Angeklagte sich vor dem Zusammentreffen mit der Kassiererin bereits länger in dem Geschäft aufgehalten hatte, bestehen jenseits seiner Einlassung keine Anhaltspunkte. Dies belegt auch sein Kassenbon nicht. Für den Einkauf von 13 Artikeln, in dem ihm als Stammkunden bekannten Geschäft war eine Zeitspanne von weniger als 10 Minuten auch dann ausreichend, wenn er dazu verschiedene Bereiche des Geschäfts (Backwaren, Tiernahrung, Chips, Konserven, Getränke, Fertigprodukte) ablaufen musste. Die Einlassung des Angeklagten, er habe sich dort länger aufgehalten, zunächst andere Artikel kaufen wollen, die nicht vorrätig gewesen seien, wertet die Kammer insoweit als nicht verobjektivierbare Schutzbehauptung.

d. Nach alledem stehen die Feststellungen zur Anwesenheit des Angeklagten XXXXX im Netto-Markt den Feststellungen zu seiner Täterschaft nicht entgegen. Die Kammer hat zusammenfassend keine Zweifel, dass der Angeklagte XXXXX nach der Tat um 16:03 Uhr in zügigem Tempo mit dem Fahrrad zu seiner Wohnung fuhr, seinen Hund abholte, gegebenenfalls die Jacke wechselte oder auszog, sich zu Fuß zum Netto-Markt begab und nach erfolgtem Einkauf dort um 16:30 Uhr den Kassenbon erhielt. Die Begleitumstände des Einkaufs - zeitlicher Zusammenhang zu der Tat, Mitnahme des Kassenbons entgegen seiner üblichen Gewohnheit, wiederholter Hinweis auf dessen Vorhandensein nach seiner Festnahme sowie explizite Bezugnahme auf die Alibiwirkung des Kassenbons beim Folgeeinkauf - wertet die Kammer als weiteres Indiz für seine Täterschaft dergestalt, dass er sich mittels des Kassenbons bewusst ein Alibi verschaffen wollte.

7. Unergiebige Funkzellenauswertung

Die ausgewerteten Funkzelldaten für das Mobiltelefon des Angeklagten XXXXX sprechen weder gegen, noch für die Täterschaft des Angeklagten XXXXX. Das ermittelte Bewegungsmuster lässt den Schluss auf die Anwesenheit des Angeklagten XXXXX am Tatort bzw. in dessen Nähe zu, lässt sich beispielsweise aber auch durch den vom Angeklagten XXXXX behaupteten Spaziergang mit seinem Hund erklären. Dass sich der Angeklagte XXXXX sicher tatortfern aufgehalten hätte, steht nicht fest. Im Einzelnen:

a. Die Fa. Vodafone hat Rohdaten übermittelt, die das Einbuchungsverhalten des von dem Angeklagten XXXXX genutzten Mobiltelefon in das Mobilfunknetz im Tatzeitraum protokollieren. Mögliche Zweifel an der Validität der Datensätze aufgrund der Netzumstellung von 3G auf 5G hat der sachverständige Zeuge XXXXXXXXX, Mitarbeiter der Fa. Vodafone, glaubhaft ausgeräumt und hierzu angegeben, die aktenkundige Mitteilung der Fa. Vodafone zu potentiell fehlerhaftem Datenmaterial habe sich auf einen früheren Zeitraum bezogen und zur Tatzeit keine Geltung mehr gehabt.

b. Ausweislich der in Augenschein genommenen, von der Zeugin PKin XXXXXXXXX erläuterten, in Tabellenform dargestellten Rohdaten (S. 9 SH VBD XXXX XXXXX) bezieht sich die Mehrzahl der protokollierten Datenverbindungen auf sog. 3600er-Reccords mit einem Zeitintervall von 3600 Sekunden, d. h. einer Stunde. Der sachverständige Zeuge XXXXXXXXX, technischer Mitarbeiter der Fa. Vodafone, hat hierzu ausgeführt, dass diese sog. 3600er-Records keine aktiven Verbindungen belegen, sondern die kontinuierliche Netzversorgung des Kunden protokollieren. Der Datensatz ("Record") werde automatisiert geschrieben und dabei auch die versorgende Funkzelle erfasst. Sichere Aussagen, wann innerhalb des Stundenintervalls die versorgende Funkzelle ermittelt worden sei, könne er nicht treffen. Erfahrungsgemäß - dies seien Erkenntnisse aus seiner Tätigkeit - werde der Datensatz am Ende des Stundenintervalls generiert und dann auch die versorgende Funkzelle ermittelt. Sicher sei lediglich, dass das Mobiltelefon im Zeitraum zwischen dem Ende der letzten protokollierten Verbindung und dem Ende des Stundenintervalls durch die angegebene Funkzelle versorgt worden sei.

Die Zeugin PKin XXXXXXXXX, deren ursprüngliche Tabelle den Anfangszeitpunkt der Datenverbindung als "Uhrzeit" ausgewiesen hatte, hat ausgehend von diesen Ausführungen in einer aktualisierten Tabelle ("VBD XXXX XXXXX", Anlage 1 zu Protokoll vom 11.03.2024) für die sog. 3600er-Records anstelle des Beginns den Endzeitpunkt des jeweiligen Stundenintervalls eingetragen, wodurch sich zugleich die chronologische Reihenfolge der Datensätze geändert hat. Die Zeugin PKin XXXXXXXXX hat in Kartenübersichten (Anlage 1 "Bewegungsbild" und Anlage 2 zu Protokoll vom 11.03.2024) den Standort der aus den Datensätzen ersichtlichen XXX Funktürme eingezeichnet und die Versorgungsbereiche der Funkzellen XXX kreis- bzw. tortenstückförmig visualisiert. Die Datensätze der Tabelle und das Kartenmaterial hat sie korrespondierend farbig markiert. Die farbliche Zuordnung (GELB), (LILA), (PINK) wird im Folgenden aus Gründen der Verständlichkeit beibehalten.

c. Zur Bewertung der Daten hat die Kammer den sachverständigen Zeugen XXXXXXXXX von der Fa. Vodafone und den Zeugen XXXXXXXXX vom LKA Niedersachsen vernommen sowie ein Gutachten des Sachverständigen XXXXXXXX von der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) eingeholt. Der Sachverständige XXXXXXXX ist Diplom-Ingenieur im Bereich Nachrichtentechnik und spezialisiert auf die Vermessung von Funkzellen bzw. deren Versorgungsbereiche; zuvor war er langjährig für das LKA Bayern tätig und auch dort zuständig für die Lokalisierung von Mobiltelefonen und die Auswertung von Funkzelldaten. Der Zeuge XXXXXXXXX ist Techniker für Datenverarbeitung und als solcher bei der Fa. Vodafone für die Netzplanung zuständig. Der Zeuge XXXXXXXXX ist beim LKA Niedersachsen im Bereich Funkzellenauswertung tätig. An der Sachkunde der Auskunftspersonen besteht daher kein Zweifel.

Zur Aussagekraft der Funkzelldaten hat der Sachverständige XXXXXXXX, insoweit übereinstimmend mit den sachverständigen Zeugen XXXXXXXXX und XXXXXXXXX, ausgeführt, dass Mobiltelefone die Empfangseigenschaften der umgebenden Mobilfunkstationen permanent messen und über vorgegebene Parameter entscheiden, in welche Funkzelle sie sich einbuchen. Über diese aktuell attraktivste Funkzelle (sog. Serving Cell) werde jegliche Mobilfunkkommunikation abgewickelt. Das Umbuchverhalten sei netz- und geräteunabhängig immer gleich. Über die durch Funkzellwechsel hinterlassene Telekommunikationsspur könne man daher Rückschlüsse auf den geographischen Standort des Mobiltelefons ziehen. Der Wechsel des Mobiltelefons vom Versorgungsbereich der einen in die andere Funkzelle deute grundsätzlich auf eine Bewegung in eine bestimmte Richtung hin. Etwas anderes gilt nach den Ausführungen des Sachverständigen XXXXXXXX im Überschneidungsbereich zweier Funkzellen, sog. Hysteresebereich. In diesem Bereich sei ein Wechsel der Funkzelle auch ohne räumliche Bewegung denkbar. Ausreichend sei eine Körperdrehung des Nutzers oder ein Hindernis, wobei ein vorbeifahrender LKW ausreiche.

Nach den sich insoweit deckenden Ausführungen der sachverständigen Zeugen/Sachverständigen kann der tatsächliche Versorgungsbereich einer Funkzelle in Form und Reichweite deutlich von den "tortenstück"-förmig angeordneten Abstrahlwinkeln der Funktürme abweichen. Er wird beeinflusst durch bauliche Gegebenheiten, Wetterverhältnisse und insbesondere andere vorhandene Funkzellen. Die Kammer hat daher den Versorgungsbereich der beiden letzten vor der Tat protokollierten Funkzellen mit der Endziffer - 4932 (GELB) und mit der Endziffer -9976 (PINK) ermitteln lassen, und zwar seitens des sachverständigen Zeugen XXXXXXXXX auf Grundlage der sog. Netzplanung der Fa. Vodafone (Stand: 09.02.2024) und sodann - wegen der größeren Genauigkeit - seitens des Sachverständigen XXXXXXXX durch eine Vor-Ort-Vermessung des Versorgungsbereichs (Stand: 26./27.03.2024). Der Sachverständige XXXXXXXX hat zudem die versorgende Funkzelle mit der Endziffer -9988 (GRÜN) an der Wohnanschrift des Angeklagten XXXXX ermittelt. Beide Sachverständigen haben ihre Ergebnisse anhand von Kartenmaterial visualisiert und im Rahmen der Inaugenscheinnahme erläutert Aufgrund der größeren Genauigkeit liegt den Feststellungen der Kammer das Vermessungsgutachten des Sachverständigen XXXXXXXX zugrunde, wobei seine Ausführungen die Angaben der sachverständigen Zeugen XXXXXXXXX und XXXXXXXXX bestätigten und lediglich hinsichtlich des realen Versorgungsbereichs der Funkzellen ergänzten. Die Abbildung 2 auf S. 6 des Gutachtens (Anlage 1 zum Protokoll vom 12.04.2024) zeigt den Versorgungsbereich der Funkzelle mit der Endziffer -4932 (GELB); die Abbildung 3 auf S. 7 des Gutachtens zeigt den Versorgungsbereich der Funkzelle mit der Endziffer -9976 (PINK). Die Abbildung 4 auf S. 8 des Gutachtens zeigt den Hysteresebereich der beiden Funkzellen.

d. Die Auswertung der tabellarisch dargestellten Funkzelldaten ("VBD XXXX XXXXX", Anlage 1 zu Protokoll vom 11.03.2024) ergibt unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen XXXXXXXX und des sachverständigen Zeugen XXXXXXXXX Folgendes:

aa. Das Mobiltelefon des Angeklagten XXXXX war zunächst in der Funkzelle mit der Endziffer - 9988 (GRÜN) eingeloggt, die seine Wohnanschrift, nicht aber den Tatort versorgt. Um 14:25 Uhr kam es zu einem Telefonat zwischen beiden Angeklagten; zu diesem Zeitpunkt befand sich das Mobiltelefon des Angeklagten XXXXX weiterhin in der Funkzelle mit der Endziffer -9988 (GRÜN), die seine Wohnanschrift versorgt. Danach kam es offenbar zu einem Ortswechsel, denn zwei folgende Mobilfunkdatenpakete erreichten ihn über innenstadtnäher gelegene Funktürme.

bb. Zum Zeitpunkt der 5- bzw 3-sekündigen Anwahlversuche um 15:34 Uhr und um 15:35 Uhr war das Mobiltelefon des Angeklagten XXXXX erstmals in der tatortversorgenden Funkzelle mit der Endziffer -4932 (GELB) eingeloggt. Der 2-sekündige Anwahlversuch um 15:37 Uhr erfolgte über einen nordöstlich des Tatorts gelegenen Funkturm (LILA). Da die vorher und nachher (dazu sogleich) protokollierte Versorgung durch die tatortversorgende Funkzelle mit der Endziffer -4932 (GELB) erfolgte, hat der Angeklagte den Versorgungsbereich der tatortversorgenden Funkzelle mit der Endziffer -4932 (GELB) - wenn überhaupt - nur kurzzeitig verlassen. Auf die Ermittlung des tatsächlichen Versorgungsbereichs dieser Funkzelle (LILA) wurde daher verzichtet. Bereits das folgende Datenprotokoll für die Internetnutzung im Stundenintervall (3600er-Record) für den Zeitraum von 14:41 bis 15:41 Uhr wurde wieder in der tatortversorgenden Funkzelle mit der Endziffer -4932 (GELB) protokolliert. Den sachverständigen Ausführungen des Zeugen XXXXXXXXX folgend ist davon auszugehen, dass der versorgende Funkturm am Ende des Stundenintervalls und zwar sicher nach dem Ende der letzten Verbindung (15:37 Uhr), also ebenfalls kurz vor der Tat, ermittelt wurde.

Soweit das folgende Datenprotokoll für die Internetnutzung im Stundenintervall (3600er-Record) für den Zeitraum von 14:54 bis 15:54 Uhr im Bereich einer anderen Funkzelle mit der Endziffer -9976 (PINK) geschrieben wurde, steht dies der Annahme nicht entgegen, dass der Angeklagte kurz nach 16 Uhr die Tat in der XXXXXXXXXXXX begangen haben kann. Wie ausgeführt, ist davon auszugehen, dass der versorgende Funkturm am Ende des Stundenintervalls und sicher nach dem Ende der letzten Verbindung (15:37 Uhr), also kurz vor der Tat, ermittelt wurde. Der Versorgungsbereich dieser Funkzelle reicht ausweislich des in Augenschein genommenen Kartenmaterials des Sachverständigen XXXXXXXX (Anlage 1 zum Protokoll vom 12.04.2024, dort Abb. 3 auf S. 7) an seinem nördlichsten Punkt bis in den südlichen Bereich der XXXXXXXXXXX, einer Parkanlage, die nur ca. 500 Meter vom Tatort entfernt ist. Zudem lässt nach den Ausführungen des Sachverständigen in diesem Bereich ein Funkzellwechsel keine Rückschlüsse auf die Bewegungsrichtung zu, da - wie ebenfalls aus dem Kartenmaterial ersichtlich (Abb. 4 auf S. 8) - sich die beiden Funkzellen mit den Endziffern -4932 (GELB) und mit der Endziffer -9976 (PINK) dort überlappen (sog. Hysteresebereich). Der Angeklagte kann sich daher tatortnah aufgehalten haben, von wo er mit dem Fahrrad problemlos binnen kürzester Zeit die XXXXXXXXXXXX erreicht haben kann.

Die Kammer hatte allerdings zu berücksichtigen, dass ausweislich der vorgenannten Abbildungen der Versorgungsbereich beider Funkzellen mit der Endziffer -4932 (GELB) und mit der Endziffer -9976 (PINK) bis in den 2 km entfernten Stadtteil XXXXXXXXXX reicht, so dass sich der Angeklagte denktheoretisch auch tatortfern nahe seiner Wohnanschrift aufgehalten haben kann. Die Funkzelltreffer können insbesondere auch auf den von dem Angeklagten XXXXX in seiner Einlassung beschriebenen Spaziergang mit seinem Hund zurückzuführen sein. Namentlich der von ihm beschriebene Weg im Bereich XXXXXXXXXXXX/XXXXXXXXXXX befindet sich im Hysteresebereich der gleichen Funkzellen. Die Funkzelltreffer sprechen daher weder für, noch gegen die Täterschaft des Angeklagten XXXXX.

cc. Dass der Angeklagte XXXXX sich bereits zu Beginn des folgenden protokollierten Stundenintervalls (3600er-Record) für den Zeitraum 15:41 Uhr bis 16:41 Uhr in der seine Wohnanschrift versorgenden, tatortfernen Funkzelle mit der Endziffer -9988 (GRÜN) aufgehalten hat, ist - den sachverständigen Ausführungen des Zeugen XXXXXXXXX folgend - dem Datenprotokoll nicht zu entnehmen. Der Aussagegehalt beschränkt sich darauf, dass der Angeklagten XXXXX irgendwann in dem Stundenintervall in die Funkzelle mit der Endziffer - 9988 (GRÜN) wechselte. Nach den Ausführungen des Zeugen ist mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Protokoll erst am Ende des Stundenintervalls geschrieben wurde. Der Datensatz deckt sich daher mit den sonstigen Ermittlungsergebnissen, wonach der Angeklagten XXXXX bereits um 16:30 Uhr nahe seiner Wohnanschrift in Netto-Markt in der XXXXXXXXXXXXX einkaufte. Auch dieser Funkzelltreffer spricht daher weder für, noch gegen die Täterschaft des Angeklagten XXXXX.

8. Unergiebige Videoaufnahme vom Täter

Die verfahrensgegenständliche Videoaufnahme des maskierten Fahrradfahrers (siehe zu deren Inhalt die Ausführungen unter C.III. 2.d) ist zur Identifizierung des Täters unergiebig. Die Kammer ist nach Auseinandersetzung mit den Sachverständigengutachten des Prof. Dr. XXXXXXX und der Sachverständigen XXXXXXXX überzeugt, dass der Angeklagte XXXXX als die videographierte Person weder identifiziert, noch ausgeschlossen werden kann. Im Einzelnen:

a. Sachverständigengutachten Prof. Dr. XXXXXXX

Der digital-forensische Sachverständige Prof. Dr. XXXXXXX ist zu der Einschätzung gelangt, dass es sich bei der abgebildeten Person wahrscheinlich nicht um den Angeklagten XXXXX handele. Ausschließen wollte er es nicht, weil die verwendete Abstraktionsebene hoch und das zugrundeliegende Videomaterial von eingeschränkter Qualität sei, so dass daraus resultierende Unsicherheiten zu berücksichtigen seien.

aa. Der Sachverständige Prof. Dr. XXXXXXX hat unter Verwendung digitaler Hilfsmittel digitale Menschmodelle - einen digitalen Dummy und ein sogenanntes Rig (digitales Skelett) - erzeugt und in das vorhandene Videomaterial integriert, um Übereinstimmungen und Abweichungen zwischen dem videographierten Fahrradfahrer und dem Angeklagten XXXXX festzustellen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen lasse die Methode eine eindeutige Identifizierung der abgebildeten Person nicht zu. Der Vergleich lasse aber Aussagen darüber zu, ob es sich bei der abgebildeten Person um den Angeklagten handeln könne (Möglichkeit) oder nicht (Ausschluss). Im Ergebnis habe die digitale Einpassung des Rigs eine signifikante Abweichung im Bereich des Knies, die Einpassung des Dummys eine Abweichung hinsichtlich der Körperhöhe und der Schulterhöhe ergeben. Im Einzelnen:

Zu seiner Vorgehensweise hinsichtlich des Rigs hat der Sachverständige Prof. Dr. XXXXXXX ausgeführt, der Angeklagte XXXXX sei zum Zwecke der photogrammetrischen Vermessung an insgesamt 10 Punkten des Gelenkapparates mit Patches abgeklebt worden. Die Sachverständige XXXXXXXX hat hierzu ausgesagt, dass die anatomische Orientierung beim Setzen der Punkte den anthropologischen Standards entspreche. Beide Sachverständigen bezifferten die Genauigkeit der Vorgehensweise mit einer Fehlertoleranz von 0,5 cm.

Der Angeklagte sei sodann platziert auf einem Drehteller aus verschiedenen Ansichten mittels zweier Kameras fotografiert worden. Parallel sei der Behandlungsraum mit einem 3D-Scanner erfasst und daraus ein 3D-Modell erstellt worden. Potentielle Scanfehler bewegten sich nach den Ausführungen des Sachverständigen bei ± 2mm und seien zu vernachlässigen. Durch Überlagerung des 3D-Modells des Behandlungsraumes und des Bildmaterials aus der erweiterten erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeklagten XXXXX sei orientiert an den geklebten Markierungspunkten manuell das dreidimensionale digitale Skelett (Rig) des Angeklagten abgeleitet worden. Das Rig sei eine Abstraktion, ein digitales Strichmännchen, das der vereinfachten Darstellung der individuellen Körperproportionen des Angeklagten diene. Ausweislich des in Augenschein genommenen Bildmaterials (Bl. 21 SH digital-forensisches Gutachten, im Folgenden: GA) besteht das Rig aus geraden Linien, die folgende Gliedmaßen nachbilden: Kopfhöhe, Rumpfhöhe, Schulterstange (-breite), Hüftstange (-breite), Unter- und Oberarm, Ober- und Unterschenkel, Fuß.

Ferner sei - so der Sachverständige - mittels terrestrischen Laserscanners eine Vermessung des videographierten Straßenbereichs XXXXXXXXXXXX X erfolgt und daraus ein digitale 3D-Kopie erstellt worden. Die verwendete Software ermögliche eine Zusammenführung der 2D-Informationen aus den polizeilichen Videos mit den 3D-Informationen aus dem virtuellen Modell. Aus der Zusammenführung resultiere ein sogenanntes 3D-Referenzmodell, in dem jedes Einzelbild der Videosequenz (sog. Frame) mit der 3D-Punktwolke bzw. dem 3D-Referenzmodell des abgebildeten Ortes verknüpft sei. Zum Abgleich mit dem Videomaterial sei das Rig softwarebasiert durch Überlagerung in den virtuellen Raum integriert worden. Die Einpassung des Rigs in den virtuellen Raum sei dabei manuell erfolgt. Auf den in Augenschein genommenen Abbildungen (S. 29/30 und 35 GA) sieht man jeweils einen Ausschnitt aus dem Videomaterial (Fahrradfahrer vor XXXXXXXXXXXX X). Teiltransparent sichtbar - teilweise auch nur erahnbar - ist die virtuelle Kameraansicht des digitalen 3D-Referenzmodells.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen habe sich bei Einpassung des spezifischen Rigs des Angeklagten XXXXX in das vorhandene Bildmaterial hinsichtlich der Knieposition eine Abweichung ergeben. In jedem der gewählten Einzelbilder des Videos (sog. Frames) - so der Sachverständige - hätten sich Abweichungen zwischen dem digital erstellten Rig des Angeklagten und der auf dem Videomaterial abgebildeten Person ergeben. Die Abweichungen lägen zwischen 3,67 cm und 6,43 cm mit einem Mittelwert von 4,79 cm. Die Vermessung sei anhand einer virtuell eingefügten Messlatte erfolgt. Die Maße würden mittels Pixeln ermittelt und mittels des anhand der Messstange ermittelten Umrechnungsfaktors umgerechnet, so dass die Fehlerabweichung bei maximal einem Pixel von ±0,153 cm bis ±0,230 cm liege. Die hierzu vorgelegte und in Augenschein genommene Tabelle (S. 31 GA), die die in neun unterschiedlichen Screenshots gemessene "Abweichung des Knies" in Pixeln und cm ausweist, belegt diese Werte. Die in Augenschein genommenen Abbildungen auf S. 29 und 30 GA zeigen Ausschnitte aus dem polizeilichen Videomaterial (Fahrradfahrer vor XXXXXXXXXXXX X) teiltransparent überlagert durch ein Strichmännchen (Rig), das die Pose des Radfahrers einnimmt. Auf einer Abbildung (S. 29 rechts GA) sieht man farbig markiert und vergrößert, dass das Rig im Bereich des Knies über die Körperform des Fahrradfahrers hinausragt.

Der Sachverständige hat ferner - insofern handelt es sich um eine andere methodische Herangehensweise, die mit dem Rig nichts zu tun hat - einen durch variable Körperhöhe und Schulterhöhe definierten virtuellen Dummy erstellt. Die hierzu in Augenschein genommene Abbildung (S. 34 GA) zeigt ein digitales Menschmodell in Form einer abstrahierten, bekleideten Person. Die Abbildung enthält eine beispielhafte Bemaßung der Schulter- und Körperhöhe. Eine weitere Abbildung (S. 39 GA) zeigt, dass das Modell auch eine skelettartige Innenansicht bietet, die - insoweit differenzierter als das Rig - knöcherne Gliedmaßen und gewisse Gelenkstrukturen wie Schulter, Ellbogen, Knie, Hand- und Knöchelgelenk andeutet, zudem eine Beugung des "Gelenks" zwischen Fuß und Zeh und eine gewisse Beugung der Wirbelsäule (durch Fragmentierung in 4 Segmente) simuliert werden kann. Anders als beim Rig sind Hals und Kopf augenscheinlich in zwei Segmente unterteilt. Der Dummy werde - so der Sachverständige - softwarebasiert erstellt. Durch Veränderung der Körper- und Schulterhöhe des Dummys und Anpassung an das vorhandene Bildmaterial könne Körper- und Schulterhöhe der abgebildeten Person ermittelt werden. Die hierzu in Augenschein genommenen Abbildungen (S. 35 GA) zeigen den polizeilichen Videoausschnitt (Fahrradfahrer vor XXXXXXXXXXXX X) teiltransparent überlagert durch die Skelettansicht des digitalen Dummys in unterschiedlichen Transparenzstufen von 0% bis 100%. Auf der Abbildung mit 0% Transparenz sieht man den Originalvideoausschnitt mit dem Fahrradfahrer. Auf der Abbildung mit 100% Transparenz ist lediglich das 3D-Referenzmodell des Hauses und der Straße zu sehen; ferner - anstelle des Fahrrads und des Fahrradfahrers - das 3D-Modell eines Fahrrads und die Skelettansicht des Dummys. Die unterschiedlichen Transparenzstufen zeigen, dass sich das 3D-Fahrradmodell und der Dummy augenscheinlich an gleicher Position befinden wie das videographierte Fahrrad nebst Fahrer.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei die Einpassung des Dummys durch softwarebasierte Änderung der variablen Körperhöhe und Schulterhöhe des Dummys erfolgt. Durch Überlagerung des Dummys mit der abgebildeten Person lasse sich die Körperhöhe der abgebildeten Person auf 177,9 cm festlegen. Demgegenüber betrage die durch Vermessung des Angeklagten festgestellte Körperhöhe (nicht -größe) 182,0 cm, die Körpergröße laut Patientenakte sogar 183 cm. Gleiches gelte für die Schulterhöhe, für die durch die Dummy-Einpassung ein Wert von 150,9 cm ermittelt worden sei, wohingegen die gemessene Schulterhöhe des Angeklagten XXXXX bei mindestens 154,5 cm liege. Die hierzu vorgelegten und in Augenschein genommene Tabelle (S. 37 GA), die die in neun unterschiedlichen Screenshots gemessene Körper- und Schulterhöhe des eingepassten Dummys ausweist, belegt diese Ergebnisse.

Mögliche Ungenauigkeiten der Methode wegen der Verfälschung der Körperform durch getragenen Kleidung stünden den Feststellungen nicht entgegen, da die getragene Kleidung die Körperumrisse eher noch vergrößere, das Rig bzw. der Dummy des Angeklagten XXXXX aber gerade zu groß gewesen seien, um in die Körperumrisse der abgebildeten Person zu passen. Etwaige Ungenauigkeiten bei der Erfassung des 3D-Raums mittels Scanner seien so gering, dass sie zu vernachlässigen seien. Distanzfehler lägen hier bei ±2mm; das Rauschen bei 0,3 bis 0,4 mm.

b. Würdigung der Kammer

Die Kammer ist nach intensiver Auseinandersetzung überzeugt, dass die digital-forensischen Methoden des Sachverständigen Prof. Dr. XXXXXXX in dem vorliegenden Fall nicht geeignet sind, valide Aussagen zur Identität der videographierten Person zu treffen. Dies gilt namentlich auch für die Einschätzung, die abgebildete Person sei nicht oder wahrscheinlich nicht der Angeklagte XXXXX. Im Einzelnen:

Der Sachverständige hat auf Nachfrage eingeräumt, dass die konkreten Verfahren, bei denen er eine reale Person mit digitalem Bildmaterial vergleicht, weder standardisiert, noch validiert sei. Die zugrundeliegenden Methoden seien an seinem Lehrstuhl entwickelt worden und würden jeweils maßgeschneidert auf die individuelle Aufgabenstellung angepasst. Abbildungen eines Fahrradfahrers habe er noch nie vermessen, lediglich einmal einen Motorradfahrer.

Bedenken begegnet bereits die Aussagekraft des sogenannten Rigs. Die Behauptung des Sachverständigen, dass die Rigwerte (im Sinne einer Mehrzahl individueller biometrischer Körpermaße eines Individuums) individuell einzigartig seien und damit wie DNA und Fingerabdruck als individuelles Unterscheidungskriterium gelten können, zieht die Kammer in Zweifel. Die in Augenschein genommene exemplarische Abbildung eines Rigs (S. 45 der Powerpoint-Präsentation vom 15.01.2024, gespeichert auf USB-Stick, Anlage 1 zum Protokoll vom 22.01.2024 als "Gutachtenpräsentation_Oldenburg_5 Ks 1204 Js 1050723 (623)") zeigt eine millimetergenaue Bemaßung. Zugleich haben beide Sachverständigen XXXXXXXX und XXXXXXX ausgeführt, dass die Fehlertoleranz bis zu 0,5 cm pro Klebepunkt, mithin 1 cm pro Längenmaß betrage. Die Aussagekraft der Körpermaße als individuelles Unterscheidungskriterium (auch in ihrer Gesamtheit als "Rig") darf daher bezweifelt werden. Würden sämtliche Maße des Rigs mit einer Toleranz von 1 cm zugrundegelegt, wäre die Individualität des Rigs deutlich geringer, womöglich nivelliert.

Bedenken begegnet auch die erfolgte Vermessung des Angeklagten zwecks Ableitung des Rigs. Soweit der Sachverständige ausgeführt hat, die Wahrscheinlichkeit, dass die Rigwerte zweier Individuen in allen betrachteten Merkmalen übereinstimmen, liege zwischen 10-15 bis 10-8, bezieht sich dies ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen und der in Augenschein genommenen Abbildung eines bemaßten Beispiels-Rigs (S. 43 und 45 der Powerpoint-Präsentation vom 15.01.2024, gespeichert auf USB-Stick, Anlage 1 zum Protokoll vom 22.01.2024 als "Gutachtenpräsentation_Oldenburg_5 Ks 1204 Js 1050723 (623)") auf folgende Längenmaße: Schulterhöhe, Tibia-/Unterschenkelhöhe, Schulter-Ellenbogen-Länge, Ellbogen-Handgelenk-Länge, (biakromische) Breite der Schulter, Länge Unterarm-Fingerspitze, Gesäß-Knie-Länge, Breite des Beckens, Höhe der Taille, äußere Beinlänge und innere Beinlänge. Demgegenüber beschränkte sich die Vermessung des Angeklagten XXXXX nach den Ausführungen des Sachverständigen auf lediglich 2x5 Vermessungspunkte, nämlich Fußgelenke, Knie, Handgelenke, Ellenbogen und Schultergelenke. Körperquerachsen wie namentlich Schulterbreite und Hüftbreite wurden nicht vermessen; ebensowenig die Beinlänge innen und außen, Höhe von Gesäß, Taille und Becken. Die vorgenommene Messung entspricht damit bereits nicht den vom Sachverständigen selbstgesetzten wissenschaftlichen Standards.

Durchgreifenden Bedenken begegnet - im Hinblick auf die Geeignetheit der Methode im konkreten Fall - auch der Abstraktionsgrad des Modells. Das Rig besteht aus geraden Linien im Sinne eines Strichmännchens. Eine etwaige Beugung der Wirbelsäule, Kippung und Drehung des Beckens/der Hüfte, Beugung der Schultern ließ sich mit den Mitteln des Sachverständigen nicht simulieren. Diese sind aber aus Sicht der Kammer, die auch die anthropologische Sachverständige XXXXXXXX teilt, für die spezifische Positionierung auf einem Fahrrad von Bedeutung. Eine Vorwärtsbeugung der Schultern hat Auswirkungen auf die Position von Schulter, Ellbogen und Handgelenk im Raum. Je nach Breite der kipp- und drehbaren Hüfte lässt dies größere oder kleinere Verlagerungen des Beins nach vorne oder hinten zu. Setzen die "Beine" direkt neben der Wirbelsäule an, ist die Variabiliät von Kipp- und Drehbewegungen gering. Anders, wenn die Wirbelsäule in eine breite "Hüftstange" mündet, die je nach Drehung oder Kippung als natürliche Verlängerung der Beine dient. Zusammenfassend sind die Positionsmöglichkeiten des Rigs an wesentlichen Stellen derart limitiert, dass ein realistischer Abgleich mit der abgebildeten Person unmöglich ist.

Gleichermaßen durchgreifenden Bedenken begegnet auch die Methode des Abgleichs mit dem vorhandenen Bild- und Videomaterial. Die Methode beschränkt sich letztlich darauf, die digitalen Abstraktionen des Angeklagten (hier: Rig und Dummy) in das vorhandene Bildmaterial einzupassen, indem beides übereinandergelegt wird. Der Sachverständige hat eingeräumt, dass sämtliche "Einpassungen" des Rigs bzw. Dummys manuell erfolgt seien. Der Prozess des Einpassens ist nach den Ausführungen des Sachverständigen weder standardisiert, noch lässt sich eine Fehlerquote beziffern. Die Kammer schließt bereits aufgrund des beschriebenen Abstraktionsgrads aus, dass mittels Rig oder Dummy sämtliche denkbaren Körperpositionen des Fahrradfahrers reproduzierbar sind. Eine Animation der digitalen Modelle im Sinne einer softwaregestützten Bewegungssimulation sah die Methode nicht vor. Eine Einpassung in der Hauptverhandlung, bei der vorgegebene Varianten hätten überprüft werden konnten, war dem Sachverständigen nicht möglich.

Auch der Grad der Abweichung des Rigs, hier der Knieposition, wurde manuell ermittelt. Das Abzählen von Pixeln erzeugt dabei eine Scheingenauigkeit. Wo genau im Videomaterial das als Referenz verwendete Knie der abgebildeten Person sich pixelgenau befindet, ist dem Vermessenden überlassen. Gleiches gilt für die Einpassung des Dummys. Bei manueller Einpassung des Dummys ist es letztlich dem Anwender überlassen, wo er den höchsten Kopf- bzw. Schulterpunkt der dick bekleideten Person verortet.

Den gewichtigsten Einwand der Kammer, dass die Methode die fehlende Dreidimensionalität des Bildmaterials unberücksichtigt lasse, vermochte der Sachverständige auch im Rahmen zweier Gutachtenergänzungen nicht auszuräumen.

Soweit der Sachverständige ausgeführt hat, seine Methode ermögliche die Positionierung und Vermessung von Objekten innerhalb eines Videos durch Bezug zu den Tiefeninformationen des 3D-Referenzmodells, mag dies generell zutreffen. Im konkreten Fall waren aber weder der videographierte Fahrradfahrer, noch das Fahrrad Teil des vermessenen Raums und der daraus erstellten virtuellen Kopie. Der einzige potentielle Bezugspunkt der unbekannten Objekte - Fahrrad und Fahrradfahrer - zum vermessenen Raum sind die Pflastersteine, die die Reifen des Fahrrads berühren.

Verlässliche Informationen zur dritten (Tiefen-)Ebene lassen sich dem Videomaterial nicht entnehmen. Dies verkennt auch der Sachverständige nicht. Eine dreidimensionale Darstellung des Fahrradfahrers, der mit den bekannten Maßen des Angeklagten XXXXX bzw. dessen virtueller Kopie hätten verglichen werden können, hat der Sachverständige nicht anfertigen können. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass zur Anfertigung einer dreidimensionalen Kopie eine sehr große Anzahl von Bildern des zu kopierenden Objekts aus unterschiedlichsten Perspektiven benötigt werde, um - wie bei einem 3D-Scanner und -Drucker - aus den vorhandenen Daten eine virtuelle Kopie zu erstellen.

Dass der Tiefenebene maßgebliche Bedeutung zukomme, hat der Sachverständige auch an anderer Stelle implizit eingeräumt. So hat er bezogen auf die ermittelte Schuhgröße der abgebildeten Person ausgeführt, dass bei ermittelten Werten zwischen 43,0 und 45,5 der Mittelwert bei einer Schuhgröße von 45,0 gelegen habe. Wegen der geringen Varianz sei festzustellen, dass die Füße während der Fahrt nicht wesentlich gedreht worden seien, da sonst die Schuhgröße des/der Täter*in den überwiegenden Frames deutlich kleiner ausgefallen wäre. Mit anderen Worten: Eine konstant eingedrehte Position der Füße hätte zu einer verfälschten Schuhgröße geführt. Nichts anderes gilt aber für die Maße der Person in ihrer Gesamtheit.

Zwar hat der Sachverständige auf die Einwände der Kammer reagiert und auftragsgemäß eine dreidimensionale Einpassung des Rigs mit nach innen gedrehten bzw. außen geöffneten Knien vorgenommen und ausgeführt, dass in den gewählten Positionen das Rig des Angeklagten XXXXX ebenfalls nicht in das Bildmaterial "passe". Referenz für die 3D-Einpassung war nach den Ausführungen des Sachverständigen, die sich insoweit mit dem Bildmaterial decken, in allen Fällen das zuvor erstellte 3D-Modell eines Fahrrads. Zu dessen Herstellung hatte der Sachverständige nach virtueller Vermessung der Rahmenstange und der Reifen des videographierten Fahrrads auf Abbildungen handelsüblicher Damenfahrräder zurückgegriffen und diese mit dem vorhandenen Videomaterial abgeglichen. Damit hat er genau jene Ableitung aus dem vorhandenen zweidimensionalen Bildmaterial vorgenommen, die nach seinen eigenen Bekundungen unzulässig ist. Wäre diese Ableitung zulässig, hätte er auch einfach eine virtuelle Kopie der abgebildeten Person erstellen und diese vermessen können. Zutreffend hat die anthropologische Sachverständige XXXXXXXX darauf hingewiesen, dass das Fahrradmodell als Bezugsgröße ungeeignet sei, da die erfolgte Ableitung seiner Maße aus dem vorhandenen Bildmaterial und die Einpassung in das 3D-Referenzmodell unbekannte metrische Toleranzen mit sich bringt. Letzteres hat letztlich auch der Sachverständige Prof. Dr. XXXXXXX eingeräumt, indem er auf Nachfrage eingeräumt hat, Fehlertoleranzen nicht benennen zu können.

Auch die dreidimensionalen Einpassungen leiden zudem unter den vorgenannten Schwächen bezogen auf die individuelle Aussagekraft des Rigs, den hohen Abstraktionsgrad bei fehlender anatomisch korrekter "Beweglichkeit" des Rigs, die Fehleranfälligkeit der manuellen Einpassung.

Letztlich beschränkt sich das Gutachten des Prof. Dr. Labudde auf digitale Versuchsaufbauten, die der Rekonstruktion des videographierten Geschehens dienen. Die wissenschaftlich zwar unterfütterte, aber nicht validierte oder standardisierte Methode mag in geeigneten Fällen zum Erkenntnisgewinn beitragen. Im konkreten Fall tat sie es nicht.

Die Einschätzung des Prof. Dr. XXXXXXX, wonach es sich bei der abgebildeten Person wahrscheinlich nicht um den Angeklagten XXXXX handelt, teilt die Kammer aufgrund der ausgeführten Unwägbarkeiten und Einwände gegen die erfolgte Untersuchung nicht. Das Sachverständigengutachten war zur Klärung der Frage, ob es sich bei der abgebildeten Person um den Angeklagten XXXXX handelt oder ob dieser als abgebildete Person ausscheidet, unergiebig.

c. Sachverständigengutachten XXXXXXXX M.A.

Diese Einschätzung der Kammer steht in Einklang mit den Ausführungen der anthropologischen Sachverständigen XXXXXXXX.

Die Sachverständige ist zu der Einschätzung gelangt, dass das vorhandene Bildmaterial aus anthropologischer Sicht ungeeignet ist, Aussagen dazu zu treffen, ob es sich bei der abgebildeten Person um den Angeklagten XXXXX handelt oder nicht. Die anthropometrische Vermessung erfolge durch Palpieren (Abtasten) des Körpers; vergleichbare Anhaltspunkte fehlten im Bildmaterial. Eine Schätzung der Körpermaße werde durch die Bekleidung des Radfahrers verunmöglicht. Die Dicke der Kleidung, etwaige Polster oder Steppungen seien metrische Unbekannte. Ob die Bekleidung durch die Köperhaltung an einigen Stellen gestaucht oder aufgebauscht sei, sei nicht bekannt. Der Oberrand des sichtbaren Sohlenrandes sei nicht zwingend identisch mit der Oberseite der Innensohle. Ob die Person Einlagen trage sei ebenso unbekannt wie die Passgenauigkeit des Schuhs. Relevante Messpunkte wie die Innenseite des Knies seien gar nicht zu sehen.

Gleiches gelte für die Körperposition des Radfahrers. Die Art des Sattels, der Verbindungspunkt von Sattel und Sattelstange, eine etwaige Kippung und die Sitzposition auf dem Sattel seien dem Bildmaterial nicht eindeutig zu entnehmen. Eine etwaige Krümmung des Rückens und die Kopfstellung seien aus dem Bildmaterial aufgrund der Kleidung nicht eindeutig zu erkennen. Auch die Position des Schultergelenks unter der Jacke sei vollkommen unklar. Dass das Fahrrad augenscheinlich nicht die optimale Größe habe, sei - was die Kammer ebenso sieht - dem Bildmaterial ohne weiteres zu entnehmen, so dass man von einer üblichen Haltung nicht einfach ausgehen dürfe. Die Annahme der Kammer, dass der Fahrradfahrer die Beine gespreizt habe, um die geringe Größe des Fahrrads auszugleichen und eine drohende Kollision von Knie und Lenker zu vermeiden, sei - anders als der Sachverständige Prof. Dr. XXXXXXX ursprünglich meinte - anatomisch naheliegend und zu berücksichtigen.

Die Sachverständige XXXXXXXX hat an ihrer Einschätzung nach Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. XXXXXXX festgehalten. Sie hat hierzu ausgeführt, sie könne zu der digital-forensischen Herangehensweise letztlich methodisch nichts sagen, da dies nicht ihr Fachgebiet sei. Aus anthropologischer Sicht könne sie die Aussagen, die der Sachverständige getroffen habe, nicht bestätigen. Selbst das Bildmaterial einer nackten Person erlaube keinen exakten Vergleich von Körpermaßen, da die Bestimmung der Messpunkte uneindeutig sei. Hinzukomme im konkreten Fall die Verfälschung der Körperformen durch die Kleidung. Durch den Rückgriff auf digitale Methoden werde eine Scheingenauigkeit erzeugt. Die erfolgte Vermessung des Angeklagten und des virtuellen Tatorts seien vermutlich nicht zu beanstanden. Relevant sei aber, dass die exakte Körperform und -position des videographierten Fahrradfahrers anhand des vorhandenen Bildmaterials schlicht nicht bestimmbar sei. Daher könne man sie auch nicht mit dem digitalen Rig ("Strichmännchen") nachbilden bzw. abgleichen.

Die Sachverständige hat, um die Ungenauigkeit der manuellen Einpassung zu veranschaulichen, sehr schlichte, aber plakative Abbildungen (Anlage 4 zum Protokoll vom 26.02.2024) vorgelegt. In das jeweils identische Videostandbild des Fahrradfahrers hat sie digitale Strichmännchen eingezeichnet, die mit jeweils deutlich unterschiedlicher Rückenlänge und -krümmung, mehr oder weniger gestreckten Ellbogen und unterschiedlichem Berührungspunkt auf dem Sattel positioniert waren. An den Abbildungen hat sie dabei Abstände von mehreren Millimetern zum jeweiligen Außenumriss der videographierten Fahrradfahrers aufgezeigt und damit anschaulich die Ungenauigkeit der Methode der Einpassung demonstriert. Illustriert hat sie dabei insbesondere auch, dass bei entsprechender Beugung der Wirbelsäule eine relevant größere Person auf dem Fahrrad gesessen haben kann.

Die Kammer folgt der Einschätzung der Sachverständigen XXXXXXXX uneingeschränkt. Die Sachverständige ist von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen und hat ihre Einschätzung gut verständlich und nachvollziehbar begründet. Die Sachverständige hat letztlich genau jene Einwände formuliert, die auch die Kammer zu den zwei Gutachtenergänzungen bewogen hat. Im Ergebnis konnte der Sachverständige Prof. Dr. XXXXXXX die Einwände nicht entkräften. Das Video des augenscheinlich vermummten und winterlich gekleideten Täters lässt auch mit zusätzlichen digitalen Erkenntnismöglichkeiten keinen aussagekräftigen Abgleich mit den Körpermerkmalen und -maßen des Angeklagten XXXXX zu.

9. Trennung der Eheleute XXXXXX als Tatmotiv

Die Kammer ist überzeugt, dass der Tatentschluss des Angeklagten XXXXXX eine Reaktion auf die selbstbestimmte Trennungsentscheidung der Nebenklägerin war. Diese Überzeugung folgert die Kammer aus dem Verhalten des Angeklagten während der Ehe und nach der Trennung. Die diesbezüglichen Feststellungen zur Vorgeschichte (B.I.1 bis B. I.4) beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

a. Die Feststellungen zu den Umständen des gewaltbeladenen Ehe- und Familienlebens (B.I. 1) beruhen auf den glaubhaften - den getroffenen Feststellungen entsprechenden - Schilderungen der Nebenklägerin und ihres Sohnes, des 13-jährigen Zeugen XXXXX XXXXXX, die das Zusammenleben wie festgestellt geschildert haben soweit es in ihrem jeweiligen Wahrnehmungsbereich lag. Ihre Angaben waren in sich, zueinander und zu anderen Beweismitteln widerspruchsfrei und damit glaubhaft. Die Nebenklägerin hat ausgesagt, dass das Wechselspiel aus Liebesbekundungen einerseits, Gewalt und Drohungen andererseits ihre Beziehung von Anfang an geprägt habe. Sie sei zweimal zu ihrer Familie in die Türkei zurückgekehrt, aber jedes Mal "wie ein Geschenk" zurückgeschickt worden. Auch die Schwiegermutter habe sie bestärkt, ihren ehelichen Pflichten nachzukommen und bei ihrem Mann zu bleiben.

Der Zeuge XXXXX XXXXXX hat geschildert, sein Vater habe die Mutter geschlagen. Er habe sich in solchen Fällen - was lebensnah erscheint und die Aussage glaubhaft macht - mit seinen Geschwistern in die Kinderzimmer zurückgezogen. Wechselseitigen Bezichtigungen seiner Eltern habe er unwidersprochen zugestimmt, um keine Partei beziehen zu müssen. Der Angeklagte sei auch ihm gegenüber gewalttätig gewesen, was er an konkreten Einzelbeispielen belegte.

Gestützt werden die Angaben durch die Zeuginnen XXXXXXX und XXXXXX. Die Zeugin XXXXXXX ist eine Freundin der Nebenklägerin, die im Mai/Juni 2021 einige Wochen im Haushalt der Eheleute XXXXXX lebte. Die Zeugin XXXXXX lebt im gleichen Haus, war mit der Nebenklägerin und früher auch mit dem Angeklagten XXXXXX eng befreundet und kümmert sich - als eine Art Ersatzoma - um die Kinder.

Die Zeugin XXXXXX hat glaubhaft versichert, dass es zu verbaler und körperlicher Gewalt durch den Angeklagten XXXXXX gegenüber der Nebenklägerin und den Kindern gekommen sei. Auf Nachfrage konnte sie einzelne Situationen schildern, wobei sie niemals unmittelbare Tatzeugin war. Sie hat berichtet, dass sie alarmiert durch Schreie wiederholt hinzugeeilt sei. In einem Fall habe der Angeklagte XXXXXX mit einem erhobenen Stock vor dem am Boden kauernden und laut schreienden XXXXX gestanden. In einem anderen Fall habe die Nebenklägerin, die offenbar zuvor auf dem Sofa geschlafen hatte, ein frisches Hämatom am Auge gehabt. Die Nebenklägerin und alle drei Kinder hätten ihr von Gewalt des Angeklagten berichtet. So habe XXXXX, der mittlere Sohn ihr berichtet, dass er als Strafe wiederholt auf einem Bein habe stehen müssen; als er umgekippt sei, habe der Vater ihn geprügelt. Der jüngsten Tochter XXXXXX habe der Angeklagte am Tag ihrer Einschulung gegen den Kopf geschlagen, so dass sie mit Tränen in den Augen zu ihrer Einschulung habe gehen müssen.

Die Zeugin XXXXXXX hat ausgesagt, dass es trotz ihrer Anwesenheit im Haushalt XXXXXX fast täglich zu Streitereien zwischen den Eheleuten gekommen sei; häufig seien Eifersüchteleien des Angeklagten XXXXXX der Grund gewesen. Es sei zu beiderseitigem Geschrei und Drohungen seinerseits gekommen.

Die Kammer hat keinen Anlass, die Aussagen der Zeuginnen XXXXXX und XXXXXXX anzuzweifeln. Auf Belastungsangebote sind die Zeuginnen nicht eingegangen. Beide waren trotz ihrer Nähe zur Nebenklägerin um Objektivität bemüht und haben eingeräumt, auch mit dem Angeklagten in der Vergangenheit befreundet gewesen zu sein. Die Zeugin XXXXXXX hat ausgesagt, dass sie dem Angeklagten die Tat nicht zugetraut habe; er sei unendlich in die Nebenklägerin verliebt gewesen. Die Zeugin XXXXXX hat die explizite Frage nach Todesdrohungen verneint und glaubhaft ausgesagt, bei Streitigkeiten seien die Eheleute ins Türkische gewechselt. Tendenzen, zu Gunsten der Nebenklägerin auszusagen, waren bei beiden Zeuginnen nicht erkennbar. Beide Zeuginnen haben von sich aus geschildert, dass die Streitigkeiten von beiden Seiten laut und impulsiv geführt worden seien. Die Zeugin XXXXXXX hat ausgesagt, die Nebenklägerin habe auch einmal genervt eine Kaffeetasse nach dem Angeklagten XXXXXX geworfen.

Letztlich hat auch der Angeklagte in seiner Einlassung die Beziehung zur Nebenklägerin als hoch konflikthaft geschildert, wenn er auch Gewalt gegenüber Frau und Kindern - abgesehen von Einzelfällen - in Abrede gestellt hat. Deutlich wurde, dass aus seiner Sicht vermeintliche oder reale Beziehungen der Nebenklägerin zu anderen Männern eine wesentliche Rolle spielten. So hat er eingeräumt, aus Eifersucht überprüft zu haben, wann und mit wem die Nebenklägerin online kommunizierte. Auch hat er eingeräumt, sie einmal mittels des Tablets von XXXXX geortet zu haben. Dass es sich dabei um zufällige Wahrnehmungen handelte, wie von ihm bekundet, hält die Kammer für lebensfremd.

b. Die Nebenklägerin hat zu den Hintergründen der Trennung und dem zurückliegenden Zerwürfnis mit der Familie XXXXXX (B.I.2) Angaben wie festgestellt gemacht.

Ihre Aussage wird insoweit gestützt durch die Aussage der Zeugin XXXXXX. Die Zeugin XXXXXX hat glaubhaft ausgesagt, dass sie an dem besagten Abend des 21.10.2021 in die Wohnung der XXXXXXX gegangen sei, weil der Angeklagte außer sich vor Wut seinen Auszug verkündet habe. Sie habe erfolglos versucht, ihn davon abzuhalten und letztlich die Kinder betreut, deren Mutter am besagten Abend in der Nachtschicht gearbeitet habe. Noch in der Nacht hätten Mutter und Schwester des Angeklagten versucht, auch die Kinder zu holen, was sie aber verhindert habe. Die Angaben werden gestützt durch die insoweit deckungsgleichen Angaben der Zeugin XXXXXXXX, der Schwester der Angeklagten, auch wenn die Aussage der Zeugin erwartungsgemäß eine subjektiv abweichende Bewertung der Vorgänge erkennen ließ. Letztlich hat auch der Angeklagte XXXXXX in seiner Einlassung den Abend des 21.10.2021 wie festgestellt geschildert.

c. Der Zeuge XXXXXXX hat als Sozialpädagoge seit Sommer 2022 den 14-tägigen begleiteten Umgang des Angeklagten XXXXX XXXXXX mit seinen Kindern betreut und die Eltern diesbezüglich in Einzel- und Zweiergesprächen beraten. Die Feststellungen zu den Modalitäten des betreuten Umgangs des Angeklagten XXXXXX mit den Kindern (B.I.3) stützt die Kammer insoweit auf die übereinstimmenden Aussagen der Nebenklägerin, des Zeugen XXXXXXX und des Zeugen XXXXX XXXXXX. Der Zeuge XXXXXXX hat ausgesagt, dass die elterlichen Spannungen auch verglichen mit anderen hochkonflikthaften Eltern besonders ausgeprägt gewesen seien. Eine konstruktive Kommunikation zwischen beiden Elternteilen sei kaum bis gar nicht möglich gewesen. Nach Wortwechseln auf türkisch bzw. kurdisch habe die Nebenklägerin wiederholt geweint und behauptet, der Angeklagte XXXXXX habe sie beleidigt, was dieser abgestritten habe. Man habe deshalb letztlich eine kontaktlose Übergabe vereinbart, bei der die Eltern nicht aufeinandertrafen.

d. Das Verhalten des Angeklagten XXXXXX nach der Trennung hat die Nebenklägerin wie festgestellt (B.I.4) geschildert. Sie hat ausgesagt, der Angeklagte habe sie nach der Trennung fortgesetzt bedrängt, zu ihm zurückzukehren. Dabei habe er wie zu Ehezeiten zwischen unterwürfigem Bitten und Beteuerungen und ehrverletzenden Beleidigungen geschwankt und sie vielfach mit dem Tode bedroht, falls sie nicht zurückkehre. Sie habe den Todesdrohungen aber - was ihre Aussage glaubhaft macht - keinen Glauben geschenkt, weil er gleichzeitig seine Liebe beteuert habe.

Ihre Aussage, namentlich zu Todesdrohungen des Angeklagten, wird gestützt durch die Zeuge XXXXXXX. Sie hat ausgesagt, das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin sei nach der Trennung "noch schlimmer" geworden. Er habe sie "wie ein Verrückter" angerufen, Nachrichten geschrieben, sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Wiederholt sei er bei ihr aufgetaucht, habe sinngemäß gedroht "Entweder sie ist meine oder sie gehört niemandem." Er habe auch gedroht, sie "unter die Erde" zu bringen bzw. sie "unter Kugelhagel" zu setzen. Wiederholt habe er zu ihr, der Zeugin, gesagt, er wolle sich nicht scheiden lassen. Er werde alles dagegen tun. Die Nebenklägerin gehöre ihm und werde auch niemand anderem gehören.

Auch zuletzt, als die Zeugin ihn zufällig beim Arzt getroffen habe, habe er gedroht, er werde die Nebenklägerin umbringen. Das sei noch vor der Scheidung, wenige Monate vor der Tat gewesen.

Auch der Zeuge XXXXX XXXXXX hat glaubhaft ausgesagt, sein Vater habe die Mutter anlässlich der Umgangskontakte auf türkisch als "Schlampenmädchen" beschimpft und zu ihr gesagt: "Du wirst schon sehen, ich werde Dich umbringen". Zu ihm habe er gesagt: "Ich ficke Deine Mutter." Er, der Zeuge, habe den Eindruck gehabt, dass sein Vater nicht an den Kindern interessiert gewesen sei, sondern die Umgangstreffen mit den Kindern allein genutzt habe, um sie nach deren Mutter auszufragen und diese schlechtzumachen. Dies deckt sich mit der Aussage der Zeugin XXXXXX, wonach der Angeklagte XXXXXX spät abends bei XXXXX angerufen habe, um sich zu erkundigen, ob und wann die Nebenklägerin nach Hause gekommen sei.

Die diesbezüglichen Feststellungen zu früheren Polizeieinsätzen und Strafanzeigen (B.I.4) beruhen auf der Aussage des Polizeibeamten POK XXXXXXXX, der hierzu im Rahmen seiner Aussage Angaben wie festgestellt gemacht hat. Der Zeuge hat angegeben, er habe im Zuge des ersten Angriffs nach der Tat festgestellt, dass das Opfer und der anwesende Ex-Partner, der Angeklagte XXXXXX, ihm aus früheren Einsätzen wegen häuslicher bzw. partnerschaftlicher Gewalt bekannt gewesen seien. Die Nebenklägerin hat ebenfalls von Strafanzeigen und Strafverfahren, auch gegen sie selbst, berichtet.

Plakativ wurde die emotionale Beteiligung des Angeklagten XXXXXX auch durch folgende Begebenheit, die die beiden Angeklagten und die Nebenklägerin - wenn auch jeweils subjektiv gefärbt - im Kern übereinstimmend geschildert haben: So habe der Angeklagte XXXXXX der Nebenklägerin nach der Trennung einmal aus dem Türkeiurlaub obszöne Reizwäsche mitgebracht und als Geschenk verpackt überreicht. Die Nebenklägerin sei darüber äußerst erbost gewesen. Als sie auf den Angeklagten losgegangen sei, habe dieser sich im Auto verschanzt, so dass sie in ihrer Wut auf dessen Freund den Angeklagten XXXX XXXXX losgegangen sei. Die Körperverletzung zum Nachteil des XXXX XXXXX sei Gegenstand eines nachfolgenden Strafverfahrens gewesen. Soweit der Angeklagte XXXXXX eingeräumt hat, er habe die Nebenklägerin "ein bisschen ärgern" wollen, ist die Kammer überzeugt, dass es ihm darum ging, sie zu beleidigen und in ihrer Ehre zu verletzen.

e. Die Feststellungen zu der Gewaltschutzanordnung und deren Hintergründen (B.I.7) hat die Kammer auf der Grundlage der im Urkundsbeweis verlesenen einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts Delmenhorst vom 17.10.2022 (Bl. 6-8 SH Gewaltschutzverfahren) sowie des Beschlusses des gleichen Gerichts vom 18.11.2022 (Aufrechterhaltung der einstweiligen Anordnung nach mündlicher Verhandlung über den Widerspruch, Bl. 24-28 SH Gewaltschutzverfahren) getroffen. Den dort geschilderten Sachverhalt anlässlich des Kramermarktsbesuchs haben die Nebenklägerin und die Zeugin XXXXXXX bestätigt. Die Bedrohung anlässlich der Umgangstermins hat der Zeuge XXXXX XXXXXX bestätigt. Die Kammer hat den Scheidungsantrag der Nebenklägerin vom 26.10.2022 (Bl. 108-110 Bd. IV) auszugsweise im Urkundsbeweis verlesen.

f. Die Kammer ist insofern überzeugt, dass der Angeklagte XXXXXX die Nebenklägerin töten lassen wollte, weil sie sich und damit auch die Kinder von ihm getrennt hatte.

Die Feststellungen zu der Beziehung während der Ehe und nach der Trennung zeigen aus Sicht der Kammer, dass der Angeklagte von der Nebenklägerin erwartete, dass sie sich gemäß seinen Vorstellungen zu verhalten habe. Seine vermeintliche Machtstellung versuchte er gegenüber ihr und den Kindern mit Autorität und notfalls auch Gewalt durchzusetzen. Diese Einstellung behielt der Angeklagte auch nach der Trennung bei. Ihre selbstbestimmte Entscheidung, sich zu trennen, akzeptierte er nicht. Dies zeigen plakativ seine Aufforderungen zu ihm zurückzukehren verbunden mit Beleidigungen und Todesdrohungen. Letztlich hat der Angeklagte eben diese Einstellung auch unmittelbar nach der Tat bekräftigt, indem er sinngemäß gegenüber der Nebenklägerin äußerte, sie werde sterben oder zu ihm zurückkehren (siehe die diesbezüglichen Feststellungen B.IV.1).

Die Einlassung des Angeklagten, wonach er die Trennung akzeptierte, sieht die Kammer aus den vorgenannten Gründen als widerlegt an. Soweit er seine Sorge um das Wohl der Kinder zum Ausdruck brachte, entstand bei der Kammer der Eindruck, dass weniger deren Wohl, als vielmehr sein Unmut über den Verbleib der Kinder im mütterlichen Haushalt und den von der Nebenklägerin verweigerten Umgang im Vordergrund stand.

Der Überzeugung der Kammer, dass die Trennung das Tatmotiv darstellt, steht nicht entgegen, dass der Angeklagte bereits im Februar 2022 nach islamischem Ritus die Scheidung von der Nebenklägerin erklärt und ebenfalls Anfang 2022 eine in der Türkei lebende Frau kennengelernt hat, mit der er zwischenzeitlich verlobt ist. Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass die neue Beziehung auf die emotionale Verfassung und das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin keinerlei mäßigenden Einfluss hatte. In seiner Einlassung hat der Angeklagte seine Verlobte erst auf explizite Frage der Verteidigung erwähnt und durchgehend distanziert als "die Neue" bezeichnet. Dies steht in krassem Kontrast zu der emotionalen Schilderung seiner Hassliebe zur Nebenklägerin. Dass sich der Konflikt zwischen den Ex-Eheleuten zu irgendeinem Zeitpunkt beruhigt hätte, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben.

10. Gespräch des Angeklagten XXXXXX mit XXXXXXX XXXXXX über Auftragsmord

Die Kammer sieht es als erwiesen an, dass die Todesdrohungen gegenüber der Nebenklägerin ernst gemeint waren. Nach den Feststellungen der Kammer war eine mögliche Tötung der Nebenklägerin Gegenstand eines Gesprächs zwischen dem Angeklagten und seiner Mutter XXXXXXX XXXXXX (B.I.5).

Der Zeuge XXXXX XXXXXX hat das Gespräch entsprechend den Feststellungen geschildert. Demnach habe seine Großmutter den Vater gefragt, ob er bereits jemanden gefunden habe, der XXXXXX töte. Der Zeuge hat ausgesagt, dass er kurdisch verstehe, wenn auch seine aktiven Sprachkenntnisse begrenzt seien. Da seine Mutter dies bestätigt hat und er mit seinen Eltern mehrere Jahre lang im Haushalt der kurdischsprachigen Großmutter lebte, hat die Kammer daran keinen Zweifel. Glaubhaft erscheint die Aussage auch wegen der von ihm geschilderten Reaktion des Angeklagten XXXXXX, der sinngemäß mit den Worten "nicht vor dem Kind" seinen Sohn zum Spielen geschickt habe, um das Gespräch mit seiner Mutter hinter verschlossenen Türen fortzusetzen.

Der Zeitpunkt der Äußerung lässt sich nicht genau eingrenzen. XXXXX hat ausgesagt, es sei anlässlich eines Besuchs bei der Großmutter gewesen. Da der Angeklagte XXXXXX vor der Trennung jahrelang keinen Kontakt zu seiner Mutter hatte und im späteren Verlauf der Trennung Vater nur noch begleiteter Kindesumgang im Büro des Herrn XXXXXXX stattfand, muss der Besuch im Zeitraum nach der Trennung während des zunächst noch unbegleiteten Umgangs der Kinder mit dem Angeklagten XXXXXX stattgefunden haben.

Für die Kammer steht fest, fass die Äußerung der XXXXXXX XXXXXX im Kontext eines kulturell geprägten Ehrverständnisses zu sehen ist. Dass die selbstbestimmte Trennung der Nebenklägerin nach den tradierten, patriarchalisch und familienorientiert geprägten Wertvorstellungen der kurdischen Herkunftsfamilie und -kultur des Angeklagten XXXXXX eine schwerwiegende Verletzung der Familienehre darstellte und nach den kulturellen Gepflogenheiten einem Todesurteil gleichkam, haben die Nebenklägerin und die Zeugin XXXXXXX unmissverständlich bestätigt. Auch der dem gleichen Kulturkreis entstammende Zeuge XXXXXXX hat dies zumindest angedeutet, indem er befragt nach möglichen Hintergründen der Tat kundtat, die Schwiegermutter sei über das selbstbewusste Auftreten der Nebenklägerin und die Trennung äußerst aufgebracht gewesen und zugleich darauf verwies, es handele sich um eine "Familiensache", in die er sich offenkundig nicht einmischen wollte.

Es ist aufgrund der vorgenannten Äußerung nicht auszuschließen, vielmehr naheliegend, dass Familienangehörige den Angeklagten XXXXXX beeinflusst, wenn nicht gar zu dem Entschluss gedrängt haben, seine Ex-Frau zu töten bzw. töten zu lassen. Dies gilt namentlich für dessen Mutter XXXXXXX XXXXXX, die entsprechende Todeswünsche prozessbegleitend auch gegenüber Begleiterinnen der Nebenklägerin geäußert hat. In welchem Umfang der Angeklagte XXXXXX die kulturell geprägten Ehrvorstellungen teilte und/oder sich von den Erwartungen seiner Herkunftsfamilie leiten ließ, konnte im Rahmen der Beweisaufnahme nicht geklärt werden.

11. Ankündigung des Angeklagten XXXXXX gegenüber XXXXX

Der Zeuge XXXXX XXXXXX hat ausgesagt, sein Vater habe auch ihm gegenüber angedeutet, dass er der Mutter etwas antun werde (B.I.6). Er habe sinngemäß gesagt, er werde etwas Schlimmes tun und der Junge solle ihm deswegen nicht böse sein. Auf Nachfrage habe er nicht gesagt, was er vorhabe. Nach Angaben des Zeugen sei die Äußerung während eines Besuchstermins im Büro des Herrn XXXXXXX gefallen. Diese fanden ab Sommer 2022 statt; nähere Feststellungen zum Zeitpunkt des Gesprächs ließen sich nicht treffen.

12. Bemühungen des Angeklagten XXXXXX um Auftragsmörder und Waffe

Der Angeklagte XXXXXX traf spätestens ab November 2022 konkrete Vorbereitungen, um seinen Entschluss in die Tat umzusetzen. Die diesbezüglichen Feststellungen zu den Bemühungen um einen Auftragsmörder bzw. eine Tatwaffe in einem Telefonat mit dem Zeugen XXXXXXX (B.II.2) stützt die Kammer auf dessen Bekundungen in der Hauptverhandlung, soweit sie den Feststellungen entsprechen, im Übrigen auf die polizeiliche Aussage des Zeugen, die die Kammer durch Vernehmung der polizeilichen Vernehmungsbeamten KHKin XXXXXX und KHK XXXXX aus XXXXXXXXXXX eingeführt hat.

Die Aussage der Zeugin KHKin XXXXXX war insoweit unergiebig, da sie allein bei der ersten Vernehmung des Zeugen am 11.02.2023 anwesend war, die relevante Aussage aber im Rahmen der zweiten Vernehmung am 21.02.2023 erfolgt ist. Der Zeuge KHK XXXXX hat hierzu ausgesagt, der Zeuge XXXXXXX habe - nachdem er in einer ersten Vernehmung ein entsprechendes Telefonat geleugnet hatte - in der zweiten polizeilichen Vernehmung ausgesagt, dass im Oktober/November 2022 der Angeklagte XXXXXX bei ihm angerufen habe. Dieser habe sich über die Konflikte mit seiner Ex-Frau beklagt. Er sei voller Wut gewesen und habe er den Zeugen gefragt, ob dieser jemanden kenne, der seine Frau umbringen könne. Wörtlich soll der Angeklagte gefragt haben, ob er jemanden kenne, der seine Frau und die Kinder "schädigen" könne. Auf explizite und wiederholte Nachfrage der Polizei, ob es darum gegangen sei, sie umzubringen, sei der Zeuge XXXXXXX zunächst ausgewichen, habe dies dann aber bejaht. Der Angeklagte XXXXXX habe auch gefragt, ob er ihm eine Waffe besorgen könne. Beides habe der Zeuge XXXXXXX gegenüber dem Angeklagten XXXXXX verneint.

Der Zeuge XXXXXXX hat, nachdem er der Ladung des Gerichts zunächst unentschuldigt nicht gefolgt war, in seiner gerichtlichen Vernehmung eine deutliche Aussageunwilligkeit zum Ausdruck gebracht und sich vordergründig auf Erinnerungslücken berufen. Auf Vorhalt seiner polizeilichen Aussage hat er diese relativiert und bekundet, er sei falsch verstanden worden. Der Angeklagte habe lediglich gesagt, er wolle XXXXXX "schaden". Dass dieser nach einer Waffe gefragt habe oder danach, ob er jemanden kenne, der XXXXXX töten könne, hat er bestritten.

Die Kammer hat in der Gesamtschau keinen Zweifel, dass das geschilderte Telefonat zwischen dem Angeklagten XXXXXX und dem Zeugen XXXXXXX stattgefunden hat und auch den festgestellten Inhalt hatte. Die Kammer ist insofern überzeugt, dass der Zeuge seinerzeit in seiner polizeilichen Aussage am 21.02.2023 wahrheitsgemäß ausgesagt hat. Es kann dahinstehen, ob der Angeklagte XXXXXX in dem Telefonat explizit davon sprach, dass er seine Ex-Frau umbringen wolle. Bereits der Umstand, dass er eine dritte Person suchte, die dieser "schaden" solle, verbunden mit dem Wunsch nach einer Waffe, belegen, dass genau dies sein Ansinnen war. Letztlich hat auch der Zeuge XXXXXXX genau diesen Wortsinn auf explizite Nachfrage gegenüber dem Polizeibeamten KHK XXXXX bejaht.

Anhaltspunkte, dass seine frühere Aussage unzutreffend verstanden oder protokolliert worden ist, haben sich nicht ergeben. Der vernehmende Polizeibeamte XXXXX hat ausgesagt, dass er den Zeugen XXXXXXX aus früheren Vernehmungen kenne. Dieser sei grundsätzlich ausweichend und wenig aussagebereit. So sei es auch in der konkreten Vernehmung gewesen. Die Vernehmung sei - wie das im Wege des Vorhalts eingeführte Wortprotokoll belegt - im Wesentlichen in Form geschlossener Fragen erfolgt, die der Zeuge jeweils bejaht oder verneint habe. Der Zeuge habe - wie auch in der Hauptverhandlung erkennbar - gut deutsch verstanden und gesprochen. Das verschriftete Protokoll habe er - wovon sich die Kammer überzeugt hat - durch Unterschrift genehmigt.

Der Zeuge XXXXXXX hat letztlich auch in der Hauptverhandlung das fragliche Telefonat nicht in Abrede gestellt, sondern lediglich versucht, dessen Inhalt abzuschwächen. Dass der Zeuge sich insofern im Spannungsfeld der Familie des Angeklagten XXXXXX und der Nebenklägerin befindet, mit denen er beidseits verwandt ist, belegt der weitere Gang der Hauptverhandlung. Die von der Verteidigung im unmittelbaren Anschluss an seine Vernehmung sistierte Zeugin XXXXXXXX - Schwester des Angeklagten XXXXXX - hat ausgesagt, dass der Zeuge XXXXXXX sich im Vorfeld seiner Vernehmung gemeldet habe, um mit ihr über den geplanten Inhalt seiner Aussage zu sprechen. Dabei soll er behauptet haben, er sei von der Nebenklägerin bedroht worden, bei der Polizei wahrheitswidrig auszusagen und beabsichtige nun, dies zu revidieren und die Wahrheit zu sagen. Der Zeuge XXXXX XXXXX, Neffe des Angeklagten XXXXXX, hat bestätigt, dass es entsprechende Versuche der Kontaktaufnahme seitens des Zeugen XXXXXXX gegeben habe. Dass es am Tag und Vortag der Vernehmung des Zeugen XXXXXX mehrere Telefonate und Anwahlversuche gab, belegt die erfolgte Inaugenscheinnahme der Kontaktliste eines vom Zeugen XXXXX XXXXX vorgelegten Handys.

Die auf Anregung der Nebenklage vernommene Zeugin XXXXX, Schwägerin der Nebenklägerin, hat demgegenüber ausgesagt, sie habe im Gerichtsgebäude mitbekommen, wie Geschwister des Angeklagten dem Zeugen XXXXXXX nahegelegt hätten, "nichts zu sagen". Dieser habe sich nach seiner gerichtlichen Vernehmung bei der Nebenklägerin für sein Aussageverhalten entschuldigt und mitgeteilt, er sei von Angehörigen des Angeklagten XXXXXX unter Druck gesetzt worden. Diese hätten damit gedroht zu offenbaren, dass XXXXXX sich prostituiere und er für sie Freier organisiert habe.

Für die Kammer kann letztlich offenbleiben, ob und mit welchen Personen der Zeuge XXXXXXX unmittelbar vor oder nach seiner gerichtlichen Vernehmung in Kontakt stand und inwieweit es Versuche der Beeinflussung gab. Maßgeblich ist nämlich nicht seine vor Gericht getätigte Aussage, die wie bereits ausgeführt bereits für sich genommen offenkundige Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt weckt, sondern die Glaubhaftigkeit seiner früheren polizeilichen Aussage.

Dass die polizeiliche Aussage auf Einflussnahmen oder Bedrohungen durch die Nebenklägerin zurückzuführen wäre, kann die Kammer sicher verneinen. Der Zeuge XXXXXXX hat in der Hauptverhandlung von einer solchen Bedrohung nichts berichtet. Die Kammer ist überzeugt, dass es eine solche auch nicht gab. Es kann dabei aus Sicht der Kammer dahinstehen, ob der Zeuge XXXXXXX gegenüber der Zeugin XXXXXXXX wahrheitswidrig ein solches Bedrohungsszenario behauptet hat oder ob die Zeugin XXXXXXXX selbst lügt, um die polizeiliche Aussage ihres Verwandten zu revidieren. Dass die Erinnerungslücken des Zeugen in der Hauptverhandlung vorgeschoben waren, war offensichtlich. Auf Vorhalte aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll reagierte er mit Relativierungen und war bemüht, seine früheren Angaben abzuschwächen oder als zweideutig darzustellen. Während der Zeuge XXXXXXX noch versuchte, seine Aussageunwilligkeit durch vermeintliche Erinnerungslücken zu entschuldigen, machte die Zeugin XXXXXXXX aus ihrer Parteilichkeit keinen Hehl. In blumigen Worten schilderte sie, wie gut es der Nebenklägerin in der Familie des Angeklagten XXXXXX ergangen sei; zugleich ließ sie kein gutes Haar an der Nebenklägerin und war bemüht, diese als Lügnerin darzustellen. Gründe, weshalb die Nebenklägerin ihren Ex-Mann zu Unrecht bezichtigen sollte, ließen sich der Zeugenaussage dabei ebenso wenig entnehmen wie die Antwort, weshalb und womit die Nebenklägerin den Zeugen XXXXXXX zu einer Falschaussage bei der Polizei genötigt haben sollte. Überspitzt wurde die Lagerzugehörigkeit der Zeugin deutlich, als die zuvor fließend deutschsprechende und verstehende Zeugin sich den Fragen des Nebenklagevertreters verschloss und vorgab, diese nicht zu verstehen, so dass diese durch den Dolmetscher übersetzt werden mussten.

Dass das Telefonat zwischen dem Zeugen XXXXXXX und dem Angeklagten XXXXXX mit dem festgestellten Inhalt stattgefunden hat, sieht die Kammer auch aus einem anderen Grund als bewiesen an:

Die Nebenklägerin hat bekundet, dass sie bereits vor der Tat von dem Telefonat zwischen dem Angeklagten XXXXXX und ihrem Cousin XXXXXXX Kenntnis hatte. Ob insofern der Zeuge XXXXXXX sie informierte, was dieser bestritten hat, oder die Information über dessen Ehefrau an die Nebenklägerin gelangte, kann dahinstehen. Die Nebenklägerin hat ihrerseits ihrer Nachbarin, der Zeugin XXXXXX, von dem Telefonat mit XXXXXXX und dessen Inhalt entsprechend den Feststellungen berichtet. Dies hat die Zeugin XXXXXX glaubhaft ausgesagt. Die Zeugin XXXXXX hat dabei die Worte der Nebenklägerin in wörtlicher Rede wiedergegeben ("Stell Dir vor, XXXXX hat meinen Cousin angerufen. Er hat gefragt, ob er jemanden wüsste, der mich für 30.000 erschießt."). Den Sachverhalt datierte die Zeugin XXXXXX eher vage auf Ende 2022, was sich aber mit der zeitlichen Einordnung durch den Zeugen XXXXXXX deckt. Auch dem Sohn der Nebenklägerin, dem Zeugen XXXXX XXXXXX, war die Gegebenheit bekannt, weil er dabei war, als seine Mutter der Nachbarin davon berichtete. Die Kammer hat keine Zweifel an diesen Angaben, zumal die Nebenklägerin glaubhaft und frei von Belastungstendenz angegeben hat, sie habe die Information wegen der fortgesetzten Liebesbekundungen ihres Ex-Mannes nicht ernst genommen. Dies hat auch die Zeugin XXXXXX bestätigt.

Die Kammer ist wegen des zeitlichen Zusammenhangs überzeugt, dass die Gewaltschutzanordnung vom 17.10.2022, die mündliche Verhandlung hierüber am 18.11.2022 und der Scheidungsantrag vom 26.10.2022 dazu beitrugen, dass der Angeklagte seinen Tötungsplan konkretisierte. Die Einlassung des Angeklagten, wonach es in dem Telefonat mit dem Zeugen XXXXXXX um eine Marihuanaplantage in der Türkei gegangen sei, sieht die Kammer aus den vorgenannten Erwägungen als widerlegt an.

13. Tatankündigung des Angeklagten XXXXXX gegenüber dem Zeugen XXXXXXX

Als weiteres Indiz für die festgestellte Tatbeteiligung der Angeklagten wertet die Kammer das Gespräch des Angeklagten XXXXXX mit dem Zeugen XXXXXXX ca. 5 Wochen vor der Tat, in dem der Angeklagte zunächst nach einem guten Strafverteidiger fragte und auf Nachfrage antwortete, vielleicht werde er XXXXXX "abknallen" (B.II.4).

Die Kammer stützt ihre diesbezüglichen Feststellungen auf die Aussage des Zeugen XXXXXXX, der zu den Äußerungen des Angeklagten XXXXXX wie festgestellt ausgesagt hat. Die Kammer hat keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Zeugen. Der Zeuge XXXXXXX schien über die familiären Angelegenheiten der Eheleute XXXXXX gut informiert. Von zurückliegenden Streitigkeiten hat er sachlich und objektiv berichtet. Die von ihm geschilderten Bemühungen, in der Trennungsangelegenheit eine neutrale, vermittelnde Position einzunehmen, waren in der Hauptverhandlung spürbar. Belastungstendenzen zur einen oder anderen Seite waren nicht erkennbar. Seine Angaben waren auch - das ergab der Vorhalt der polizeilichen Vernehmung - konstant gegenüber seiner früheren polizeilichen Aussage.

Dass der Zeuge XXXXXXX die Ankündigung des Angeklagten XXXXXX durchaus ernstnahm, zeigt der Umstand, dass er darüber nicht nur die Nebenklägerin, sondern nach eigenem Bekunden auch die Mutter des Angeklagten XXXXXX informierte. Seine Aussage wird insofern gestützt durch die Aussage der Nebenklägerin, die als Zeugin vom Hörensagen berichtet hat, dass der Zeuge XXXXXXX ihr - wenige Tage vor der Tat - von der Äußerung ihres Exmanns berichtet habe. In ihrer Freude über die erfolgte Scheidung habe sie dies aber nicht ernst genommen.

Die bestreitende Einlassung des Angeklagten, der den Zeugen XXXXXXX lediglich nach einem Scheidungsanwalt gefragt haben will, sieht die Kammer durch die glaubhafte Aussage des Zeugen XXXXXXX als widerlegt an.

14. Emotionale Anspannung des Angeklagten XXXXXX vor der Tat

Ein - wenn auch schwaches - Indiz für die festgestellte Tatbeteiligung der Angeklagten ist die Gefühlslage des Angeklagten XXXXXX unmittelbar vor der Tat (B.III.2). Nach Aussage des Zeugen XXXXXXX wirkte der Angeklagte bei Eintreffen im Büro auffallend nervöser als sonst, was die Kammer als Indiz für seine Kenntnis von der bevorstehenden Tat wertet. Die Kammer misst der Einschätzung des Zeugen XXXXXXX relevantes Gewicht bei, denn seine Bewertung des Gemütszustands des Angeklagten erfolgte berufsbedingt, um den nachfolgend geplanten Umgangskontakt vorzubereiten und gegebenenfalls sogar zu unterbinden. Der Zeuge hat ausgesagt, die auffällige Anspannung des Angeklagten habe Anlass zur Nachfrage gegeben. Dass insofern das schwere Erdbeben in der Türkei als Grund für die Anspannung des Angeklagten anzusehen sein könnte, erscheint eine allenfalls mögliche Erwägung, der sich die Kammer nicht anschließt. Dagegen spricht, dass nach Aussage des Zeugen XXXXXXX nicht etwa der Angeklagte, sondern er, der Zeuge, das Erdbeben proaktiv ansprach.

Soweit Zeugenaussagen darauf hindeuten, dass der Angeklagte auch nach der Tat vor Ort aufgeregt und angespannt wirkte, misst die Kammer dem kein relevantes Gewicht zu, denn dies mag dem Eindruck des Geschehens geschuldet gewesen sein.

15. Äußerung des Angeklagten XXXXXX gegenüber der Nebenklägerin nach der Tat

Weiteres Indiz für die Tatbeteiligung ist eine Äußerung des Angeklagten XXXXXX unmittelbar nach der Tat (B.IV.1). Übereinstimmend haben die Nebenklägerin, der Angeklagte XXXXXX und der Zeuge XXXXX XXXXXX bekundet, dass es unmittelbar nach der Tat zu einer kurzen Kommunikation zwischen dem Angeklagten und der schwer verletzten Nebenklägerin gekommen sei. Die Nebenklägerin und ihr Sohn XXXXX haben insoweit übereinstimmend bekundet, sie habe sinngemäß geschrien: "Du Schwein, Du hast mein Gesicht kaputtgemacht". Dies deckt sich mit der Einlassung des Angeklagten, der angegeben hat, seine Frau habe ihn bei Herantraten an das Auto bezichtigt, die Tat begangen zu haben.

Dass der Angeklagte die Bezichtigung der Nebenklägerin irritiert zurückgewiesen hätte, wie vom Angeklagten behauptet, hat keiner der Zeugen bekundet. Demgegenüber hat die Nebenklägerin ausgesagt, ihr Ex-Mann habe ihr sinngemäß zugeflüstert: "Entweder du stirbst. Oder ich nehme dich zurück. Aber nicht meinetwegen, sondern wegen der Kinder". Dies deckt sich mit ihrer im Wege des Vorhalts eingeführten polizeilichen Aussage, wonach er sinngemäß gesagt habe: "Egal, wie du bist/aussiehst, du gehörst zu mir. Du und die Kinder." Auch der Zeuge XXXXX XXXXXX hat bekundet, sein Vater habe der Nebenklägerin etwas zugeflüstert. Während er in der Hauptverhandlung meinte, er habe den Wortlaut nicht verstanden, hatte er in seiner polizeilichen Vernehmung ausgesagt, der Vater habe sinngemäß gesagt: "Ich werde Dich auch so akzeptieren. Du wirst wegen der Kinder zu mir zurückkommen." Dies hat die polizeiliche Vernehmungsbeamtin PHKin XXXXXX auf Vorhalt bestätigt.

Die Kammer hat keinen Zweifel an der Glaubhaftigkeit der sich sinngemäß deckenden Aussagen. Dass der Angeklagte XXXXXX nach der Tat etwas zu der schwer verletzten Nebenklägerin auf türkisch oder kurdisch sagte, hat auch der Zeuge XXXXXXX bekundet. Der Zeuge hat ausgesagt, die Nebenklägerin habe auf die Äußerung mit einer abweisenden Körpergeste reagiert, die er sinngemäß als "Lass mich in Ruhe" interpretiert habe. Dazu passt die Einlassung des Angeklagten, der bekundet hat, Herr XXXXXXX habe ihn zur Seite gezogen und sinngemäß gesagt, das sei besser für sie. Auch der Zeuge XXXXXXX, der Erste Hilfe leistete, hat auf Vorhalt seiner polizeilichen Aussage ausgesagt, er habe den Angeklagten wegdrücken müssen, weil er sich durch ihn bei den Erste-Hilfe-Maßnahmen behindert fühlte.

Der Angeklagte bekräftigt mit der festgestellten Äußerung eben jenen Besitzanspruch, den er verbunden mit Todesdrohungen und -ankündigungen auch vor der Tat bereits geltend gemacht hatte, nämlich seine vermeintliche Berechtigung über das Schicksal der Nebenklägerin und den Verbleib der Kinder in der Familie zu entscheiden. Hierzu passt, dass der Zeugen XXXXXXX und dessen Partnerin XXXXXXXX übereinstimmend ausgesagt haben, der Angeklagte XXXXXX habe sich nach der Tat auffallend wenig um das Befinden seiner Ex-Frau gesorgt. In seinem Fokus habe allein der Verbleib der Kinder gestanden, nach denen er sich wiederholt erkundigt habe. Gestützt wird dies durch den Zeugen XXXXXXX, der ausgesagt hat, der Angeklagte habe bereits unmittelbar nach der Tat bekundet, die Kinder mitnehmen zu wollen.

Die Kammer schließt insofern aus, dass der Angeklagte XXXXXX als Tatunbeteiligter die Tat eines Dritten spontan genutzt haben könnte, um seinen Besitzanspruch gegenüber seiner Ex-Frau zu bekräftigen und sich über das Schicksal der Kinder Gedanken zu machen. Die Äußerung ist aus Sicht der Kammer ein weiteres Indiz dafür, dass er die Tat selbst in Auftrag gegeben hat.

16. Tatumstände als weiteres Indiz

Als gewichtiges Indiz für die festgestellte Tatbeteiligung der Angeklagten wertet die Kammer nicht zuletzt die konkreten Tatumstände. Sowohl die Tatzeit wie auch der Tatort waren angesichts der Umgangsregelung für die Angeklagten planbar. Durch die berechtigte Anwesenheit im Büro des Zeugen XXXXXXX war es dem Angeklagten XXXXXX möglich, sich ein vermeintliches Alibi zu verschaffen und sich vom Ergebnis der Tat dennoch persönlich zu überzeugen. Es erscheint fernliegend, dass die Tat nur zufällig unmittelbar vor dem anstehenden Umgangstermin verübt wurde, zumal dieser Termin nur einem sehr begrenzten Personenkreis überhaupt bekannt war. Der Zeuge XXXXXXX hat ausgesagt, er habe die Termine jeweils individuell den beiden Elternteilen mitgeteilt. Zuletzt hätten die Termine zudem nicht regelmäßig stattgefunden, sondern seien Anfang 2023 wiederholt ausgefallen.

17. Verwerfung alternativer Tathypothesen

Die Beweisaufnahme hat keine Anhaltspunkte für ein anderweitiges Tatmotiv oder eine Tatbeteiligung Dritter ergeben.

a. Entsprechend den Feststellungen (B.IV.2) hat der Angeklagte XXXXXX bereits unmittelbar nach der Tat diverse Hypothesen zu möglichen Hintergründen der Tat geäußert.

Der Zeuge POK XXXXXXXX hat ausgesagt, der Angeklagte habe berichtet, seine Ex-Frau habe das Haus in der XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX unter "falschem Namen" mit Hilfe krimineller Machenschaften der Hells Angels gekauft, weshalb sie nun bedroht werde. Dies sei auch der Grund der - von ihm initiierten - Trennung. Zudem habe der Angeklagte vor Ort gegenüber dem Polizeibeamten geäußert, dass seine Ex-Frau einen neuen Freund aus XXXXXX habe, der kriminell sei und etwas mit Drogen zu tun habe. Die vorgenannten Verdachtsmomente sind im Zuge der polizeilichen Ermittlungen überprüft worden. Tatrelevante Erkenntnisse ließen sich dabei nicht erlangen; die diesbezügliche Beweisaufnahme hat keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Nebenklägerin von Dritten bedroht wurde. Die Kammer ist insofern überzeugt, dass der Angeklagte mit seinen Äußerungen bewusst falsche Verdachtsmomente streuen wollte, um von einem etwaigen Tatverdacht gegen sich selbst abzulenken. Dies deckt sich mit dem Eindruck des Zeugen POK XXXXXXXX, der ausgesagt hat, der Angeklagte habe auf Nachfragen nur zögerlich reagiert und genau überlegt, was er sage.

b. Die Angeklagten und ihre Verteidiger haben an diesen alternativen Tathypothesen im Rahmen der Hauptverhandlung festgehalten, ohne dass sie sich allerdings verobjektivieren ließen.

Gegen die These, dass die Tat durch Dritte geplant und verübt worden sein könnte, spricht mit Gewicht, dass XXXX XXXXX von dem Zeugen XXXXX XXXXXX erkannt worden ist.

Der Ermittlungsführer KHK XXXXXXX hat zudem ausgesagt, dass im Rahmen der Ermittlungen namentlich die von dem Angeklagten XXXXXX am Tatort aufgestellten Vermutungen über etwaige Tathintergründe, seien es private Beziehungen der Nebenklägerin zu Dritten oder ihre finanziellen Verhältnisse im Zusammenhang mit Immobilienkäufen, überprüft worden seien. Die Ermittlungen seien ergebnisoffen geführt worden seien und mögliche andere Tathintergründe erwogen worden. So hätten die Ermittlungen ergeben - was die Nebenklägerin im Rahmen ihrer Zeugenaussage bestätigt hat - dass sie zeitweise der Prostitution nachgegangen ist. Die Beziehung zu einem verheirateten Mann jesidischen Glaubens habe die Nebenklägerin ebenso bestätigt wie eine Urkundenfälschung im Zusammenhang mit der Beantragung eines Immobilienkredits. Die diesbezüglichen Ermittlungen und die Überprüfung ihrer Kommunikation hätten aber keine Hinweise darauf ergeben, dass irgendjemand über sie verärgert gewesen sei oder sie gar bedroht habe. Kontakte zum Drogenmilieu hätten sich bei Durchsicht ihres Mobiltelefons ebensowenig bestätigt wie Kontakte ins Rockermilieu. Keiner der Ermittlungsstränge habe Hinweise auf ein mögliches Tatmotiv oder Anlass zu weiteren Ermittlungen gegeben.

Die Kammer hat keinen Anlass die negativen Ermittlungsergebnisse der Polizei anzuzweifeln. Soweit die Angeklagten übereinstimmend behauptet haben, die Nebenklägerin bzw. der Angeklagte XXXXXX seien wegen der Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Immobilienkredit durch Personen aus dem Rockermilieu bedroht worden, ließ sich diese Behauptung nicht verobjektivieren. Nicht zuletzt wäre zu erwarten, dass die Nebenklägerin selbst mögliche dritte Personen benannt hätte, die als Täter oder Auftraggeber der Tat in Betracht kommen. Hieran fehlt es. Die Kammer schließt insofern aus, dass die Nebenklägerin aus Angst vor etwaigen Hintermännern oder zum Schutz derselben ihren Exmann und dessen Freund zu Unrecht der Tat bezichtigt hat. Bei etwaigen Schulden aus kriminellen Machenschaften wäre es aus Sicht der Kammer unplausibel, ausgerechnet die Schuldnerin zu töten. Zur Überzeugung der Kammer hat es weder vor, noch nach der festgestellten Tat Bedrohungen oder Versuche Dritter gegeben, die Nebenklägerin umzubringen. Der einzige, der sie in der Vergangenheit mit dem Tode bedroht hatte, war der Angeklagte XXXXXX.

Letztlich hat auch die Hauptverhandlung keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen ergeben. Die Verteidigung hat im Rahmen der Beweisaufnahme zahlreiche Fragen zu den finanziellen Verhältnissen der Eheleute XXXXXX, zu beruflichen und privaten Beziehungen der Nebenklägerin, zu etwaigen kriminellen Machenschaften im Zusammenhang mit dem Hauskauf und dessen Finanzierung gestellt. Hinweise darauf, dass die Nebenklägerin in Konflikte mit Dritten verwickelt gewesen sein könnte, die als Ursache für den Tötungsversuch in Betracht kommen, haben sich dabei nicht ergeben. Alternative Tathypothesen blieben sowohl in den Befragungen der Verteidigung als auch im Rahmen der Plädoyers und Einlassungen diffus. Die zugrundeliegenden Sachverhalte wurden nie konkret vorgetragen. Beweisanregungen oder - anträge zu alternativen Tathypothesen wurden weder gegenüber der Polizei, noch gegenüber dem Gericht formuliert. Dass die Tathypothesen der Verteidigung ins Blaue hinein formuliert waren, zeigt nicht zuletzt die - im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Tat abwegige - Unterstellung, dass die Nebenklägerin aus Unzufriedenheit über den zu ihren Lasten angeordneten Versorgungsausgleich die Tat selbst inszeniert haben könne.

c. Die Kammer hatte in Betracht zu ziehen, dass der von XXXXX identifizierte Angeklagte XXXX XXXXX als Alleintäter aus eigenem Antrieb gehandelt haben könnte. Auch diese Hypothese war aber zu verwerfen. Gründe, warum der Angeklagte XXXXX die Nebenklägerin aus eigenem Entschluss hätte töten sollte, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben. Zwar hatten die Nebenklägerin und der Angeklagte XXXX XXXXX nach Bekunden der Nebenklägerin kein gutes Verhältnis. Hintergrund dafür war aber ausschließlich die Loyalität und enge Freundschaft XXXX XXXXXX zu ihrem Ex-Mann, dem Angeklagten XXXXXX.

Dass der Angeklagte XXXXX nicht durch den Angeklagten XXXXXX, sondern durch Dritte, namentlich andere Angehörige der Familie XXXXXX angestiftet worden sein könnte, schließt die Kammer in der Gesamtschau ebenfalls aus. Das offenkundige Bindeglied zwischen der geschädigten Nebenklägerin und dem - von XXXXX als Täter identifizierten - Angeklagten XXXXX ist der Angeklagte XXXXXX. Die Zeugin XXXXXXXX, Schwester des Angeklagten XXXXXX, hat insofern glaubhaft ausgesagt, dass sie den Freund ihres Bruders, den Angeklagten XXXXX, erstmals im Zuge der Trennung von der Nebenklägerin kennengelernt habe. Eine nähere Bekanntschaft oder Freundschaft des Angeklagten XXXXX zu anderen Mitgliedern der Familie XXXXXX - sowohl für die Zeit davor, als auch danach - hat sie glaubhaft verneint. Hierfür hat auch die Beweisaufnahme im Übrigen keine Anhaltspunkte geliefert.

18. Gesamtwürdigung

a. In der Gesamtschau lassen die Identifizierung des Schützen XXXXX durch XXXXX, das offenkundige Tatmotiv des Angeklagten XXXXXX und die Vielzahl von weiteren Indizien für die Kammer keinen anderen Schluss zu, als dass der Mordanschlag auf XXXXXX XXXXXX von ihrem Ex-Ehemann initiiert und sodann absprachegemäß von dessen bestem Freund umgesetzt wurde.

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass jedes einzelne Indiz einer anderen Bewertung zugänglich ist. Keines der Indizien ist für sich genommen ausreichender Beleg für die festgestellte Tatbeteiligung. Jedes Indiz ist auch einer neutralen oder den Angeklagten günstigen Interpretation zugänglich. Anhaltspunkte, dass diese Deutungen naheliegender wären, haben sich für die Kammer allerdings nicht ergeben.

Die für die Täterschaft des Angeklagten XXXXX und für die Tatbeteiligung des Angeklagten Yagmur sprechenden Indizien stützen sich aber mit Gewicht wechselseitig. Es stellt aus Sicht der Kammer keinen Zufall dar, dass mit XXXX XXXXX ausgerechnet der beste Freund des Angeklagten XXXXXX versucht hat, die Nebenklägerin zu töten, so wie dieser es zuvor vielfach angedroht und angekündigt hatte.

Die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten XXXXX beruht zuvorderst auf der Identifizierung durch den Zeugen XXXXX XXXXXX. Sie wird aber gestützt durch die von dem Angeklagten XXXXXX verfasste Nachricht an den Mitangeklagten XXXXX in der Untersuchungshaft, die Ergebnisse des Mantrailer-Einsatzes, die Internetrecherche des Angeklagten XXXXX nach Waffen vor der Tat, seine auffällige Internetrecherche nach "Nachrichten XXXXXXXXXXX" mit dem Bezug "Kopfschuss" wenige Stunden nach der Tat sowie seinen offenkundigen Versuch, sich mittels eines Kassenbons ein Alibi zu verschaffen.

Neben dem allgegenwärtigen Tatmotiv der Trennung verbunden mit Todesdrohungen des Angeklagten XXXXXX gegenüber der Nebenklägerin runden die Äußerung seiner Mutter betreffend einen Auftragsmörder, seine Andeutung von "etwas Schlimmem" gegenüber XXXXX, seine Bemühungen um einen Auftragsmörder bzw. Beschaffung einer Waffe gegenüber seinem Cousin XXXXXX XXXXXXX, seine Tatankündigung und Frage nach einem guten Strafverteidiger gegenüber dem Zeugen XXXXXXX, seine auffällig angespannte Verfassung unmittelbar vor der Tat und seine Äußerung gegenüber der Nebenklägerin kurz nach der Tat, sie werde sterben oder zu ihm zurückkehren diese Überzeugung ab.

Die Überzeugung, dass es sich bei der Tat um einen Freundschaftsdienst des Angeklagten XXXXX gegenüber seinem "kleinen Bruder", dem Angeklagten XXXXXX handelte, deckt sich auch mit dem persönlichen Eindruck in der Hauptverhandlung. Während der Angeklagte XXXXXX deutlich emotional beteiligt und situativ temperamentvoll auftrat, wirkte der Angeklagte XXXXX naiv-unbeteiligt und war - nonverbal durch häufige Blickkontakte zum Mitangeklagten - bemüht, seine Loyalität mit dem Angeklagten XXXXXX zu bekräftigen.

b. Die bestreitenden Einlassungen der Angeklagten haben an keiner Stelle vernünftige Zweifel an der Überzeugung der Kammer hinterlassen, im Gegenteil haben sie diese Überzeugung noch gefestigt.

Die Feststellungen zum Tatmotiv des Angeklagten XXXXXX werden durch seine Einlassung untermauert. So zeigte er in Bezug auf die Nebenklägerin und ihr Verhalten in der Beziehung und im Zuge der Trennung eine unverändert hohe Emotionalität, wirkte teils enttäuscht und gekränkt, teils aggressiv und rachsüchtig. Erkennbar wurde eine intensive Hassliebe zur Nebenklägerin, die typisch ist für Beziehungsdelikte. Der Angeklagte war bemüht, sein eigenes Verhalten zu bagatellisieren ("ein bisschen sauer", "ein bisschen ärgern", "ein bisschen laut") und mit Fehlverhalten der Nebenklägerin zu rechtfertigen.

An zahlreichen Stellen verfolgten seine Ausführungen den alleinigen Zweck, die Nebenklägerin in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Dies gilt namentlich für den Verdacht einer Beziehung der Nebenklägerin mit dem Finanzberater XXX, die Urkundenfälschungen im Zusammenhang mit dem Hauskredit, eine angebliche Bedrohungslage wegen Schulden, ein Treffen mit mutmaßlichen Mitgliedern der Hells Angels, angebliche Kindeswohlgefährdungen durch Abwesenheiten der Nebenklägerin und behauptete Misshandlungen der Kinder durch die mitbetreuenden Nachbarn.

Auch das Tatmotiv des Angeklagten XXXXX wurde durch die Einlassungen bestätigt. Beide Angeklagten haben ihre enge Freundschaft bekundet. Ausdrücklich hat der Angeklagte XXXXX seine Bereitschaft erklärt, dem Angeklagten XXXXXX jedwede Unterstützung und Hilfe zukommen zu lassen.

Das vorläufige Beweisergebnis wurde durch die späten Einlassungen der Angeklagten in zahlreichen objektiven Punkten bestätigt (z. B. Waffenrecherche durch den Angeklagten XXXXX, Recherche XXXXXX zu "Nachrichten XXXXXXXXXXX" und "Kopfschuss in XXXXXX" nach der Tat, Telefonat XXXXXXX mit XXXXXXX, Frage an XXXXXXX nach gutem Anwalt, Kontakt XXXXXXX zu Mithäftling XXXXXXX in der JVA), so dass bis dato bestehende Zweifel ausgeräumt wurden.

Zweifel bestehen auch nicht, soweit die Einlassungen in Widerspruch zu den Feststellungen stehen. Die Einlassungen waren ersichtlich den Ermittlungsergebnissen und dem fortgeschrittenen Verfahrensstand angepasst. Während der gut belegte Grundsachverhalt nie abgestritten wurde, haben die Angeklagten im Detail jeweils inhaltlich abweichende Angaben gemacht (z. B. Inhalt des Telefonats mit XXXXXXX und des Gesprächs mit XXXXXXX) oder das Vorhandensein objektiver Beweisergebnisse anders erklärt (z. B. mutmaßliche Gründe für Suchverlauf Waffen, Umstände der Nachrichtenrecherche nach der Tat, Kontakt zu Mithäftling XXXXXXX, Herkunft der Mantrailerspuren). Ihre Ausführungen zu den Indiztatsachen wirkten dabei überdetailliert, umständlich und wenig lebensnah. Die Verteidigung war ersichtlich bemüht, fortbestehende Widersprüche zum Beweisergebnis durch leitende Befragung und gezielte Nachfragen auszuräumen, was den wenig glaubwürdigen Eindruck noch vertiefte. Dies gilt namentlich für das konstruiert wirkende Fachgespräch des Angeklagten XXXXX mit dem Verteidiger des Mitangeklagten über Waffen sowie die Versuche des Angeklagten XXXXX, eine Ursache für die Mantrailerspuren in der XXXXXXXXXXXX zu benennen und die Funkzelltreffer durch Spaziergänge mit seinem Hund zu erklären.

VII. Subjektive Feststellungen

Zur Überzeugung der Kammer handelten die Angeklagten hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Nebenklägerin vorsätzlich, nämlich mit Absicht (dolus directus I. Grades). Es kam ihnen darauf an, diese zu töten.

Zwar ist bei Tötungsdelikten grundsätzlich von einer hohen Hemmschwelle des Täters bzw. Anstifters auszugehen. Für den Tötungsvorsatz spricht mit großem Gewicht aber die Lebensgefährlichkeit des Schusses, der gezielt aus nächster Nähe in Richtung des Kopfes der Nebenklägerin abgegeben wurde.

Es ist allgemein - bereits schon Kindern - und war auch den Angeklagten bekannt, dass eine Schussverletzung in den Kopf lebenswichtige große Blutgefäße oder Organe verletzen und den Tod der geschädigten Person nach kurzer Zeit herbeiführen kann. Die umfangreichen Einlassungen der Angeklagten haben keine Anhaltspunkte für relevante Einschränkungen ihrer intellektuellen Fähigkeiten ergeben.

Bei dieser Sachlage besteht kein vernünftiger Zweifel an der hier getroffenen Feststellung, dass die Angeklagten den Eintritt des Todes der Nebenklägerin als zumindest mögliche Folge der Tat erkannt hatten (Wissenselement). Die hohe Gefährlichkeit ist außerdem schon ein Beleg für die Feststellung, dass die Angeklagten diese Tatfolge auch zumindest billigend in Kauf genommen haben (Willenselement). Denn wer einer Person aus nächster Nähe gezielt in den Kopf schießt bzw. hierzu anstiftet, nimmt den Tod des Opfers nicht nur billigend in Kauf, es kommt ihm vielmehr darauf an.

Auch unter Berücksichtigung aller weiteren Tatumstände finden sich keine ausreichenden Anhaltspunkte, die den Indizwert der hohen Handlungsgefährlichkeit maßgeblich entkräften.

Dass insofern der konkret festgestellte Tatablauf mit dem Angeklagten XXXXXX abgesprochen war oder sogar durch diesen bestimmt wurde, steht für die Kammer fest. Die gedankliche Vorbefassung des Angeklagten XXXXXX mit der Tat wird belegt durch seine Bemühungen um einen Auftragsmörder bzw. eine Waffe. Auch seine Äußerung gegenüber dem Zeugen XXXXXXX, dass er vielleicht XXXXXX "abknallen" werde, belegt mit Gewicht den Tötungswillen. Dass er nach der Tat gegenüber der schwer verletzten Nebenklägerin kundtat, er werde sie "zurücknehmen", falls sie nicht sterbe, zieht seine Tötungsabsicht nicht in Zweifel. Aus Sicht der Kammer stellt die Äußerung eine Machtdemonstration dar, mit der er einmal mehr seinen Herrschaftsanspruch über das Schicksal der Nebenklägerin verdeutlichte.

Es kann dahinstehen, ob der Angeklagte XXXXX die letztlich unklar gebliebenen Motive, Emotionen oder Wertvorstellungen seines Freundes teilte, jedenfalls war ihm der Beziehungskonflikt bekannt und er wusste, dass der Angeklagte XXXXXX die Nebenklägerin wegen der von ihr endgültig vollzogenen Trennung töten wollte. Dieser - beiden Angeklagten bekannte - Beweggrund ist ein Beleg für die Feststellung, dass die Angeklagten insoweit zielgerichtet, also mit Absicht handelten. Die gedankliche Vorbefassung des Angeklagten XXXXX mit der Tat wird belegt durch die von ihm durchgeführte Waffenrecherche.

Vorsatzkritisch hat die Kammer bedacht, dass der Angeklagte XXXXX letztlich kein Eigeninteresse an dem Tod der Nebenklägerin hatte, vielmehr sich lediglich aus freundschaftlicher Verbundenheit zu der Tat bereit erklärte. Angesichts der Gefährlichkeit der konkreten Tatausführung ist die Kammer aber überzeugt, dass der Angeklagte XXXX XXXXX eben dieses Ziel auch selbst anstrebte. Hierfür spricht mit Gewicht die zielgerichtete Bewaffnung mit einer Schusswaffe und der für die Nebenklägerin überraschende Angriff aus nächster Nähe unter bewusster Ausnutzung ihrer Arg- und Wehrlosigkeit.

Vorsatzkritisch hat die Kammer weiter berücksichtigt, dass der Angeklagte XXXXX nur einen einzigen Schuss abgegeben hat. Da er aus nächster Nähe auf den Kopf der Nebenklägerin zielte und diese infolge des Schusses in sich zusammensackte, ist die Kammer aber überzeugt, dass er davon ausging, alles Erforderliche zur Tötung der Nebenklägerin getan zu haben. Dass die abstrakt hoch lebensgefährliche Handlung nicht zum Tode der Nebenklägerin führte, war reines Glück, in Anbetracht der Umstände in keinster Weise vorhersehbar und wurde vom Angeklagten XXXXX im ersten Moment auch nicht erkannt.

Die Kammer hat insoweit auch berücksichtigt, dass der Angeklagte XXXXX die Tat in Gegenwart potentieller Zeugen, nämlich der Kinder der Nebenklägerin, in der Öffentlichkeit beging. Dies entkräftet seinen Tötungswillen aber nicht. Denn der maskierte Angeklagte vertraute offenbar darauf, dass er aufgrund seiner Maskierung und der sofortigen Flucht vom Tatort unerkannt bleiben würde. Zudem verschaffte er sich zeitnah ein vermeintliches Alibi, indem er sich einen Kassenbon mit Zeitstempel aushändigen ließ.

Anhaltspunkte, dass der Angeklagte XXXXX sich in einer psychischen Verfassung befand, die ihn die hohe Gefährlichkeit seines Handelns verkennen ließ, bestehen nicht. Dagegen spricht bereits die planvolle Maskierung sowie der Umstand, dass der Angeklagte sich unmittelbar nach der Tat zielgerichtet entfernte und um ein Alibi bemühte. Dass er unmittelbar vor der Tat kurzzeitig seine Maskierung entfernte und deshalb von XXXXX erkannt wurde, stellt zur Überzeugung der Kammer eine "Panne" dar, die nicht dem Tatplan entsprach.

Die Kammer schließt aus, dass der Angeklagte XXXXX zur Tatzeit in vorsatz- oder schuldrelevantem Maße alkohol- oder drogenbeeinflusst war. Zwar wurden im Rahmen der chemisch-toxikologischen Untersuchung Cannabinoide in seinem Blut nachgewiesen; bei der gezielten Analyse ergab sich insoweit ein THC-Wert von 2,2 ng/ml. Die Kammer hat dazu das toxikologische Gutachten der MHH vom 8.3.2023 (Bl. 16 Bd. II) und das Blutalkoholgutachten vom 20.02.2023 (Bl. 21,22 Bd. II) verlesen. Der äußert geringe Wert lag aber sogar noch unterhalb des nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft verkehrssicherheitsrelevanten Grenzwerts von 3,5 ng/ml und war daher der sachverständigen psychiatrischen Einschätzung der Sachverständigen XXXX XXXXXXXXXXX folgend zu vernachlässigen. Eine vorsatz- oder schuldrelevante Beeinflussung seines Bewusstseins, seiner Kognition oder seines Handelns war auch bei der Würdigung des Tatgeschehens nicht erkennbar. Gegen eine forensisch relevante Beeinflussung spricht bereits seine koordinierte und kontrollierte Annäherung und Flucht mittels eines Fahrrads. Dabei kann dahinstehen, ob er die Fahrt für die Schussabgabe kurzfristig unterbrach oder im Fahren schoss. Beides erfordert ein hohes Maß an Koordination.

Hinweise auf eine vorsatz- oder schuldrelevante Beeinträchtigung des Angeklagten XXXXXX haben sich bereits deshalb nicht ergeben, weil dieser die Tat über einen mehrmonatigen Zeitraum erwog und plante. Hinweise auf eine überdauernde Beeinträchtigung seines Bewusstseins, seiner Kognition oder seines Handelns haben sich weder nach den Erkenntnissen aus der Hauptverhandlung, noch nach den Ausführungen der Sachverständigen XXXXXXXXXXX ergeben. Insbesondere spricht die gedankliche Vorbefassung und Planung auch gegen eine Affekttat. Ein äußerer Anlass oder innerpsychische Vorgänge, denen insofern affektauslösende Bedeutung hätte zukommen können, ist nicht ersichtlich.

D.

Durch den festgestellten Sachverhalt hat sich der Angeklagte XXXX XXXXX wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach §§ 211, 223 Abs. 1, 224 Abs.1 Nr. 2 und Nr. 5, 22, 23 Abs. 1, 52 StGB strafbar gemacht. Der Angeklagte XXXXX XXXXXX hat sich wegen Anstiftung zu versuchtem Mord in Tateinheit mit Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung nach §§ 211, 223 Abs. 1, 224 Abs.1 Nr. 2 und Nr. 5, 22, 23 Abs. 1, 26, 52 StGB strafbar gemacht.

I. Die Angeklagten handelten mit direktem Tötungsvorsatz im Sinne dolus directus ersten Grades. Ihnen kam es darauf an, die Nebenklägerin zu töten.

II. Der Angeklagte XXXXX hat zu der Tat unmittelbar angesetzt, indem er in Tötungsabsicht auf die Nebenklägerin schoss.

. Der Angeklagte XXXXX ist von dem Versuch der Tötung auch nicht strafbefreiend zurückgetreten, indem er weitere Schüsse unterlassen hat. Denn es liegt ein beendeter Versuch im Sinne von § 24 Abs. 1 S. 1, 2 Var. StGB vor, bei dem ein bloßes Ablassen als Strafausschluss nicht ausreicht. Beendet ist der Versuch, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung davon ausgeht, alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan zu haben, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen (BGH NStZ 2015, 261 [BGH 18.02.2015 - 2 StR 38/14]). Nicht notwendig ist, dass insgesamt schon alles getan wurde, was für die Tatbestandsverwirklichung notwendig ist, sondern nur, dass der Täter den aus seiner Sicht erforderlichen Tatbeitrag erbracht hat (BGH NStZ-RR 2017, 303 [BGH 14.06.2017 - 2 StR 140/17]).

Die Kammer ist überzeugt, dass der Angeklagte XXXX XXXXX davon ausging, alles Erforderliche zur Tötung der Nebenklägerin getan zu haben. Dafür spricht der aus nächster Nähe ausgeführte, gezielte Schuss in den Kopf des Opfers. Dass er die Nebenklägerin nicht tödlich verletzt hatte, war reines Glück und von ihm weder vorhersehbar, noch steuerbar und wurde von ihm auch nicht erkannt. Die Nebenklägerin sackte infolge des Schusses zusammen und fiel mit ihrem Kopf auf die Hupe, das Auto rollte quer über die Straße. Bei dieser Sachlage, die ihm nicht verborgen geblieben ist, ging er davon ausging, dass sie lebensgefährlich getroffen war.

Aus diesem Grunde ist es schon nicht mehr entscheidungserheblich, dass der Angeklagte ohnehin nicht freiwillig von weiteren Handlungen abgesehen hat, denn die Anwesenheit der laut schreienden Kinder der Nebenklägerin und herannahender weiterer Personen führten dazu, dass der Angeklagte seine Ergreifung fürchtete, die er durch seine Flucht verhindern wollte.

I. Der Angeklagte XXXX XXXXX handelte bei der Tat zum Nachteil der Nebenklägerin heimtückisch. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Das Opfer muss gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist weiter, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt.

Für die Nebenklägerin kam der Schuss vollkommen überraschend. Dies nutzte der Angeklagte bewusst aus, um aus nächster Nähe auf sie zu schießen. Der Umstand, dass der Angeklagte XXXXX vor dem Schuss an die Scheibe klopfte, beseitigt die Arg- und Wehrlosigkeit nicht, denn die Nebenklägerin rechnete in dieser Situation nicht mit einem Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit und die Zeit zwischen Klopfen und Schussabgabe war so kurz, dass eine adäquate Schutzreaktion schon deshalb unmöglich war.

III. Der Angeklagte XXXXXX hat den Angeklagten XXXXX zu der Tat angestiftet, § 26 StGB.

Das schlichte Verursachen des Tatentschlusses reicht für eine Anstiftung nicht aus; erforderlich ist eine Kommunikationsbeziehung mit Aufforderungscharakter, die die tätergleiche Bestrafung des Anstifters trägt (Schönke/Schröder/Heine/Weißer, 30. Aufl. 2019, StGB § 26 Rn. 3). Die Anregung kann dabei auch vom Angestifteten ausgehen, der sich bereit erklärt, die Tat auszuführen. Entscheidend ist, dass der Anstifter den Anstoß zur Tat gibt. (vgl. Schönke/Schröder/Heine/Weißer, 30. Aufl. 2019, StGB § 26 Rn. 6). So liegt der Fall hier. Die Kammer ist überzeugt, dass der Angeklagte XXXXXX seinen Freund in seine Pläne eingeweiht hat und - in Ermangelung eines Dritten, der sich zur Tötung der Nebenklägerin bereit erklärte - in seinem Freund den Willen hervorgerufen hat, die Nebenklägerin zu töten. Soweit der Angeklagte XXXXX sich bereit erklärt hat, die Tat zu begehen, beruht dies auf einer zumindest konkludenten Einflussnahme des Angeklagten XXXXXX, der um die Loyalität des Angeklagten XXXXX wusste.

II. Dem Angeklagten XXXXXX ist die heimtückische Begehungsweise zuzurechnen.

Für die tatbezogenen Mordmerkmale der zweiten Gruppe, zu denen Heimtücke zählt, gilt insofern die streng akzessorische Bestrafung des Teilnehmers. Der Anstifter wird nach §§ 211, 26 StGB bestraft, wenn der Täter ein tatbezogenes Merkmal verwirklicht und der Vorsatz des Anstifters sich hierauf erstreckt. Fehlt ihm dieser Vorsatz, kommt nur Teilnahme am Totschlag in Betracht.

Die Kammer ist insofern überzeugt, dass Art und Weise und Ort der Tatausführung mit dem Angeklagten XXXXX XXXXXX abgesprochen, wenn nicht sogar von diesem bestimmt worden sind. Dafür spricht mit Gewicht, dass allein der Angeklagte XXXXX XXXXXX wusste, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit seine Exfrau die Kinder zu dem Umgangstermin bringen würde. Dem Angeklagten XXXXXX war auch bekannt, dass die Nebenklägerin vor dem Büro des Herrn XXXXXXX nur kurz anhalten würde, um die Kinder aussteigen zu lassen. Dies entsprach den Absprachen zur kontaktlosen Übergabe und war auch zuletzt so gehandhabt worden. Ihm war daher auch bekannt, dass die Nebenklägerin das Auto nicht verlassen und zügig wegfahren würde. Die Tat musste also schnell gehen, um zum Erfolg zu führen und die drohende Flucht des Opfers zu verhindern.

Dass der Angeklagte XXXXX in irgendeiner Weise den Überraschungsmoment für sich nutzen werde, war zur Überzeugung der Kammer aus den vorgenannten Erwägungen Teil des Tatplans, jedenfalls in Anbetracht der Umstände hochwahrscheinlich und wurde auch vom Angeklagten XXXXXX erkannt und zumindest gebilligt. Letztlich kann dahinstehen, wie konkret der Angeklagte XXXXXX die heimtückische Begehungsweise, die die Tötung zum Mord machte, kannte bzw. mitbestimmte. Ausreichend ist, dass er sie billigend in Kauf nahm. Bedingten Vorsatz in diesem Sinn hat ein Straftäter, wenn er aus Gleichgültigkeit mit jeder eintretenden Möglichkeit einverstanden ist (vgl. BGHSt 40, 304, 306f.; BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 2 StR 289/02).

III. Der Angeklagte XXXX XXXXX hat sich durch den Schuss gegenüber der Nebenklägerin zudem tateinheitlich einer gefährlichen Körperverletzung in den Tatbestandsvarianten mittels eines gefährlichen Werkzeuges (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) und einer lebensgefährlichen Handlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) und der Angeklagte XXXXX XXXXXX der Anstiftung hierzu (§ 26 StGB) strafbar gemacht. Die Verletzungen und die potentielle Lebensgefährlichkeit des Schusses im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB sind belegt durch die oben dargestellten Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen Dr. XXXXXXXXX. Die verwendete Schusswaffe stellt ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar. Hierauf bezog sich auch der Vorsatz beider Angeklagten.

E.

I. Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer den Strafrahmen des § 211 StGB zugrunde gelegt, diesen jedoch wie folgt gemildert:

1. Eine Milderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB kam nicht in Betracht. Weder die Einsichts- noch die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten war zum Tatzeitpunkt erheblich vermindert. Dabei stützt sich die Kammer auf ihren eigenen Eindruck aus der Hauptverhandlung, den sie durch das Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen XXXX XXXXXXXXXXX bestätigt sieht.

a. Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Einsichtsfähigkeit der Angeklagten hat die Kammer ebenso wie die Sachverständige XXXXXXXXXXX nicht feststellen können. Die Angeklagten haben aufgrund ihrer biografischen Entwicklung moralische Werte und Normen kennen gelernt und können diese auch internalisieren.

. Die Beweisaufnahme hat außerdem keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten erbracht.

Die Angeklagten haben eine Exploration durch die psychiatrische Sachverständige abgelehnt, so dass diese ihre Beurteilung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft hat. Die Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass sich bei den Angeklagten keine Hinweise auf eine forensisch relevante Minderbegabung, eine schwere Persönlichkeitsstörung oder eine Erkrankung aus dem psychiatrischen Formenkreis ergeben hätten. Der festgestellte Tatablauf habe weder nach Aktenlage, noch nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit ergeben. Soweit der Angeklagte XXXXX positiv auf Cannabinoide getestet worden sei, sei der Wert zu gering gewesen, um daraus eine schuldrelevante Intoxikation abzuleiten. Der hierfür relevante Carbonsäurewert habe auch keine Hinweise auf eine gravierende Abhängigkeit ergeben.

Diese Einschätzung deckt sich mit dem Eindruck der Kammer. Insbesondere die ausführlichen und detailreichen Einlassungen der Angeklagten haben keine Hinweise auf eine schuldrelevante Beeinflussung ihres Bewusstseins, ihrer Kognition oder ihres Handelns im zurückliegenden Tatzeitraum ergeben.

Dass das bei dem Angeklagten XXXXXX vorherrschende Tatmotiv auf einen krankhaften Liebes- oder Eifersuchtswahn vom Grad einer psychiatrisch relevanten Störung zurückzuführen sein könnte, schließt die Kammer aus. Weder seine Einlassung, noch die Bechreibungen der ihm nahestehenden Personen wie des Mitangeklagten XXXXX, des Zeugen XXXXXXX oder der Zeugin XXXXXXXX haben hierfür Hinweise ergeben. Gleiches gilt für eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Sinne eines Affekts. Dagegen spricht bereits die lange gedankliche Vorbefassung und das Fehlen eines affektauslösenden Moments unmittelbar vor der Tat.

Die Kammer schließt sich daher den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen XXXXXXXXXXX, die dabei von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist, uneingeschränkt an.

2. Die Kammer hat jedoch nach Gesamtschau aller strafzumessungserheblichen Gesichtspunkte von der Möglichkeit der Strafrahmenverschiebung nach §§ 23 Abs. 2, 49 StGB Gebrauch gemacht. Für eine Strafmilderung sprach mit Gewicht, dass die Nebenklägerin nicht akut lebensgefährlich verletzt wurde, so dass es an einer Vollendungsnähe der Tat fehlt. Der so gemilderte Strafrahmen sieht Freiheitsstrafe von 3 Jahren bis zu 15 Jahren vor.

II. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung war zu Gunsten des Angeklagten XXXXXX zu berücksichtigen, dass er nicht vorbestraft ist. Der Umstand, dass der Angeklagte XXXXXX die Tat nicht selbst ausgeführt hat, führt hingegen zu keiner geringeren Bestrafung. Seine fehlende Bereitschaft, die selbstbestimmte Trennungsentscheidung der Nebenklägerin zu akzeptieren, stellt das leitende Motiv für die Tat dar, wobei es besonders schwer wiegt, dass der Angeklagte XXXXXX die freundschaftliche Verbundenheit des Mitangeklagten XXXXX nutzte, um diesen zur Begehung der Tat zu bestimmen. Strafmildernd wirken für beide Angeklagten die vergleichsweise geringen körperlichen Verletzungsfolgen für die Nebenklägerin, die zu keinem Zeitpunkt akut lebensgefährlich verletzt war.

Strafschärfende Bedeutung hat andererseits die Gefährlichkeit der Tathandlung, die nach Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen bei geplantem Verlauf ohne sofortige ärztliches Einschreiten mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich geendet hätte. Dass die Tat nicht zum Tode der Nebenklägerin geführt hat, beruht allein auf glücklichen Zufällen, die für die Angeklagten in keinster Weise vorhersehbar oder steuerbar waren. Auch die eingesetzte kriminelle Energie - geplante Tötung durch gezielten Kopfschuss im Überraschungsmoment - war erheblich. Die Tat in öffentlichem Raum war zudem geeignet, das Sicherheitsgefühl der Allgemeinbevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Zu Lasten beider Angeklagten wirkt, dass die Tat in Anwesenheit der drei Kinder begangen wurde. Auch die psychischen Folgen der Tat sowohl für die Nebenklägerin als auch für die Kinder, die das Tatgeschehen unmittelbar miterlebt haben, sind erheblich zu berücksichtigen. Der Angeklagten XXXXX hat zudem tateinheitlich eine gefährliche Körperverletzung in zwei Tatbestandsvarianten begangen bzw. der Angeklagte XXXXXX eine Anstiftung hierzu. Für den Angeklagten XXXXX fallen seine Vorstrafen strafschärfend ins Gewicht, wobei die Kammer berücksichtigt, dass die einzige Gewalttat und die unter anderem dafür verbüßte Strafhaft bereits viele Jahre zurückliegt und zuletzt nur Geldstrafen verhängt wurden.

III. Die Kammer hat unter Abwägung der vorgenannten Zumessungsgesichtspunkte auf eine Freiheitsstrafe von jeweils

14 Jahren

für beide Angeklagten als tat- und schuldangemessen erkannt.

F.

I. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB war nicht anzuordnen. Es fehlt bereits an einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten. Ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB liegt nicht vor.

II. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB war nicht anzuordnen. Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung bestehen keine Anhaltspunkte, dass ein Hang der Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, als tatauslösend anzusehen wäre.

G.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 StPO.