Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.09.2025, Az.: 2 ME 105/25
Einstweilige Anordnung auf Geltendmachung eines Anspruchs auf Aufnahme an einer bestimmten Schule
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.09.2025
- Aktenzeichen
- 2 ME 105/25
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 22522
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2025:0911.2ME105.25.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 29.07.2025 - AZ: 6 B 6444/25
Rechtsgrundlage
Redaktioneller Leitsatz
Hat ein Antragsteller - wie hier - die Möglichkeit, sein in § 59 Abs. 1 NSchG auf die Wahl zwischen den Schulformen und Bildungsgängen gesetzlich konkretisiertes Recht auf Bildung dadurch zu verwirklichen, dass er im Zuständigkeitsbereich des Schulträgers eine andere Schule derselben Schulform besucht, die denselben Bildungsgang anbietet (und sich daher mit anderen Worten organisatorisch nicht wesentlich von der Wunschschule unterscheidet), kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich des erforderlichen Anordnungsgrundes nur in Betracht, wenn er besondere Umstände für den Besuch seiner Wunschschule geltend macht.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichterin der 6. Kammer - vom 29. Juli 2025 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Antragsteller begehren im Beschwerdeverfahren (weiterhin) die vorläufige Aufnahme ihres Sohnes in den 5. Jahrgang (Schuljahr 2025/2026) bei der Antragsgegnerin, einer derzeit vierzügig geführten Integrierten Gesamtschule (IGS), hilfsweise die vorläufige Freihaltung eines Schulplatzes, weiter hilfsweise die Untersagung, andere Schülerinnen und Schüler auf einen Schulplatz nachrücken zu lassen.
Auch unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren angeführten und vom Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründe ist nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht die begehrte einstweilige Anordnung hätte erlassen müssen.
1. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss bereits das Vorliegen eines Anordnungsgrundes verneint. Es hat ausgeführt:
"Für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes ist erforderlich, dass es den Antragstellern unter Berücksichtigung ihrer Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Entscheidung in einem (möglichen) Hauptsacheverfahren abzuwarten. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich aus dem Recht auf Bildung aus Art. 4 Abs. 1 Nds. Verfassung und § 54 NSchG allein noch kein Rechtsanspruch auf den Besuch einer bestimmten öffentlichen Schule herleiten lässt, wenn mehrere in zumutbarer Weise erreichbare öffentliche Schulen derselben Schulform vorhanden sind bzw. denselben Bildungsgang anbieten. Das Wahlrecht verdichtet sich nur dann zu einem Anspruch auf Aufnahme an einer bestimmten Schule, wenn innerhalb der Schulform nur diese eine Schule besucht werden kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn nach § 63 Abs. 2 NSchG Schulbezirke festgelegt worden sind und die betroffene Schülerin oder der betroffene Schüler gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 NSchG verpflichtet ist, diejenige Schule der gewählten Schulform (und des gewählten Bildungsgangs) zu besuchen, in deren Schulbezirk sie bzw. er seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dasselbe gilt für eine Schule, die als einzige dieser Schulform mit diesem Bildungsgang in zumutbarer Weise erreichbar ist.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn der Sohn der Antragsteller ist weder zum Besuch der Antragsgegnerin verpflichtet - in § 6 Abs. 1 der Satzung über die Festlegung von Schulbezirken für die allgemein bildenden Schulen in der Trägerschaft der Landeshauptstadt A-Stadt vom 19. Mai 2022, Nr. 20, S. 184 (zuletzt geändert durch 2. Änderungssatzung vom 24.10.2024) ist geregelt, dass das gesamte Stadtgebiet AStadts gemeinsamer Schulbezirk für Integrierte Gesamtschulen ist - noch ist er auf einen Besuch der Antragsgegnerin angewiesen. Ausweislich des Bescheides der Antragsgegnerin vom 7. Mai 2025 sollte der Sohn der Antragsteller einen Aufnahmebescheid von der IGS H. erhalten. Angesichts dessen ist mit hinreichender Sicherheit anzunehmen, dass IGS H. aufnahmebereit und -fähig ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Besuch dieser Schule - bei der es sich zudem um die Alternativwunschschule handelt - für den Sohn der Antragsteller unzumutbar wäre, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich."
Damit hat sich das Verwaltungsgericht der bisherigen Rechtsprechung des beschließenden Senats angeschlossen. Dieser hat z.B. im Beschluss vom 14. September 2016 (2 ME 183/16 -, V.n.b.) ausgeführt:
"Darüber hinaus folgt der Senat der Auffassung, dass sich ein Anspruch auf rechtsfehlerfreie Entscheidung über die Aufnahme in eine öffentliche Schule gleichsam voraussetzungslos mit einer einstweiligen Anordnung sichern lässt, in dieser Allgemeinheit nicht. Hat der jeweilige Antragsteller - wie hier - die Möglichkeit, sein in § 59 Abs. 1 NSchG auf die Wahl zwischen den Schulformen und Bildungsgängen gesetzlich konkretisiertes Recht auf Bildung dadurch zu verwirklichen, dass er im Zuständigkeitsbereich des Schulträgers eine andere Schule derselben Schulform besucht, die denselben Bildungsgang anbietet (und sich daher mit anderen Worten organisatorisch nicht wesentlich von der Wunschschule unterscheidet), kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung vielmehr nur in Betracht, wenn er besondere Umstände für den Besuch seiner Wunschschule geltend macht. Dabei bedarf es hier keiner näheren Befassung mit der Frage, welche Anforderungen an diese besonderen Umstände zu stellen sind. Denn die Antragstellerin hat - obwohl vor allem aufgrund der Begründung des angefochtenen Beschlusses mehr als naheliegend - zu keinem Zeitpunkt dargelegt, warum sie nicht auf einen Besuch der IGS I. verwiesen werden darf."
Mit ihrer Beschwerdebegründung haben die Antragsteller bereits nicht nachvollziehbar dargelegt, warum demgegenüber ein Anordnungsgrund vorliegen soll. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erhobene Beschwerde einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Gründen der angefochtene Beschluss nach Ansicht des Beschwerdeführers unrichtig sein soll und geändert werden muss. In diesem Zusammenhang muss der Beschwerdeführer deutlich zum Ausdruck bringen, warum er Ergebnis und Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht für zutreffend erachtet. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes, in deren Zusammenhang der Beschwerdeführer nicht nur die Punkte zu bezeichnen hat, in denen der Beschluss des Verwaltungsgerichts angegriffen werden soll, sondern auch angeben muss, aus welchen Gründen er die angefochtene Entscheidung in den angegebenen Punkten nicht für tragfähig, sondern für unrichtig hält. Dabei reicht es insbesondere nicht aus, die tatsächliche und rechtliche Würdigung der Vorinstanz nur mit pauschalen Angriffen oder formelhaften Wendungen zu rügen (vgl. Senatsbeschl. v. 20.2.2025 - 2 ME 185/24 -, juris Rn. 10 und v. 16.9.2004 - 2 ME 1239/04 -, juris Rn. 2 m.w.N.; NdsOVG, Beschl. v. 15.1.2024 - 5 ME 115/23 -, juris Rn. 52).
Die Antragsteller verweisen in erster Linie auf ein rein tatsächliches - aus dem Beginn des Schuljahres und dem fortschreitenden Zeitablauf folgendes - Eilbedürfnis. Allein daraus ergibt sich nach der rechtlichen Einschätzung des Verwaltungsgerichts aber gerade kein Anordnungsgrund.
Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer Regelungsanordnung erfordert das Vorliegen besonderer Gründe, die es unzumutbar erscheinen lassen, den Antragsteller auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Der Anordnungsgrund ist folglich gleichzusetzen mit der Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91 -, juris Rn. 96; NdsOVG, Beschl. v. 19.10.2010 - 8 ME 221/10 -, juris Rn. 4; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: August 2024, § 123 Rn. 81 m.w.N.).
Auf die den Kern der Argumentation des Verwaltungsgerichts bildende Annahme, ein Anordnungsgrund liege nicht vor, weil es an Anhaltspunkten dafür fehle, dass ein Besuch der IGS H. - für die der Sohn der Antragsteller einen Aufnahmebescheid erhalten hat und die die Antragsteller zudem selbst als Zweitwunsch für ihren Sohn angegeben hatten - für den Sohn der Antragsteller für die Dauer des Hauptsacheverfahrens unzumutbar sei, gehen die Antragsteller nicht näher ein. Sie legen nicht dar, von welchen rechtlich unzutreffenden Ansätzen die erstinstanzliche Entscheidung ausgeht und woraus genau ein Anordnungsgrund herzuleiten sein soll, obgleich eine andere aufnahmebereite Schule derselben Schulform in zumutbarer Entfernung zur Verfügung steht und obgleich in § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG das Wahlrecht der Eltern gerade nicht auf eine bestimmte Schule, sondern auf die Schulform und den Bildungsgang konkretisiert wird. Auch der Hinweis, dass im Zeitpunkt einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren jedenfalls das Schuljahr 2025/26 bereits abgelaufen sein dürfte, stellt die erstinstanzliche Entscheidung nicht durchgreifend in Frage. Es geht den Antragstellern nicht darum, dass ihr Sohn für das Schuljahr 2025/26 einen Schulplatz bei der Antragsgegnerin erhalten soll, sondern ab diesem Schuljahr bis zum Schulabschluss.
Soweit die Antragsteller meinen, sie hätten einen Anspruch auf den Besuch einer bestimmten Schule, der sich bei einem Bewerberüberhang in ein Teilhaberecht und damit in einen Rechtsanspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung umwandele, ist dies lediglich für die Frage relevant, ob ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist. Aus einem behaupteten Anspruch folgt aber noch kein Eilbedürfnis, also kein Anordnungsgrund. Der Anordnungsgrund würde seine im System der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO gesetzlich angelegte eigenständige Bedeutung verlieren, wenn immer dann, wenn der Anordnungsanspruch bejaht würde, an das Vorliegen des Anordnungsgrundes keine besonderen Anforderungen mehr gestellt würden (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 16.7.2020 - 12 B 469/29 -, juris Rn. 7 ff.; VGH BW, Beschl. v. 18.7.2018 - 12 S 643/18 -, juris Rn. 20 m.w.N.; VG Stuttgart, Beschl. v. 14.9.2022 - 9 K 4400/22 -, juris Rn. 31; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 123 Rn. 26; zur Beziehung zwischen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund auch Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 95 ff.). Zwar ist das Vorliegen eines Anordnungsgrundes von Verfassungs wegen gleichsam indiziert, wenn Grundrechtspositionen von Gewicht fortschreitend endgültig vereitelt werden (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.9.2009 - 1 BvR 1702/09 - juris). Eine solche Fallkonstellation liegt hier jedoch schon deswegen nicht vor, weil der Sohn der Antragsteller einen Schulplatz an seiner Zweitwunschschule bekommen hat, bei der es sich ebenfalls um eine IGS handelt und die mit zumutbarem Zeitaufwand zu erreichen ist.
Auch der Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen, die ein Eilbedürfnis bejaht hätten, zieht die erstinstanzliche Entscheidung nicht durchgreifend in Zweifel. Die Antragsteller legen bereits nicht dar, welcher Sachverhalt den zitierten Entscheidungen jeweils zugrunde lag, insbesondere ob der betroffene Schüler bzw. die betroffene Schülerin die Möglichkeit hatte, eine Schule derselben Schulform in zumutbarer Entfernung zu besuchen und - hinsichtlich der Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts - wie sich die Rechtslage in dem jeweiligen Bundesland darstellt, insbesondere, ob es eine dem § 59 Abs. 1 Satz 1 NSchG entsprechende Regelung gibt. Im Übrigen vermag ein Hinweis auf eine abweichende Entscheidung für sich genommen noch nicht die angegriffene Entscheidung in Frage zu stellen.
2. Es kann somit offenbleiben, ob die Antragsteller einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht haben. Das durchgeführte Losverfahren erscheint bislang - auch nach weiteren Erläuterungen der Antragsgegnerin - (noch) nicht vollständig nachvollziehbar. Ob sich aus einem (möglicherweise) fehlerhaften Losverfahren bereits ein (überkapazitärer) Aufnahmeanspruch für den Sohn der Antragsteller in die 5. Klasse der Antragsgegnerin ergeben würde, oder ob bzw. unter welchen Umständen einem solchen - lediglich aus dem Teilhabeanspruch folgenden - Anspruch entgegensteht, dass die Aufnahmekapazität der Schule erschöpft ist, braucht hier nicht entschieden zu werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 38.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025. Der Senat reduziert den Streitwert in Verfahren der vorliegenden Art in inzwischen ständiger Rechtsprechung entsprechend Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs um die Hälfte; dies hält er mit Blick darauf für angemessen, dass die Hauptsache nur teilweise vorweggenommen wird und ein Schulwechsel nach Ergehen der Hauptsachenentscheidung möglich bleibt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 und § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).