Landgericht Lüneburg
Urt. v. 15.06.2023, Az.: 6 O 70/22

Kein Anspruch auf jährliche Ausgleichszahlung wegen eines von einem Grundstück ausgehenden Laub- und Eichelanfalls

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
15.06.2023
Aktenzeichen
6 O 70/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 56613
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In dem Rechtsstreit
1. der Frau S. U.,
2. des Herrn Dr. R. U.,
Kläger,
Prozessbevollmächtigter zu 1, 2: XXX
gegen
Herrn D. M.,
Beklagter,
Prozessbevollmächtigte: XXX
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg auf die mündliche Verhandlung vom 25.05.2023 durch den Richter am Landgericht S. als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

und beschlossen:

Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf

bis zu 13.000,00 €.

Tatbestand

Die Kläger begehren von dem Beklagten eine jährliche Ausgleichszahlung wegen des von seinem Grundstück ausgehenden Laub- und Eichelanfalls.

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Ha. 1b in R. Dem Beklagten gehört das angrenzende Grundstück. Auf dem Grundstück des Beklagten befinden sich 14 etwa 200 Jahre alte Stieleichen. Drei dieser Eichen stehen lediglich einen Meter von der Grenze zum Klägergrundstück entfernt, sind ca. 25 Meter hoch und haben einen Durchmesser in der Krone zwischen 18 und 24 Metern. Hierdurch ragen deren Äste 9 -12 Meter über die Grundstücksgrenze.

Eine Entfernung der Eichen sowie eine Einkürzung der Äste wurde von den Klägern innerhalb der landesrechtlich hierfür vorgesehenen Fristen nicht verlangt.

Durch Bekanntmachung im Amtsblatt des Landkreises U vom 15.07.2022 wurden die 14 auf dem Grundstück des Beklagten stehenden Stileichen zum Naturdenkmal erklärt und unter entsprechenden Schutz gestellt.

Die Kläger behaupten, es würden jedes Jahr Laub und Eicheln in einem Umfang von 250 Schubkarren wegen der den Abstand nicht einhaltenden Eichen auf ihrem Grundstück anfallen. Hierdurch müssten sie zwischen der 40. und 48. Kalenderwoche jedes Jahr mindestens einmal jede Woche die Regenrinne des Hauses auf einer Gesamtlänge von 50 Metern reinigen. Es gäbe außer den drei genannten zwei weitere Eichen, die den Abstand zur Grenze nicht einhalten würden, da sie lediglich in einem Abstand von 4,5 m zu Grundstücksgrenze stehen würden. Die insoweit zu berücksichtigenden fünf Eichen seien ausreichend um den entsprechenden Arbeitsaufwand zu begründen. Es sei mit Kosten von 3.540,00 € jährlich zu rechnen, die sich aus 18 nicht ortsüblichen Dachreinigungen mit 2,5 Stunden Aufwand je Reinigung zu je 40,00 € die Stunde (1.800,00 €), die Entsorgung von sechs Containern zu je 50,00 € (300,00 €) und neun Wochen jeweils 4 Stunden zu je 40,00 € (1.440,00 €) für das Zusammenfegen des Laubes ergeben würden.

Sie sind der Meinung, dass sie aufgrund der Unterschreitung des landesrechtlich vorgeschriebenen Abstands zur Grenze Anspruch auf Zahlung einer jährlichen Laubrente hinsichtlich der Eichen hätten.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger beginnend ab Oktober 2022 jährlich jeweils bis zum dritten Werktag des Monats Oktober eine Laubrente in Höhe von 3.540,00 € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass er aufgrund des bestehenden Naturschutzes für die Eichen nicht zur Zahlung von Beseitigungskosten für durch diese anfallendes Laub oder Eichein verpflichtet sei. Zudem fehle es an einer Differenzierung der Kläger zwischen dem Laub der den vorgeschriebenen Abstand zum Klägergrundstück unterschreitenden Eichen und dem sonstigen Laubanfall auf dem Grundstück. Auch sei das anfallende Laub ortsüblich. Er beruft sich zudem auf Verjährung eines etwaigen Anspruches.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

1.

Die Kläger haben gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 3.540,00 € jährlich aus einem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gemäß §§ 1004 Abs. 1, 906 Abs. 2 BGB analog.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist in analoger Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch gegeben, wenn von einem Grundstück Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, .die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen und die an sich nach § 1004 Abs. 1 BGB hätten abgewehrt werden können, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen rechtzeitig zu unterbinden (BGH, Urteil vom 18.09.2009, V ZR 75/08; OLG Karlsruhe Urteil vom 09.09.2009, 6 U 184/07, zitiert nach: juris). Dabei kann der Hinderungsgrund rechtlicher Art sein - etwa der Ablauf einer Ausschlussfrist zur Abwehr der Störung - oder tatsächlicher Art (BGH, Urteil vom 30.05.2003, V ZR 37/02, zitiert nach: beck-online). Von einem Hinderungsgrund rechtlicher Art ist somit auch ein nicht mehr mögliches Beseitigungsverlangen für grenzabstandsunterschreitende Anpflanzungen wegen des Ablaufs der hierfür landesrechtlich vorgesehenen Fristen umfasst. Hält der Grundstückseigentümer die für die Anpflanzung bestehenden landesrechtlichen Abstandsregelungen hingegen ein, handelt es sich um eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Grundstücks, sodass der Eigentümer des Nachbargrundstücks wegen der Beeinträchtigungen durch die von den Anpflanzungen ausgehenden natürlichen Immissionen keinen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 BGB (analog) geltend machen kann (BGH. Urteil vom 20.09.2019, V ZR 218/18, zitiert nach: beck-online).

Dies berücksichtigend scheiden Ansprüche der Kläger wegen Laubbefalls von den Eichen, die den landesrechtlich vorgeschriebenen Abstand einhalten, bereits aus.

2.

Auch ein Anspruch der Kläger wegen des Laubes und der Eicheln der weiteren fünf Eichen scheidet aufgrund der für sämtliche Eichen auf dem Beklagtengrundstück bestehenden Schutzstellung als Naturdenkmal aus. Insoweit kann dahinstehen, ob es sich um fünf Eichen handelt, die den landesrechtlich festgelegten Grenzabstand unterschreiten, oder lediglich um drei.

Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 BGB ist insoweit ausgeschlossen, falls das Naturschutzrecht dem Störer verbietet, die Einwirkung auf das Grundstück des Gestörten zu unterlassen oder abzustellen. Hätte der Störer gleichwohl an den Gestörten einen Ausgleich zu leisten, müsste er eine Entschädigung für die Folgen einer gesetzlichen Regelung bezahlen, die der Gesetzgeber nicht im Interesse des Störers, sondern im Allgemeininteresse für notwendig hält. Hierfür gibt es keine Grundlage (BGH, Urteil vom 27.10.2017, V ZR 8/17, zitiert nach: beck-online).

Dem Beklagten ist es verboten, eine etwaige Störung durch die Eichen zu beseitigen. Eine Unterbindung durch die hierfür erforderliche Beseitigung oder starken Rückschnitt ist ihm untersagt. Gemäß § 28, BNatSchG sind Naturdenkmäler rechtsverbindlich festgesetzte Einzelschöpfungen der Natur oder entsprechende Flächen bis zu fünf Hektar, deren besonderer Schutz aus wissenschaftlichen, naturgeschichtlichen oder landeskundlichen Gründen oder wegen ihrer Seltenheit, Eigenart oder Schönheit erforderlich ist. Nach § 28 Abs. 2 BNatSchG sind ihre Beseitigung sowie alle Handlungen, die zu einer Zerstörung. Beschädigung oder Veränderung des Naturdenkmals führen, verboten. Nach §§ 3 Abs. 1. 20 Abs. 2 Nr. 6. 22 Abs. 1. Abs. 2 BNatSchG in Verbindung mit §§ 21 Abs. 1, 32 Abs. 1 NAGBNatSchG können diese durch die landesrechtlich zu bestimmenden Naturschutzbehörden durch Verordnung bestimmt werden.

Eine entsprechende Verordnung wurde durch den Landkreis U am 15.07.2022 getroffen. Aus dieser folgt auch das entsprechende Verbot. Insoweit war es dem Beklagten gerade untersagt, die streitgegenständliche Störung durch herabfallendes Laub oder Eicheln durch grundsätzlich mögliche Maßnahme zu beseitigen. Etwas Anderes folgt nicht daraus, dass nach Rücksprache mit der zuständigen Naturschutzbehörde Pflege- und ähnliche Maßnahmen möglich wären, da diese keine Beseitigung der Störung, sondern gegebenenfalls nur eine geringfügige Verringerung, herbeiführen können.

Der Ausschluss einer entsprechenden Verpflichtung zur Ausgleichszahlung nach § 906 Abs. 2 BGB entspricht auch der verfassungsgemäßen Auslegung unter Berücksichtigung des Art 20a GG. Gemäß Art. 20a GG schützt der Staat auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Die Verpflichtung zum Schutz der natürlichen Grundlagen ist als Staatsziel ausgestaltet, d.h. staatliche Gewalt ist verfassungsrechtlich verpflichtet, das Gemeinschaftsgut "natürliche Lebensgrundlagen" Im Sinne eines Optimierungsgebots zu schützen. Der Umweltschutz wird damit zu einer fundamentalen Staatsaufgabe. Art. 20a GG wendet sich in erster Linie an den Gesetzgeber, den die Verpflichtung trifft, den in dieser Norm enthaltenen Gestaltungsauflrag umzusetzen. Art. 20a GG bezieht aber auch die Rechtsprechung in den Schutzauftrag mit ein. Bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und bei der Betätigung von Ermessen ist das Schutzgebot des Art. 20a GG Auslegungs- und Abwägungshilfe (BVerwG, Urteil vom 23.11. 2005, 8 C 14/04). Unter Berücksichtigung dieses Ziels muss ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch bei unter Naturschutz gestellten Bepflanzungen, wie den streitgegenständlichen Eichen, ausscheiden, da eine hiervon ausgehende Beeinträchtigung im Sinne des § 906 Abs. 2 BGB nach entsprechender Auslegung unter Berücksichtigung naturschutzrechtlicher Belange zumutbar ist.

Insoweit handelt der Beklagte auch nicht rechtsmissbräuchlich, da eine Berufung auf naturschutzrechtliche Vorgaben, die der Allgemeinheit dienen, gerade nicht zu einem grob unbiliigen, mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führt. Vielmehr ist es eine im Allgemeininteresse durch die Kläger hinzunehmende Folge.

3.

Schließlich entspricht der Erhalt der Bäume auch der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Grundstücks. Es liegt schon kein Verstoß gegen landesrechtliche Abstandsregelungen vor, der, anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen (BGH, Urteil vom 27.10.2017, V ZR 8/17; BGH, Urteil vom 14.11.2003, V ZR 102/03, zitiert nach: beck-online), grundsätzlich ein, Rückschnitt- oder Beseitigungsbegehren des Nachbarn begründen würde. Vorliegend bestand nämlich zu keinem Zeitpunkt ein Anspruch auf Beseitigung (§ 53 Abs. 1 NNachbG) oder Rückschnitt (§ 53 Abs. 2 NNachbG), unabhängig von den Ausschlussfristen des § 54 NNachbG. Zwar gilt nach § 50 Abs. 1 litf) NNachbG, dass Bäume mit einer Höhe über 15 Metern, wie die streitgegenständlichen Eichen, einen Grenzabstand von acht Metern zum Nachbargrundstück einzuhalten haben. Ein daraus resuitierender Anspruch nach § 53 NNachbG bestand hingegen nach § 55 Abs. 1 NNachbG nie, da ein Anspruch auf Beseitigung nach § 55 Abs. 1 Nummer 1 NNachbG für Anpflanzungen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits vorhanden waren, ausgeschlossen ist und ein Anspruch auf Rückschnitt nach § 55 Abs. 1 Nummer 2 NNachbG ausgeschlossen ist, wenn die Anpflanzungen bei Inkrafttreten bereits über 3 m hoch waren. Das Niedersächsische Nachbarrechtsgesetz ist am 31.03.1967 in Kraft getreten, sodass die heute ca. 200 Jahre alten Eichen bereits zum damaligen Zeitpunkt mindestens 125 Jahre alt waren und somit, was allgemeinkundig ist (§ 291 ZPO), zu diesem Zeitpunkt über drei Meter hoch waren.

Insoweit kann auch nicht entgegengehalten werden, dass andenweitige Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 906, 1004 BGB) neben den landesrechtlichen Regelungen gelten, da ausweislich § 124 EGBGB es gerade dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dass die den Abstand von Bäumen zu anderen Grundstück regelnden Bestimmungen durch die Landesgesetzgeber getroffen werden.

4.

Auch aus § 906 II 2 BGB in unmittelbarer Anwendung ergibt sich kein Entschädigungsanspruch der Kläger.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Voilstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

III.

Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in §§ 3, 9 ZPO.

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes kann mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache rechtskräftig geworden ist oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Lüneburg, 21335 Lüneburg, Am Markt 7 eingeht.

Wird der Streitwert später als einen Monat vor Abiauf dieser Frist festgesetzt, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung der Festsetzung bei dem Gericht eingelegt werden. Die Beschwerde Ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 € übersteigt oder das Gericht die Beschwerde in diesem Beschluss zugelassen hat. Beschwerdeberechtigt ist, wer durch diese Entscheidung In seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei dem genannten Gericht ankommt. Sie Ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.Die Einlegung kann auch in elektronischer Form erfolgen. Informationen zu den weiteren Voraussetzungen zur Signatur und Übermittlung sind auf dem Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) im Themenbereich zur elektronischen Kommunikation zu finden. Eine Einlegung per einfacher E-Mail Ist unzulässig.

Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Eildärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.