Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.01.2025, Az.: 13 FEK 309/22

Entschädigungszahlung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens i.R.e. einbürgerungsrechtlichen Klageverfahrens

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.01.2025
Aktenzeichen
13 FEK 309/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2025, 10149
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2025:0113.13FEK309.22.00

Amtlicher Leitsatz

Zur angemessenen Verfahrensdauer eines einbürgerungsrechtlichen Klageverfahrens mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad und durchschnittlicher Bedeutung für die Kläger sowie mit einem zu einer relevanten Verzögerung des Rechtsstreits beitragenden Prozessverhalten der Beteiligten.

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, an jeden der Kläger einen Betrag von jeweils 2.500 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Teilbetrag von 200 EUR seit dem 28. Dezember 2022 und auf einen weiteren Teilbetrag von 2.300 EUR seit dem 15. November 2024 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger jeweils zu einem Sechstel und der Beklagte zu zwei Dritteln.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger begehren eine Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg (11 A 1177/20; im Folgenden Ausgangsverfahren).

Die Kläger waren vor ihrer zwischenzeitlich erfolgten Einbürgerung in den deutschen Staatsverband russische Staatsangehörige. Der am ...2013 geborene Kläger zu 2. ist der Sohn des Klägers zu 1. Der Kläger zu 1. war zuletzt im Besitz einer Niederlassungserlaubnis; der Kläger zu 2. im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 33 AufenthG. Im Dezember 2018 beantragte der Kläger zu 1. für sich und den Kläger zu 2. bei der Stadt G. die Einbürgerung. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15. April 2020 ab, weil der Kläger zu 1. nicht bereit war, seine russische Staatsangehörigkeit aufzugeben. Die Voraussetzungen nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG lägen, trotz dessen der Kläger zu 1. Miteigentümer einer Immobilie in Russland sei, nicht vor.

Die Kläger erhoben am 18. Mai 2020 Klage beim Verwaltungsgericht Oldenburg, die sie trotz mehrfacher Aufforderung des Verwaltungsgerichts zunächst nicht begründeten. Daher verfügte das Verwaltungsgericht unter dem 3. August 2020 eine Betreibensaufforderung. Am 2. Oktober 2020 begründeten die Kläger ihre Klage kurz und teilten mit, sie würden eine weitere Begründung nachreichen. Die weitere Klagebegründung ging - nach gerichtlichen Erinnerungen vom 16. November 2020, vom 18. Januar 2021 und vom 18. Februar 2021 - am 26. Februar 2021 beim Verwaltungsgericht ein. Nachdem die Stadt G. unter dem 24. März 2021, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht am 31. März 2021, auf die Klage erwidert hatte, erklärten die Kläger am 24. Juni 2021 einen Verzicht auf mündliche Verhandlung.

Am 21. Juni 2022 erhoben die Kläger die Verzögerungsrüge und trugen vor, das Klageverfahren sei seit mehr als zwei Jahren anhängig. Seit dem Schriftsatz der Stadt G. vom 24. März 2021 bestehe Entscheidungsreife. Es sei kein weiterer Schriftwechsel erfolgt oder vom Gericht etwas zur Verfahrensförderung unternommen worden. Auf ihr Schreiben vom 19. Mai 2022 mit der Bitte um Terminierung habe das Verwaltungsgericht nicht reagiert.

Auf die Verzögerungsrüge teilte das Verwaltungsgericht am 27. Juni 2022 mit, dass noch deutlich ältere, umfangreiche Klageverfahren und zahlreiche Eilverfahren aus dem Ausländer- und Asylrecht anhängig seien, teils aus den Jahren 2017 bis 2019. Diese seien vorrangig zu bearbeiten, sodass noch kein Termin für eine mündliche Verhandlung mitgeteilt werden könne.

Am 23. Dezember 2022 haben die Kläger vor dem Oberverwaltungsgericht die vorliegende Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens erhoben (Entschädigungsklage), die dem Beklagten am 28. Dezember 2022 zugestellt worden ist. Mit Beschluss vom 27. Oktober 2023 hat der Senat einen Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Entschädigungsklage mangels (Glaubhaftmachung der) Kostenarmut abgelehnt. Mit weiterem Beschluss vom 27. Oktober 2023 hat der Berichterstatter des Senats nach vorheriger Anhörung der Beteiligten das Verfahren über die Entschädigungsklage bis zum rechtskräftigen Abschluss des Ausgangsverfahrens ausgesetzt.

Am 11. Dezember 2023 teilte das Verwaltungsgericht mit, dass im ersten Quartal 2024 über den Prozesskostenhilfeantrag entschieden werden solle und forderte eine aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger ein. Diese übersandten die Kläger am 11. Januar 2024. Auf den Hinweis des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2024 zur bevorstehenden Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts teilte die Stadt G. mit Schriftsatz vom 22. März 2024 mit, dass vorbehaltlich des Inkrafttretens des Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts einer Einbürgerung nichts im Wege stehe. Die Stadt G. forderte von den Klägern weitere Unterlagen an, unter anderem die aktuellen Reisepässe, Aufenthaltstitel, Schulzeugnisse und Nachweise zur Sicherung des Lebensunterhalts. Am 12. November 2024 teilte die Beklagte gegenüber dem Verwaltungsgericht mit, dass die Kläger eingebürgert worden seien, nachdem durch das Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts § 12 StAG aufgehoben worden sei. Die Beteiligten erklärten daraufhin den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt. Mit Beschluss vom 19. November 2024 stellte das Verwaltungsgericht das Klageverfahren ein und hob dessen Kosten gegeneinander auf.

Mit Beschluss vom 14. November 2024 hat der Berichterstatter des Senats das Entschädigungsklageverfahren wiederaufgenommen.

Zu Begründung ihrer Entschädigungsklage führen die Kläger aus, das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg sei seit dem 24. März 2021 ausgeschrieben gewesen. Der Sachverhalt sei nahezu vollständig unstreitig gewesen. Im Streit gestanden habe nur die Frage, ob der drohende Verlust des Hauseigentums des Klägers zu 1. in Russland mit Blick auf § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG ein Grund zur Hinnahme einer Mehrstaatigkeit sei. Das Verwaltungsgericht hätte spätestens im September 2021 terminieren und entscheiden können. Daher stehe ihnen ab dem 1. Oktober 2021 ein Schmerzensgeld infolge unangemessener Verzögerung zu. Die beiden älteren Geschwister des Klägers zu 2. seien von Geburt an deutsche Staatsangehörige. Die Kläger und ihre ganze Familie lehnten den Krieg Russlands ab und litten erheblich unter ihrer russischen Staatsangehörigkeit. Eine Entschädigung von 100 EUR pro Monat und Kläger sei angemessen.

Die Kläger haben zunächst beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld als Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens für den Zeitraum vom 1. Oktober 2021 bis zum 30. November 2022 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klage zu zahlen.

Mit Schriftsatz vom 12. November 2024, dem Beklagten zugegangen am 15. November 2024, haben die Kläger ihre Klage erweitert und sinngemäß beantragt,

hilfsweise für den Fall, dass ihnen Schmerzensgeld nicht oder nicht vollständig für den Zeitraum vom 1. Oktober 2021 bis zum 30. November 2022 zugesprochen wird, den Beklagten zu verurteilen, ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld als Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 12. November 2024 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klage zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, der Klageantrag sei nicht hinreichend bestimmt. Es sei unklar, in welchem Umfang die Kläger eine Entschädigung begehren. Die Ausführungen der Kläger zur Klageerweiterung könnten nur dahingehend verstanden werden, dass sie lediglich für den Zeitraum vom 1. Oktober 2021 bis zum 30. November 2022 eine Entschädigung in Höhe von 2.800 EUR begehren und diese Entschädigungssumme, sollte sie sich nicht - beziehungsweise nicht in Gänze - aus zu entschädigenden Zeiten während des vorrangig geltend gemachten Zeitraums herleiten lassen, hilfsweise auf spätere Zeiträume stützen.

Darüber hinaus sei nicht von einer Verzögerung auszugehen. Nach der Regelungskonzeption des Gerichtsverfassungsgesetzes hänge es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob ein Verfahren unangemessen lange gedauert habe. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass die Kläger das Verfahren bis zum Eingang der Klagebegründung am 26. Februar 2021 ohne Angabe von Gründen nicht gefördert hätten. Nach Eingang der Klageerwiderung habe die Berichterstatterin nochmals zwei Monate zuwarten dürfen, ob eine Replik seitens der Kläger erfolge. Erst mit dem Einverständnis der Kläger zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sei das Verfahren ausgeschrieben gewesen. Die Kläger gäben dem Gericht dann einen Gestaltungsspielraum von gerade einmal sechs Monaten, um eine abschließende Entscheidung zu treffen. Dies sei zu kurz. Die auch für das Ausländer- und Asylrecht zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts sei mit einer Vielzahl von Eilverfahren belastet. Es könne davon ausgegangen werden, dass ohne die stringente Verfahrensförderung der Berichterstatterin die Klagebegründung nicht Ende Februar 2021 eingegangen wäre. Insoweit sei bis November 2022 nicht von einer Verzögerung auszugehen. Die Untätigkeit des Gerichts ab Juni 2021 sei durch die Anforderung neuer Prozesskostenhilfeunterlagen im Dezember 2023 bis zu deren Übersendung im Januar 2024 unterbrochen worden; die anschließende weitere Untätigkeit sei mit der gerichtlichen Verfügung vom 18. März 2024 beendet worden.

Das Verfahren weise einen durchschnittlichen bis leicht überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad auf. Aufgrund des Miteigentums des Klägers zu 1. an einem Grundstück in Russland wäre gegebenenfalls eine inzidente Prüfung der russischen Rechtslage sowie eine eventuelle weitere Sachverhaltsaufklärung durch Befragung der Schwester des Klägers zu 1. bzw. des Katasteramts erforderlich gewesen. Das Verfahren habe für die Kläger allenfalls eine durchschnittliche Bedeutung. Sie hätten einen gesicherten Aufenthaltsstatus gehabt und durch das schleppende Betreiben des Verfahrens selbst gezeigt, dass ihr Interesse nicht besonders hoch sei. Sie müssten sich dieses Verschulden anrechnen lassen (Rechtsgedanke aus § 254 BGB). Daher überzeuge es nicht, dass sie aufgrund des Ukrainekriegs unter ihrer russischen Staatsbürgerschaft gelitten hätten, zumal sie die russische Staatsangehörigkeit hätten aufgeben können.

Jedenfalls aber sei die Feststellung ausreichend, dass eine unangemessene Verfahrensdauer vorliege. Hierfür spreche die dargestellte schleppende Verfahrensführung der Kläger. Es sei zu berücksichtigen, dass die Kläger ihre Klage erst nach mehrfacher Erinnerung des Gerichts und Erlass einer Betreibensaufforderung begründet hätten sowie der Aufforderung der Stadt G., im Rahmen der erneuten Prüfung der Einbürgerungsvoraussetzungen weitere Unterlagen vorzulegen, nur schleppend nachgekommen seien. Auch damit hätten sie zu der Verzögerung des Ausgangsverfahrens beigetragen. Zudem werde mit Nichtwissen bestritten, dass ihre Klage vor Änderung der Rechtslage Erfolg gehabt hätte. Daher sei die Verzögerung des Verfahrens für sie auch vorteilhaft gewesen. Die Vermutung, dass der Kläger zu 2. durch die Verfahrensdauer einen immateriellen Schaden erlitten habe, sei widerlegt. Er sei zum Zeitpunkt der Klagerhebung sieben Jahre alt und damit noch zu jung gewesen, um die Bedeutung des (Einbürgerungs-)Verfahrens für sich und für seinen Vater zu erfassen und das Verfahren bewusst zu begleiten.

Die Beteiligten haben unter anderem mit Schriftsätzen vom 12. November 2024 und vom 19. Dezember 2024 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des Ausgangsverfahrens (VG Oldenburg, 11 A 1177/20) und die dazu beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Stadt G. verwiesen, die zum Gegenstand der Beratung gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen geringen Umfang begründet.

1. Die Klage ist zulässig.

a) Der Klageantrag genügt auch nach der Klageerweiterung im Schriftsatz vom 12. November 2024 den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwGO. Ein Klageantrag ist grundsätzlich dann hinreichend bestimmt, wenn er aus sich heraus verständlich ist und Art und Umfang des begehrten Rechtsschutzes präzise zu benennen weiß (vgl. Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 82 Rn. 10). Aus dem Klageantrag und den ergänzenden Erläuterungen der Kläger in ihrem Schriftsatz vom 27. November 2024 ergibt sich noch hinreichend klar, dass sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, dessen Höhe sie mit 100 EUR je Monat der Verfahrensverzögerung und Kläger als angemessen erachten, als Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens für den Zeitraum vom 1. Oktober 2021 bis zum 30. November 2022, hilfsweise für den Fall, dass ihnen Schmerzensgeld nicht oder nicht vollständig für diesen Zeitraum zugesprochen wird, auch für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 12. November 2024 begehren. Damit ist hinreichend deutlich, dass über den für den Zeitraum vom 1. Dezember 2022 bis zum 12. November 2024 geltend gemachten Entschädigungsanspruch nur dann entschieden werden soll, wenn ein Anspruch für Verfahrensverzögerungen im Zeitraum vom 1. Oktober 2021 bis zum 30. November 2022 nicht oder nicht vollständig zu erkannt wird. Zu einem erläuternden Hinweis hierzu, wie ihn der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 17. Dezember 2024 erbeten hatte, sieht sich der Senat nicht veranlasst, da sich dieses Verständnis des klägerischen Begehrens dem Antrag und der hierzu von den Klägern gegebenen Begründung ohne weiteres entnehmen lässt. Der danach hinreichend bestimmte Antrag ist durch den Senat auch nicht alleine deshalb abweichend auszulegen, weil eine andere Antragstellung die wohlverstandenen Interessen der anwaltlich vertretenen Kläger gegebenenfalls besser zur Durchsetzung bringen könnte.

b) Die Klage wahrt die Wartefrist von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge gemäß § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG. Die Verzögerungsrüge wurde am 21. Juni 2022 und die Entschädigungsklage am 23. Dezember 2022 erhoben.

c) Die nach § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs erforderliche Verzögerungsrüge ist auch ihrerseits nicht verfrüht und damit unwirksam erhoben worden. Nach § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG kann die Verzögerungsrüge frühestens ("erst") erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Maßgeblich ist, wann ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Ausgangsverfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt. Auf ein rein subjektives Empfinden des Verfahrensbeteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen, ohne dass ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf. Da sich der richtige Zeitpunkt aus Sicht des Betroffenen, der regelmäßig keinen Einblick in die inneren Abläufe des Gerichts hat, nur schwer einschätzen lässt, geht es im Kern nur darum, Missbrauchsfälle abzuwehren (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.2020 - III ZR 61/20 -, juris Rn. 21; BVerwG, Urt. v. 12.7.2018 - BVerwG 2 WA 1.17 D -, juris Rn. 22 m.w.N.). Für eine derart missbräuchliche Erhebung der Verzögerungsrüge 25 Monate nach Erhebung der Klage fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten.

d) Die Kläger haben auch die Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der das Ausgangsverfahren beendenden Entscheidung oder dessen anderer Erledigung im Sinne des § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG gewahrt. Bei Klageerhebung am 23. Dezember 2022 war das Ausgangsverfahren noch nicht abgeschlossen. Dieses endete erst mit den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Verfahrensbeteiligten am 18. November 2024. Die Erhebung der Entschädigungsklage trotz des noch laufenden Ausgangsverfahren war zulässig. Der früheste Zeitpunkt für die Erhebung der Klage ist allein in § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG geregelt, wonach die Klage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann. Aus § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG folgt zudem, dass die Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des der Klage zugrundeliegenden Verfahrens erhoben werden darf, da nach dieser Vorschrift das Entschädigungsgericht das Verfahren aussetzen kann, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 GVG abhängt, noch andauert.

2. Die Klage ist nur in dem im Tenor bezeichneten Umfang begründet. Die Kläger haben gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 173 Satz 2 VwGO in Verbindung mit § 198 Abs. 1 GVG wegen einer unangemessenen Verfahrensdauer für den Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis zum 12. November 2024. Damit hat der Hauptantrag nur für einen Zeitraum von zwei Monaten und der danach (siehe oben I.1.a)) zur Entscheidung stehende Hilfsantrag insgesamt Erfolg.

Nach § 198 Abs. 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu die folgenden Grundsätze aufgestellt (BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - BVerwG 5 C 23.12 D -, BVerwGE 147, 146, 157 ff. - juris Rn. 37 ff.):

"bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der ,unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens' (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 [BVerfG 28.01.2013 - 2 BvR 1912/12] <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn.14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde."

Der Senat folgt diesen - in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fortgeführten (vgl. bspw. BVerwG, Beschl. v. 12.3.2018 - BVerwG 5 B 26.17 D -, juris Rn. 6) - Grundsätzen in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. bspw. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2526 f. [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 38 ff.; Gerichtsbescheid d. Senats v. 3.4.2020 - 13 F 315/19 -, V.n.b., Umdruck S. 5 ff.) aus eigener Überzeugung.

Für die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer kommt es zudem nicht darauf an, ob sich der zuständige Spruchkörper pflichtwidrig verhalten hat, sodass die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer dementsprechend für sich allein keinen Schuldvorwurf für die mit der Sache befassten Richter impliziert (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drs. 17/3802, S. 19). Da es für die Frage der Unangemessenheit der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls ankommt und eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist, benennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drs. 17/3802, S. 18). Der Senat ist aufgrund der dargelegten Grundsätze der Auffassung, dass nicht jede gerichtliche Handlung und jeder Zeitraum, in dem keine nach außen dokumentierten Aktionen des Gerichts stattgefunden haben, im Einzelnen darauf hin überprüft werden müssen, ob hierin eine unangemessene Verzögerung lag oder ob hierin ein gerechtfertigter Zeitraum zur Entscheidungsfindung gesehen werden kann. Dies würde gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit des Richters verstoßen, da die Gewichtung der vielfältigen Verfahren in einem Dezernat und die Frage, wie und zu welchem Zeitpunkt ein konkretes Verfahren gefördert werden soll, grundsätzlich einem Entscheidungsspielraum des Richters unterliegt. Es ist vielmehr unter Berücksichtigung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls dahingehend vorzunehmen, ob es unangemessene Verzögerungen des Verfahrens gegeben hat, die in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Spruchkörpers fallen, wobei einzelne Abschnitte des Verfahrens in den Blick genommen werden können (vgl. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2527 [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 47).

Mit § 198 Abs. 1 GVG ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar, noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.7.2013 - BVerwG 5 C 23.12 D -, BVerwGE 147, 146, 153 ff. - juris Rn. 28 ff.). Jedenfalls ist bei einer Betrachtung und Bewertung der dem jeweiligen Gericht obliegenden Verfahrenshandlungen eine Überlänge des gerichtlichen Verfahrens nicht jeweils bereits ab Entscheidungsreife zu bejahen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung benötigt, um dem rechtsstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vorzunehmen. Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zugestandene Zeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer Ex-ante-Sicht einschätzen durften. Bereits aus dem Wortlaut "unangemessen" lang folgt, dass nicht die optimale oder "richtige" Länge des Gerichtsverfahrens zu bestimmen ist, sondern eine solche, die den Rahmen des noch Angemessenen überschreitet (vgl. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2527 f. [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 48).

Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben erweist sich die Dauer des hier zu beurteilenden erstinstanzlichen Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg, das insgesamt etwa 54 Monate (18. Mai 2020 - 18. November 2024) lief, als unangemessen.

a) Das Ausgangsverfahren wies einen noch durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad auf. Streitgegenstand war der geltend gemachte Anspruch der Kläger auf Einbürgerung. Dabei wäre im Falle einer streitigen Entscheidung unter den Einbürgerungsvoraussetzungen insbesondere die Frage näher zu prüfen gewesen, ob von der wesentlichen Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG a.F. abgesehen werden kann bzw. ob dem Kläger zu 1. bei Aufgabe der russischen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art entstehen würden, die über den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StAG a.F.). Dabei handelt es sich um ein bei den für das Staatsangehörigkeitsrecht zuständigen Kammern der Verwaltungsgerichte durchaus noch regelmäßig abzuarbeitendes Prüfungsprogramm.

b) Die Bedeutung des Verfahrens für die Kläger ist als allenfalls durchschnittlich einzuschätzen. Entscheidend ist dabei eine objektive, nicht aber eine subjektive Beurteilung des jeweiligen Klägers, es kommt vielmehr auf den verständigen Betroffenen an (vgl. Senatsurt. v. 23.2.2023 - 13 FEK 101/22 -, juris Rn. 43, Senatsurt. v. 25.5.2023 - 13 FEK 484/21 -, juris Rn. 39). Schon aus diesem Grunde kann der Vortrag der Kläger, ihre weiteren Kinder bzw. Geschwister seien bereits deutsche Staatsangehörige und sie litten aufgrund des Kriegs in der Ukraine unter ihrer russischen Staatsangehörigkeit, eine besondere Bedeutung des Verfahrens nicht begründen. Ihr Prozessverhalten erweckt zudem nicht den Eindruck, als hätte das Ausgangsverfahren eine besondere Bedeutung für sie gehabt. Wie der Beklagte zutreffend näher darlegt, ist die Klage erst und auch nur sehr knapp am 2. Oktober 2020 und mithin gut viereinhalb Monate nach Klagerhebung begründet worden und auch nur, weil die Berichterstatterin die Kläger nach mehreren erfolglosen Erinnerungen förmlich zum Betreiben des Verfahrens aufgefordert hatte. Die von den Klägern im Schriftsatz vom 2. Oktober 2020 angekündigte weitere Klagebegründung ging erst am 26. Februar 2021 ein, nachdem die Berichterstatterin die Kläger auch hieran zweimal erinnern musste. Zudem hat der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass die Kläger einer freiwilligen Aufgabe ihrer russischen Staatsangehörigkeit ablehnend gegenüberstanden. Objektive Gesichtspunkte, die ein gesteigertes Interesse der Kläger an einer schnellen Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründen könnten, haben sie nicht benannt und sind auch sonst nicht ersichtlich. Objektiv war der Aufenthalt der Kläger gesichert; der Kläger zu 1. verfügte mit der Niederlassungserlaubnis über einen unbefristeten Aufenthaltstitel und der Kläger zu 2. über eine hiervon abgeleitete befristete Aufenthaltserlaubnis. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen standen zu keinem Zeitpunkt im Raum. Auch sonstige Nachteile oder gar das Drohen eines unwiederbringlichen Rechtsverlusts durch die Dauer des Ausgangsverfahrens sind nicht ansatzweise ersichtlich. Die mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts während des laufenden Ausgangsverfahrens verbundenen Rechtsänderungen beeinflussten die Erfolgsaussichten der Klage offensichtlich nicht zum Nachteil der Kläger.

c) Das zögerliche Verhalten der Kläger im Ausgangsverfahren hat dieses nach Auffassung des Senats zudem auch in relevanter Weise verzögert. So haben die Kläger die Klage erst auf eine Betreibensaufforderung hin kurz vor Ablauf der darin gesetzten zweimonatigen Frist kurz begründet. An die angekündigte weitere Klagebegründung mussten sie zweimal erinnert werden.

d) Unter Berücksichtigung der zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Gesichtspunkten angestellten Bewertungen und der richterlichen Gestaltungsfreiheit wurde das Verfahren zeitweise ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert und erreichte so ab dem 1. Oktober 2022 bis zum Abschluss am 18. November 2024, mithin für volle 25 Monate, eine unangemessene Dauer.

Der Zeitraum bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge am 21. Juni 2022 ist dabei mit einzubeziehen. Denn einen Zeitpunkt, zu dem die Rüge spätestens erhoben sein muss, legt das Gesetz nicht fest. Auf die Entschädigung bleibt ein Zuwarten deshalb grundsätzlich ohne Einfluss. Aus § 198 Abs. 3 GVG ergibt sich, dass der vor einer wirksam bei dem mit dem Verfahren befassten Gericht erhobenen Verzögerungsrüge verstrichene Zeitraum des Verfahrens vor diesem Gericht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer grundsätzlich zeitlich unbefristet einzustellen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.2.2016 - BVerwG 5 C 31.15 D -, juris Rn. 33 mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Gesetzes; BGH, Urt. v. 26.11.2020 - III ZR 61/20 -, juris Rn. 23 ff.; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 198 Rn. 20; a.A. für den Bereich der Finanzgerichtsbarkeit: BFH, Urt. v. 6.4.2016 - X K 1/15 -, juris Rn. 40 ff.).

Das Ausgangsverfahren war ausgeschrieben, nachdem am 31. März 2021 die Klagerwiderung einging. Eine Replik der Kläger hierauf hielt das Verwaltungsgericht ersichtlich nicht für notwendig, da es die Erwiderung den Klägern nur zur Kenntnisnahme übersandte. Auch das erst später nachfolgende Einverständnis der Kläger mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung war zur Herbeiführung der Entscheidungsreife nicht notwendig. Nach § 101 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung der Regelfall. Ab Eintritt der Entscheidungsreife Ende März 2021 war dem Verwaltungsgericht Oldenburg im hier zu beurteilenden Einzelfall ein Spielraum für die Gestaltung des Verfahrens und für die Entscheidungsfindung von 18 Monaten zuzugestehen. Dieser Zeitraum trägt dem Umstand Rechnung, dass die Gestaltung des Verfahrens in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und diesem für die rechtliche Durchdringung des Streitstoffs, derer es für eine Förderung des Verfahrens bis hin zu einer Sachentscheidung bedarf, eine angemessene Zeit einzuräumen ist. Der Umfang des Zeitraums ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit die Ex-ante-Sicht des mit dem Ausgangsverfahren befassten Gerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.8.2017 - BVerwG 5 A 2.17 D -, juris Rn. 34). Angesichts der allenfalls durchschnittlichen Bedeutung des Verfahrens für die Kläger und ihrem daraus abgeleiteten nur mittelgewichtigen Interesse, Rechtsschutz in einer angemessenen Zeit zu erlangen, der noch durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens und der zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife am 31. März 2021 seit Erhebung der Klage bereits verstrichenen Zeit von zehneinhalb Monaten, die allerdings im Wesentlichen auf die zögerliche Klagebegründung zurückzuführen ist, geht der Senat davon aus, dass der Kammer des Verwaltungsgerichts ein richterlicher Überdenkens- und Entscheidungszeit- und zugleich -spielraum von 18 Monaten nach dem Ausschreiben des Verfahrens gerechnet ab dem 1. April 2021 zuzugestehen war, innerhalb derer die Kammer zu beurteilen hatte, wie das Verfahren zu fördern und wann es letztlich zu entscheiden war (vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung: Senatsurt. v. 3.9.2024 - 13 FEK 266/22 -, juris Rn. 40 ff.). Nach Ablauf dieses Überdenkens- und Entscheidungszeitraums am 1. Oktober 2022 bestand keine sachliche Rechtfertigung mehr für eine weitere Fortdauer des Verfahrens.

Soweit das Verwaltungsgericht in der Verfügung der Berichterstatterin vom 27. Juni 2022 darauf verwiesen hat, dass ein Entscheidungstermin aufgrund der Vielzahl älterer Verfahren nicht mitgeteilt werden könne, führt dies für den hier zu beurteilenden Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG nicht zu einer Rechtfertigung der Verfahrensverzögerung. Denn es wäre entweder Aufgabe des Präsidiums gewesen, die zuständige Kammer zu entlasten, oder - bei einer Überlastung des gesamten Gerichts - Aufgabe des Beklagten, zusätzliche Richter einzustellen. Derartige strukturelle Mängel muss sich, wie oben dargestellt, der Staat zurechnen lassen (vgl. Senatsurt. v. 14.4.2021 - 13 F 73/20 -, NJW 2021, 2525, 2529 [BGH 21.01.2021 - 4 StR 83/20] - juris Rn. 56).

Da nach der Hauptsacheerledigung kein Rechtsmittel statthaft war und sich somit keine zweite Instanz anschloss, konnte die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens nicht durch ein beschleunigt durchgeführtes Verfahren in einer höheren Instanz kompensiert werden (vgl. zu dieser Kompensationsmöglichkeit: BVerwG, Urt. v. 27.2.2014 - BVerwG 5 C 1.13 D -, juris Rn. 12).

e) Durch die Verzögerung von 25 Monaten haben die Kläger als Verfahrensbeteiligte des Ausgangsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg einen immateriellen Nachteil erlitten, der durch eine Entschädigungszahlung in Höhe von jeweils 2.500 EUR wiedergutzumachen ist. Soweit die Kläger mit ihrer Klage eine darüberhinausgehende Entschädigungszahlung begehren, ist ihre Klage unbegründet und abzuweisen.

Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein immaterieller Vermögensnachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Wiedergutmachung auf andere Weise ist danach insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts möglich, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.

Bei der in § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG normierten gesetzlichen Vermutungsregelung handelt es sich um eine widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung im Sinne von § 292 Satz 1 ZPO, die dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern soll, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist (vgl. BGH, Urt. v. 12.2.2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184 - juris Rn. 40 m.w.N., und v. 13.4.2017 - III ZR 277/16 -, juris Rn. 21). Diese Vermutungsregel, die sich sowohl auf das Vorliegen eines Nichtvermögensnachteils als auch auf die haftungsausfüllende Kausalität erstreckt, entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür annimmt, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht (vgl. EGMR, Urt. v. 29.3.2006 - 36813/97 - (Scordino/Italien), NJW 2007, 1259 - Rn. 204; vgl. ferner - eine "starke Vermutung" für einen Nachteil i.S.v. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG annehmend - etwa auch BSG, Urt. v. 12.12.2019 - B 10 ÜG 3/19 R -, juris Rn. 40). Bei einer gesetzlichen Vermutung des Vorliegens einer Tatsache ist nach der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 173 Satz 1 VwGO entsprechend anzuwendenden Regel des § 292 Satz 1 ZPO in Ermangelung einer anderweitigen gesetzlichen Anordnung der Beweis des Gegenteils zulässig, d.h. der Beweis, dass die vom Gesetz vermutete Tatsache in Wirklichkeit nicht gegeben ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.7.1994 - BVerwG 8 C 4.93 -, juris Rn. 19 m.w.N.). Um die Vermutung im Sinne einer Widerlegung zu entkräften, genügt es aber nicht, sie lediglich zu erschüttern; es muss vielmehr der volle Beweis des Nichtbestehens der vermuteten Tatsache erbracht werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.7.1994 - BVerwG 8 C 4.93 -, juris Rn. 19, und v. 24.8.1990 - BVerwG 8 C 65.89 -, BVerwGE 85, 314, 321 - juris Rn. 18 ff. jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urt. v. 4.2.2002 - II ZR 37/00 -, juris Rn. 7).

In Anbetracht dessen ist im Fall des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils nur dann widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der von Klägerin gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.6.2020 - BVerwG 5 C 3.19 D -, juris Rn. 12 f.; BGH, Urt. v. 13.3.2017 - III ZR 277/16 -, juris Rn. 21, und v. 12.2.2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184 - juris Rn. 41). Dies kann der Fall sein, wenn bei einer Gesamtbewertung der Schluss gerechtfertigt ist, dass die unangemessene Verfahrensdauer entweder als solche nicht nachteilig (oder sogar vorteilhaft) gewesen ist oder es an einem Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensdauer und Nachteil fehlt (vgl. BFH, Urt. 20.11.2013 - X K 2/12 -, BFHE 243, 151 - juris Rn. 26 ff.; BGH, Urt. v. 12.2.2015 - III ZR 141/14 -, BGHZ 204, 184 - juris Rn. 41).

Der Beklagte hat die gesetzliche Vermutung im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

(1) Die durch die überlange Verfahrensdauer entstandenen immateriellen Nachteile wurden nicht dadurch in relevantem Umfang kompensiert, dass die Verfahrensdauer für die Kläger aufgrund der Ungewissheit des Ausgangs des Rechtsstreits und der Streichung von § 12 StAG durch das Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts auch Vorteile mit sich brachte. Denn es ist zwar nicht zu leugnen, dass die mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts während des laufenden Ausgangsverfahrens verbundenen Rechtsänderungen die Erfolgsaussichten der Klage offensichtlich nicht zum Nachteil der Kläger beeinflussten. Es steht im Gegenzug aber nicht fest, dass die Klage bei früherer Entscheidung unter Geltung des Staatsangehörigkeitsgesetzes a.F. ohne Erfolg geblieben wäre.

(2) Auch dass die Kläger teils für die schleppende Verfahrensführung verantwortlich sind (siehe hierzu im Einzelnen oben I.2.c)), führt nicht dazu, dass allein die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer ausreichend ist. Dieser Umstand wurde vielmehr bereits bei der Bestimmung des Zeitpunktes, ab dem das Verfahren ausgeschrieben war, und damit bei der Bemessung der angemessenen Verfahrensdauer berücksichtigt. Soweit die Kläger der Aufforderung der Stadt G., im Rahmen der erneuten Prüfung der Einbürgerungsvoraussetzungen weitere Unterlagen vorzulegen, nur schleppend nachgekommen sind, rechtfertigt dies nicht die zu diesem Zeitpunkt bereits überlange Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg. Das Verwaltungsgericht hätte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Entscheidung getroffen haben müssen.

(3) Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch allein aus der Minderjährigkeit des 2013 geborenen Klägers zu 2. während der gesamten Dauer des Ausgangsverfahrens nicht darauf geschlossen werden, dass dieser den Ablauf und die Bedeutung des Verfahrens nicht erfasst hat und deshalb einen auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteil nicht erlitten hat (vgl. zu einer solchen Annahme: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 27.5.2020 - L 13 SF 5/19 EK AS -, juris Rn. 18 f.). Der Senat geht davon aus, dass der bei Beginn des Ausgangsverfahrens zwar erst sieben Jahre, bei Abschluss des Verfahrens aber immerhin schon elf Jahre alte Kläger zu 2. - gerade angesichts der deutschen Staatsangehörigkeit seiner jüngeren Geschwister - die Bedeutung des Verfahrens für sich und für seinen Vater sehr wohl erfasst und vom Fortgang des Verfahrens auch Kenntnis gehabt und dieses bewusst begleitet hat (vgl. zu einer ähnlichen Fallgestaltung: Senatsurt. v. 23.2.2023 - 13 FEK 201/22 -, juris Rn. 54).

Jeder der Kläger ist danach in Höhe von jeweils 2.500,00 EUR (= 25 volle Monate unangemessener Verfahrensdauer x 100 EUR/Monat) zu entschädigen. Die Bemessung des immateriellen Nachteils richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach ist der immaterielle Nachteil in der Regel in Höhe von 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Für Zeiträume unter einem Jahr lässt diese Regelung eine zeitanteilige, aber höchstens monatliche Berechnung zu (vgl. Niedersächsisches OVG, Gerichtsbescheid v. 24.6.2016 - 21 F 1/16 -, juris Rn. 65). Nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von hier 2.500 EUR nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Eine solche Unbilligkeit erachtet der Senat hier nicht für gegeben.

f) Der Zinsanspruch der Kläger in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz bezogen auf den für den immateriellen Nachtteil zuerkannten Entschädigungsbetrag folgt aus § 291 Satz 1 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nach diesen auch im Verwaltungsprozess anwendbaren Vorschriften sind Prozesszinsen immer dann zu zahlen, wenn das einschlägige Fachrecht - so wie hier die §§ 198 ff. GVG - keine abweichende Regelung trifft und die Geldforderung - wie hier - eindeutig bestimmt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.2.2014 - BVerwG 5 C 1.13 D -, juris Rn. 46). Die Beschränkung des Zinsanspruchs auf die Zeiträume ab Zustellung der Klageschrift bzw. Zugang des Klageerweiterungsschriftsatzes an den Beklagten entspricht der Antragstellung der Kläger.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO.

III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 Satz 2 VwGO, § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO

IV. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.